WEF-Ranking: Russlands Wettbewerbsfähigkeit stagniert

WEF-Ranking: Russlands Wettbewerbsfähigkeit stagniert

Russlands Wirtschaft wächst seit 2016 zwar wieder – aber nur schwach. Im längerfristigen Vergleich mit dem vor fünf Jahren erreichten Niveau hat die Wirtschaftsleistung Russlands fast stagniert. Und das Wachstum im laufenden Jahr wird jetzt auch von der Weltbank auf nur noch 1,0 Prozent veranschlagt.

Stagniert hat Russland in den letzten Jahren auch im weltweiten Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften. Im jetzt veröffentlichten „Global Competitiveness Index 2019“ des Schweizer „Weltwirtschaftsforums“ belegt Russland unter 141 Staaten wie 2018 Platz 43. Den hat es auch schon 2016 erreicht.

Russland ist es trotz des Handlungsdrucks durch den Ölpreiseinbruch bisher offenbar nicht ausreichend gelungen, seine rohstoff- und energielastige Wirtschaftsstruktur in Richtung anderer wachstumsstarker Branchen zu diversifizieren. Informationen dazu hat das Kreditversicherungsunternehmen Coface in einer Studie zu den bisherigen Ergebnissen der „Made in Russia-Strategie“ der Regierung gesammelt.

Bruttoinlandsprodukt nur rund 1 Prozent höher als vor fünf Jahren

Es hat sehr lange gedauert, bis die russische Wirtschaft ihre Produktionsverluste in der Rezession des Jahres 2015 aufgeholt hat. Nachdem die gesamtwirtschaftliche Produktion wegen des Einbruchs der Ölpreise und der Verhängung von Sanktionen im Jahr 2015 um 2,3 Prozent zurückgegangen war, erholte sie sich nur langsam (2016: + 0,3 Prozent; 2017: +1,6 Prozent). 2017 war sie noch 0,4 Prozent niedriger als vor der Rezession. Erst im letzten Jahr wurde mit einem Wachstum um 2,3 Prozent das vor der Rezession im Jahr 2014 erreichte Niveau übertroffen.

Analysten der Wiener „Raiffeisenbank International“ haben im Blog „Discover CEE“ der Bank die vierteljährliche Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (GDP, dunkelblaue Linie) vom 2. Quartal 2014 bis zum 2. Quartal 2019 dargestellt.

Russlands Wirtschaftsleistung
(Reales Bruttoinlandsprodukt, 2. Quartal 2014 = 100)

Stanislav Murashov, Andreas Schwabe (Raiffeisenbank): An outlook on Russia’s economy: Financial strength and economic weakness; Discover CEE; 08.10.2019

Stanislav Murashov und Andreas Schwabe weisen darauf hin, dass das Bruttoinlandsprodukt (GDP) im zweiten Quartal 2019 nur rund 1 Prozent höher war als vor fünf Jahren.

Die Abbildung zeigt auch, wie sich die Verwendung der gesamtwirtschaftlichen Produktion entwickelte. Der Private Verbrauch (rote Linie) war zuletzt noch rund 5 Prozent niedriger als im zweiten Quartal 2014. Die Bruttoanlageinvestitionen (gelbe Linie) haben hingegen ihren Rückgang in der Rezession fast aufgeholt. Kräftig gestiegen sind nur die realen Exporte, allerdings nur bis zum 2. Quartal 2018. Zuletzt waren sie aber noch 13,5 Prozent höher als vor fünf Jahren. Das ergibt sich auch aus der Rosstat-Statistik der vierteljährlichen saison- und kalenderbereinigten Entwicklung der Verwendung des Bruttoinlandsprodukts vom 02.10.2019.

Russland bleibt auf Platz 43 im internationalen Wettbewerbsranking

Im neuen „Global Competitiveness Index 2019“ des Schweizer Weltwirtschaftsforums (WEF) belegt Russland wie 2018 und 2016 den 43. Platz. 2017 war Russland vorübergehend auf Platz 38 vorgerückt.

Das Weltwirtschaftsforum bewertet die internationale Wettbewerbsfähigkeit von 141 Volkwirtschaften mit Hilfe von 103 Indikatoren, die zwölf Bereichen zugeordnet werden. Der neue Bericht hebt hervor, dass sich die Einstufung Russlands zuletzt insbesondere im Bereich „Makroökonomische Stabilität“ um 12 Plätze auf Rang 43 verbessert hat. Die Rezession von 2015 sei überwunden, die Inflation sei auf 3 Prozent gesunken und die öffentlichen Finanzen seien belastbar („sustainable“).

Tatsächlich hat der Anstieg der Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt 2018 in Russland auf 2,9 Prozent abgenommen. Die Weltbank rechnet aber damit, dass sich der Preisanstieg im Jahresdurchschnitt 2019 auf 4,7 Prozent beschleunigt. Ende 2019 erwartet das russische Wirtschaftsministerium eine Preissteigerungsrate von 3,8 Prozent.

Stärken und Schwächen der russischen Wirtschaft

Relativ gut stuft das WEF Russland unter anderem in folgenden Bereichen ein:

  • Marktgröße: Platz 6 im weltweiten Vergleich
  • Innovationsfähigkeit: Russland verbesserte sich auf Platz 32; die Qualität der Forschungseinrichtungen stieg (Platz 9), die Ausgaben für Forschung und Entwicklung blieben konstant (1,1 des BIP; Platz 34)
  • Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien: Platz 22; insbesondere die Nutzung des Internets verbreitet sich rasch; 81 Prozent der Erwachsenen nutzen es (Platz 39)

Besonders schlecht schneidet Russland unter anderem bei folgenden Indikatoren ab:

  • Bei der Verbreitung von Korruption (Platz 116) und der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit (Platz 99)
  • Bei der Regulierung des internationalen Handels, zum Beispiel durch Zölle und andere Handelshemmnisse (Platz 116)
  • Bei den Finanzierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen (Platz 118); das russische Finanzsystem wird insgesamt insbesondere im Hinblick auf seine „Stabilität“ ungünstig beurteilt (Platz 120).

Die russische Wirtschaftszeitung „Vedomosti“ hebt in einem Kommentar zum WEF-Bericht hervor, dass sich die Bedingungen für Investitionen verschlechtert hätten. Das „organisierte Verbrechen“ und die Korruption hätten zugenommen, die Vertrauenswürdigkeit der Polizei sei gesunken, der Schutz des Eigentums sei in Russland weniger wirksam als bisher und die bürokratischen Belastungen für die Unternehmen hätten zugenommen (Bad investment climate does not allow Russia to rise in the ranking of countries’ competitiveness).

Deutschland fiel im Ranking des WEF von Platz 3 auf Platz 7 zurück. Darüber berichtete unter anderem die Neue Zürcher Zeitung.

Coface: „Made in Russia“ ist eine langfristige Aufgabe

Die Bemühungen der Regierung, Russlands Wirtschaft auch außerhalb der Energie- und Rohstoffwirtschaft international wettbewerbsfähig zu machen und Importe durch russische Produkte zu ersetzen, hat das Kreditversicherungsunternehmen Coface jetzt in einer Studie untersucht.

Autor Dominique Fruchter kommt zum Ergebnis, die „Made-in-Russia-Strategie“ der Regierung trage noch lange nicht überall Früchte, denn diese Politik erfordere eine tiefgreifende und langfristige Transformation der Produktionsketten. Es gebe zwar viele staatliche Maßnahmen, die Unternehmen den Umstieg und die Modernisierung der Produktion erleichtern sollen. Dazu gehörten:

  • Steuersenkungen für “Made-in-Russia-Produkte“
  • Ein privilegierter Zugang zu öffentlichen Aufträgen
  • Die Förderung der Zusammenarbeit von Forschung und Industrie
  • Die Förderung von Ausfuhren
  • Spezielle Investitionsverträge zur Förderung ausländischer Investitionen
  • Die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen

So biete Russland zum Beispiel im Automobilsektor ausländischen Herstellern, die sich zur lokalen Produktion und Innovationsförderung verpflichteten, steuerliche Anreize und  einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Aufträgen.

In- und ausländische Investitionen in Russland würden aber durch Sanktionen und Gegensanktionen, zunehmende politische Risiken und den Mangel an verfügbaren Arbeitskräften belastet. Die Strategie „Made in Russia“ erfordere ein langfristiges Engagement.

Bisherige Ergebnisse der Diversifikationsbemühungen sind „bescheiden“

Die Studie berichtet vor allem über Ergebnisse der Strategie in den Sektoren Agrar- und Ernährungswirtschaft, Pharmazie und Informationstechnologie.

Im Agrar- und Ernährungssektor seien bisher die wichtigsten Ergebnisse erzielt worden, stellt Dominique Fruchter heraus. Hier habe Russland die Einfuhr aus Ländern erschwert, die Sanktionen gegen Russland verhängt hätten. Höhere Preise für Importwaren lenkten die Nachfrage der Verbraucher zu inländischen Produkten.

Das habe zu einem deutlichen Rückgang der Importe und einem Anstieg der Nahrungsmittelproduktion in Russland geführt. Der Wert der Nahrungsmittelimporte sei um rund ein Drittel von 41 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 auf 27 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 gesunken (was auch eine der zahlreichen Abbildungen der Studie zeigt). Der Anteil der Importe am Nahrungsmittelverbrauch sei von einem Drittel auf rund 20 Prozent zurückgegangen. Beim Export sei es gelungen, den Anteil der Nahrungsmittelexporte am gesamten Export von 3,2 Prozent (2012) auf 5,1 Prozent (2018) zu steigern.

Im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) habe die Regierung der öffentlichen Verwaltung untersagt, Computer-, Telekommunikations- und Haushaltsgeräte zu importieren, wenn es russische Hersteller gibt, die vergleichbare Waren anbieten. Um dem westlichen Lieferverbot von Technik für den Energie-, Nachrichten- und Verteidigungssektor zu begegnen, habe die Regierung auch versucht, die Produktion elektronischer Komponenten in Russland auszuweiten. Doch der Erfolg sei bisher „bescheiden“ geblieben, stellt die Coface-Studie fest.

Die Absicht, die Importabhängigkeit zu verringern, zeigt sich laut Coface auch im Pharmasektor. Auch dort gebe es unter anderem steuerliche Anreize für die lokale Produktion und Vorteile für heimische Produkte bei der Beschaffung durch das staatliche Gesundheitswesen. Aber auch hier seien die gesetzten Ziele längst nicht erreicht. Russische Pharma-Produkte hätten nur einen Marktanteil von insgesamt rund 20 Prozent und rund 35 Prozent im staatlichen Gesundheitswesen.

Rohstoffe und Energie bleiben für Russland sehr wichtig

Abschließend stellt die Studie die weiterhin hohe Bedeutung des Energie- und Rohstoffsektors heraus, auch wenn der Anteil der „Kohlenwasserstoffe“, also von Öl und Gas, an den gesamten Warenausfuhren von 66,4 Prozent im Jahr 2014 auf 58 Prozent im Jahr 2018 gesunken sei.

So stellten die Produktions- und Exportsteuern auf Kohlenwasserstoffe laut Coface 2018 noch 45 Prozent der gesamten Einnahmen des föderalen Haushalts. Ohne diese Einnahmen hätte der Föderationshaushalt mit einem Defizit von rund 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschlossen.

Zentralbank-Schätzung für Exportanteile im Jahr 2019

Im bisherigen Verlauf des Jahres 2019 hat sich die Diversifikation der russischen Ausfuhr fortgesetzt. Nach Schätzung der russischen Zentralbank ist der Anteil der Ausfuhr von Öl und Gas an der gesamten Warenausfuhr in den ersten neun Monaten 2019 auf 57,7 Prozent gesunken (Januar bis September 2018: 60,0 Prozent). Der Wert der Öl- und Gasausfuhren verringerte sich um 8,3 Prozent auf 176,5 Milliarden US-Dollar. Der Wert der übrigen Warenexporte stieg um 0,8 Prozent auf 129,2 Milliarden US-Dollar.

Titelbild
Titelbild: Deacons docs / Shutterstock.com
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Quellen und Lesetipps:

Weltwirtschaftsforum: Russland erneut auf Platz 43 im „Global Competitiveness Index“

Zahlungsbilanz 1.-3. Quartal 2019

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (meist monatlich, vierteljährlich)

Sonstige Veröffentlichungen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann seit Anfang September 2019: