Russlands Wirtschaft im Herbst: Kaum Frühlingsgefühle

Russlands Wirtschaft im Herbst: Kaum Frühlingsgefühle

Anfang Oktober nahm Russlands Parlament die Haushaltsberatungen auf. Die Planung der Regierung geht davon aus, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft von 1,3 Prozent im laufenden Jahr auf 1,7 Prozent im nächsten Jahr und 3,1 Prozent im Jahr 2021 beschleunigt.

Analysten in Banken und Forschungsinstituten erwarten insbesondere für 2021 meist deutlich weniger Wachstum. Beispiele dafür sind die neuen Prognosen des Forschungsinstituts der finnischen Zentralbank (BOFIT) und die „Gemeinschaftsdiagnose“ der führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute.

Auch im laufenden Jahr dürfte das von der Regierung erwartete Wachstum von 1,3 Prozent nach Meinung von immer mehr Beobachtern nicht erreicht werden. Jüngste Analysten-Umfragen lassen nur einen Produktionsanstieg von 1,0 Prozent (Reuters-Umfrage) oder 1,1 Prozent (FocusEconomics-Umfrage) erwarten.

Aktuelle Konjunkturergebnisse

Die Statistikbehörde Rosstat bestätigte am Mittwoch, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft im zweiten Quartal 2019 im Vergleich mit dem Vorjahresquartal auf 0,9 Prozent beschleunigt hat. Im ersten Quartal war das Wachstum auf nur noch 0,5 Prozent gesunken. Im ersten Halbjahr erreichte die Wachstumsrate damit 0,7 Prozent.

In der folgenden Abbildung aus dem monatlichen Konjunkturbericht des Wirtschaftsministeriums zeigen die dunklen Punkte die Angaben der Statistikbehörde Rosstat für die vierteljährlichen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts.

Wirtschaftsministerium: Bild der Wirtschaftsaktivität; 19.09.2019

2019 ist die Wirtschaft bisher um rund 1 Prozent gewachsen

Die hellblaue Linie zeigt die Schätzungen des Wirtschaftsministeriums für die monatlichen Wachstumsraten. In seinem Bericht vom 19. September veranschlagte das Ministerium das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in den ersten acht Monaten im Vergleich zum Vorjahr in einer ersten Schätzung auf 1,1 Prozent. Das Konjunkturinstitut der Vnesheconombank schätzte es rund eine Woche später etwas niedriger auf 0,9 Prozent.

Für das dritte Quartal 2019 erwarten Analysten der Sberbank, dass das Wirtschaftswachstum wahrscheinlich etwas höher war als im zweiten Quartal („aber nicht viel“). Sie rechnen damit, dass vermehrte öffentliche Ausgaben, insbesondere im Baubereich, das Wachstum weiter beschleunigen. Im August seien die Haushaltsausgaben bereits rund 20 Prozent höher gewesen als vor einem Jahr. Allerdings dürfte sich ein Teil der Haushaltsausgaben bis in das nächste Jahr verzögern.

Die volkswirtschaftliche Abteilung der russischen Zentralbank veranschlagte in ihrem am 26. September veröffentlichten monatlichen Konjunkturbericht „Wirtschaft: Fakten, Schätzungen, Kommentare“ das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal auf 0,8 bis 1,3 Prozent. Diese Spanne nennt die Zentralbank auch für das gesamte Jahr 2019.

Schwaches Wachstum von Investitionen und Einzelhandelsumsatz

Das Wachstum der Anlageinvestitionen sei im August weiterhin niedrig geblieben, heißt es im Bericht der Zentralbank. Die rote Linie in der folgenden Abbildung zeigt die Schätzungen der Zentralbank zu den monatlichen Veränderungsraten der Anlageinvestitionen im Vergleich zum Vorjahr. In den Sommermonaten waren die Investitionen wie in den beiden ersten Quartalen (rote Punkte) kaum höher als im Vorjahr.

Indikatoren für die Investitionsaktivität
Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Zentralbank: Monatsbericht Wirtschaft: Fakten, Schätzungen, Kommentare; russ.+englisch, Pressemeldung: Growth in manufacturing activity continued in Q3; 26.09.2019

Die Zentralbank weist außerdem darauf hin, dass nach ihren Schätzungen die Produktion von Investitionsgütern (graue Linie, linke Skala) und der Import von Investitionsgütern (gelbe Linie, rechte Skala) im August weitgehend auf dem Stand vom August 2018 gelegen haben.

Die Nachfrage der privaten Verbraucher sei durch die Stagnation der realen Einkommen der beschränkt geblieben. Das habe der anhaltende Rückgang des realen Einzelhandelsumsatzes gezeigt. Im August war er nur noch 0,8 Prozent höher als vor einem Jahr. Im zweiten Quartal 2019 übertraf er sein Vorjahresniveau noch um 1,6 Prozent, im Jahr 2018 war er 2,8 Prozent höher als ein Jahr zuvor.

Realer Einzelhandelsumsatz
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Zentralbank: Monatsbericht Wirtschaft: Fakten, Schätzungen, Kommentare; russ.+englisch, Pressemeldung: Growth in manufacturing activity continued in Q3; 26.09.2019

Rosstat: Gesamter Verbrauch beschleunigte sich deutlich

Nach den am Mittwoch veröffentlichten ersten Rosstat-Berechnungen zur Verwendung des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal war der Anstieg des gesamten privaten Verbrauchs im zweiten Quartal mit 2,8 Prozent aber deutlich höher als der gleichzeitige reale Zuwachs des Einzelhandelsumsatzes (1,6 Prozent).

Einschließlich des öffentlichen Verbrauchs, der nur um 0,2 Prozent stieg, war der gesamte Verbrauch 2,1 Prozent höher als im zweiten Quartal 2018. Im ersten Quartal war er – nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer – nur noch 1,2 Prozent höher als ein Jahr zuvor gewesen.

Die Brutto-Anlageinvestitionen überstiegen ihr Vorjahresniveau im zweiten Quartal um 1,0 Prozent.

Während der Export um 4,9 Prozent niedriger war als vor einem Jahr, nahm der Import um 0,1 Prozent zu.

ING-Dolgin: Netto-Exporte bremsten kräftig

Dmitry Dolgin, ING-Chefvolkswirt für Russland, meint in seiner Analyse des Rosstat-Berichts, die „lokalen“ Wachstumstreiber seien in Russland im zweiten Quartal stärker als erwartet gewesen. Vor allem der scharfe Rückgang der Exporte um fast 5 Prozent habe hingegen das Wachstum nachfrageseitig gebremst.

Als Ursachen für die Abnahme der Ausfuhr nennt er die zeitweilige Unterbrechung der Ölexporte durch die „Freundschafts-Pipeline“ wegen technischer Störungen, die von Russland im Rahmen des OPEC+-Abkommens übernommenen Verpflichtungen zur Begrenzung der Ausfuhr und eine Abschwächung der weltweiten Nachfrage nach Metallen. Nach Dolgins Berechnungen verminderte die Entwicklung der Netto-Exporte das gesamtwirtschaftliche Wachstum im zweiten Quartal sehr deutlich um 1,7 Prozentpunkte.

Der ING-Chefvolkswirt für Russland bleibt bei seiner Prognose, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft nach einem Rückgang auf 1 Prozent in diesem Jahr in den nächsten Jahren nur auf 1,5 bis 2 Prozent beschleunigen wird.

Ähnlich fielen die Prognosen von Analysten bei der September-Umfrage des Research-Unternehmens FocusEconomics aus. Für 2019 wird nur noch mit 1,1 Prozent Wachstum in Russland gerechnet, im nächsten Jahr mit 1,8 Prozent.

Preisanstieg fiel im September auf 4,0 Prozent

Der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat verringerte sich zuletzt von 4,3 Prozent im August auf 4,0 Prozent im September. Mit einem Preisanstieg von 4,0 Prozent rechneten die Analysten in der September-Umfrage von FocusEconomics auch für das Jahresende 2019. Die Zentralbank erwartete in ihrem Anfang September veröffentlichten Basisszenario am Jahresende eine Inflationsrate von 4,0 bis 4,5 Prozent.

Nachdem die Zentralbank Anfang September den Leitzins auf 7,0 Prozent senkte, gehen die Analysten im Durchschnitt jetzt davon aus, dass es bis zum Jahresende eine weitere Senkung des Leitzinses auf 6,82 Prozent geben wird.

Auch BOFIT senkt seine Wachstumsprognose für Russland

Am 03. Oktober aktualisierte BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, seine halbjährliche Prognose Prognose für die Entwicklung der russischen Wirtschaft .Wie viele andere Beobachter geht auch BOFIT jetzt davon aus, dass sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr von 2,3 Prozent auf 1,0 Prozent abschwächt.

Auch der Verbrauch werde sich 2019 insgesamt nur um 1 Prozent erhöhen. Dabei werde sich das Wachstum des Verbrauchs der privaten Haushalte von 2,3 Prozent auf 1,1 Prozent halbieren. Das Wachstum des öffentlichen Verbrauchs werde sich von 0,3 Prozent auf 0,4 Prozent beschleunigen.

Das Wachstum der Brutto-Anlageinvestitionen wird sich BOFIT zufolge in diesem Jahr sogar von 2,9 Prozent auf 1,0 Prozent abschwächen.

BOFIT (Bank of Finland): BOFIT Forecast for Russia 2019 – 2021; 03.10.2019 Twitter-Meldung: https://pbs.twimg.com/media/EF8DcWIWsAEzNBZ.png

Im nächsten Jahr erwartet BOFIT zwar, dass die Anlageinvestitionen dank der „nationalen Projekte“ beschleunigt um 2,5 Prozent wachsen und das gesamtwirtschaftliche Wachstum auf 1,8 Prozent anzieht. Bei stagnierenden Realeinkommen der privaten Haushalte und einer Abnahme des Wachstums der Konsumentenkredite werde der private Verbrauch 2020 aber nur um 1,4 Prozent zunehmen.
Auch 2021 werde sich das Wachstum des privaten Verbrauchs nicht weiter beschleunigen. Bei einem etwas schwächeren Wachstum der Anlageinvestitionen um 2 Prozent geht BOFIT für 2021 sogar von einem erneuten Rückgang des Wirtschaftswachstums in Russland auf 1,6 Prozent aus.

Gemeinschaftsdiagnose erwartet etwas mehr Wachstum als BOFIT

Die am 02. Oktober veröffentlichte „Gemeinschaftsdiagnose“ der deutschen Konjunkturforschungsinstitute rechnet damit, dass sich Russlands Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 1,2 Prozent abschwächt.

Im nächsten Jahr gehen die Institute von einer leichten Beschleunigung des Wachstums auf 1,5 Prozent aus. Sie meinen, dass die russische Finanzpolitik inzwischen expansiv wirke. Als Teil eines bis zum Jahr 2024 reichenden Programms für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur, die Gesundheitsversorgung und das Bildungssystem würden im laufenden Haushalt Mittel von rund 1,5% des Bruttoinlandsprodukts bereitgestellt. Auch die deutschen Konjunkturforscher  erwarten aber nach wie vor „keine breit angelegte Erholung der privaten Investitionen“.

   201920202021
Danske Bank, Kopenhagen10/04/20191.21.72.4
Helaba, Frankfurt10/04/20191.31.7
Bank of Finland; BOFIT10/03/201911.81.6
Gemeinschaftsdiagnose10/02/20191.21.51.8
FocusEconomics
Consensus Forecast
10/02/20191.11.81.8
Russisches Wirtschaftsministerium; Basisszenario für Haushaltsplan09/30/20191.31.73.1
Reuters Umfrage09/30/20191
Berenberg Bank, Hamburg09/30/20190.811.7
UniCredit, Mailand09/25/20191.21
Commerzbank, Frankfurt09/20/20191.21.7
RIA Rating09/20/20191
OECD, Paris09/19/20190.91.6
Economist Intelligence Unit09/19/20191.31.51.7
Macro Advisory, Moskau09/19/20191.21.8
Ifo M?nchen09/12/201911.71.7
IfW Kiel09/11/20190.61.51.8
DIW Berlin09/11/20191.41.91.8
RWI Essen09/11/20191.21.51.8
DekaBank, Frankfurt09/11/20191.11.6
OPEC, Wien09/11/20191.11.2
ING, Amsterdam09/09/201911.51.7
Russische Zentralbank,
Basisszenario
09/06/20190,8 bis 1,3
Urals 63 $/b
1,5 bis 2,0
Urals 55 $/b
1,5 bis 2,5
Urals 50 $/b
IWH Halle09/05/20191.11.81.6
ABN AMRO, Amsterdam09/05/201911.5
Nordea, Stockholm09/04/20191.11.51.8
Morgan Stanley09/03/20191.11.6
Russian Academy of Sciences:09/03/20190.81.82.2
SEB, Stockholm08/27/20190.81.71.9
Titelbild
Titelbild: Ekaterina Bykova / Shutterstock.com
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Quellen und Lesetipps:

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (meist monatlich, vierteljährlich)

Preisentwicklung

BIP im zweiten Quartal 2019

Wirtschaftsministerium: Prognosen und Vorlagen vom 30.09. für die Haushaltsberatungen:

Wirtschaftsministerium: Prognose bis 2024 vom 26.08.2019

Haushaltspolitik: Haushaltsplan 2020-2022

Zentralbank: Single State Monetary Policy Guidelines; 27.09.2019

Zentralbank:Monatsbericht Wirtschaft August 2019

Zentralbank Konjunkturbericht „Talking Trends“

Wirtschaftsministerium: Monatsbericht Wirtschaft September 2019

Zentralbank: Monetary Policy Report, Leitzinssenkung und Prognosen vom 06.09.2019

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann seit Anfang September 2019: