Russlands Wachstumshoffnung auf der Achterbahn der Statistik

Nach schwachem Auftakt kam starker April – Gründe liegen in der Statistik

Vor rund einer Woche gab es schlechte Nachrichten zum Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Russland. Am Mittwoch überraschte der kräftige Anstieg der Industrieproduktion im April hingegen positiv.

Russlands Wirtschaftsministerium erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um rund einen Prozentpunkt auf 1,3 Prozent abschwächt. Vor etwa einer Woche erhielten Hoffnungen, dass das Wachstum in diesem Jahr doch höher ausfallen könnte, einen argen Dämpfer. Nach Schätzung der Statistikbehörde Rosstat war das Bruttoinlandsprodukt in den ersten drei Monaten nur 0,5 Prozent höher als vor einem Jahr. Ein denkbar schwacher Start in das Jahr 2019.

Analysten hatten in einer Bloomberg-Umfrage hingegen mit 1,2 Prozent gerechnet. In einem Zentralbank-Bericht war sogar ein Wachstum von 1 bis 1,5 Prozent als Prognose für das erste Quartal genannt worden. Selbst die sehr vorsichtige Prognose von Russlands Wirtschaftsministerium, das den Anstieg Mitte April auf 0,8 Prozent veranschlagt hatte, wurde mit nur 0,5 Prozent unterschritten.

Gesamtwirtschaft wuchs im ersten Quartal nur um 0,5 Prozent

In einer Presseerklärung zur Wachstumsschätzung von Rosstat meinte das Wirtschaftsministerium, die Rosstat-Schätzung sei „etwas niedriger“ als die eigene. Eine Abschwächung des Wachstums sei schließlich erwartet worden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer habe die inländische Nachfrage geschwächt. Die Kreditaufnahme der Unternehmen wachse weiterhin nur langsam und die Aufnahme von Hypotheken schwäche sich etwas ab. Auch das bringe die Binnennachfrage unter Druck. Die „allgemeine Nachfrageschwäche“ werde auch durch den raschen Rückgang der Inflationsrate bestätigt, hieß es in der Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums.

Die gestern von Rosstat verkündeten Zahlen zur Industrieproduktion überraschten hingegen auf den ersten Blick positiv. Im April wurden in vielen Industriebranchen deutlich höhere Wachstumsraten im Vergleich zum Vorjahr erreicht als im ersten Quartal.

Anstieg der Industrieproduktion weckt neue Hoffnungen

Ein gestern veröffentlichter Bericht des Wirtschaftsministeriums zu den neuen Rosstat-Zahlen stellte das beschleunigte Wachstum der gesamten Industrieproduktion und ihrer von Rosstat erfassten 4 Hauptbereiche in der folgenden Abbildung heraus.

Sie zeigt: Die gesamte Industrieproduktion war im April 4,9* Prozent höher als vor einem Jahr (helle Säule), während zuvor im ersten Quartal (dunkle Säule) nur ein Anstieg um 2,1 Prozent erreicht wurde.

Vergleich des Wachstums der Industrieproduktion im April und im ersten Quartal 2019

Hellblaue Säulen: April 2019/April 2018 in Prozent
Dunkelblaue Säulen: Januar-März 2019/Januar–März 2018 in Prozent

Beschleunigtes Wachstum der Industrieproduktion im April
Industrieproduktion insgesamt:
4-19/4-18:         + 4,9%
Q1-19/Q1-18:     + 2,1%
Wasserversorgung, Entsorgungsbetriebe:
4-19/4-18:         + 7,4%
Q1-19/Q1-18:     + 0,9%
Bergbau, Förderung fossiler Rohstoffe:
4-19/4-18:         +6,0%
Q1-19/Q1-18:     + 4,7%
Verarbeitendes Gewerbe:
4-19/4-18:         + 4,7%
Q1-19/Q1-18:     + 1,3%
Energieversorgungs-, Verkehrsbetriebe:
4-19/4-18:         + 1,0%
Q1-19/Q1-18:     – 1,5%

Quelle: Wirtschaftsministerium:
Industrieproduktion, Mai 2019; 22.05.2019

Auch das „Verarbeitende Gewerbe“ erhöhte seine Produktion im April kräftig (+ 4,7 Prozent). Noch stärker stieg jedoch weiterhin die Produktion im Bereich „Bergbau/Förderung fossiler Rohstoffe“ (+ 6,0 Prozent).

In den ersten vier Monaten 2019 war die Industrieproduktion insgesamt 2,8 Prozent höher als vor einem Jahr (Verarbeitendes Gewerbe: +2,3 Prozent; Bergbau/Förderung fossiler Rohstoffe: +5,1 Prozent). Die gesamte Industrieproduktion stieg damit fast ebenso stark wie im gesamten Jahr 2018 (+2,9 Prozent).

Abschließend heißt es im Bericht des Wirtschaftsministeriums: „Die Beschleunigung des Wachstums der Industrieproduktion im April weist auf einen Anstieg der Wirtschaftsaktivität im Vergleich mit den schwachen Ergebnissen des ersten Quartals hin.“

Ein zusätzlicher Arbeitstag trieb das Wachstum im April

Allzu große Hoffnungen darf man sich aufgrund der von Monat zu Monat stark schwankenden Industrieproduktion aber wohl nicht machen. Man muss vor allem berücksichtigen, dass es im April in diesem Jahr einen Arbeitstag mehr gab als im letzten Jahr (was das Wirtschaftsministerium auch erwähnt).

Dmitry Dolgin, Russland-Chefvolkswirt der ING, meint in seinem Kommentar zu den April-Ergebnissen, dass das Wachstum der Industrieproduktion im April um 4,9* Prozent etwa zur Hälfte (zu 2 bis 2,5 Prozentpunkten) „statistischen Effekten“ wie dem zusätzlichen Arbeitstag, zu verdanken sei. Wenn man das berücksichtige, sei das Wachstum im April nur wenig höher gewesen als im ersten Quartal (2,1 Prozent).

Da es im Mai 2019 zwei Arbeitstage weniger und im Juni einen Arbeitstag weniger als im Vorjahr gibt, rechnet Dolgin damit, dass die monatliche Wachstumsrate der Industrieproduktion in nächster Zeit wieder in den Bereich von 0 bis 1 Prozent zurückfallen wird. Im weiteren Jahresverlauf könne die Industrieproduktion jedoch Impulse von der Umsetzung der „Nationalen Projekte“ erhalten. Im ersten Quartal seien erst 13 Prozent der im Budget 2019 dafür vorgesehenen Mittel ausgegeben worden.

*Erst nach  Veröffentlichung dieses Berichts wurde uns bekannt, dass Rosstat den Anstieg der Industrieproduktion im April offenbar von 4,9 Prozent auf 4,6 Prozent nach unten korrigiert hat. Vgl. rbc.ru

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Alex Saluk / Shutterstock.com
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Quellen und Lesetipps:

Konjunkturberichte von Ministerien, Zentralbank, Rosstat… (mit Medienberichten):

Berichte zum Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2019:

Berichte zur Preisentwicklung im April:

Kalender für Veröffentlichung neuer russischer Konjunkturdaten:

Konjunkturberichte internationaler Wirtschaftsorganisationen (EU, Weltbank, IWF…):

Sonstige meist monatliche oder vierteljährliche Konjunkturberichte

Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften:

Sonstige Berichte und Analysen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann: