Aserbaidschanischer Lobbyismus in Deutschland? Eine kritische Einordnung

Über die Lobbyismus-Berichterstattung zu Aserbaidschan

Politiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gerieten dieses Jahr durch Lobbyismus-Vorwürfe in den Fokus internationaler Medien. Der Vorwurf: unerlaubte Gefälligkeitsleistungen für die aserbaidschanische Regierung gegen Bezahlung. Das VICE-Magazin berichtete in einer Reihe von Beiträgen über die Vorwürfe – auf fragwürdige Art und Weise, findet der Autor.

Am 17. September 2021 veröffentlichte die deutschsprachige Ausgabe des US-amerikanischen Magazins „VICE“ einen Artikel, in dem mehreren Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unerlaubte Gefälligkeitsleistungen für die aserbaidschanische Regierung im Ausgleich gegen monetäre Vorteile vorgeworfen werden.

Nach einem Seitenhieb gegen den aserbaidschanischen Präsidenten beginnt der Artikel mit der Feststellung, man habe „Lobbydokumente“ einsehen können, die die Bundestagsabgeordneten Florian Hahn (CSU) und Marco Wanderwitz (CDU) belasten würden. Um welche Dokumente es hierbei konkret geht, bleibt ebenso unklar wie der Beleg für die darauffolgende Behauptung, dass sich beide Politiker „jahrelang für das Aliyev-Regime“ eingesetzt hätten. In gleicher Manier wird unter Berufung auf „Geheime Dokumente“ die Behauptung in den Raum geworfen, „dass Hahn als Top-Kontakt regimenaher Lobbyisten geführt wurde“. Und wenn dem so wäre, stellt sich die Frage: Handelt es sich hierbei um ein Alleinstellungsmerkmal Aserbaidschans? Die Tatsache, dass Staaten bestrebt sind, ihre Positionen und Interessen aktiv zu vertreten, ist per se nicht verwerflich.

Ob und in welchem Umfang von den Autoren dieses Schriftwerks ein ausgewogener Ansatz verfolgt wird, darf guten Gewissens bezweifelt werden. Interessant ist nämlich, dass auf VICE.com kein anderes Thema derart politisch diskutiert und polarisiert wird wie Aserbaidschan. Die ‚Enthüllungen‘ über eine vermeintliche Einflussnahme Aserbaidschans durch deutsche Politiker basieren fast durchweg auf pro-armenischen Quellen. Über die Verletzung des Völkerrechts durch Armenien im Zuge der illegalen Besetzung Bergkarabachs hingegen erfährt der Leser nichts.

Deutsche Interessen im Südkaukasus

Den Krieg von 2020 um das von Armenien bis dato völkerrechtswidrig besetzte aserbaidschanische Territorium Bergkarabach und die angrenzenden Provinzen, insgesamt etwa 20 Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebietes, handeln die Autoren in einem Nebensatz mit der Bemerkung ab, dass sich Deutschland „auffallend“ mit „Kritik am Aliyev-Regime“ zurückhielte, was den von den Autoren unterstellten, aber nicht konkret belegten Effekt einer vermeintlichen Lobbyarbeit aus Baku belegen soll. Eine solche Kausalität wird hierbei weder logisch hergeleitet, noch hält sie einer sachlichen Überprüfung statt. Ein Vortrag eines Abgeordneten aus dem Jahr 2016 auf einer Abendveranstaltung wird kaum den Einfluss haben, die offizielle deutsche Position zum armenisch-aserbaidschanischen Konflikt um Bergkarabach grundlegend zu bestimmen.

In einem Beitrag der „Süddeutschen Zeitung“ vom 20. September 2021 erklärt Hahn, dass er die Gespräche mit Vertretern aus Aserbaidschan und Armenien dazu genutzt habe „um beide Länder zu Verständigung und Versöhnung aufzurufen“. Diese Position deckt sich nicht nur mit der Haltung der Bundesregierung, sondern steht auch deutlich gegen die unterstellte, einseitige Positionierung des Abgeordneten zugunsten Aserbaidschans. Am darauffolgenden Tag legte VICE mit einem weiteren Beitrag nach, der sich in wesentlichen Teilen mit den bereits erhobenen Unterstellungen deckt. Warum werden dieselben Fragen nicht auch Abgeordneten gestellt, die sich klar für die armenische Sichtweise positioniert haben? Warum schweigt VICE hierzu? Auch eine kritische Äquidistanz zur armenischen Seite sucht man in den ganzen Ausführungen vergeblich.

