Konjunkturprognose Russland – Wachstum am Limit: Wohin steuert Russlands Wirtschaft?
Die Zukunft Russlands Wirtschaft ist ungewiss – wird das Wachstum 2025 weiter abflachen oder droht sogar eine Rezession? Dieser Artikel bietet Ihnen eine detaillierte Analyse der aktuellen Prognosen führender Wirtschaftsinstitute, beleuchtet die wichtigsten Einflussfaktoren wie Ölpreise, Sanktionen und geopolitische Entwicklungen und zeigt auf, welche Szenarien für die kommenden Jahre möglich sind. Wer die wirtschaftlichen Entwicklungen Russlands verstehen will, findet hier fundierte Einschätzungen und spannende Hintergründe.
Zur Produktionsentwicklung der russischen Wirtschaft stellen sich aktuell vor allem folgende Fragen: Wie stark schwächt sich das Wirtschaftswachstum 2025 ab? Wird es 2026 noch weiter sinken? Rutscht Russland gar in eine „Rezession“? Oder zieht das Wachstum der Wirtschaft schon 2026 wieder etwas an?
Von Boom zu Bremse: Experten uneinig über Russlands Konjunktur
Weitgehend einig sind sich russische und ausländische Konjunkturexperten, dass sich das bisherige starke Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2025 mindestens halbieren dürfte. Nach einem Wirtschaftswachstum von jeweils 4,1 Prozent in den beiden letzten Jahren wird mehrheitlich erwartet, dass der Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr 2025 nur noch höchstens 2 Prozent erreicht.
Eine weitere Abschwächung des Wachstums im nächsten Jahr erwarten hauptsächlich die ausländischen Experten. Zwei aktuelle Beispiele dafür:
Die Pariser „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) prognostiziert in ihrem „Economic Outlook Interim Report“ vom 17. März, dass Russlands Wachstumsrate 2025 um rund zwei Drittel auf 1,3 Prozent sinkt. Im nächsten Jahr rechnet die OECD mit einer weiteren Abschwächung des Produktionsanstiegs auf 0,9 Prozent.
Diese OECD-Prognosen werden vom Kieler Institut für Weltwirtschaft weitgehend geteilt. Das IfW rechnet in seiner „Frühjahrsprognose“ mit einer Abschwächung des Wachstums auf 1,5 Prozent im Jahr 2025 und auf 0,8 Prozent im Jahr 2026.
Lev Denisov, Direktor der Abteilung für volkswirtschaftliche Analysen und Prognosen des russischen Wirtschaftsministeriums, meinte laut Interfax zu der OECD-Prognose, in den letzten Jahren hätten ausländische Finanzinstitute zunächst gewöhnlich „ziemlich konservative“ Prognosen für die russische Wirtschaft erstellt. Später würden diese Prognosen der ausländischen Experten aber nach oben revidiert und konvergierten dann allmählich mit den Schätzungen des Ministeriums. Russlands Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung geht seit September 2024 von einem Wachstum der russischen Wirtschaft um 2,5 Prozent im Jahr 2025 aus. Im April soll diese Prognose aktualisiert werden
Optimismus aus Moskau: Russische Experten erwarten Erholung 2026
Russische Banken, Forschungsinstitute und Finanz-Medien, die im Vorfeld der Leitzinsentscheidung am 21. März von der russischen Zentralbank befragt wurden, erwarten mehr Wachstum in Russland als die OECD und die deutschen Institute. Die 34 Teilnehmer an der Umfrage, darunter nur wenige ausländische, rechnen im Mittelwert damit, dass der gesamtwirtschaftliche Produktionsanstieg 2025 noch 1,7 Prozent erreicht und sich 2026 nicht weiter abschwächt, sondern geringfügig auf 1,8 Prozent beschleunigt (siehe schwarze Linie und Punkte in der folgenden Abbildung der russischen Zentralbank).
Reales Bruttoinlandsprodukt Russlands, Veränderungen gegenüber Vorjahr in % laut Zentralbank-Umfrage vom März 2025

Ein Vergleich der Umfrageergebnisse der Zentralbank mit den fast gleichzeitig veröffentlichten Prognosen der fünf führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute zeigt: Nur für 2025 decken sich die Wachstumserwartungen der deutschen Institute und der russischen Analysten weitgehend. Die Wachstumsprognosen der deutschen Institute für 2026 unterscheiden sich vom Mittelwert der Wachstumsprognosen bei der Zentralbank-Umfrage hingegen teilweise beträchtlich.
Deutsche Institute skeptisch: Prognosen sehen Russlands Wirtschaft unter Druck
Die „Frühjahrsprognosen“ der deutschen Institute für die Konjunkturentwicklung in Deutschland und weltweit wurden Mitte März veröffentlicht. Hinsichtlich der Entwicklung der russischen Wirtschaft im laufenden Jahr sind sich die Institute ziemlich einig. Sie gehen davon aus, dass sich das Wachstumstempo der russischen Wirtschaft im Jahr 2025 mehr als halbieren wird. Im Durchschnitt erwarten die deutschen Institute 2025 in Russland nur noch einen BIP-Anstieg von 1,7 Prozent (wie die Teilnehmer der Umfrage der Zentralbank). Die Prognosen der deutschen Institute für Russlands diesjähriges Wachstum reichen von 1,3 Prozent (RWI Essen) bis 2,0 Prozent (IWH Halle).
Zerstrittene BIP-Prognosen: Deutsche Institute uneins – ifo warnt vor Rezession 2026
2026 erwartet von den deutschen Instituten nur das Essener RWI keine weitere Abschwächung des Wirtschaftswachstums. Das RWI geht davon aus, dass sich der Produktionsanstieg 2026 mit 1,3 Prozent auf dem 2025 erreichten Niveau hält.
Das IfW Kiel, das Berliner DIW und das IWH Halle meinen hingegen, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft im nächsten Jahr erneut annähernd halbieren dürfte. Sie erwarten dann nur noch ein Wirtschaftswachstum zwischen 0,8 Prozent (IfW Kiel) und 1,0 Prozent (IWH und DIW), also etwas halb so viel Wachstm wie die russischen Analysten in der Zentralbank-Umfrage.
Besonders skeptisch sieht das Münchner ifo Institut Russlands Wachstumsaussichten. Es prognostiziert als einziges der deutschen Institute für 2026 eine Rezession in Russland. Bereits in seiner „Winterprognose“ im Dezember hatte das ifo Institut im nächsten Jahr nur noch ein Wachstum von 0,5 Prozent in Russland erwartet. Jetzt geht es sogar davon aus, dass die russische Wirtschaft 2026 um 0,8 Prozent schrumpfen wird.
Die Teilnehmer der Umfrage der russischen Zentralbank erwarten hingegen für 2026 im Mittelwert eine schwache Belebung des Wachstums der russischen Wirtschaft von 1,7 auf 1,8 Prozent. Bei einer fast gleichzeitig durchgeführten Interfax-Umfrage wurde erwartet, dass sich Russlands Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent im Jahr 2025 auf 1,9 Prozent im Jahr 2026 beschleunigen wird.
BIP-Prognosen 2024 bis 2026 Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Nicht nachhaltig“ – IfW Kiel sieht Russlands Wirtschaft als reine Kriegswirtschaft
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft beschränkt in seiner Frühjahrsprognose seine Konjunkturanalyse für Russland nicht wie die anderen deutschen Institute auf tabellarische Prognosezahlen. Zur Entwicklung der russischen Wirtschaft im Jahr 2024 meint das IfW im Rückblick:
„Die Produktion in Russland legte zuletzt nur noch moderat zu. Offenbar machen sich dort vermehrt Produktionsengpässe bemerkbar. Der Produktionsanstieg in Russland ist Ausdruck der Kriegswirtschaft und nicht nachhaltig. … Die Zuwächse sind vor allem auf Staatsaufträge, nicht zuletzt zur Aufrüstung, und auf höhere Transferzahlungen zurückzuführen, während die Exporte volumenmäßig stark zurückgegangen sind.
Im zweiten Halbjahr 2024 verlangsamte sich der Produktionsanstieg deutlich, während die Inflation immer weiter stieg (Januar 2025: 10,1 Prozent). Die wirtschaftlichen Kapazitäten
sind inzwischen offenbar voll ausgelastet, nicht zuletzt besteht kriegsbedingt eine ausgeprägte Knappheit an Arbeitskräften.“
Zum 2024 erreichten Wirtschaftswachstum Russlands weist das IfW darauf hin, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion nach Angaben des russischen Statistikamtes im Jahr 2024 mit 4,1 Prozent ebenso stark zulegte wie 2023 (In seiner Prognosetabelle beziffert das Institut das Wachstum der russischen Wirtschaft für 2024 aber nur auf 3,9 Prozent und für 2023 nur auf 3,6 Prozent).
IfW Kiel sieht Russlands Wirtschaftswachstum weiter einbrechen
Die Wachstumsperspektiven der russischen Wirtschaft in den Jahren 2025 und 2026 schätzt das IfW noch etwas skeptischer ein als das RWI, das DIW und das IWH. Ein Abgleiten der russischen Wirtschaft in eine Rezession erwartet das Kieler Institut – anders als das Münchner ifo Institut – aber nicht.
2025, so das IfW, werde das reale Bruttoinlandsprodukt nur noch um 1,5 Prozent steigen. 2026 erwartet das Kieler Institut eine weitere deutliche Abschwächung des Wachstums auf nur noch 0,8 Prozent. Größere Produktionszuwächse seien bei inzwischen voll ausgelasteten Kapazitäten nicht zu erwarten. Zu diesen Prognosen merkt das Institut allerdings gleichzeitig an, dass die Aussichten für die Entwicklung der russischen Wirtschaft besonders unsicher seien, nachdem jetzt auch ein baldiges Ende des Krieges mit der Ukraine möglich scheine.
Sinkende Ölpreise: Ein anhaltendender Abwärtstrend?
Auch zu der für Russland besonders wichtigen Entwicklung der internationalen Ölpreise äußert sich das IfW in seiner Frühjahrsprognose:
„Der Ölpreis steht angesichts geringer Nachfragezuwächse unter Druck. Seit dem Frühjahr 2024 ist der Ölpreis in der Grundtendenz abwärtsgerichtet.
Zwar haben geopolitische Ereignisse zwischenzeitlich immer wieder einmal zu Sorgen um die Versorgungssicherheit und zu temporären Preisanstiegen geführt. Zuletzt ließen Anzeichen dafür, dass die russische Produktion aufgrund der verschärften US-Sanktionen Absatzschwierigkeiten hat, den Preis für ein Barrel Brent-Öl deutlich – in der Spitze bis auf 82 US-Dollar – steigen. Seit Ende Februar sind die Notierungen aber wieder stark rückläufig; zurzeit müssen weniger als 70 US-Dollar pro Barrel bezahlt werden.
Auslöser des Preisrutsches war die Ankündigung der Zölle für Einfuhren aus Mexiko und Kanada, die Konjunktursorgen schürte und eine schwächere Nachfrage nach Öl erwarten ließ.

Gleichzeitig haben sich die Aussichten für das Angebot eher verbessert, weil die OPEC signalisiert hat, an der zuvor mehrmals verschobenen Anhebung ihrer Quoten nun zum April festhalten zu wollen. Die zusätzliche Produktion aus den nicht in der OPEC+ Gruppe von Ölproduzenten zusammengeschlossenen Ländern übersteigt bereits derzeit schon den Zuwachs der globalen Nachfrage.
Schließlich könnte der russlandfreundliche Ton des US-Präsidenten Erwartungen geweckt haben, dass die US-Sanktionen für die russische Schattenflotte wieder gelockert werden, auch weil mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten die Erwartung einer stärkeren Ausweitung der US-Produktion verbunden ist.“
Das Institut für Weltwirtschaft rechnet vor diesem Hintergrund für den Prognosezeitraum im Einklang mit den Finanzmärkten mit allmählich weiter sinkenden Ölpreis-Notierungen (Abbildung 5).
Waffenstillstand und Sanktionen: Wenn Russlands Öl wieder fließt
Ein möglicher Waffenstillstand im Ukraine-Krieg und eine Aufhebung der Sanktionierung russischer Öltransporte würde sich nach Einschätzung des IfW vor allem auf die Preisentwicklung auf dem internationalen Ölmarkt auswirken. Dazu meint das IfW:
„Zuletzt scheinen die Chancen gestiegen, dass es in absehbarer Zeit zu einem Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine kommt. Die weltwirtschaftlichen Auswirkungen wären vor allem über den Ölpreis spürbar, der sinken könnte, wenn die Sanktionen gegenüber russischen Öltransporten aufgehoben würden. Auf dem Gasmarkt wären die Wirkungen wohl eher gering, denn eine Rückkehr der Europäer in großem Stil zu pipelinegebundenem Erdgas aus Russland ist zumindest für den Prognosezeitraum kaum zu erwarten.“
Über den Autor:
Klaus Dormann war von 2008 bis 2015 Mitarbeiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Ruhrgas AG und der E.ON SE.
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