WIIW-Prognose: Der Sanktionsschock trifft Russland „in Raten“

Wie tief werden die westlichen Sanktionen die Produktion der russischen Wirtschaft sinken lassen? Und wie schnell werden sie wirken? Die Meinungen dazu klaffen noch weit auseinander. Dabei erwarten westliche Beobachter meist einen stärkeren Einbruch der russischen Wirtschaft als einheimische Banken und Institute. 

Ein gemeinsamer Trend zeichnet sich bei den Prognosen aber immerhin ab: Russische wie ausländische Analysten erwarten im Jahr 2022 einen schwächeren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts als bisher. Offenbar drücken die Sanktionen die Produktion nicht so schnell, wie zunächst angenommen wurde. Dafür spricht auch die rasche Erholung der Einkaufsmanager-Indizes. Viele Beobachter gehen jetzt davon aus, dass sich die volle Wirkung der Sanktionen erst im nächsten Jahr zeigen wird.

Der Rückgang der Produktion wird 2022 flacher, er hält aber länger an

Auch das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ (wiiw), die Frankfurter DekaBank und die ING Bank erwarten für 2022 jetzt eine schwächere Rezession als bisher. Gleichzeitig nehmen sie aber an, dass der Rückgang der Produktion länger anhält und Russlands BIP im Jahr 2023 stärker sinkt als bisher erwartet wurde.

Diese Trends zeigen auch die jüngsten Umfragen des Research-Unternehmens FocusEconomics und der Nachrichtenagentur Interfax. In der Juni-Umfrage von FocusEconomics (bei 36 fast ausschließlich westlichen Banken und Forschungsinstituten) sank die Rezessionsprognose für 2022 von – 9,8 Prozent auf – 9,3 Prozent. Interfax ermittelte in ihrer Juni-Umfrage bei 8 russischen Banken und Forschungsinstituten und der ING Bank, dass im Durchschnitt 2022 nur noch ein Rückgang des BIP um 6,3 Prozent erwartet wird (Mai-Umfrage: – 8,3 Prozent).

Die russische Zentralbank wird ihre neue Analysten-Umfrage am 14. Juli veröffentlichen. Die russische Regierung will ihre bisherige Prognose vom Mai (2022: -7,8 Prozent) laut Wirtschaftsminister Reschetnikow in dieser Woche aktualisieren.

Wachstumsprognosen 2022 bis 2023

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

WIIW: 2022 schrumpft die Wirtschaft um „nur“ 7 Prozent

 Das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ erwartete in seiner „Frühjahrsprognose“ am 22. April noch, dass Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion im Jahr 2022 um 9 Prozent einbricht. In seiner „Sommerprognose“ vom 06. Juli stellt es jetzt jedoch fest, dass die russische Wirtschaft die Sanktionen bisher offenbar besser verkraftet, als im Frühjahr abzusehen gewesen sei. Das wiiw erwartet jetzt in diesem Jahr einen um 2 Prozentpunkte „seichteren“ Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um nur noch 7 Prozent (Pressemitteilung: D, Engl.).

Das Institut bleibt jedoch bei seiner Einschätzung, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt in den beiden Jahren 2022 und 2023 um insgesamt rund 10 Prozent sinken wird. Der Rückgang der Produktion werde sich nur stärker ins Jahr 2023 verlagern. Der „Schock“ der Sanktionen trifft Russland, aber „in Raten“, meint Vasily Astrov, Senior Economist und Russland-Experte am wiiw (Mit-Autor der Ende Mai abgeschlossenen Studie „Russia’s invasion of Ukraine: assessment of the humanitarian, economic, and financial impact in the short and medium term“).

Hohe Energiepreise und Rubel-Erholung bremsen den Einbruch

Dass Russlands Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich etwas „glimpflicher davonkommt“, begründet das WIIW in seinem „Overview“ zur russischen Wirtschaft vor allem mit der Erholung des Rubel-Kurses:

„Hauptgrund ist die unerwartete Erholung des russischen Rubels aufgrund hoher Energiepreise und des dramatischen Einbruchs der Importe. Der Rubel handelt jetzt über dem Vorkriegsniveau, wodurch die Importpreise gedrückt und – last but not least – das allgemeine Vertrauen der Öffentlichkeit in die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt wird.“

 BOFIT: „Bemerkenswert starke Aufwertung“

BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, analysierte in seinem jüngsten Wochenbericht die Wechselkursentwicklung. Es konstatiert eine „bemerkenswert starke Aufwertung des Rubel gegenüber US-Dollar und Euro“.

Der Rubel hat in den letzten Monaten sowohl gegenüber dem Dollar als auch gegenüber dem Euro eine bemerkenswerte Aufwertung erfahren

BOFIT, Bank of Finland: Russian ruble has strengthened substantially, BOFIT weekly, 08.07.2022

Die Rubel-Entwicklung im Jahr 2022 kommentiert BOFIT so:

Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Ende Februar lag der Rubel-Dollar-Kurs bei etwa 75 Rubel je Dollar. Der Rubel wertete zunächst aufgrund der anfänglichen Unsicherheitswelle ab, die durch den Krieg und die zunehmenden westlichen Sanktionen ausgelöst wurde. Anfang März mussten 120 Rubel je Dollar bezahlt werden.
Von der russischen Zentralbank angeordnete Maßnahmen verringerten aber schnell die Nachfrage nach Devisen in Russland. Gleichzeitig nahm das Devisenangebot zu, weil die russischen Unternehmen ihre Exporterlöse in Rubel tauschen mussten. Zusammen trugen diese Maßnahmen dazu bei, den Rubel-Dollar-Kurs bis Mitte April wieder auf das vor der Invasion erreichte Niveau sinken zu lassen. Im Mai und Juni wertete der Rubel weiter auf. Bis Ende Juni näherte sich der offizielle Preis für einen Dollar 51 Rubel (siehe BOFIT- Abbildung; bis zum 08.Juli wertete der Rubel auf rund 62 Rubel/US-Dollar ab, siehe Trading Economics).

Die russische Regierung hat versucht, die Aufwertung des Rubels zu unterdrücken, indem sie einige der Kapitalverkehrskontrollen lockerte, die zu Beginn der Invasion in der Ukraine eingeführt wurden. Die ursprüngliche Anforderung, dass Unternehmen 80 Prozent ihrer Exporterlöse in Rubel tauschen müssen, wurde auf 50 Prozent gesenkt und schließlich ganz abgeschafft.

Die Rubel-Aufwertung hat auch Nachteile

BOFIT weist in seinem Bericht auf Nachteile der Aufwertung hin.

Eine Aufwertung des Rubel lässt die Devisenerlöse russischer Exportunternehmen in Rubel umgerechnet sinken. Damit vermindern sich ihre Gewinne und die Einnahmen der Regierung aus der Besteuerung der Unternehmen.

Mitglieder der russischen Regierung sehen den „optimalen Wechselkurs“ inzwischen überschritten. BOFIT erwähnt Äußerungen des ersten stellvertretenden Premierministers Andrey Belousov. Er erklärte, dass der „optimale“ Wechselkurs im Bereich von 70 bis 80 Rubel pro Dollar liege (Interfax-Interview, Reuters, TASS). Beim SPIEF bezeichnete auch Wirtschaftsminister Reschetnikow die „exzessive Aufwertung“ in einem Russia 24 TV-Interview als eine „Herausforderung“ für die russische Wirtschaft (RBC.ru-Bericht mit Video). Ursache für die Aufwertung sei eine zu schwache Nachfrage  Er forderte, die Zinsen so schnell wie möglich zu senken.

Weitere Analysen zur Rubel-Entwicklung: Video BR 24: Possoch klärt, 07.07.2022; Watson.ch, Philipp Löpfe: Starker Rubel – schwacher Putin, 01.07.2022 ; t-online.de; Nele Behrens: Wie Phönix aus der Asche. Warum der Rubel trotz Sanktionen nicht abstürzt, t-online.de, 30.06.2022

WIIW: 2023 setzt sich die Rezession unerwartet scharf fort

Das wiiw rechnet zwar 2022 mit einer schwächeren Rezession als bisher, erwartet aber gleichzeitig, dass sich Russlands Rezession im nächsten Jahr mit einem Produktionsrückgang von 3 Prozent fortsetzt. Im April hatte es für 2023 noch einen nur halb so starken weiteren Rückgang um 1,5 Prozent erwartet.

Zur teilweisen „Verschiebung“ der Rezession ins nächste Jahr meint das wiiw, die westlichen Sanktionen gegen Russland begännen zwar zu greifen. Ein breites Spektrum von Branchen – von der Automobilindustrie über die Pharmazie und die Luftfahrt bis hin zur Lebensmittelverarbeitung – berichte bereits über Engpässe bei importierten Vorleistungen und eine allmähliche Erschöpfung der Lagerbestände.  Der private Konsum sei vor dem Hintergrund sinkender Einkommen und einer erhöhten Sparneigung eingebrochen, was teilweise auf strengere Kreditbedingungen zurückzuführen sei. Viele Investitionsprojekte seien Berichten zufolge bereits „auf Eis gelegt“.

Nach Einschätzung des wiiw müssen sich die Auswirkungen der Sanktionen und des „massenhaften“ Rückzugs ausländischer Unternehmen jedoch „noch voll entfalten“. Das Institut geht davon aus, dass das Ende 2022 in Kraft tretende EU-Ölembargo „die wirtschaftlichen Schmerzen ebenso verstärken wird“ wie jede weitere Drosselung der Gasexporte durch Russland.

Auch FocusEconomics-Umfrage ergibt: 2022 sinkt die Produktion schwächer, 2023 aber stärker als bisher erwartet

Die ebenfalls am 06. Juli veröffentlichte Umfrage des Research-Unternehmens FocusEconomics (bei fast ausschließlich westlichen Banken und Forschungsinstituten) zeigt, dass auch viele der von ihm befragten Analysten im laufenden Jahr in Russland eine schwächere Rezession als bisher erwarten. Gleichzeitig wird aber auch in der FocusEconomic-Umfrage für das nächste Jahr mit einem stärkeren Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion gerechnet als bisher.

2022 wird laut FocusEconomics der BIP-Rückgang in Russland jetzt im Durchschnitt auf 9,3 Prozent veranschlagt (Prognose vor einem Monat: – 9,8 Prozent).

2023 wird sich die Rezession laut der Umfrage mit einer Rate von -2,1 fortsetzen (Prognose vor einem Monat: – 1,4 Prozent).

Interfax-Umfrage in Russland bestätigt Trend der Prognosen

Der Trend der von der Nachrichtenagentur Interfax in Russland durchgeführten Umfragen deckt sich mit der Entwicklungsrichtung der FocusEconomics-Umfragen bei fast ausschließlich westlichen Banken und Instituten. Die jüngste Interfax-Umfrage zeigt jedoch, dass die russischen Analysten eine deutlich schwächere Rezession in Russland erwarten als die von FocusEconomics befragten westlichen Analysten.

Interfax ermittelte in seiner Juni-Umfrage bei 8 russischen Banken und Forschungsinstituten und der ING Bank, dass im Jahresdurchschnitt 2022 nur noch ein Rückgang des BIP um 6,3 Prozent erwartet wird. In der Mai-Umfrage war noch mit einem deutlich stärkeren Einbruch um 8,3 Prozent gerechnet worden.

Laut der aktuellen Interfax-Umfrage wird die diesjährige Rezession also mit 6,3 Prozent um 3 Prozentpunkte schwächer sein als die Focus-Economics-Umfrage erwarten lässt (- 9,3 Prozent).

2023 ist laut Interfax jetzt ein weiterer Rückgang des BIP um 1,3 Prozent zu erwarten. In der Mai-Umfrage der Nachrichtenagentur war für 2023 noch eine leichte Erholung der Produktion erwartet worden (+ 0,3 Prozent).

Auch die jüngste Interfax-Prognose für 2023 bleibt aber günstiger (-1,3 Prozent) als das Ergebnis der FocusEconomics-Umfrage ( -2,1 Prozent).

Wiiw zu weiteren Perspektiven: Schwache Erholung von tief gedrücktem Niveau

Erst 2024 wird sich die russische Wirtschaft laut wiiw endgültig „auf einem neuen Plateau“ einpendeln. Auf diesem stark gedrückten Niveau werde sie voraussichtlich noch Jahre lang verweilen. 2024 erwartet das wiiw bei einem Wirtschaftswachstum von 1,0  Prozent nur eine sehr schwache Erholung.

Prognosen des WIIW für Russlands Wirtschaft

Wiiw: Russia Overview

Vergleich der BIP-Entwicklung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie der Türkei

Einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts werden 2022 laut der wiiw-Sommerprognose neben Russland (RU: – 7,0 Prozent) nur Belarus (BY: – 4,5 Prozent) und die Ukraine (UA: – 38,0 Prozent) verzeichnen.

Das WIIW schreibt zur Produktionsentwicklung in der MOSOEL-Region:

„Vergleichsweise resilient zeigen sich nach wie vor die 11 EU-Mitglieder der Region. Trotz hoher Inflation, Energiekrise, Lieferketten-Problemen und nachlassender Dynamik in der Industrie sollten sie heuer eine Rezession vermeiden können und im Schnitt mit 3,3% wachsen. Hauptstütze der Konjunktur ist in diesen Ländern der private Konsum, während der Export schwächelt.

 Auch die sechs Westbalkan-Staaten (2,9%) und die Türkei (2,7%) wachsen 2022, wenn auch schwächer als im Vorjahr.

 Anders sieht das Bild für die Ukraine, Russland, Belarus und die Republik Moldau aus. Besonders tief ist der Einbruch heuer in der Ukraine, die mehr als ein Drittel ihrer Wirtschaftsleistung verlieren dürfte. Russland kommt mit einem BIP-Minus von 7% vorerst glimpflicher davon als in unserer Frühjahrsprognose (-9% im Basisszenario) angenommen. In Belarus (-4,5%) manifestieren sich die Auswirkungen der westlichen Sanktionen aufgrund der Unterstützung für Russland. Auch die Republik

Moldau leidet (-1%).“

Reales Bruttoinlandsprodukt,

Prognosen der Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent, Revisionen gegenüber der  Frühjahrsprognose in Prozentpunkten

WIIW Presentation: Summer Forecasts for CESEE – Impressive resilience unlikely to last – 06.07.2022

Die Inflationsrate fällt deutlich schneller als bisher erwartet

Günstiger als bisher erwartet wird sich laut der Sommerprognose des wiiw der Anstieg der Verbraucherpreise in Russland entwickeln.

Im Frühjahr rechnete das Institut noch damit, dass sich die jahresdurchschnittliche Inflationsrate von 6,7 Prozent im Jahr 2021 auf 20 Prozent im Jahr 2022 verdreifacht. Jetzt  geht es von einem geringeren Anstieg auf 15,6 Prozent in diesem Jahr aus. Es verweist dazu auf den „starken Rubel“, der den Anstieg der Importpreise dämpft, und die Konsumzurückhaltung der Bevölkerung.

2023 wird die Inflationsrate laut der neuen wiiw-Prognose im Jahresdurchschnitt bereits auf 9,7 Prozent fallen (Frühjahrsprognose: + 14 Prozent). Im Jahr 2024 sieht das WIIW die Inflationsrate mit 3,7 Prozent unter die von der Zentralbank angestrebte 4 Prozent-Marke sinken. Weitere Medienberichte zur WIIW-Prognose finden Sie hier:

https://wiiw.ac.at/wiiw-in-the-press.html

Deka Bank: Erste Schockwelle hat Russland viel besser als erwartet überstanden

Auch die Frankfurter DekaBank rechnet jetzt für das Jahr 2022 mit einer „milderen“ Rezession in Russland als bisher. Analystin Daria Orlova erwartet nur noch einen Produktionsrückgang von 7,5 Prozent (bisherige Prognose: – 10 Prozent). 2023 werde sich die Rezession jedoch mit einer Rate von – 3 Prozent fortsetzen (bisherige Prognose: – 2 Prozent). Orlova schreibt im monatlichen Bericht „Emerging Markets Trende“:

„Die russische Wirtschaft scheint die erste Schockwelle der massiven Sanktionen viel besser als erwartet überstanden zu haben.

So konnte die Ölfördermenge im Mai wieder auf das Vorkriegsniveau gesteigert werden und die Einkaufsmanagerindizes haben sich wieder auf über 50 Punkte erholt.

Der Wechselkurs des russischen Rubels hat sich aus der Sicht der russischen Exporteure und des Finanzministeriums gar unerwünscht stark befestigt, sodass die Kapitalverkehrskontrollen zuletzt wieder etwas gelockert wurden.“

 Schnelle Konjunkturerholung aber nicht zu erwarten

Orlova rechnet jedoch damit, dass die Sanktionen gegen Russland für lange Zeit bestehen bleiben dürften. Eine schnelle Konjunkturerholung erwartet sie nicht:

„Das Ölembargo der EU wird in den kommenden Monaten greifen, und die Perspektiven für die Erdölexporte Russlands Richtung Asien im kommenden Jahr sind aufgrund möglicher Einschränkungen im Bereich Transportversicherungen bzw. der derzeit in der G7 diskutierten Preisobergrenze für das russische Öl ungewiss. Das Technologieembargo wird sich in vielen Industriebereichen mittelfristig deutlich bemerkbar machen.“

Professor Grinberg: Die Sanktionen werden vor allem die kleine Mittelschicht treffen

Prof. Dr. Ruslan Grinberg, Leiter des Wirtschaftsinstituts an der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN), meinte Ende Juni in einem sehr lesenswerten Interview mit Daria Boll-Palievskaya zu den Auswirkungen der Sanktionen (MDR: Trotz zunehmender Armut keine Massenproteste gegen Putin zu erwarten):

„Die Sanktionen sind sehr ernst, sie sind weltweit sogar beispiellos. Ihre Wirkung und ihr Einfluss werden jedoch erst in einiger Zeit deutlich werden. Und zwar in etwa zwei bis drei Monaten. Es wird eine stetige Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation geben.

Aber im Moment sieht es wirklich nicht so aus, als ob viel passiert wäre. Zumal die Energiepreise – für Öl und Gas – steigen. Und selbst wenn ihre Ausfuhren mengenmäßig zurückgehen, wird das durch viel höhere Preise voll kompensiert.“ …

„Die wichtigste Auswirkung der Sanktionen wird sein, dass das Angebot an Waren und Dienstleistungen zurückgehen wird. Und die übrigen Waren und Dienstleistungen werden teurer werden. Das heißt, wir werden sozusagen “zwischen Hammer und Amboss geraten”.

Es sieht so aus, als ob uns eine Primitivisierung der Wirtschaft bevorsteht. Ich befürchte, dass uns die Überlebensökonomie erwartet. Dies wird sich vor allem im Lebensstandard der Mittelschicht niederschlagen.“

Den Anteil der Mittelschicht an der gesamten Bevölkerung veranschlagt Grinberg auf „höchstwahrscheinlich nur ein Fünftel“.

Armut und Kriminalität werden zunehmen

Für die Mehrheit der russischen Bevölkerung, die bereits extrem arm sei und ums Überleben kämpfe, werden die Sanktionen, so Grinberg, „einfach von Armut zu noch mehr Armut führen“. Die Bevölkerung habe keine andere Wahl als sich anzupassen:

„Eine Ära nie dagewesener Improvisation wird beginnen. Kriminalität, Unterschlagungen und Diebstahl auf allen Ebenen werden zunehmen. Die Herrschaft der Knappheit wird zurückkehren und es wird ein Schwarzmarkt entstehen, wie in der Sowjetunion.“

Grinberg: Russland wird überleben, auch in einer fast völligen Isolation

Prof. Grinberg meint, dass die „Entfremdung zwischen dem Westen und Russland“ von Dauer sein wird. Es werde nicht möglich sein, in absehbarer Zeit zu normalen Beziehungen zurückzukehren. Selbst wenn es zu einem Waffenstillstand kommen sollte, würden die Sanktionen nicht aufgehoben. Sein Fazit:

„Mein Heimatland wird also in einer Situation der fast völligen Isolation überleben müssen. Es gibt 200 Länder auf der Welt. Und wenn Sie mich fragen würden, welches Land kann in der Isolation überleben? Meine Antwort wäre ganz einfach: nur Russland! Russland verfügt über sämtliche Ressourcen – Süßwasser, Wälder, Mineralien, Bodenschätze. Hinzu kommt die unglaubliche Anpassungsfähigkeit der Bevölkerung. Wir werden also überleben. Die Frage ist nur: wie und zu welchem Preis?“

 Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland
von
Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

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