Analyse: Prognosen und Trends der russischen Wirtschaft

Russlands Wachstum: Weitere leichte Aufwärtsrevisionen
Prognosen bleiben ab 2021 weit unter den Regierungszielen

Unser Autor analysiert jede Woche die Prognosen, Trends und Statistiken der russischen Wirtschaft. Heute mit einer Umfrage der Moskauer Universität HSE sowie einer Erhebung zum Geschäftsklima bei den deutschen Unternehmen in Russland.

Nach der Weltbank hob in der letzten Woche auch die Rating-Agentur Fitch ihre Erwartungen für das Wachstum der russischen Wirtschaft bis 2021 etwas an. Eine Umfrage des Konjunkturforschungsinstituts der Moskauer Higher School of Economics (HSE) zeigt, dass auch die längerfristigen Wachstumsperspektiven bis 2025 etwas günstiger eingeschätzt werden. Die Prognosen für die Jahre ab 2021 bleiben aber auch jetzt noch weit unter den Zielen der Regierung. Sie rechnet in der  Anfang Dezember beschlossenen Haushaltsplanung ab 2021 mit mehr als 3 Prozent Wachstum.

Leichte Aufwärtsrevisionen beim Wachstum 2019 und 2020

2019 wird die russische Wirtschaft laut der November-Umfrage des Research-Unternehmens FocusEconomics um 1,2 Prozent wachsen. Das erwartet jetzt auch die Weltbank in ihrem „Russia Economic Report“, der in der letzten Woche erschien. Sie hebt damit ihre bisherige Prognose um 0,2 Prozentpunkte an. Die Weltbank verweist darauf, dass es in diesem Jahr einige Belastungsfaktoren für die russische Wirtschaft gegeben hat. Durch die Abschwächung der Weltkonjunktur sei die Nachfrage aus dem Ausland gedämpft worden.

Zudem sei Russlands Export durch die Absprache mit den OPEC-Ländern über Produktionskürzungen gebremst worden. Als Belastungsfaktoren für die inländische Nachfrage nennt die Weltbank zum einen die „relativ feste Geldpolitik“ in der ersten Jahreshälfte. Zudem hätten sich die real verfügbaren Einkommen schwach entwickelt, weil sich die Inflation wegen der Erhöhung der Mehrwertsteuer am Jahresanfang beschleunigte. Außerdem habe es einen langsamen Start der Realisierung der „nationalen Projekte“ gegeben.

Weltbank: Lockerung der Geld- und Fiskalpolitik stützt das Wachstum

Zur Begründung der Anhebung ihrer Wachstumsprognose für 2019 auf 1,2 Prozent verweist die Weltbank darauf, dass sich das Wirtschaftswachstum nach einer schwachen Entwicklung im ersten Halbjahr im dritten Quartal auf 1,7 Prozent beschleunigt habe. Dazu beigetragen hätten die Lockerung der Geldpolitik und ein schnelleres Wachstum der öffentlichen Ausgaben.

In den beiden nächsten Jahren rechnet die Weltbank mit einer Beschleunigung des Wachstums auf 1,6 Prozent (2020) und 1,8 Prozent (2021). Impulse für das Wachstum erwartet sie von höheren Staatsausgaben und einer weitereren Lockerung der Geldpolitik. Den Beitrag der „nationalen Projekte“ zum Wachstum von 1,8 Prozent im Jahr 2021 veranschlagt die Weltbank auf 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte.

HSE-Umfrageergebnisse decken sich fast mit Weltbank-Prognose

Die Ergebnisse der HSE-Umfrage für die Jahre 2019 bis 2021 weichen von den  Weltbank-Prognosen für das Wachstum der russischen Wirtschaft kaum ab. Die befragten Experten von 27 führenden Instituten und Banken rechnen im Durchschnitt 2019 mit 1,1 Prozent Wachstum, 2020 mit 1,7 Prozent und 2021 wie die Weltbank mit 1,8 Prozent.

Fitch und IWF erwarten mehr Wachstum als Weltbank und Alfa Bank

Mehr Wachstum traut Russland die Rating-Agentur Fitch in ihrem neuen „Global Economic Outlook“ zu. Sie hob am Donnerstag ihre Russland-Prognosen für 2019, 2020 und 2021 an. Nach 1,4 Prozent in diesem Jahr soll die russische Wirtschaft in den beiden kommenden Jahren um jeweils 2,0 Prozent wachsen. Der Internationale Währungsfonds hatte bereits Mitte Oktober im „World Economic Outlook“ ähnlich hohe Prognosen für 2020 (1,9 Prozent) und 2021 (2,0 Prozent) abgegeben.

Die Alfa Bank, die größte russische Privatbank, erwartet hingegen weiterhin ein deutlich niedrigeres Wachstum in Russland. Chef-Volkswirtin Natalia Orlova bestätigte letzte Woche ihre Prognosen von Ende Oktober. Nach 1,1 Prozent in diesem Jahr rechnet sie 2020 nur mit einer Beschleunigung des Wachstums auf 1,4 Prozent.

Wachstumsprognosen 2019 bis 2021
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

   201920202021
Fitch Ratings, Global Outlook12/05/20191.422
Higher School of Economics-Umfrage12/05/20191.1
Urals 64,0 $/b
1.7
Urals 61,2 $/b
1.8
Urals 63,1 $/b
Alfa Bank12/04/20191.11.4
Weltbank, Washington12/04/20191.21.61.8
Russische Regierung;
Basisszenario im Haushaltsgesetz
12/02/20191.3
Urals 62,2 $/b
1.7
Urals 57,0 $/b
3.1
Urals 56,0 $/b
FocusEconomics Consensus Forecast11/26/20191.21.71.9
OECD, Paris11/21/20191.11.61.4
EU-Kommission, Brüssel11/07/201911.41.5
EBRD, London11/06/20191.11.7
Russische Zentralbank,
Basisszenario
10/25/20190,8 bis 1,3
Urals 63 $/b
1,5 bis 2,0
Urals 55 $/b
1,5 bis 2,5
Urals 50 $/b
IWF, New York10/15/20191.11.92

Die russische Zentralbank dürfte ihre mittelfristigen Wachstumsprognosen am Freitag anlässlich der Beratungen ihres Direktorenrats über eine weitere Zinssenkung mit der Veröffentlichung ihres „Monetary Policy Report“ aktualisieren.

HSE-Umfrage: Auch 2025 nur 2,1 Prozent Wachstum erreichbar

Für die Jahre 2021 bis 2025 ergaben sich in der neuen HSE-Umfrage zwar Wachstumserwartungen, die jeweils 0,1 Prozentpunkte höher sind als bei einer HSE-Umfrage vor einem Vierteljahr. Bis 2024 wird der Produktionsanstieg der russischen Wirtschaft laut Umfrage aber dennoch nur 1,7 bis 1,9 Prozent erreichen. Selbst 2025 halten die Experten nur 2,1 Prozent Wachstum für möglich.

Konsensus-Prognose des HSE-Development Centers;
Ergebnisse einer Umfrage vom 21. bis 29. Oktober 2019

2019202020212022202320242025

Reales Bruttoinlandsprodukt
,
Wachstum gegenüber Vorjahr in %
1,11,71,81,71,81,92,1
Verbraucherpreisindex;
Anstieg Dez. gegenüber Dez. in %
3,53,83,94,14,24,03,9
Leitzins am Jahresende in Prozent

 

6,406,006,006,176,235,985,91
Rubel/Dollar-Kurs am Jahresende

 

65,566,567,870,371,072,271,8
Urals-Ölpreis in Dollar/Barrel

 

64,061,263,162,161,862,765,7

Prognosenvergleich: Regierung rechnet schon 2021 mit 3,1 Prozent Wachstum

Das HSE-Konjunkturinstitut vergleicht in einer Tabelle seine Umfrageergebnisse mit den Prognosen des russischen Wirtschaftsministeriums, der russischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds.

Der Vergleich zeigt: Das Wirtschaftsministerium geht in seiner Prognose, die der Anfang Dezember beschlossenen Haushaltsplanung zugrunde gelegt wurde, von einer erheblich schnelleren Beschleunigung des Wachstums der Wirtschaft aus als die HSE-Umfrage ermittelte. Laut Regierung soll der Produktionsanstieg bereits 2021 sprunghaft auf 3,1 Prozent steigen und bis 2025 weiter auf 3,3 Prozent anziehen, obwohl die Regierung annimmt, dass der Urals-Ölpreis kontinuierlich von 57 Dollar/Barrel (2020) auf 53 Dollar/Barrel (2024) sinkt.

Demgegenüber ist laut HSE-Umfrage bis 2025 nur ein deutlich schwächerer Anstieg des Wachstums auf 2,1 Prozent möglich, obwohl die Experten im Durchschnitt mit ziemlich stabilen Urals-Preisen rechnen. Der Preis soll im Jahresdurchschnitt nicht unter rund 61 Dollar sinken und 2025 auf rund 66 Dollar/Barrel steigen.

Inflationserwartungen für die kommenden Jahre liegen alle bei rund 4 Prozent

Weitgehend übereinstimmend wird die Entwicklung der Verbraucherpreise in den nächsten Jahren gesehen. Sowohl die russische Regierung als auch Weltbank, IWF und die von der HSE befragten Experten rechnen damit, dass die Inflationsrate ab 2020 nahe der von der Zentralbank angestrebten Zielmarke von rund 4 Prozent liegen wird.

Hinsichtlich der im Dezember 2019 zu erwartenden Preissteigerung gibt es aber merkliche Unterschiede. Das HSE-Umfrageergebnis für die Inflationsrate am Jahresende liegt mit 3,5 Prozent deutlich über der Erwartung des Wirtschaftsministeriums. In seinem am Freitag veröffentlichten Bericht zur Entwicklung der Verbraucherpreise im November schätzt das Ministerium, dass die jährliche Inflationsrate im Dezember auf 3,0 bis 3,1 Prozent sinken wird. Bereits Im Haushaltsgesetz hatte das Ministerium die Inflationsrate auf 3,0 Prozent veranschlagt.

Im November sind die Verbraucherpreise noch 3,5 Prozent höher als vor einem Jahr gewesen. Das teilte die Statistikbehörde Rosstat am Freitag mit. In den ersten elf Monaten überstiegen die Preise ihr Vorjahresniveau um 4,6 Prozent.

Deutsche Unternehmen in Russland sehen 2020 zuversichtlicher

Mit dem derzeit noch schwachen Wachstum in Russland sind auch die in Russland tätigen deutschen Unternehmen offenbar unzufrieden. Laut der jüngsten Geschäftsklima-Umfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) und des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) nannten rund 40 Prozent der Unternehmen die „Konjunkturentwicklung“ als einen der 5 wichtigsten „Störfaktoren“ für ihre Geschäftstätigkeit. Noch häufiger – nämlich von 44 Prozent der Unternehmen – wurden nur die Belastungen durch die „Bürokratie“ als Störfaktor genannt.

Jetzt rechnen aber offenbar auch die deutschen Unternehmen mit einer Belebung des Wachstums in Russland. Auf die Frage „Wie wird sich die russische Wirtschaft 2020 entwickeln?“ antworteten 43 Prozent „positiv“ oder „leicht positiv“. Der Anteil dieser „Optimisten“ war damit etwas höher als im Vorjahr (41 Prozent).

Nur noch 15 Prozent der deutschen Unternehmen befürchten eine „negative“ oder „leicht negative“ Entwicklung der Wirtschaft. Vor einem Jahr war der Anteil dieser „Pessimisten“ mit 23 Prozent noch merklich höher.

Matthias Schepp, Vorstandsvorsitzender der AHK, wies außerdem darauf hin, dass die deutschen Unternehmen insgesamt schneller als der russische Markt wachsen.

Quellen und Lesetipps:

Fitch Ratings „Global Economic Outlook“

HSE-Consensus Forecast

Weltbank „Russia Economic Report“

Ministerpräsident Medwedew im TV-Interview zur Wirtschaftsentwicklung im Jahr 2019

OAOEV-Treffen mit Präsident Putin am 06.12.2019 in Sotschi

AHK-Geschäftsklima-Umfrage bei deutschen Unternehmen in Russland

Periodisch erscheinende Konjunnkturberichte

Sonstige Veröffentlichungen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Preisentwicklung im November

Zentralbank: Präsentationen in Englisch; Statistical Bulletin (monatlich); Publikationstermine

Monatsberichte Wirtschaft Oktober 2019 von Rosstat, Ministerien und Zentralbank

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann seit Anfang November 2019:

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