Alfa Bank: Einige Trends trüben das Vertrauen der Investoren

Alfa Bank: Einige Trends trüben das Vertrauen der Investoren

Russlands Binnenwirtschaft verzeichnet trotz leichtem Zustrom von ausländischem Kapital nach Russland bedenkliche Trends. Die Stimmung der Privathaushalte ist seit 2018 getrübt.

Jeden Monat berechnet die Alfa Bank, die größte russische Privatbank, einen Index zur Entwicklung des Investoren-Vertrauens („Investor Confidence Index, AB-ICI“). Er stieg zwar seit Jahresbeginn weiter an, im März um 0,1 Prozentpunkte und im gesamten ersten Quartal um 0,5 Prozentpunkte. Getragen wurde der Anstieg nach Meinung der Alfa Bank allerdings hauptsächlich von außenwirtschaftlichen Entwicklungen. So seien die Sanktionsrisiken für Russland niedriger veranschlagt und andere „Emerging Markets“ stabiler eingeschätzt worden. Damit habe sich der Zustrom von ausländischem Kapital nach Russland verstärkt und vor allem die Lage auf dem russischen Anleihemarkt verbessert.

In ihrem Kommentar zur Entwicklung des AB-ICI weisen Natalia Orlova und Natalia Lavrova auf einige bedenkliche binnenwirtschaftliche Trends in Russland hin:

  • Der reale Einzelhandelsumsatz und die real verfügbaren Einkommen entwickeln sich gegenläufig.
  • Die Entwicklung der Industrieproduktion und der Warenausfuhr ist zunehmend vom Rohstoff-Sektor abhängig.
  • Die föderale Haushaltspolitik verfolgt einen restriktiven Kurs.

Diese Trends verhinderten nach Einschätzung der Analystinnen einen stärkeren Anstieg des Investoren-Vertrauens im ersten Quartal und dürften auch einem weiteren Anstieg entgegenwirken.

Der Einzelhandelsumsatz stieg zwar, aber nicht dank höherer Einkommen

Der reale Einzelhandelsumsatz war im ersten Quartal 1,8 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Hinter diesem Anstieg standen aber keine real steigenden Einkommen. Das real verfügbare Einkommen der privaten Haushalte war sogar 2,4 Prozent niedriger als im ersten Quartal 2018. Das war der stärkste Rückgang in den letzten zwei Jahren. Die Reallöhne waren nur 0,4 Prozent höher als vor einem Jahr.

Möglich war der Anstieg des Einzelhandelsumsatzes nur durch eine zunehmende Kreditaufnahme der Verbraucher – eine „ungesunde“ Entwicklung nach Meinung der Alfa-Analystinnen.

Real verfügbare Einkommen sind rund 9 Prozent niedriger als vor fünf Jahren

Zur langfristigen Entwicklung der real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte twitterte Likka Korhonen, Leiter des Forschungsinstituts BOFIT der finnischen Zentralbank, die folgende Abbildung, nachdem Rosstat dazu neue Berechnungen vorgelegt hatte.

Einem fast kontinuierlichen Anstieg der Einkommen in den Jahren 2000 bis 2014, der selbst in der Weltfinanzkrise 2008/2009 nur kurz aufgehalten wurde, steht in den letzten 5 Jahren ein anhaltender Rückgang gegenüber. Im Vergleich zum ersten Quartal 2014 waren die Realeinkommen im ersten Quartal 2019 rund 9 Prozent niedriger.

Entwicklung der real verfügbaren Einkommen;
Basisjahr 2000 = 100

Quelle: Likka Korhonen: Twitter-Meldung, 25.04.2019; Chart-Adresse

Korhonens Kommentar: „.. households have taken a huge hit in an effort to maintain stability of e.g. state finances“ (Die privaten Haushalt wurden hart getroffen bei den Anstrengungen der Regierung, die Stabilität zu wahren, zum Beispiel bei den Staatsfinanzen).

Angesichts der sinkenden Realeinkommen ist verständlich, dass sich die ohnehin schlechte Stimmung der Verbraucher im Verlauf des Jahres 2018 deutlich eintrübte. Obwohl sie sich zuletzt etwas erholte, war sie im ersten Quartal 2019 deutlich schlechter als ein Jahr zuvor. Die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe (Business survey, manufacturing; blaue Linie) hielt sich hingegen ziemlich stabil auf dem Anfang 2018 erreichten Niveau. Das zeigt die folgende Abbildung von Likka Korhonen:

Indikatoren für das Vertrauen von Unternehmen und Verbrauchern
Unternehmer-Umfrage im Verarbeitenden Gewerbe; Verbraucher-Umfrage

Quelle: Likka Korhonen: Twitter-Meldung vom 04.05.2019; Chart

Die Industrieproduktion wuchs, aber vor allem im Rohstoff-Sektor

Vom Ziel einer stärkeren Diversifizierung der Produktionsstruktur mit einer Verringerung der Abhängigkeit vom Rohstoff-Bereich hat sich die russische Wirtschaft zuletzt wieder entfernt. Im ersten Quartal 2019 war die Zunahme der Förderung von Rohstoffen (+ 4,7 Prozent) nämlich gut doppelt so hoch wie der Anstieg der gesamten Industrieproduktion (+ 2,1 Prozent). Der Zuwachs der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe blieb mit 1,3 Prozent hingegen deutlich unter dem Anstieg der gesamten Industrieproduktion.

Die föderalen Ausgaben wurden erhöht, aber nur halb so stark wie die Einnahmen stiegen

Auch in der anhaltenden „Konsolidierungspolitik“ der Regierung im Bereich der staatlichen Haushalte sehen die Analystinnen der Alfa Bank Entwicklungen, die das Vertrauen der Investoren belasten.

Die Konsolidierungspolitik, die 2015 hauptsächlich mit Kürzungen der Ausgaben begonnen habe, richtet sich nach Darstellung der Alfa Bank inzwischen vor allem auf eine Steigerung der Einnahmen. So stiegen die föderalen Einnahmen im ersten Quartal 2019 kräftig um 17 Prozent. Die föderalen Ausgaben wurden hingegen nur etwa halb so stark um 8,4 Prozent erhöht.

Regierung plant aber eine Lockerung der Konsolidierungspolitik:
2019 soll sich der Budgetüberschuss im Gesamthaushalt fast halbieren

Im Gegensatz zu den Trends im ersten Quartal plant die Regierung für den russischen Gesamthaushalt aber für 2019, dass sich der Überschuss fast halbiert und auf 1,5 Prozent des BIP sinkt. Das berichtete BOFIT Anfang Mai. Im nächsten Jahr ist ein weiterer Rückgang des Überschusses auf rund 1 Prozent des BIP geplant. Das Finanzministerium geht dabei davon aus, dass 2019 der BIP-Anteil der Einnahmen (Revenues) etwa stagniert, während der Anteil der Ausgaben am BIP auf knapp 35 Prozent steigt.

Einnahmen und Ausgaben im konsolidierten Gesamthaushalt 2011−2021

Quelle: BOFIT (Bank of Finland): Russian budget surplus expected to shrink in the next few years; BOFIT weekly, 03.05.2019

In der Haushaltsplanung wird angenommen, dass sich die staatlichen Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich, die 2018 kräftig gestiegen sind, 2019 spürbar verringern. Dabei wird wie im Herbst davon ausgegangen, dass der Urals-Ölpreis 2019 bei rund 63 Dollar/Barrel liegen wird. Die übrigen Einnahmen, die im letzten Jahr auch unerwartet stark zunahmen, sollen 2019 um 6 bis 7 Prozent wachsen.

Alfa Bank: „Nationale Projekte“ werden erst nach 2019 wachstumswirksam

Den Übergang zu einer expansiver ausgerichteten Haushaltspolitik durch eine Verwirklichung der sogenannten „Nationalen Projekte“ hat die Regierung nach Einschätzung der Alfa Bank zumindest vorläufig aufgeschoben. Orlova und Lavrova meinen, dass die Wirkung der „nationalen Projekte“ jedenfalls nicht früh genug einsetzen wird, um noch das Wachstum des Jahres 2019 zu erhöhen.

Zur Begründung verweisen sie in einer kürzlich veröffentlichten Studie darauf, dass erstens rund 60 Prozent der in diesem Jahr geplanten Ausgaben für „Nationale Projekte“ auf den Bereich der Infrastruktur-Investitionen entfielen. Ihre Wachstumswirkung werde sich nur mit zeitlicher Verzögerung zeigen.

Zweitens hinke im laufenden Jahr die Umsetzung der Projekte hinter dem Plan her.

Drittens leide Russland weiter unter der „Konsolidierungspolitik“ der Regierung. 2017 seien die realen Ausgaben im Föderationshaushalt um 3,5 Prozent verringert worden und 2018 um 1,1 Prozent.

„Nationale Projekte“ steigern in erster Linie nur das potenzielle Wachstum

Der wichtigste positive Aspekt der nationalen Projekte ist nach Ansicht der Analystinnen, dass mit ihnen das Wachstumspotenzial der russichen Wirtschaft von jetzt 0,7 Prozent auf 1,6 Prozent im Jahr 2024 erhöht werden könne. Russlands potenzielles Wachstum werde auch damit aber immer noch niedriger sein als das Potenzial der G7-Staaten (2,0 Prozent) und nur halb so hoch wie das von der russischen Regierung geplante Wachstum (3,0 Prozent).

Den direkten Wachstumseffekt der nationalen Projekte auf den Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion ab dem Jahr 2020 schätzen die Analystinnen auf wahrscheinlich nur 0,2 Prozentpunkte. Hinzu komme ein indirekter Effekt von bis zu 0,1 Prozentpunkten.

Quellen und Lesetipps

Berichte zur Haushaltspolitik, zu nationalen Projekten, zum Investorenvertrauen, zum Konsumklima und zur Einkommensentwicklung:

Konjunktur- und Länderberichte

Konjunktur im März 2019: Monatsbericht Wirtschaftsministerium; Rosstat-Monatsdaten: Sozio-ökonomische Lage im März, 18.04.2019; mit Analysten- und Presseberichten

Industrieproduktion im März 2019:

Sonstiges zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik: