Neue Analysen zum Wachstum der russischen Kriegswirtschaft

“Russische Wirtschaft hat sich im März abgekühlt; jüngste Prognosen erwarten BIP-Wachstum von 2-3 % in diesem Jahr“ – So überschreibt das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank seinen „Weekly Review“ vom 08. Mai. Die neuesten Wachstumsprognosen im Überblick.

Zur „Abkühlung“ der russischen Wirtschaft im März berichtet BOFIT, dass die Produktion fast aller „Kernbereiche“ der russischen Wirtschaft im März 2024 im Vergleich zum Vormonat Februar saisonbereinigt leicht gesunken sei. Das Forschungsinstitut der staatlichen russischen Wneschekonombank (“Bank für Außenwirtschaft”) kommt in seinem “World Economy and Markets Review” vom 03. Mai allerdings zu deutlich anderen Einschätzungen als BOFIT. Zu berücksichtigen ist dabei, dass erste Berechnungen zur Entwicklung der Produktion gegenüber dem Vormonat häufig voneinander abweichen.

Das VEB-Institut ermittelte bei seinen ersten Berechnungen, dass die Produktion in vielen wichtigen Wirtschaftszweigen im März gegenüber Februar gestiegen ist. Es schätzt, dass Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion im März gegenüber Februar saison- und kalenderbereinigt um 0,4 Prozent wuchs. Damit wäre sie laut VEB-Institut deutlich stärker gewachsen als im Februar gegenüber Januar (+ 0,1 Prozent).

Als Beispiele für jüngste Prognosen zum Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2024 verweist BOFIT auf die Prognosen der russischen Regierung (+ 2,8 Prozent) und der Zentralbank (+ 2,5 bis + 3,5 Prozent) sowie der OECD (+ 2,6 Prozent) und des Research-Unternehmens „ConsensusEconomics“ (+ 2,3 Prozent) . BOFIT selbst hat Ende März in seinem „Forecast for Russia“ das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft auf rund 2 Prozent veranschlagt.

FocusEconomics: Die Wachstumsprognosen stiegen seit Ende 2023 deutlich

Das in Barcelona ansässige Research-Unternehmen FocusEconomics ermittelte für seinen Mai-Bericht zur Konjunkturentwicklung in den Staaten der früheren Sowjetunion, dass Banken und Forschungsinstitute 2024 für Russland im Durchschnitt ein Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent erwarten. FocusEconomics erfasste dabei insgesamt 33 Prognosen, darunter nur drei von russischen Instituten.

Die folgende Abbildung zeigt, dass die von FocusEconomics erfassten durchschnittlichen Wachstumsprognosen für 2024 während des zweiten Halbjahres 2023 noch bei 1,1 bis 1,2 Prozent stagnierten. Seit Ende 2023 stiegen die Wachstumserwartungen der vorwiegend westlichen Analysten jedoch stark an. Im Mai erhöhten sie sich um 0,3 Prozentpunkte auf 2,4 Prozent.

FocusEconomics: Entwicklung der Prognosen für Russlands Wachstum in den Jahren 2024 und 2025 im Verlauf der letzten 12 Monate

FocusEconomics: FocusEconomics Consensus Forecast CIS Plus Countries, 07.05.24

BOFIT-Analyse zu negativen Folgen der „Kriegswirtschaft”

Heli Simola, Senior Economist des Forschungsinstituts, analysierte Anfang Mai in einem BOFIT-Blog die Folgen der Umgestaltung der russischen Wirtschaft zu einer „Kriegswirtschaft“. Sie stellt heraus:

  • Russlands Staatsausgaben sind stark gestiegen, was zu Haushaltsdefiziten und einer beschleunigten Inflation geführt hat.
  • Die Produktion der russischen Wirtschaft ist in den letzten Monaten zwar gestiegen, aber der Vorrang der Produktion für das Militär führt zu „Ungleichgewichten“ und untergräbt das längerfristige Wachstumspotenzial Russlands.
  • Auf der Angebotsseite hat die russische Wirtschaft Schwierigkeiten, mit der gestiegenen Nachfrage durch die höheren Staatsausgaben und den starken Anstieg der subventionierten Kredite Schritt zu halten. Der Mangel an Arbeitskräften ist zu einem chronischen Problem geworden. Die Kapazitätsauslastung ist in vielen Branchen historisch hoch.
  • Die Konzentration finanzieller und materieller Ressourcen auf kriegsrelevante Sektoren entzieht anderen Teilen der Wirtschaft Ressourcen.

Simola weist dazu auf folgende Trends beim Wandel zur „Kriegswirtschaft“ hin:

  • Die staatlichen Ausgaben für das Militär steigen seit 2022 viel stärker als die Staatsausgaben insgesamt.
  • Die Produktion der „Kriegsindustrien“ im „Verarbeitenden Gewerbe“ wächst stark während die Produktion anderer Bereiche des „Verarbeitenden Gewerbes“ stagniert.
  • Die Anlageinvestitionen der russischen Wirtschaft sind 2022 und 2023 stark beschleunigt gestiegen. Die nominalen Investitionen im Verarbeitenden Gewerbe wurden 2023 um rund 16 Prozent erhöht. Dazu trug der Anstieg der Investitionen in „Kriegsindustrien“ rund 3 Prozentpunkte bei.

Die Militärausgaben steigen seit 2022 viel stärker als die Staatsausgaben insgesamt

Das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut (SIPRI) schätzt, dass Russlands Militärausgaben in den beiden Kriegsjahren 2022 und 2023 im Durchschnitt nominal um fast 40 % pro Jahr gestiegen sind (rote Linie in der folgenden Abbildung).

Mit dem starken Anstieg der Militärausgaben hat sich der Anstieg der gesamten staatlichen Ausgaben (Bundeshaushalt, Regionalhaushalte, außerbudgetäre Fonds) in den beiden Kriegsjahren 2022 und 2023 auf nominal rund 15 % pro Jahr beschleunigt (blaue Linie).

2024 dürfte das Wachstum der Militärausgaben mit fast 60 % das Wachstum der Gesamtausgaben im konsolidierten Staatshaushalt noch deutlicher übertreffen.

Gesamte konsolidierte Haushaltsausgaben und Militärausgaben Russlands

Heli Simola, BOFIT Blog: Military dominance increases imbalances in the Russian economy, 07.05.24

Die „Rüstungswirtschaft“ wächst stark während andere Gewerbe stagnieren

Die Ausrichtung der russischen Wirtschaft auf den militärischen Bedarf zeigt die Entwicklung der Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ deutlich. Während die Produktion in den Branchen der „Rüstungswirtschaft“ in den letzten zwei Jahren stark zunahm („War-related industries“; rote Linie), blieb die Produktion in den übrigen Bereichen des „Verarbeitenden Gewerbes“ insgesamt weitgehend unverändert (blaue Linie). 

Produktionstrends in der Rüstungswirtschaft und anderen Branchen des „Verarbeitenden Gewerbes“

Heli Simola, BOFIT Blog: Military dominance increases imbalances in the Russian economy, 07.05.24

In den ersten Monaten des Jahres 2024 beschleunigte sich das Wachstum der  kriegsrelevanten Industrien weiter – unterstützt durch gestiegene Staatsausgaben. Von Januar bis März 2024 war die durchschnittliche Produktion kriegsrelevanter Industrien um mehr als 50 % höher als in den Monaten vor der russischen Invasion. Im übrigen verarbeitenden Gewerbe stieg die Produktion lediglich um 0,5 %.

Das starke Wachstum der Anlageinvestitionen war kriegsbedingt

Die realen Anlageinvestitionen der russischen Wirtschaft sind in den letzten zwei Jahren außergewöhnlich schnell erhöht worden. Sie stiegen 2022 und 2023 um durchschnittlich fast 8 %. Dabei wurden sie vor allem auf die Unterstützung der Kriegsaktivitäten ausgerichtet. 2022 lag der Schwerpunkt der Anlageinvestitionen beispielsweise auf dem Ausbau der Infrastruktur in Grenzregionen zur Ukraine und in Zentren der Militärindustrie.

Laut der folgenden BOFIT-Abbildung sanken gleichzeitig 2022 die nominalen Investitionen des gesamten Verarbeitenden Gewerbes um rund 5 Prozent gegenüber 2021 (schwarze Linie). 2023 wurden sie um rund 16 Prozent erhöht. Dazu trug der Anstieg der Investitionen in den „Kriegsindustrien“ des Verarbeitenden Gewerbes („War related industries“) rund 3 Prozentpunkte bei. Deutlich mehr investiert wurde 2023 unter anderem auch in Unternehmen zur Reparatur von Maschinen.

Beiträge von Branchen des Verarbeitenden Gewerbes zur Veränderung der Investitionen im Verarbeitenden Gewerbe in Prozentpunkten

Heli Simola, BOFIT Blog: Military dominance increases imbalances in the Russian economy, 07.05.24

Heli Simolas Fazit: Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es, dass sich Russlands Investitionspolitik weiterhin in erster Linie auf die Sicherung der künftigen Produktionskapazitäten und der Transportinfrastruktur für das Militär konzentriert. Andere Investitionen bleiben „weiterhin in der Flaute”.

Die Konzentration auf die Entwicklung der „Kriegsindustrien”  hat Ungleichgewichte in der russischen Wirtschaft verschärft. Das wird vor allem in konsumnahen Wirtschaftsbereichen spürbar. Ihr Wachstum wird verhindert, weil Kriegsindustrien ihnen Ressourcen entziehen. Die Orientierung der Staatsausgaben, der Produktion und der Investitionen auf militärische Zwecke schaden der Entwicklung des Wachstumapotenzials und der Lebensbedingungen in Russland.

Unterschiedliche Schätzungen zur aktuellen Produktionsentwicklung im März

Erste Schätzungen und Berechnungen, wie sich die Produktion der russischen Wirtschaft im März im Vergleich zum Februar entwickelt hat, kommen zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen. Das zeigt ein Vergleich der Berichte von BOFIT und des Forschungsinstituts der staatlichen Wneschekonombank (Bank für Außenwirtschaft). Zu berücksichtigen sind dabei die unterschiedlichen Berechnungsmethoden. Die BOFIT-Daten sind saisonbereinigt, die VEB-Daten saison- und kalenderbereinigt.

Die Produktion sank im März in vielen Wirtschaftsbereichen saisonbereinigt

Laut „BOFIT Weekly” wuchs die Produktion der meisten Bereiche der russischen Wirtschaft im März 2024 im Vergleich zum Vorjahresmonat zwar weiterhin, allerdings langsamer. Im Vergleich zum Vormonat Februar ist die Produktion der russischen Wirtschaft im März 2024 nach Angaben von BOFIT jedoch in fast allen „Kernbereichen” saisonbereinigt leicht gesunken.

In der folgenden Abbildung hat BOFIT dazu die Entwicklung der Indizes der Produktionsentwicklung im Einzelhandel (Retail trade), im Bereich der privaten Dienstleistungen (Services), in der Bauwirtschaft (Construction), im Bereich “Bergbau, Förderung von Rohstoffen (Mining and Quarrying) sowie im „Verarbeitenden Gewerbe” (Manufacturing) dargestellt. Dazu stellt das Institut fest:

Vor allem die Produktion der Bauwirtschaft, die bisher kräftig gestiegen ist, sank im März deutlich (obere dunkelblaue Linie). Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg sie nur noch um rund 2 Prozent. Das war der langsamste Anstieg der Bauproduktion seit 2 Jahren.

Auch im „Verarbeitenden Gewerbe” sank das Wachstum der Produktion im März im Vergleich zum März 2023 auf 6 Prozent (rote Linie). Damit war das “Verarbeitende Gewerbe” aber der einzige „Kernbereich” der russischen Wirtschaft, der auch im Vergleich zum Vormonat Februar 2024 noch einen Anstieg der Produktion verzeichnete. Das Wachstum des „Verarbeitenden Gewerbes” wurde im März weiterhin vor allem von den sogenannten „kriegsnahen” Branchen angetrieben.

Die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen” stagnierte im März 2024 fast auf dem Vorjahresniveau (untere, schwarze Linie).

Die Produktion sank im März saisonbereinigt in allen “Kernbereichen” der Wirtschaft mit Ausnahme des “Verarbeitenden Gewerbes”

Index: Jahresdurchschnitt 2018=100

BOFIT Weekly: The Russian economy cooled down in March, the latest forecasts expect 2–3% GDP growth for this year, 08.05.24

Konsumnahe Branchen entwickelten sich im März vergleichsweise günstig

Zur Entwicklung im Einzelhandel und im Bereich der privaten Dienstleistungen lässt die Abbildung erkennen:

Der reale Umsatz im Einzelhandel (hellblaue Linie) wuchs im März 2024 im Vergleich zum Vorjahresmonat zwar noch stark (+ rund 11 Prozent). Das Wachstum spiegelt das im März 2023 noch tief gedrückte Niveau des realen Umsatzes im Einzelhandel. Im Vergleich zum Vormonat Februar hat der reale Umsatz im Einzelhandel im März aber stagniert.

Der reale Umsatz mit privaten Dienstleistungen ist zwar seit dem Jahresende 2023 weiter gestiegen. Im März sank er jedoch gegenüber dem Vormonat (grüne Linie).

VEB-Institut schätzt die Produktionsentwicklung deutlich anders ein als BOFIT

Auch das Forschungsinstitut der russischen Wneschekonombank (Bank für Außenwirtschaft) führte erste Berechnungen zur Entwicklung der Produktion in wichtigen Bereichen der russischen Wirtschaft durch – mit deutlich anderen Ergebnissen als BOFIT.

Im Gegensatz zu BOFIT ermittelte das VEB-Institut zum Beispiel für die Entwicklung der Produktion im Dienstleistungsbereich im März einen Anstieg gegenüber Februar (Bericht vom 03.05.) Die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen” stieg laut dem VEB-Institut im März gegenüber Februar, während die BOFIT-Abbildung einen Rückgang zeigt. Die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ sank hingegen laut den Schätzungen des VEB-Instituts im März gegenüber dem Vormonat (Bericht vom 26.04.)

VEB-Schätzung: Das reale BIP stieg im März gegenüber Februar

Das VEB-Institut gab auch eine erste Schätzung zur saison- und kalenderbereinigten Entwicklung  der gesamtwirtschaftlichen Produktion ab (Bericht vom 03.05.). Danach stieg das reale Bruttoinlandsprodukt im März gegenüber Februar um 0,4 Prozent. Russlands Wirtschaftsministerium veranschlagte den saison- und kalenderbereinigten Anstieg gegenüber Februar hingegen nur auf 0,1 Prozent (Finmarket.ru).

Index des realen Bruttoinlandsprodukts (Jan. 2014 = 100)

Wneschekonombank-Institut: World Economy and Marktets Review; 03.05.24

Konjunkturdaten für März 2024 und das erste Vierteljahr 2024

Nach ersten Angaben des Wirtschaftsministeriums war das reale Bruttoinlandsprodukt im März 2024 nur noch 4,2 Prozent höher als vor einem Jahr (Finmarket.ru). Im Februar war es im Vergleich zum Vorjahresmonat noch um 7,6 Prozent gestiegen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass es im Februar mehr und im März weniger Arbeitstage als im Vorjahr gab.

Im ersten Quartal 2024 war das reale BIP laut dem Ministerium 5,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor.

Olga Belenkaya, Chef-Volkswirtin des Finanzinstituts Finam, stellte in einer ausfürhrlichen Analyse zusammen, wie sich wichtige Rosstat-Konjunkturdaten im März 2024 und im  ersten Vierteljahr 2024 im Vorjahresvergleich entwickelt haben.

Die folgende Tabelle zeigt, dass Russlands Industrieproduktion im ersten Vierteljahr 2024 insgesamt um 5,6 Prozent höher war als vor einem Jahr. Das Verarbeitende Gewerbe wuchs dabei besonders stark um 8,8 Prozent.

Der reale Einzelhandelsumsatz war im ersten Vierteljahr 10,5 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Der Umsatz mit Nicht-Lebensmitteln stieg überdurchschnittlich stark um 13,2 Prozent.

Basis für die kräftigen Zuwächse im Konsumbereich war der Anstieg der real verfügbaren Einkommen der privaten Verbraucher um 5,8 Prozent im ersten Quartal.

Indikatoren für das Wachstum der russischen Wirtschaft im Vorjahresvergleich

Quelle: Olga Belenkaya, Finam.ru: Economy of the Russian Federation – results of the 1st quarter of 2024 and revision of the macro forecast, 02.05.24

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

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