Neben den bereits genannten Abgeordneten wird auch dem CDU-Abgeordneten Olav Gutting unterstellt, sich im Interesse Aserbaidschans beeinflussen zu lassen und positioniert zu haben. Die Aussage „dass sich Hahn gegen Armenien stellte“, irritiert und wirft die Frage auf: Warum wird implizit unterstellt, ein deutscher Abgeordneter müsse die Position Armeniens vertreten? Im nächsten Satz heißt es dann: „Völkerrechtlich ist sein Statement zwar vertretbar, nur ist es rätselhaft, wie das Statement zustande kam.“ Ein ähnliches ‚Rätsel‘ stellt sich bei der Intention zum Verfassen dieses Artikels.

Unvoreingenommene Berichterstattung?

Die Fragwürdigkeit der vorgeblichen Unvoreingenommenheit zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Verlauf des Beitrages. Eine Veranstaltung aus dem Jahr 2010, bei welcher der CSU-Politiker Eduard Lintner involviert war, wird mit dem Hinweis auf einen „Alumniverein armenischer Austauschstudenten“ kommentiert und eingeordnet. Haben die Autoren hiermit die tatsächliche Intention zum Ausdruck gebracht? Wäre es nicht ebenso von Interesse, über armenische Einflussnahme im gleichen Stil und Umfang zu berichten? Unklar bleibt in jedem Fall, was einen armenischen Studentenverein zur Einordnung von Veranstaltungsteilnahmen frei gewählter Abgeordneter qualifiziert. Als der Artikel auf den CDU-Abgeordneten Axel Fischer Bezug nimmt, liest man zum wiederholten Male von einer „Anfrage“ mit „Fristablauf“. Beim Abgeordneten Wanderwitz, der die Fragen der Autoren beantwortet hatte, wird versucht, eine Verbindung zwischen seiner Funktion als Mitglied des Stiftungsrates der „Stiftung Humboldtforum im Berliner Schloss“ und einer Spende der aserbaidschanischen Vizepräsidentin für den Wiederaufbau des Schlosses zu konstruieren.

Geht es den Autoren wirklich um die Sache, oder wird hier im Stil eines inquisitorischen Duktus eine ganz andere Agenda verfolgt? Der armenische Online-Nachrichtendienst „haypress.de“ teilte die VICE-Recherchen kurzzeitig nach deren Publikation auf seinen Social-Media-Kanälen, was der Unvoreingenommenheit des Ansatzes, von welchem ausgehend der Beitrag über die vermeintlichen Aktivitäten Aserbaidschans in Deutschland zu berichten vorgibt, wenig zuträglich erscheint. Geht es diesen Journalisten tatsächlich um eine unvoreingenommene Berichterstattung? Warum erfährt man nichts über die Hintergründe der verwendeten armenischen Quellen? VICE lässt sich damit – bewusst oder unbewusst – als eine Plattform instrumentalisieren, die eine eindeutige Positionierung zugunsten der völkerrechtswidrigen Position Armeniens vornimmt. Der Leser wird dabei weder in die historischen Hintergründe des Konfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach eingeführt, noch werden aserbaidschanische Darstellungen der Vorgänge angemessen berücksichtigt.

Im besten Falle ist es die Naivität und mangelnde Sachkenntnis der Autoren über die zu beschreiben versuchte Thematik, im schlimmeren Fall wird genau das betrieben, was den Unionsabgeordneten unterstellt wird: Lobbyismus im Auftrag eines anderen Landes. Die journalistische Ethik würde es gebieten, die Darstellungen der aserbaidschanischen Seite zumindest wiederzugeben, damit der Leser sich eine eigene Meinung bilden kann. Doch auch hierzu findet sich nichts. Insgesamt leistet VICE mit seiner unausgewogenen Südkaukasus-Berichterstattung keinen Beitrag zur fundierten Meinungsbildung, sondern befeuert leider letztendlich die Emotionen hinzu einem Zerrbild, das mit den realen Entwicklungen und Problemen der Länder des Südkaukasus nichts zu tun hat.

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