Russland: Stabilisierung gelungen – aber Wachstum zu gering

Stabilisierung gelungen – aber zu wenig Wachstum

Russlands Regierung hat mit verschiedenen Maßnahmen die Wirtschaft stabilisiert. Wachstum und Realeinkommen sind aber noch gering. Was Putin dagegen vorschlägt, und was Ökonomen sagen, fasst unser Autor zusammen.

Präsident Putins Rede vor der Föderalversammlung am 15. Januar fand vor allem wegen seiner Vorschläge für Reformen des russischen Regierungssystems viel Aufmerksamkeit. Putin sagte aber auch Interessantes zur Wirtschaftspolitik. Als wichtigstes Ziel stellte er heraus: Nach der erfolgreichen Stabilisierung der russischen Wirtschaft soll jetzt vor allem für einen deutlichen Anstieg der Realeinkommen gesorgt werden. Der Präsident listete auf, wie er durch eine Stimulierung der Investitionen mehr Wachstum und höhere Einkommen erreichen will.

BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, veröffentlichte am Freitag in seinem wöchentlichen Bericht einige Hinweise auf die Erfolge bei der finanziellen Stabilisierung der russischen Wirtschaft. So wurde das Ziel, die Währungsreserven auf rund 500 Milliarden Dollar zu erhöhen, 2019 nicht nur erreicht, sondern merklich übertroffen. Das Institut weist auch darauf hin, dass sich der Wert der im „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ gesammelten Finanzanlagen kräftig erholt hat.

Putin: Erfolgreiche Stabilisierung der Wirtschaft

Präsident Putin nahm in seiner Rede vor der Föderalversammlung nach einer ausführlichen Erörterung demografischer und sozialer Probleme nur relativ kurz zur Wirtschaftspolitik Stellung. Er hob zunächst die Erfolge bei der Stärkung der finanziellen Belastungsfähigkeit der russischen Wirtschaft und der Stabilisierung der Preise hervor. Der Staatshaushalt habe wieder mit einem Überschuss geschlossen. Die staatlichen Finanzreserven deckten Russlands Schulden im Ausland ab. Die Arbeit der Regierung und der Zentralbank habe auch zu einer Stabilisierung der Preise geführt. Die Inflationsrate sei Ende 2019 auf 3,0 Prozent gesunken.

Inflationsrate war zwar Ende 2019 niedriger, aber nicht im Jahresdurchschnitt

Damit war der Anstieg der Verbraucherpreise laut Rosstat im Vergleich zum Vorjahresmonat zuletzt deutlich niedriger als im Dezember 2018, als die Inflationsrate 4,3 Prozent erreicht hatte.

Beim in Deutschland üblichen Vergleich der Inflationsraten im Jahresdurchschnitt zeigt sich allerdings für das Jahr 2019 eine höhere Preissteigerung als für das Jahr 2018. Nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer am Jahresanfang 2019 um 2 Prozentpunkte sind die Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt 2019 beschleunigt um 4,5 Prozent gestiegen. Im Jahr zuvor hatte der Preisanstieg im Jahresdurchschnitt nur 2,9 Prozent betragen.

Die Zentralbank erwartet in ihrer Mitte Dezember veröffentlichten mittelfristigen Prognose, dass die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2020 von 4,5 Prozent auf 3,0 bis 3,4 Prozent zurückgeht. Im Jahresverlauf soll sie etwas anziehen und im Dezember 2020 mit 3,5 bis 4,0 Prozent dem Inflationsziel der Zentralbank von 4 Prozent weitgehend entsprechen.

Gold- und Devisenreserven auf 554 Milliarden US-Dollar gestiegen

Das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank veröffentlichte am Freitag Abbildungen, die den kräftigen Anstieg der Währungsreserven Russlands seit 2015 und die deutliche Erholung des Wertes der Finanzanlagen im „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ im letzten Jahr zeigen.

Der Wert der Gold- und Devisenreserven der russischen Zentralbank stieg Ende 2019 auf 554 Milliarden US-Dollar, eine Zunahme um 86 Milliarden Dollar gegenüber Ende 2018 (rund + 18 Prozent). Der Rückgang der Reserven von 2013 bis 2015 ist damit mehr als wettgemacht.

Die Devisenreserven (ohne Gold) reichen laut BOFIT aus, um den Import von Waren und Dienstleistungen für gut ein Jahr zu decken. Sie sind reichlich drei Mal höher als die kurzfristigen Auslandsschulden Russlands.

Zu den russischen Devisenreserven gehören auch die hoch liquide in US-Dollar, Euro oder britischen Pfund angelegten Teile des „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ (in der obigen Abbildung als „Oil fund“ bezeichnet).

Wert des „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ jetzt bei rund 7 Prozent des BIP

In der folgenden BOFIT-Abbildung der Entwicklung des „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ sind diese besonders liquide angelegten Teile des Fonds als „Liquid assets“ ausgewiesen. Sie haben sich in der zweiten Jahreshälfte 2019 durch Überweisung von staatlichen Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich auf 99 Milliarden Dollar erhöht.

Der „Nationale Wohlfahrtsfonds“ umfasst außerdem längerfristige Anlagen bei russischen Finanzinstituten und Investitionen in Anleihen für Infrastrukturprojekte („Invested assets“). Ihr Wert betrug Ende 2019 rund 27 Milliarden US-Dollar.

Insgesamt erreichte der Wert des Wohlfahrtsfonds Ende 2019 rund 126 Milliarden Dollar. Er hat sich im letzten Jahr gut verdoppelt. Sein Rückgang in den Jahren 2015 bis 2018 ist damit gut zur Hälfte ausgeglichen.

BOFIT schätzt den Wert des Fonds am Jahresende 2019 auf rund 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 2020 werden der sogenannten „Fiskal-Regel“ folgend staatliche Einnahmen aus Öl- und Gasexporten, die sich aus einem Preis von über 42 US-Dollar im Jahr 2020 ergeben, an den Fonds überwiesen. Russlands Finanzministerium geht laut BOFIT davon aus, dass der Wert des Fonds bis zum Jahresende 2020 bei einem Ölpreis von durchschnittlich 57 Dollar/Barrel auf 9 Prozent des BIP steigt. Es wird jedoch diskutiert, dem Fonds 2020 zufließende Mittel für Investitionen zu verwenden.

Putin: Wichtigste Aufgabe sind jetzt deutlich höhere Realeinkommen

Präsident Putin betonte in seiner Rede, jetzt müssten auf der erreichten stabilen volkswirtschaftlichen Grundlage die Bedingungen für einen deutlichen Anstieg der Realeinkommen der Bürger geschaffen werden. Dies sei die wichtigste Aufgabe der Regierung und der Zentralbank.

Dazu seien „strukturelle“ Veränderungen der russischen Wirtschaft und eine höhere Effizienz erforderlich. Welche „Strukturreformen“ er meint, erläuterte Putin an dieser Stelle jedoch nicht.

Der Präsident wiederholte früher genannte Ziele:

  • 2021 soll Russlands Wirtschaftswachstum (laut Haushaltsplanung: 3,1 Prozent) das Wachstum der Weltwirtschaft übertreffen. Dafür muss ein neuer Investitionszyklus in Gang gesetzt werden.
  • Ab 2020 sollen die Investitionen um mindestens 5 Prozent jährlich steigen. Der Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt soll von 21 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2024 erhöht werden.

Vorschläge Putins zur Stimulierung von Investitionen

Der Präsident listete einige Bereiche zur Förderung von Investitionen auf und nannte dazu konkrete Maßnahmen:

  • Steuerpolitik: Um Planungssicherheit zu schaffen, soll die Besteuerung von Unternehmen in den nächsten 6 Jahren nicht geändert werden. Die Besteuerung von „Großprojekten“ soll sogar bis zu 20 Jahren beibehalten werden. Den Regionen sollen zusätzliche Anreize gegeben werden, insbesondere Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen steuerlich zu fördern, indem den Regionen die entstehenden Steuermindereinnahmen zu zwei Dritteln aus Mitteln des Föderationshaushaltes ersetzt werden.
  • Bürokratie-Abbau: Die Reform der Gewerbeaufsicht durch die Behörden soll 2020 vollendet werden, um die Arbeitsbedingungen der Unternehmen zu verbessern.
  • Reform des Strafrechts: Um ein Unternehmen strafrechtlich als „kriminelle Gruppe“ verfolgen zu können, sollen die Strafverfolgungsbehörden künftig nachweisen müssen, dass ein Unternehmen schon mit dem Vorsatz illegaler Aktivitäten gegründet wurde.
  • Einsatz des „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ für Investitionen: Wenn die im Fonds gesparten Devisenreserven wie erwartet im Sommer 2020 die Marke von 7 Prozent des BIP überschreiten, sollen weitere dem Fonds zufließende Mittel für Investitionen verwendet werden. Priorität sollen dabei Investitionen zur Beseitigung von Engpässen der Infrastruktur in den Regionen haben.

Putin merkte außerdem an, dass er die Bemühungen der dafür verantwortlichen Zentralbank unterstütze, die Verfügbarkeit langfristiger Kredite zur Finanzierung von Investitionen weiter zu verbessern.

Skeptische Kommentare des Gaidar-Instituts zur Wirtschaftspolitik

Wie Russland mehr Wachstum erreichen kann, war auch ein zentrales Diskussionsthema beim „Gaidar-Forum“ am 15. und 16. Januar in Moskau. Das Gaidar-Institut berichtete über die Konferenz (Programm mit Videos).

An einer Diskussion am 16. Januar zum Thema „Horizons of Economic Policy“ bei der Trends der Weltwirtschaft sowie Herausforderungen und Chancen für die russische Wirtschaftspolitik erörtert wurden, nahm der Forschungsdirektor des Gaidar-Instituts Sergey Drobyvshevsky teil.

