Russland: Arbeitslosenquote stark gestiegen

BIP war im Juli noch 4,7 Prozent niedriger als im Juli 2019

Im ersten Halbjahr 2020 ist die gesamtwirtschaftliche Produktion Russlands nach ersten Berechnungen des Statistikamtes Rosstat im Vorjahresvergleich nur um 3,6 Prozent gesunken, obwohl sie im zweiten Quartal wegen des Lockdowns 8,6 Prozent niedriger war als im Vorjahr. Im ersten Quartal 2020 war sie noch 1,6 Prozent höher als vor einem Jahr. Der Produktionsrückgang im zweiten Quartal war von einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit begleitet. Die real verfügbaren Einkommen sanken gleichzeitig gegenüber dem Vorjahresquartal um 8 Prozent.

Über die Entwicklung der Produktion wichtiger Branchen im Juli berichtete Rosstat am 20. August. Auf der Basis dieser Angaben schätzt das Wirtschaftsministerium in seinem Bericht „Bild der Wirtschaftsaktivität“, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in den ersten sieben Monaten 2020 ihr Vorjahresergebnis um 3,8 Prozent unterschritt.

Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts verringert sich seit Mai

Die Abnahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Vergleich zum Vorjahr hat sich im Juli weiter verlangsamt. Die folgende Abbildung zeigt die Schätzungen des Wirtschaftsministeriums für die monatliche Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (hellblaue Linie). Im Juli war das Bruttoinlandsprodukt danach noch 4,7 Prozent niedriger als im Vorjahresmonat. Den stärksten Einbruch der Produktion hatte es im April gegeben (- 10,4 Prozent gegenüber April 2019).

Bruttoinlandsprodukt
Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent
Blaue Linie: Veränderungen gegenüber Vorjahresmonat
Blaue Punkte: Veränderungen gegenüber Vorjahresquartal laut Rosstat

Quelle: Wirtschaftsministerium: Bild der Wirtschaftsaktivität Juli 2020; Seite 2; 20.08.2020

Ihren Tiefpunkt hat die gesamtwirtschaftliche Produktion jedoch inzwischen durchschritten. Das zeigt die folgende Abbildung des Forschungsinstituts der Vnesheconombank. Nach seinen Schätzungen ist der Index des Bruttoinlandsprodukts (Januar 2014 = 100) im April auf 94 Punkte gesunken. Das BIP war also 6 Prozent niedriger als im Januar 2014. Im Juli war es voraussichtlich nur noch rund ein Prozent niedriger.

Index des Bruttoinlandsprodukts laut Schätzung des VEB-Instituts
(Januar 2014 = 100)

Vnesheconombank-Institute: World Economy and Markets Review (14.-20.08.2020); S. 4;  21.08.2020

Im Konsumbereich sinkt der Einzelhandelsumsatz immer weniger

Weit fortgeschritten ist die „Normalisierung“ des realen Einzelhandelsumsatzes. Er war im Juli nur noch 2,6 Prozent niedriger als im Juli 2019. Im zweiten Quartal waren die Umsätze um 16,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal eingebrochen. Die Verkäufe von PKW und leichten Nutzfahrzeugen konnten im Juli sogar das Vorjahresniveau um 6,8% übertreffen. Im zweiten Quartal waren sie um 48,6% zurückgegangen.

Die Umsätze im Bereich der Dienstleistungen für private Haushalte blieben jedoch angesichts der anhaltenden Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie auch im Juli noch 25,5 Prozent unter ihrem Vorjahresniveau. Die folgende Abbildung des Forschungsinstituts der Vnesheconombank zeigt die Veränderungsraten des realen Einzelhandelsumsatzes (grüne Linie) und der Umsätze im Dienstleistungsbereich (blaue Linie) gegenüber dem Vorjahresmonat.

Vnesheconombank-Institute: World Economy and Markets Review (14.-20.08.2020); S.4;  21.08.2020

In der Industrie bremste insbesondere die Ölförderung im Juli noch

Weiter deutlich verbessert hat sich innerhalb der Industrie die Entwicklung im „Verarbeitenden Gewerbe“. Hier war die Produktion im Juli nur noch 3,3 Prozent niedriger als im Juli 2019. Im gesamten zweiten Quartal war sie im Vorjahresvergleich um 7,9 Prozent gesunken.

Im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ verschärfte sich der Rückgang der Produktion im Juli hingegen auf 15,1 Prozent. Im zweiten Quartal war sie bereits 10,3 Prozent niedriger gewesen, weil Russland insbesondere zur Erfüllung der Vereinbarungen mit der OPEC+ seine Ölförderung einschränkte.

Insgesamt war der Rückgang der Industrieproduktion gegenüber dem Vorjahr im Juli mit 8 Prozent kaum schwächer als im zweiten Quartal (- 8,5 Prozent).

Die folgende Abbildung des VEB-Instituts zur Entwicklung der gesamten Industrieproduktion (schwarze Linie), des Bereichs „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ (grüne Linie) und des „Verarbeitenden Gewerbes“ (blaue Linie) seit Januar 2014 zeigt, dass der Produktionsindex des Bereichs „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ inzwischen unter den Stand am Jahresanfang 2014 gesunken ist. Dieser Rückgang bremste die Erholung der gesamten Industrieproduktion.

Vnesheconombank-Institute: World Economy and Markets Review (14.-20.08.2020); 21.08.2020

Gewachsen ist die Produktion der Landwirtschaft

Stabilisiert wurde Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion im zweiten Quartal durch die Produktion der Landwirtschaft (+ 3,1 Prozent gegenüber Vorjahresquartal) . Auch die Produktion der Lebensmittelindustrie nahm zu (+ 2,4 Prozent). Auch im Juli stiegen die Produktion der Landwirtschaft (+ 4,0 Prozent) und der Lebensmittelindustrie (+ 2,0 Prozent).

Relativ günstig entwickelte sich auch die Bauproduktion. Nachdem sie im zweiten Quartal nur 1,7 Prozent niedriger war als im Vorjahresquartal, erreichte sie im Juli fast wieder das Vorjahresniveau (- 0,2 Prozent). Auch dazu bietet der Bericht des VEB-Instituts eine Abbildung.

Sprunghafter Anstieg der Arbeitslosigkeit im April

Die Arbeitslosenquote in Russland war im April sprunghaft von 4,7 Prozent auf 5,8 gestiegen. Ursache dafür waren nicht nur Entlassungen von Arbeitskräften wegen der Einschränkungen der Produktion zur Bekämpfung der Pandemie. Die Zahl der Personen, die sich arbeitslos meldeten, stieg wohl vor allem, weil die staatlichen Leistungen für registrierte Arbeitslose verbessert wurden.

Im Juli erhöhte sich die Arbeitslosenquote weiter auf 6,3 Prozent. Den stark verlangsamten Anstieg seit Mai zeigt die folgende Abbildung von Trading Economics:

Arbeitslosenquote in Russland
nicht saisonbereinigt

Quelle: Trading Economics: Russia Unemployment Rate; 20.08.2020

Das Wirtschaftsministerium zeigt in seinem Monatsbericht, wie sich die Arbeitslosigkeit langfristig seit 2014 entwickelte.

Arbeitslosenquote in Prozent
dunkelblaue Linie: unbereinigt; hellblaue Linie: saisonbereinigt

Quelle: Wirtschaftsministerium: Bild der Wirtschaftsaktivität Juli 2020; Seite 2; 20.08.2020

Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote (hellblaue Linie) hat sich seit Anfang 2016 kontinuierlich auf nur noch 4,5 Prozent im ersten Quartal 2020 verringert. Im Verlauf der Corona-Krise stieg sie im April auf 5,7 Prozent, im Mai auf 6,2 Prozent und im Juni auf 6,4 Prozent. Im Juli stagnierte sie auf diesem Niveau.

Die Zahl der Arbeitslosen stieg nach Angaben des Wirtschaftsministeriums im Juni saisonbereinigt auf 4,8 Millionen. Im Juli stagnierte sie auf diesem Stand. Sie war damit 40,6 Prozent höher als vor einem Jahr.

Natalia Orlova, Chef-Volkswirtin der Alfa Bank, sieht jetzt aber Anzeichen einer Stabilisierung. Sie meint, die Arbeitslosenquote dürfte ihrem Höhepunkt nahe sein und bis zum Jahresende auf 6 Prozent sinken.

Realeinkommen um 8 Prozent gefallen

Die real verfügbaren Einkommen der Bevölkerung, über deren Entwicklung Rosstat vierteljährlich berichtet, sind im zweiten Quartal 8,0 Prozent niedriger gewesen als vor einem Jahr.

Natalia Orlova macht darauf aufmerksam, dass sich der Anteil der Einkommen aus Unternehmertätigkeit dabei auf nur noch 3,5 Prozent verringert hat. Vor einem Jahr habe er noch rund 6 Prozent betragen. Die Abhängigkeit der Bevölkerung von staatlichen Sozialleistungen sei damit bedauerlicherweise gestiegen. Der Anteil der Sozialleistungen habe im zweiten Quartal 22 Prozent der gesamten Einkommen erreicht. Zuvor habe er 20 Prozent nicht überschritten. Orlova sieht darin ein Beispiel, dass die Corona-Krise langfristige strukturelle Folgen habe, die extrem negativ seien.

Insgesamt beurteilt Orlova die „starken“ Juli-Ergebnisse in einem Kommentar als „positiv“. Für sie ist es damit wahrscheinlicher geworden, dass die Zentralbank am 18. September den Leitzins nicht weiter senken wird.

Orlova bleibt bei ihrer relativ optimistischen Prognose, dass der Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr auf 3 Prozent begrenzt bleibt. Die Regierung, die Zentralbank und Analysten in der Juli-Umfrage des Research-Unternehmens FocusEconomics gehen hingegen von einem Rückgang um rund 5 Prozent aus (siehe Ostexperte-Bericht).

HSE-Charts zur Konjunkturentwicklung

Auch die Konjunkturforschungsabteilung der Moskauer „Higher School of Economics“ hat auf der Basis der neuen Rosstat-Daten für Juli ihre im „Macromonitor“ gesammelten Abbildungen von Konjunkturindikatoren aktualisiert. Sie zeigen, welche Indikatoren sich auch im Juli noch weiter verschlechtert haben und wie weit sich andere Indikatoren vom Rückgang in der Corona-Krise erholt haben. Als Basisjahr verwendet das HSE-Institut dabei das Jahr 2019. So läßt sich leicht ablesen, wie stark sich die Indikatoren noch erholen müssen, um wieder auf den Stand vor der Corona-Krise zu kommen.

Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Konjunkturberichte Juli 2020 von Wirtschaftsministerium und Rosstat

Russlands Industrieproduktion im Juli 2020

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (wöchentlich, monatlich, vierteljährlich)

Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland