Russland: Zentralbank bleibt bei moderater Wachstumsprognose 2019

Russland: Zentralbank bleibt bei moderater Wachstumsprognose 2019

Die russische Industrieproduktion stieg im Februar unerwartet kräftig. Nach Schätzung des russischen Wirtschaftsministeriums hat sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts damit im Februar gut verdoppelt und 1,5 Prozent erreicht.

In einem Bericht zum Anstieg der Produktion deutete das Ministerium an, dass es seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft (1,3 Prozent) anheben könnte. Die russische Zentralbank hielt bei ihrer Leitzinsentscheidung am Freitag jedoch an ihrer moderaten Wachstumsprognose fest. 2019 erwartet sie weiterhin eine Abschwächung des Anstiegs der gesamtwirtschaftlichen Produktion von 2,3 Prozent auf 1,2 bis 1,7 Prozent. Sie beließ ihren Leitzins unverändert bei 7,75 Prozent.

Rosstat: Industrieproduktion war im Februar 4,1 Prozent höher

Um 4,1 Prozent ist die russische Industrieproduktion im Februar 2019 gegenüber Februar 2018 gestiegen. Diesen überraschend starken Zuwachs teilte das russische Statitistikamt Rosstat am 18. März mit. Analysten hatten in einer Reuters-Umfrage im Durchschnitt nur mit einem Anstieg um 1,5 Prozent gerechnet, obwohl es im Februar 2019 einen Arbeitstag mehr gab als im Vorjahresmonat.

Likka Korhonen, Leiter des Forschungsinstituts BOFIT der finnischen Zentralbank twitterte zur Entwicklung der Industrieproduktion die folgende Abbildung. Sie zeigt neben der Gesamtentwicklung der Industrieproduktion die Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in den beiden wichtigsten Teilbereichen „Mining“ (Bergbau, Förderung von Rohstoffen wie Öl und Gas) und „Manufacturing“ (Verarbeitende Industrie):

Likka Korhonen (BOFIT): Russia February industrial production + 4.1 %yoy; Twitter-Adresse für Chart, 19.03.2019

Wachstumsstoß in der Verabeitenden Industrie

Erkennbar ist, dass die Wachstumsraten im Bereich der Verarbeitenden Industrie („Manufacturing“; blaue Linie) im zweiten Halbjahr 2018 im Trend deutlich abnahmen. Im vierten Quartal 2018 war die Produktion der Verarbeitenden Industrie nur noch 0,9 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Im Januar 2019 unterschritt sie ihr Vorjahresniveau sogar um 1 Prozent. Umso überraschender war, dass Rosstat für Februar einen Anstieg um 4,6 Prozent errechnete.

Die Zuwachsraten der Produktion im Bereich Bergbau/Förderung von Rohstoffen („Mining“; rote Linie) stiegen – im Gegensatz zur Verarbeitenden Industrie – in der zweiten Jahreshälfte 2018 weiter an. Auch im Februar 2019 wuchs der Bereich Bergbau mit einem Plus von 5,1 Prozent noch etwas stärker als die Verarbeitende Industrie (+ 4,6 Prozent).

Analysten sehen keinen Trendwechsel zu stärkerem Wachstum der Industrie

Der kräftige Anstieg der Industrieproduktion im Februar sollte jedoch nicht überbewertet werden. Ein Blick auf die Entwicklung im Jahr 2017 zeigt, dass die Industrieproduktion sehr „volatil“ verläuft. Starke Ausschläge sind häufig.

Analysten meinten in ersten Kommentaren, dass der Wachstumsstoß im Februar keinen Trendwechsel zu einem stärkeren Wachstum der Industrieproduktion signalisiert. Schließlich habe es einen Arbeitstag mehr gegeben und der Aufschwung sei nicht breit fundiert.

Dmitry Dolgin, Russland-Analyst der ING Bank, veranschlagt allein den „Kalendereffekt“, also den Zuwachs der Produktion durch den zusätzlichen Arbeitstag auf rund einen Prozentpunkt (Das „Center for Macroeconomic Analysis and Short- term Forecasting“, CMASF, schätzt ihn auf 1,3 bis 1,4 Prozentpunkte).

Außerdem verweist Dolgin darauf, dass zum Anstieg der Industrieproduktion insbesondere die Produktion von Eisenbahnwagen für den Personentransport (rund 3 Prozent der gesamten Industrieproduktion) beigetragen habe. Sie sei im Februar im Vorjahresvergleich um rund 35 Prozent gestiegen. Das habe das Wachstum der Industrieproduktion um rund 1,5 Prozentpunkte nach oben getrieben.

Dolgin zieht aus seiner Analyse das Fazit:

„Die Beschleunigung der Industrieproduktion scheint bisher nicht breit fundiert. Wir erwarten weiterhin eine Verlangsamung des Wachstums der Industrieproduktion im Vergleich zum Anstieg im Jahr 2018 (+ 2,9 Prozent).“

Und Tatyana Evdokimova (Nordea Bank) meint:

„Die Entwicklung der Industrieproduktion bleibt volatil. Die Beschleunigung im Februar kann man kaum einen stetigen Trend nennen.“

Rosstats Saison- und Kalenderbereinigung ist umstritten

Um saison- und kalenderbedingte Einflüsse auf die Industrieproduktion zu verneiden, berechnet Rosstat auch bereinigte Werte. Allerdings finden diese Berechnungen nicht überall Anerkennung. Das berichtet Kommersant. Der Leiter einer Forschungsgruppe für Wachstum und Inflation der renommierten Moskauer „Higher School of Economics“, Vladimir Bessonov, komme bei seinen Berechnungen der saison- und kalenderbereinigten Entwicklung der Industrieproduktion zu völlig anderen Ergebnissen als Rosstat. Rosstat habe ermittelt, dass die Produktion nach der Bereinigung im Februar gegenüber dem Vormonat um 1,2 Prozent gestiegen sei (nach + 0,2 Prozent im Januar). Laut Bessonovs Berechnungen sei die Industrieproduktion im Januar und Februar hingegen saison- und kalenderbereinigt gesunken.

Wirtschaftsministerium schätzt BIP-Wachstum im Februar auf 1,5 Prozent

Russlands Wirtschaftsministerium sieht das von Rosstat errechnete kräftige Wachstum der Industrieproduktion im Februar aber offenbar als Anlass, seine Wachstumsprognosen zu überprüfen. In einem am 21. März veröffentlichten Bericht zur Produktionsentwicklung meint das Ministerium, insgesamt deuteten die Februar-Daten darauf hin, dass die Wachstumsentwicklung in diesem Jahr die Erwartungen des Ministeriums übertreffen werde. Aktuell rechnet das Ministerium (noch) damit, dass sich der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion in diesem Jahr auf 1,3 Prozent abschwächt.

Aufgrund der bisher vorliegenden Februar-Daten schätzt das Ministerium im Bericht „Bild der Produktion“, dass sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,7 Prozent im Januar auf 1,5 Prozent im Februar beschleunigte.

Im Februar 2019 erholte sich das Wirtschaftswachstum

Wirtschaftswachstum Russland
Blaue Linie: BIP-Wachstum gegenüber Vorjahresmonat;
Gelbe Punkte: BIP-Wachstum gegenüber Vorjahresquartal;
Dunkelblaue Punkte: BIP-Wachstum gegenüber Vorjahresquartal Quelle: Russisches Wirtschaftsministerium: Bild der Produktion – März 2019; 21.03.2019

Den größten Beitrag zu diesem Wachstumsschub im Februar hat, so das Ministerium, die Beschleunigung des Anstiegs der Industrieproduktion (+ 4,1 Prozent) geleistet. Sie war wiederum hauptsächlich dem Anstieg der Produktion der Verarbeitenden Industrie (+ 4,6 Prozent) zu verdanken. Gleichzeitig meint das Ministerium aber, der Anstieg der Produktion in der Verarbeitenden Industrie im Februar sei hauptsächlich als „Kompensation“ des vorangegangenen Rückgangs im Januar zu betrachten.

Zentralbank bleibt bei moderaten Wachstumsprognosen

Die russische Zentralbank hat sich bei der zur Leitzinsentscheidung am 22. März vorgenomenen Aktualisierung ihrer mittelfristigen Prognosen zur Entwicklung von Produktion, Preisen und Leistungsbilanz vom kräftigen Wachstum der Industrie im Februar offenbar wenig beeindrucken lassen. Sie blieb bei ihren moderaten Prognosen zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts.

  • 2019 erwartet sie weiterhin eine Abschwächung des Wachstums von 2,3 Prozent auf 1,2 bis 1,7 Prozent.
  • 2020 rechnet sie mit einem Anziehen des Wachstums auf 1,8 bis 2,3 Prozent.
  • 2021 sieht sie den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts zwischen 2,0 und 3,0 Prozent.

Die Zentralbank ermäßigte lediglich ihre Prognose zum Anstieg der Verbraucherpreise am Jahresende 2019 von 5,0 bis 5,5 Prozent auf 4,7 bis 5,2 Prozent. In der Presseerklärung zum Leitzinsentscheid am 22. März verwies sie darauf, dass der Anstieg der Verbraucherpreise im Februar und März etwas niedriger sei als sie erwartet habe. Von der Mehrwertsteuererhöhung könnten sich in den kommenden Monaten nur noch wenige verzögerte Wirkungen bemerkbar machen.

Sachverständigenrat erhöht seine Wachstumsprognose für Russland

Ein spürbar stärkeres Wachstum als die Regierung und die Zentralbank für die russische Wirtschaft prognostizieren, erwartet in diesem Jahr in Russland der deutsche „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Die sogenannten „Wirtschaftsweisen“ beschränken sich im „Frühjahrs-Update“ ihrer im November vorgelegten Konjunkturprognosen allerdings darauf, lediglich in einer Tabelle mitzuteilen, dass sie ihre Prognose für das Wachstum der russischen Wirtschaft im laufenden Jahr von 1,8 Prozent auf 2,1 Prozent erhöhen. Für 2020 rechnen sie mit einer Abschwächung auf 1,6 Prozent Wachstum.

Wachstumsprognosen 2018 bis 2020

  Bruttoinlandsprodukt, real ggü. Vj. %
201820192020
WIIW, Wien27.03.192,31,81,7
RIA Rating25.03.191,5
RussischeZentralbank22.03.192,3
Urals 69,8 $/b
1,2 bis 1,7
Urals 60 $/b

1,8 bis 2,3
Urals 55 $/b
Helaba, Frankfurt22.03.192,31,71,7
Economist Intelligence Unit20.03.192,31,51,6
Sachverständigenrat19.03.192,42,11,6
Berenberg Bank, Hamburg18.03.191,71,41,7
BOFIT, Bank of Finland15.03.192,31,41,7
Commerzbank, Frankfurt15.03.191,61,21,3
OPEC, Wien14.03.191,61,6
DIW Berlin14.03.192,01,81,9
ifo Institut München14.03.192,11,21,6
Kiel Institut für Weltwirtschaft13.03.192,31,51,6
DekaBank, Frankfurt13.03.192,31,41,6
RWI Essen11.03.192,31,51,8
IWH Halle07.03.191,61,81,8
OECD, Paris06.03.192,31,41,5
FocusEconomics
Consensus Forecast
05.03.192,31,41,7
Sberbank, Moskau28.02.192,31,42,0
HSE-Umfrage
Consensus Forecast
26.02.192,31,31,8
Citibank20.02.192,31,52,5
Fitch Rating16.02.192,31,51,9
Rosstat; erste BIP-Schätzung 04.02.192,3
Nordea, Stockholm28.01.191,61,21,5
Wirtschaftsministerium25.01.192,01,32,0
BNP Paribas, Paris24.01.191,71,51,8
Internationaler Währungsfonds21.01.191,71,61,7
Weltbank Global Economic Prospects08.01.191,61,51,8
Russische Zentralbank,
Basisszenario
14.12.181,5 bis 2,0
Urals 70 $/b
1,2 bis 1,7
Urals 55 $/b
1,8 bis 2,3
Urals 55 $/b
HSE-Umfrage
Consensus Forecast
22.11.181,71,41,7
Russisches Wirtschaftsministerium;
Haushaltsvorlage, Basisszenario
01.10.181,8
Urals 69,6 $/b
1,3
Urals 63,4 $/b
2,0
Urals 59,7 $/b

 

So wachstumsstark wie die „Wirtschaftsweisen“ sieht sonst kaum jemand in diesem Jahr die russische Wirtschaft. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche erhöhte jetzt zwar auch seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft, aber nur um 0,2 Prozentpunkte auf 1,8 Prozent. Auch von den fünf führenden deutschen Forschungsinstituten, die im März ihre „Frühjahrsprognosen“ vorlegten, trauen der russischen Wirtschaft nur das Berliner DIW und das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle immerhin 1,8 Prozent zu. Das Münchner ifo Institut erwartet hingegen nur 1,2 Prozent Wachstum in Russland.

Am 4. April werden die Institute in ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“ für das Bundeswirtschaftsministerium erneut zur Entwicklung der russischen Wirtschaft Stellung nehmen.So wachstumsstark wie die „Wirtschaftsweisen“ sieht sonst kaum jemand in diesem Jahr die russische Wirtschaft. Auch von den fünf führenden deutschen Forschungsinstituten, die im März ihre „Frühjahrsprognosen“ vorlegten, trauen der russischen Wirtschaft nur das Berliner DIW und das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle immerhin 1,8 Prozent zu. Das Münchner ifo Institut erwartet hingegen nur 1,2 Prozent Wachstum in Russland.

Zuvor – am 01./02. April – ist eine weitere Rosstat-Schätzung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2018 angekündigt. Tatyana Evdokimova (Nordea) machte kürzlich darauf aufmerksam, dass in den letzten 10 Jahren die ersten Schätzungen des Wirtschaftswachstums bei den folgenden Schätzungen fast immer angehoben wurden.

 

Quellen und Lesetipps

Russische Zentralbank: Leitzinsentscheidung und neue Prognosen vom 22.03.2019

Bericht des Wirtschaftsministeriums „Bild der Produktion“ mit Presseberichten

Rosstat-Monatsbericht „Sozio-ökonomische Lage in Russland“ mit Presseberichten:

Rosstat-Monatsbericht zur Industrieproduktion mit Presseberichten

Periodisch, meist monatlich erscheinende Konjunkturberichte

Prognosen deutscher Konjunkturforschungsinstitute zur russischen Wirtschaft:

Bald neu erscheinende Konjunkturberichte und -prognosen:

Kalender für Veröffentlichung neuer russischer Konjunkturdaten:

Sonstige Berichte, Kommentare, Interviews, Analysen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Artikel von Klaus Dormann beim Deutsch-Russischen Wirtschaftsclub Düsseldorf:

Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland; 39 Seiten, aktualisierte Zusammenfassung von in Ostexperte.de erschienenen Artikeln; Datenstand 02.01.2019

[accordion open_icon=”chevron-up” closed_icon=”chevron-down”] [/su_spoiler]Quelle: By Kuba [CC BY 3.0 ], via Wikimedia Commons[/su_spoiler] ^*^