Zu den bisherigen Ergebnissen der Umsetzung der „Nationalen Projekte“ meinte er laut einem Bericht des Gaidar-Instituts, der Wachstumsbeitrag der Projekte zum Bruttoinlandsprodukt sei für sich genommen mit jährlich 0,5 bis 0,7 Prozent des BIP „ziemlich bescheiden“, selbst wenn die Projekte vollständig umgesetzt würden. Es sei naiv anzunehmen, dass allein die Umsetzung der Projekte Russland zu stetigem Wachstum und zum Aufstieg auf den fünften Platz in der Rangliste der größten Volkswirtschaften verhelfen könnte. Deswegen bezweifele er auf der einen Seite Wirksamkeit und Nutzen der Projekte. Andererseits könne von den Projekten eine „Signalwirkung“ ausgehen. Wenn die privaten Unternehmen die staatliche Initiative der „Nationalen Projekte“ unterstützen würden, könnte Russland gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten von 3 bis 5 Prozent erreichen (Video Minute 49 bis 60).

Das „Schlüsselproblem“ ist der hohe Staatsanteil

Alexey Vedev, ein leitender Mitarbeiter des Gaidar-Instituts, warnte auf dem Forum davor, zur Stärkung des Wachstums auf einen „weichen Rubel“ zu setzen. Ein Drittel der russischen Warenimporte seien Investitionsgüter. Ihre Verteuerung durch eine Abwertung des Rubels würde automatisch eine Abnahme der Investitionsaktivitäten bedeuten.

Vedev meinte zur aktuellen Lage der russischen Wirtschaft, für die „Nationalen Projekte“ werde weniger als geplant ausgegeben, die Haushaltspolitik sei ziemlich „streng“ und die Investitionen hätten sich seit 2013 nicht erhöht. Das „Schlüsselproblem“ der Wirtschaftspolitik sei der hohe Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt. Er forderte, die Geld- und die Haushaltspolitik ins Gleichgewicht zu bringen. Russland sei wahrscheinlich weltweit das einzige Land mit einer stagnierenden Wirtschaft, in dem ein Haushaltsüberschuss geplant werde.

Forschungs-Direktor Drobyvshevsky hatte sich zur russischen Wirtschaftspolitik bereits im Dezember in einem sehr ausführlichen Interview mit dem Expert-Magazin geäußert. Zu den Wachstumsperspektiven der russischen Wirtschaft meinte er dort, er stimme für 2019 mit den Einschätzungen des Ministerpräsidenten überein und rechne mit einem Produktionsanstieg von 1,3 bis 1,4 Prozent. 2020 erwarte er 1,5 bis 2 Prozent Wachstum.

Analysten glauben nicht an Aufschwung auf 3,1 Prozent wie die Regierung

Sehr viele der seit Mitte Dezember veröffentlichten Prognosen von Banken, Instituten und Internationalen Wirtschaftsorganisationen folgen ebenfalls weitgehend der Erwartung der russischen Regierung, dass sich das Wachstum im neuen Jahr von 1,3 Prozent auf 1,7 Prozent beschleunigen dürfte. Das zeigt auch die jüngste Umfrage von FocusEconomics.

Für 2021 gehen jedoch fast alle Analysten davon aus, dass das Wachstum allenfalls rund 2 Prozent erreicht, während die Regierung in der Haushaltsplanung annimmt, dass 3,1 Prozent Wachstum erreichbar sind.

Wachstumsprognosen 2019 bis 2021
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

   201920202021
Helaba, Frankfurt01/17/20201.31.71.7
Commerzbank, Frankfurt01/17/20201.31.81.8
OPEC, Wien01/15/20201.11.5
FocusEconomics
Consensus Forecast
01/14/20201.11.81.9
DekaBank, Frankfurt01/14/20201.221.7
Economist Intelligence Unit01/14/20201.11.61.7
Unicredit, Mailand01/13/20201.11.11.4
Berenberg Bank, Hamburg01/13/20200.811.7
ING Bank, Amsterdam01/10/202011.51.7
Weltbank, Washington01/08/20201.21.61.8
Russian Academy of Sciences, RAS01/08/20201.11.82.2
Reuters-Umfrage12/24/20191.21.8
Vnesheconombank Institute12/20/20191.31.82.1
RIA Rating12/20/20191.3
CMASF, Moskau12/18/20191.11.31.5
Erste Group, Wien12/17/20191.11.9
Russische Zentralbank,
Basisszenario
12/13/20190,8 bis 1,3
Urals 64 $/b
1,5 bis 2,0
Urals 55 $/b
1,5 bis 2,5
Urals 50 $/b
Russische Regierung;
Basisszenario im Haushaltsgesetz
12/02/20191.3
Urals 62,2 $/b
1.7
Urals 57,0 $/b
3.1
Urals 56,0 $/b
Titelbild
Titelbild: Quelle: Alexander Khitrov / Shutterstock.com
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Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Rede Putins und Regierungswechsel in Russland:

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte

Preisentwicklung im Dezember und im Jahr 2019

Rosstat: Revision der Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts 2012 bis 2018

Monatsberichte Wirtschaft November 2019 von Rosstat, Ministerium und Zentralbank

Zentralbank: Präsentationen in Englisch; Statistical Bulletin (monatlich); Publikationstermine

Weitere Veröffentlichungen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland: