Russlands Wirtschaft vor dem SPIEF 2018

Russlands Wirtschaft vor dem SPIEF 2018

Aktuelle Konjunkturdaten und -prognosen

Kurz vor dem Beginn des Internationalen Wirtschaftsforums in Sankt Petersburg veröffentlichte das russische Statistikamt Rosstat wichtige Wirtschaftsdaten für das erste Quartal und den Monat April:

  • Das reale Bruttoinlandsprodukt war nach Rosstat-Schätzung im ersten Quartal 1,3 Prozent höher als vor einem Jahr. Die Anlageinvestitionen stiegen dabei um 3,6 Prozent.
  • Die Industrieproduktion hat sich in den ersten vier Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,8 Prozent erhöht (Verarbeitendes Gewerbe: + 2,0 Prozent).
  • Der reale Einzelhandelsumsatz war von Januar bis April 2,2 Prozent höher als vor einem Jahr. Gestützt wird die Nachfrage der Verbraucher von einem realen Anstieg der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte um 2,3 Prozent (+ 3,8 Prozent wenn Anfang 2017 geleistete einmalige Sonderzahlungen an Rentner in den Vergleich nicht einbezogen werden).

Die Anfang April verschärften US-Sanktionen scheinen – abgesehen von kräftigen Ausschlägen des Rubelkurses –in der Realwirtschaft zumindest bisher noch keine tiefen Spuren hinterlassen zu haben.

Bleibt der Sanktionsschock aus den USA ziemlich folgenlos?

Daria Orlova (DekaBank) stellte Mitte Mai in ihrem Bericht zur Konjunkturentwicklung in Russland fest:

„Der erste Schock über die neuen US-Sanktionen im April scheint sich gelegt zu haben. Überraschenderweise haben sich die Sanktionen bislang weder in der Inflationsrate (April: 2,4% yoy, unverändert ggü. Vormonat) noch in den Stimmungsindikatoren bemerkbar gemacht. Sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungsbereich sind die Einkaufsmanagerindizes im April wieder angestiegen.“

Ganz folgenlos wird die Sanktionspolitik aber auch nach Meinung der DekaBank nicht bleiben:

„Die BIP-Prognose für 2018 haben wir leicht nach unten angepasst (1,5% statt zuvor 1,7%), um den Sanktionsauswirkungen und den leicht angestiegenen Finanzierungskosten Rechnung zu tragen.“

Diese Senkung um 0,2 Prozentpunkte entspricht dem Ergebnis der jüngsten Umfrage des Londoner Wirtschaftsmagazins „The Economist“, bei der die durchschnittliche Wachstumserwartung für 2018 von 1,9 Prozent auf 1,7 Prozent zurückging. Das Research-Unternehmen „FocusEconomics“ ermittelte bei seiner Umfrage einen Rückgang um 0,1 Prozentpunkte auf ebenfalls 1,7 Prozent.

In einer vom „Development Center“ der Moskauer „Higher School of Economics“ durchgeführten Befragung von 22 russischen und ausländischen Analysten, die am Dienstag veröffentlicht wurde, ergab sich sogar überhaupt kein Rückgang der durchschnittlichen Prognose für 2018. Sie beträgt weiterhin 1,7 Prozent. Diese Wachstumsrate erwartet auch weiterhin der Internationale Währungsfonds in seinem Mitte Mai veröffentlichten Wirtschaftsausblick für Europa.

Prognosen gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland (22. Mai 2018)

Schätzung des Bruttoinlandsprodukts, real gegenüber dem Vorjahr, angegeben in Prozent.
InstitutDatum201820192020
HSE-Umfrage (24.04.-04.05.2018)22.05.181,71,71,6
Macro Advisory, Chris Weafer; Moskau18.05.181,61,82,0
Commerzbank, Frankfurt18.05.181,31,7
Berenberg Bank, Hamburg18.05.181,91,9
Deka Bank, Frankfurt16.05.181,51,8
SEB, Stockholm16.05.181,82,2
Economist Intelligence Unit16.05.181,71,81,6
IWF, Regional Economic Outlook15.05.181,71,5
OPEC14.05.181,8
EBRD, London11.05.181,51,5
DIHK11.05.181,7
Economist-Umfrage10.05.181,71,8
FocusEconomics Consensus Forecast08.05.181,7

1,8
Helaba, Frankfurt07.05.181,81,7
EU Kommission03.05.181,71,6
Reuters-Umfrage28.04.181,7
Alfa Bank27.04.181,0
Nordea24.04.181,21,3
RIA Rating20.04.181,8
Gemeinschaftsdiagnose dt. Institute19.04.181,71,6
World Bank, Country Snapshot18.04.181,71,81,8
Russische Zentralbank;
Basisszenario
23.03.181,5 bis 2,0
Urals 61 $/b
1,5 bis 2,0
Urals 55 $/b
1,5 bis 2,0
Urals 50 $/b
Wirtschaftsministerium,
Basisszenario (Haushaltsgesetz)
27.10.172,1
Urals 43,8 $/b
2,2
Urals 41,6 $/b
2,3
Urals 42,4 $/b

Fast alle Prognosen für 2018 liegen in der Spanne von 1,5 bis 2 Prozent, die die russische Zentralbank in ihrem Basisszenario Ende März als Prognose für 2018 veröffentlichte.

Ändert Wirtschaftsminister Oreschkin seine Prognose?

Der alte und neue russische Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin wird wohl am Donnerstag auf dem SPIEF bei einem Panel zum Thema „Russian economy on the growth trajectory: challenges and solutions“ erklären, ob er bei seinen Prognosen von 2,1 Prozent im Jahr 2018 und 2,2 Prozent im Jahr 2019 bleiben will. Oreschkin diskutiert dort mit Finanzminister Siluanow, Zentralbankpräsidentin Nabiullina und dem früheren Finanzminister Kudrin, der jetzt Präsident des russischen Rechnungshofes wurde.

Ausländischer Gast bei diesem Panel ist IWF-Präsidentin Christine Lagarde. Zur Entwicklung der russischen Wirtschaft hat der IWF am 23. Mai einen vorläufigen Bericht seines Stabes nach den jährlichen Konsultationen mit der russischen Regierung veröffentlicht. Der IWF lobt zwar erneut die russische Finanz- und Geldpolitik. Er mahnt aber auch erneut strukturelle Reformen an. Der IWF begrüßt die Pläne der Regierung, die Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur zu erhöhen. Die Glaubwürdigkeit der bisherigen Konsolidierungspolitik mit der neuen Fiskalregel dürfe darunter aber nicht leiden.

In den Erläuterungen der SPIEF-Organisatoren zu diesem Panel heißt es, dank der „moderat festen“ Geld- und Fiskalpolitik, sei in Russland „makroökonomische Stabilität“ erreicht worden. Sie habe die Grundlage für eine qualitativ neue hoch leistungsfähige Wirtschaft geschaffen. Diskutiert werden soll, wie das Wirtschaftswachstum beschleunigt werden kann, welche strukturellen Reformen dafür erforderlich sind und welche Haushaltspolitik.

Wie notwendig diese Diskussion unverändert ist, zeigt die jüngste Umfrage der Higher School of Economics. Danach rechnen die Analysten nicht nur in diesem Jahr mit lediglich 1,7 Prozent Wachstum, sondern auch im Durchschnitt der nächsten sieben Jahre.

DekaBank: „Verhaltenes Wachstumspotenzial“ bei mangelndem Reformwillen

Das Vertrauen, dass die russische Regierung wachstumsfördernde Reformen realisieren wird, ist also offenbar bei vielen gering, auch bei Daria Orlova (DekaBank):

„Das Wachstumspotenzial ist in Russland wegen der demographischen Situation und der niedrigen Produktivitätssteigerungen, die auf geringe Investitionen zurückzuführen sind, mit ca. 1,5% verhalten.

Der zur Erhöhung des Potenzialwachstums dringend notwendige institutionelle Reformprozess wird durch den mangelnden Willen der Machthaber behindert. Die Zusammensetzung der neuen Regierung, die die vierte Amtszeit von Präsident Putin begleiten soll, deutet auf keinen neuen Kurs hin: Viele Minister wie auch Ministerpräsident Medwedjew bleiben in ihrem Amt.“

Hoffnungen, dass die kräftig gestiegenen Ölpreise das Wachstum anregen, dämpft Orlova:

„Der positive Konjunkturimpuls der gestiegenen Ölpreise ist aufgrund der fiskalischen Regel gekappt: Budgeteinnahmen, die sich aus dem Ölpreis oberhalb von 40 US-Dollar/Fass ergeben, werden ausschließlich zur Aufstockung des Reservefonds verwendet.“

SEB: Wachstum wird sich beschleunigen

Die schwedische Großbank SEB vertritt im „Nordic Outlook“ eine optimistischere Sicht als die DekaBank und fast alle anderen Beobachter. Sie meint, nach 1,8 Prozent Wachstum in diesem Jahr könne sich der Produktionsanstieg der russischen Wirtschaft wie in der Haushaltsplanung angenommen im nächsten Jahr auf 2,2 Prozent beschleunigen. Die Unternehmen würden sich an die Sanktionen anpassen, meint die SEB. Die gestiegenen Ölpreise würden etwas Raum für wachstumsstimulierende fiskalische Maßnahmen öffnen.

Das Finanzministerium, so der SEB-Bericht, strebe zwar einen ausgeglichenen Haushalt an. Russland brauche jedoch eine bessere Infrastruktur, ein besseres Gesundheitswesen und bessere Schulen. Zudem sei die Armut gestiegen. Das Budgetdefizit werde deswegen, so vermutet die SEB, wahrscheinlich auf rund 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgeweitet werden. Selbst wenn die Staatsverschuldung von rund 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts etwas zunehmen werde, bleibe sie im internationalen Vergleich gering.

Geldpolitisch erwartet die SEB Wachstumsimpulse von weiteren Zinssenkungen. Trotz der scharfen Abwertung des Rubel nach der Ankündigung der Verschärfung der Sanktionen im April werde der Anstieg der Inflationsrate 2018 und 2019 unter der angestrebten Marke von 4 Prozent bleiben. Die Zentralbank werde nach der Pause im April den Leitzins von derzeit 7,25 Prozent weiter senken, bis Ende 2018 auf 6,5 Prozent.

An tiefgreifende strukturelle Reformen, die das Wachstumspotenzial ausweiten könnten, glaubt aber auch die SEB nicht. Sie meint, der überzeugende Wahlsieg Präsident Putins habe das Gefühl für die Notwendigkeit solcher Reformen geschwächt. Der Druck von Interessengruppen und die Korruption erschwerten Reformen.

Die Korruption zu bekämpfen, hat sich Alexei Kudrin in seiner neuen Funktion als Präsident des Rechnungshofes als eine Hauptaufgabe vorgenommen.

Quellen und Lesetipps zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Neue Konjunkturprognosen:

Statistikamt Rosstat zur Konjunktur:

Wirtschaftsministerium zur Konjunktur:

Zentralbank zu Konjunktur und Geldpolitik; sonstige Berichte zur Geldpolitik:

Sonstige Konjunkturberichte, Wirtschaftspolitik und Sanktionen:

Titelbild
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