Immer wahrscheinlicher: Russlands Wirtschaft wächst 2024 um rund 3 Prozent

Fast alle Experten erwarten zwar weiterhin, dass die russische Wirtschaft 2024 nicht mehr so schnell wachsen wird wie 2023. Etliche Prognosen wichtiger Beobachter nähern sich aber inzwischen dem im letzten Jahr erreichten Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent.

So hat der Internationale Währungsfonds seine Prognose für Russlands diesjähriges Wirtschaftswachstum bereits Mitte April von 2,6 auf 3,2 Prozent angehoben. Es folgten weitere kräftige Aufwärtsrevisionen, unter anderem der Prognosen des „Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, WIIW“, der russischen Regierung, der russischen Zentralbank und der OECD.

Anfang Mai veröffentlichte Ergebnisse von Analysten-Umfragen zeigen, dass inzwischen auch die Wachstumserwartungen in Banken und Forschungsinstituten für 2024 weiter gestiegen sind, auf durchschnittlich 2,5 Prozent in einer Izvestia-Umfrage  und sogar auf 2,9 Prozent in einer Reuters-Umfrage.

Präsident Putin wies in einer Video-Konferenz mit Regierungsmitgliedern am 27. April darauf hin, dass die Produktion der russischen Wirtschaft im Januar-Februar rund 6 Prozent höher als ein Jahr zuvor gewesen sei. Viele Experten sagten voraus, dass die russische Wirtschaft 2024 um über drei Prozent wachsen könne, meinte Putin (Redetext, engl., Kremlin.ru; Interfax.com). Im ersten Quartal 2024 war das reale Bruttoinlandsprodukt nach ersten Angaben des Wirtschaftsministeriums im Jahresvergleich 5,4 Prozent höher (Finam.ru-Bericht).

Russische Regierung und WIIW erwarten jetzt 2,8 Prozent Wachstum für 2024

Am 23. April veröffentlichte Russlands Wirtschaftsministerium seine neuen Prognosen für die sozio-ökonomische Entwicklung der russischen Wirtschaft als Basis für die weitere Haushaltsplanung. Seine bisherige Wachstumsprognose für 2024 hob das Ministerium von 2,3 Prozent auf 2,8 Prozent an (RBC.ru, Reuters).

Auch das auf die Analyse der Konjunkturentwicklung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa spezialisierte „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, WIIW“ veröffentlichte am 23. April neue Prognosen für das Wachstum der russischen Wirtschaft. Sie decken sich fast vollständig mit den Erwartungen der Regierung. Seine Wachstumsprognose für 2024 hob auch das WIIW auf 2,8 Prozent an, nachdem es Ende Januar noch lediglich einen Anstieg von 1,5 Prozent erwartet hatte.

Wie tief sinkt das Wachstum ab 2025?

In den beiden nächsten Jahren rechnet die Regierung mit einem Wachstum von jeweils 2,3 Prozent. Das WIIW erwartet für 2025 mit 2,5 Prozent ein noch etwas stärkeres Wachstum. 2026 rechnet das Institut dann auch mit einem weiteren Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion von 2,3 Prozent.

Mehr als 2 Prozent Wachstum der russischen Wirtschaft halten in den Jahren 2025 und 2026 aber nur wenige Analysten für wahrscheinlich. Viele Experten, vor allem außerhalb Russlands, rechnen ab 2025 mit einer weiteren deutlichen Abschwächung des Wachstums. Etliche prognostizieren dann sogar wie die Weltbank nur noch rund 1 Prozent Wachstum in Russland, so zum Beispiel auch das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank Ende März.

Reuters-Umfrage lässt 2024 jetzt 2,9 Prozent Wachstum erwarten

Viele Banken und Forschungsinstitute, auch in Russland, gingen bis in den April hinein noch von einer deutlich schwächeren Entwicklung der russischen Wirtschaft aus als die russische Regierung jetzt prognostiziert. Sie erwarteten oft schon im laufenden Jahr einen Rückgang des Wirtschaftswachstums auf rund 2 Prozent. So stieg der Mittelwert der Wachstumsprognosen für 2024 bei der Mitte April veröffentlichten Analysten-Umfrage der Zentralbank nur von 1,8 auf 2,1 Prozent.

Angesichts der stark erhöhten Wachstumserwartungen des IWF, der russischen Regierung und der Zentralbank hoben aber offenbar viele Analysten in Banken und Forschungsinstituten noch im April ihre Prognosen für das Wachstum der russischen Wirtschaft deutlich an.

Das signalisieren vor allem die Ergebnisse der monatlichen Reuters-Umfrage. Ende März hatten die von Reuters befragten Analysten im Durchschnitt noch mit einer Halbierung des Wachstums der russischen Wirtschaft von 3,6 Prozent im Jahr 2023 auf 1,7 Prozent im Jahr 2024 gerechnet. Einen Monat später ergab die Reuters-Umfrage, dass nur noch ein Rückgang des Wachstums auf 2,9 Prozent erwartet wird. Damit rechnen die 17 Teilnehmer der Reuters-Umfrage jetzt im Durchschnitt für 2024 sogar mit etwas mehr Wachstum als die russische Regierung (+ 2,8 Prozent).

BIP-Prognosen 2024 bis 2026

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Die russische Zentralbank verdoppelte jetzt ihre Wachstumsprognose für 2024

 Bisher erwartete auch die russische Zentralbank, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft schon 2024 deutlich abkühlt. Sie prognostizierte Mitte Februar, der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts werde im laufenden Jahr von 3,6 Prozent auf nur noch 1,0 bis 2,0 Prozent sinken.

Diese „Prognose-Spanne“ verschob die Zentralbank in ihrer neuen „mittelfristigen Prognose“ am 26. April überraschend stark nach oben. Sie erwartet jetzt, dass Russlands Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 noch zwischen 2,5 und 3,5 Prozent erreichen wird (siehe folgende Tabelle, vierte Zeile). Der Mittelwert der Prognose-Spanne der Zentralbank ist mit 3,0 Prozent jetzt doppelt so hoch wie bisher. Er übertrifft sogar die neuen Wachstumsprognosen der russischen Regierung und des WIIW für 2024 etwas (jeweils + 2,8 Prozent).

Privater Verbrauch und Investitionen stiegen im ersten Quartal unerwartet stark

Zur kräftigen Anhebung ihrer Wachstumsprognose merkt die Zentralbank in der Pressemitteilung zum Leitzinsentscheid an, dass die russische Wirtschaft im ersten Quartal 2024 merklich schneller als erwartet gewachsen sei. Die Konsumnachfrage bleibe angesichts des deutlichen Anstiegs der Einkommen und der positiven Stimmung der Verbraucher hoch. Befragungen von Unternehmen zeigten, dass auch die Investitionsnachfrage stark bleibe.

Mittelfristige Prognose der russischen Zentralbank vom 26. April 2024 (Auszug)

Zentralbank: Mid-term forecast, 26.04.24

 Für das Gesamtjahr 2024 erwartet die Zentralbank laut obiger Tabelle aber, dass sich das Wachstum des Verbrauchs der privaten Haushalte („final consumption expenditures households“) im Vergleich mit dem Anstieg im Jahr 2023 etwa halbiert. Es werde nur noch 2,5 bis 3,5 Prozent erreichen (2023: + 6,5 Prozent).

Der Anstieg der Brutto-Anlageinvestitionen („gross fixed capital formation“) werde sich noch stärker abschwächen. Er werde auf 3,0 bis 5,0 Prozent fallen (2023: + 8,8 Prozent).

Die Zentralbank geht davon aus, dass das gesamtwirtschaftliche Wachstum 2024 von der außenwirtschaftlichen Entwicklung gebremst wird. Die Importe dürften stärker steigen als die Exporte.

Der Leitzins wird 2024 bei anhaltend hoher Inflation nur wenig gesenkt werden

Auch angesichts ihrer höheren Wachstumserwartung für 2024 hielt die Zentralbank am 26. April an ihrem Leitzins von 16 Prozent fest. Sie geht jetzt davon aus (siehe dritte Zeile der obigen Tabelle), dass die „Key rate“ im Jahresdurchschnitt 2024 noch 15 bis 16 Prozent betragen wird (im restlichen Jahresverlauf 2024 ab dem 27. April 14,5 bis 16 Prozent).

Leitzins der russischen Zentralbank in Prozent pro Jahr und Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr in Prozent

bne Intellinews: Russia’s CBR maintains key rate at 16%, 26.04.24

Mit ihrer „Hochzinspolitik“ will die Zentralbank die Inflation senken. In der dritten April-Woche war die jährliche Teuerungsrate mit 7,8 Prozent fast doppelt so hoch wie von der Zentralbank angestrebt wird (siehe Wochenbericht des VEB-Instituts, Seite 7) .

Die Zentralbank erwartet jetzt, dass die angestrebte jährliche Inflationsrate von 4,0 Prozent erst im Dezember des nächsten Jahres erreicht wird. Im Dezember 2024 wird die Teuerungsrate laut der obigen Tabelle der Zentralbank voraussichtlich noch 4,3 bis 4,8 Prozent betragen. Im Jahresdurchschnitt wird der Index der Verbraucherpreise 2024 nach Einschätzung der Zentralbank im Vorjahresvergleich um 6,2 bis 6,4 Prozent steigen, noch etwas stärker als 2023 (+ 5,9%) .

Die Senkung des Leitzinses beginnt voraussichtlich im zweiten Halbjahr

Olga Belenkaya, Chefvolkswirtin des Finanzinstituts Finam, meint in ihrer Analyse der Leitzinsberatungen, die Zentralbank gehe in ihrem neuen „Basisszenario“ davon aus, dass das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr stärker sei als beim letzten Leitzinsentscheid im Februar angenommen wurde. Gleichzeitig sei der Rückgang der Inflation langsamer als bisher erwartet worden sei.

Die Zentralbank erwarte aber, dass die „Überhitzung“ der Wirtschaft ab dem zweiten Quartal nachlasse und der bisherige Anstieg des Leitzinses ausreiche, um die Inflationsrate bis zum Jahresende in die Nähe der Zielmarke von 4,0 Prozent sinken zu lassen. Bei dieser Entwicklung sei anzunehmen, dass die Senkung des Leitzinses im zweiten Halbjahr 2024 beginnen werde. Wenn der Rückgang der Inflationsrate aber zu schwach sei, schließe die Zentralbank nicht aus, dass der Leitzins bis zum Jahresende nicht gesenkt wird.

2025 erwartet die Zentralbank weniger Wachstum als die Regierung

2025 wird Russlands Wirtschaftswachstum nach Einschätzung der Zentralbank  vorübergehend auf nur noch 1,0 bis 2,0 Prozent sinken. Im nächsten Jahr erwartet sie damit weniger Wachstum als die Regierung (+ 2,3 Prozent) und das WIIW (+ 2,5 Prozent).

2026 geht die Zentralbank dann von einer Beschleunigung des Wachstumstempos auf 1,5 bis 2,5 Prozent aus. Innerhalb dieser Prognose-Spanne liegen auch die derzeitigen  Wachstumserwartungen der Regierung (+ 2,3 Prozent) und des WIIW (+ 2,3 Prozent) für 2026.

Einen ähnlichen Wachstumsverlauf wie die Zentralbank erwaret das Moskauer „Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognosen“ (CMASF). Ende März hatte es für 2024 noch mit einem Produktionsanstieg von 1,8 bis 2,1 Prozent gerechnet. In der am 27. April aktualisierten Prognose erwartet es jetzt ein BIP-Wachstum von 3,0 bis 3,2 Prozent im laufenden Jahr. Im nächsten Jahr wird das Wachstum laut CMASF um rund einen Prozentpunkt sinken.

Die Kriegsausgaben lassen Russlands Wirtschaft boomen

Das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, WIIW“ verdoppelte in seiner „Frühjahrsprognose“ für die Konjunkturentwicklung in den Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft fast. Während es Ende Januar in Russland für 2024 nur mit einem Wachstum von 1,5 Prozent rechnete, erwartet es jetzt einen Produktionsanstieg von 2,8 Prozent. Seine Wachstumsprognose für 2025 hob das Institut von 1,7 Prozent auf 2,5 Prozent an.

Dazu heißt es in der WIIW-Pressemiteilung, die russische Wirtschaft boome aufgrund der hohen staatlichen Ausgaben für den Krieg. Auch der akute Arbeitskräftemangel, Kapazitätsengpässe und rekordhohe Realzinsen von rund 8% täten dem Boom bisher keinen Abbruch.

Die hohen Zinsen werden Russlands Wachstum und Inflation „einbremsen“

Vasily Astrov, Russland-Experte des WIIW, von dem Mitte März eine ausführliche Analyse zum „Boom“ der russischen Wirtschaft in „Makroskop“ veröffentlicht wurde, meint laut der Pressemitteilung aber, auf längere Sicht würden die hohen Zinsen wirken:

„Fachkräftemangel und Kriegskeynesianismus ließen die Reallöhne im vergangenen Jahr um fast 8% steigen, was den privaten Konsum um 6,5% anziehen ließ. Diese Entwicklung könnte noch einige Zeit so weiter gehen. Die hohen Zinsen dürften den Wirtschaftsboom und damit die Inflation aber einbremsen.“

Das WIIW prognostiziert, dass sich Russlands Wachstum nur langsam abschwächt. 2025 werde es noch 2,5 Prozent und 2026 2,3 Prozent erreichen.

Der Anstieg der Verbraucherpreise werde im Jahresdurchschnitt 2024 mit 7,2 Prozent noch höher sein als 2023 (+ 5,9 Prozent). Erst im nächsten Jahr werde sich die Inflationsrate mit einem Anstieg von 4,5 Prozent dem Ziel der Zentralbank von 4,0 Prozent nähern.

WIIW: Country Overview Russia

WIIW: Country Overview Russia

WIIW: Das Haushaltsdefizit sinkt 2024 auf 1,7 Prozent des BIP

Trotz der hohen Militärausgaben und des Rückgangs der Einnahmen aus dem Export fossiler Energieträger im letzten Jahr bleibt nach Einschätzung des WIIW der Ausblick für die Entwicklung des russischen Staatshaushalts „durchwegs positiv“. Die Steuereinnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft und auch in den meisten anderen Bereichen hätten im ersten Quartal 2024 „gesprudelt“. Die Finanzierung der Kriegsausgaben sei gesichert. Das erwartet auch die „Kyiv School of Economics“ in der April-Ausgabe ihres „Russia Chartbook“.

Das 2023 auf 2,3 Prozent des BIP gestiegene Haushaltsdefizit wird laut der WIIW-Prognose im Jahr 2024 auf 1,7 Prozent des BIP sinken und 2026 nur noch 1,0 Prozent des BIP betragen.

Russlands Wachstumstempo fällt im Osteuropa-Vergleich zurück

Anders als in Russland erwartet das WIIW in der Ukraine und fast allen anderen Stasten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa in den Jahren 2025 und 2026 eine leichte Beschleunigung des Wirtschaftswachstums. Deswegen dürfte das Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2026 mit 2,3 Prozent laut WIIW merklich schwächer sein als in vielen der übrigen Staaten, die in der folgenden Abbildung genannt werden.

Die Presse: WIIW-Prognose. Russland wird das Geld für den Ukraine-Krieg nicht ausgehen; 24.04.24

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

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