Russland: Was hinter dem starken Wirtschaftswachstum im Februar steckt

Im letzten Jahr ist Russlands Wirtschaft laut der ersten Schätzung des Statistikamtes Rosstat um 3,6 Prozent gewachsen. Im Jahresdurchschnitt 2024 wird von vielen Experten jetzt zwar eine Abschwächung des Wachstums auf rund 2 Prozent erwartet. Im Februar war die gesamtwirtschaftliche Produktion nach Schätzung des Wirtschaftsministeriums jedoch 7,7 Prozent höher als vor einem Jahr.

Zu diesem kräftigen Anstieg trug einerseits erheblich bei, dass es im Februar 2024 zwei Werktage mehr als vor einem Jahr gab. Gegenüber dem Vormonat Januar ist die gesamtwirtschaftliche Produktion im Februar 2024 laut dem Ministerium saison- und kalenderbereinigt lediglich um 0,2 Prozent gestiegen. Das Forschungsinstitut der staatlichen Bank für Außenwirtschaft (Wneschekonombank) schätzt den bereinigten BIP-Anstieg sogar nur auf 0,1 Prozent.

Anstieg der Produktion in vielen wichtigen Wirtschaftsbereichen im Februar

Die russische Industrieproduktion, aber auch die realen Umsätze im Einzelhandel und im Dienstleistungsbereich Russlands sind im Februar deutlich höher gewesen als vor einem Jahr. Die kräftigen Steigerungen der Produktion in diesen Wirtschaftsbereichen trugen hauptsächlich dazu bei, dass laut Schätzung des Wirtschaftsministeriums das reale Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Februar 2024 im Vorjahresvergleich 7,7 Prozent erreichte (Finmarket.ru). Das ist der stärkste Anstieg seit Juni 2021.

Die Industrieproduktion stieg dabei insgesamt um 8,5 %. Besonders kräftig legte innerhalb der Industrie das „Verarbeitende Gewerbe“ zu. Dort stieg die Produktion um 13,5 % (Maximum seit Juni 2021).

Ursachen des starken Wachstums: Mehr Arbeitstage und kältere Witterung

Der „Kalenderfaktor“ war laut einer Analyse von „RIA-Rating“ eine sehr wichtige Ursache für den Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion gegenüber Februar 2023. Im laufenden Jahr gab es im Februar zwei Arbeitstage mehr als im letzten Jahr (darunter einen „Schalttag“). Zum jährlichen Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um 7,7 Prozent im Februar 2024 trug der Kalenderfaktor nach Schätzung von „RIA-Rating“ rund 2 Prozentpunkte bei.

Der „Witterungsfaktor“ dürfte zum starken Wachstum der Industrieproduktion von 8,5 Prozent laut RIA-Rating rund 1,5 Prozentpunkte beigetragen haben, weil es im Februar 2024 rund 1 Grad kälter war als vor einem Jahr. Im Vergleich Februar 2024 zu Februar 2023 stieg laut Rosstat die Gasproduktion um 16,3 Prozent. Die Stromproduktion war 6,3 Prozent höher und die Dampfproduktion 8,4 Prozent.

Der „militärisch-industrielle Komplex“ treibt weiterhin die Produktion

RIA Rating weist außerdem darauf hin, dass nach wie vor einige eng mit dem „militärisch-industriellen Komplex“ verbundene Industriezweige die höchsten Wachstumsraten aufweisen. Im Februar habe es in diesem Bereich folgende jährliche Zuwachsraten gegeben:

Herstellung von Enderzeugnissen aus Metall: +51,5 %

Herstellung von Computern, elektronischen und optischen Produkten: +47,2 %
Herstellung sonstiger Fahrzeuge und Ausrüstungen: +38,6 %

Rasantes Wachstum der Verbrauchernachfrage im Vorjahresvergleich

Als „größte Überraschung“ sieht RIA-Rating die Konsumentwicklung. Die gestiegenen Einkommen würden der Bevölkerung nicht nur ermöglichen, ihre Verbrauchsausgaben zu erhöhen. Obwohl die Preise und die Kreditzinsen gestiegen seien, könnten die Haushalte gleichzeitig auch mehr Rücklagen für die Zukunft ansparen.

Finmarket.ru berichtet zur Entwicklung in wichtigen Verbrauchsbereichen:

Im Einzelhandel stieg der reale Umsatz im Februar im Vorjahresvergleich um 12,3 Prozent Er war damit 2,5 Prozent höher als vor zwei Jahren im Februar 2022.

Im Dienstleistungsbereich wuchs der reale Umsatz im Februar zwar nur etwa halb so stark um 6,4 Prozent. Er war damit aber sogar 9,1 Prozent höher als vor zwei Jahren 2022.

Das Gastgewerbe setzte im Februar im Vorjahresvergleich real 8,1 Prozent mehr um. Sein Umsatz war damit real 17,6 Prozent höher als zwei Jahre zuvor.

Auch RIA-Rating weist darauf hin, dass immer häufiger eine „Überhitzung“ der russischen Wirtschaft diagnostiziert wird  Die Spannungen auf dem Arbeitsmarkt nähmen zu, die Arbeitslosigkeit gehe gegen Null, die Löhne stiegen, die Unternehmen arbeiteten im Zweischichtbetrieb, die Immobilienpreise seien „himmelhoch“.

Vor einer Änderung seiner Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft von 2,0 Prozent will RIA-Rating jedoch die Entwicklung im März abwarten.

Wie stark stieg das Bruttoinlandsprodukt gegenüber dem Vormonat?

Die Entwicklung der Produktion im Vergleich zum Vormonat lässt besser als Vergleiche zum Vorjahresmonat erkennen, wie sich die Konjunktur aktuell entwickelt. Dazu veröffentlichen neben dem Statistikamt Rosstat auch einige Forschungsinstitute und Banken monatlich Berechnungen zur saison- und kalenderbereinigten Entwicklung der Produktion in wichtigen Wirtschaftsbereichen. Die Ergebnisse der ersten Berechnungen und Schätzungen unterscheiden sich oft merklich.

Laut einer ersten Schätzung des Wirtschaftsministeriums war Russlands reales Bruttoinlandsprodukt im Februar saison- und kalenderbereinigt 0,2 Prozent höher als im Januar. Das Forschungsinstitut der „Wneschekonombank“ veranschlagt das Wachstum im Februar gegenüber dem Vormonat sogar nur auf 0,1 Prozent. Es schwächte sich in den letzten Monaten stark ab.

Die folgende Abbildung aus dem Wochenbericht des VEB-Instituts zeigt, dass sich der Index des realen Bruttoinlandsprodukts seit Mitte 2022 vom starken Einbruch nach Beginn des Ukraine-Krieges erholte. Im Herbst 2023 sank der BIP-Index vorübergehend. Seit Dezember steigt er aber wieder. Nach Angaben des Instituts stieg er im Dezember gegenüber dem Vormonat um 0,7 Prozent und im Januar um 0,4 Prozent. Im Februar schwächte sich der Anstieg aber auf nur noch 0,1 Prozent ab.

Index des realen Bruttoinlandsprodukts (Januar 2014 = 100),
s
aison- und kalenderbereinigt; Schätzung des VEB-Instituts

VEB-Institut: World Economy and Markets Review, 05.04.24

Zum BIP-Wachstum im Februar gegenüber Januar um 0,1 Prozent trugen nach Angaben des VEB-Instituts das „Verarbeitende Gewerbe“ als Teilbereich der Industrieproduktion, der Warentransport, der Handel und die Gastronomie bei.

Gebremst wurde die gesamtwirtschaftliche Produktion im Februar von den Industrie-Bereichen „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ sowie „Strom-, Gas- und Wasserversorgung“. Produktionsrückgänge gegenüber dem Vormonat gab es auch in den Bereichen „Private Dienstleistungen“, Personentransport, Bauwirtschaft und Landwirtschaft.

Insgesamt stieg die Industrieproduktion auch im Februar gegenüber dem Vormonat

Laut den ersten Berechnungen des VEB-Instituts stieg die saison- und kalenderbereinigte Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“ im Februar im Vergleich mit dem Vormonat Januar um 2,4 Prozent. Der  Rückgang im Dezember gegenüber November um 1,5 Prozent war schon im Januar mit einem Anstieg um 1,3 Prozent fast ausgeglichen worden (siehe obere, dunkelgrüne Linie in der folgenden Abbildung).

Die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ (untere, hellgrüne Linie) sank im Februar gegenüber Januar jedoch um 0,5 Prozent, nachdem sie im Januar und Dezember saison- und kalenderbereinigt fast stagnierte.

Insgesamt war die Industrieproduktion im Februar saison- und kalenderbereinigt um 0,9 Prozent höher als im Januar (schwarze Linie). Im Januar war sie gegenüber dem Vormonat um 0,8 Prozent gestiegen.

Index der Industrieproduktion, saison- und kalenderbereinigt (Jan. 2014=100)
schwarze Linie: Industrie insg., hellgrüne Linie: Bergbau, Förderung von Rohstoffen; dunkelgrüne Linie: verarbeitendes Gewerbe

VEB-Institut: World Economy and Markets Review, 05.04.24

Die Schätzungen des VEB-Instituts und des Statistikamtes Rosstat zur saison- und kalenderbereinigten Entwicklung der Industrieproduktion kommen allerdings noch zu merklich unterschiedlichen Ergebnissen. Rosstat schätzt, dass die Industrieproduktion im Februar 2024 gegenüber Januar 2024 saison- und kalenderbereinigt insgesamt nicht um 0,9 Prozent, sondern um 1,5 Prozent gestiegen ist (Finmarket.ru).

Im Konsumbereich wuchs im Februar nur der Einzelhandel weiter

Die Konjunkturentwicklung im Bereich des Verbrauchs der privaten Haushalte verfolgt das VEB-Institut anhand der Entwicklung der realen Umsätze im Einzelhandel (schwarze Linie in der folgenden Abbildung) und mit Dienstleistungen (dunkelgrüne Linie) vor dem Hintergrund der Entwicklung der Reallöhne (graue Linie).

Reallöhne und reale Umsätze im Einzelhandel und mit Dienstleistungen,
saison- und kalenderbereinigt, (Januar 2014 = 100),

graue Linie: Reallöhne; dunkelgrüne Linie: Dienstleistungen; schwarze Linie: Einzelhandel

VEB-Institut: World Economy and Markets Review, 05.04.24

Der reale Einzelhandelsumsatz war im Dezember 2023 im Vergleich zum  Vormonat um 1,4 Prozent gesunken. Im Januar 2024 erholte sich der Einzelhandel davon. Er stieg saison- und kalenderbereinigt gegenüber Dezember um 1,8 Prozent. Im Februar 2024 schwächte sich das Wachstum gegenüber dem Vormonat Januar auf 0,4 Prozent ab.

Der reale Dienstleistungsumsatz war hingegen im Dezember gegenüber dem Vormonat um 0,7 Prozent gestiegen. Sein Wachstum setzte sich im Januar mit einem Anstieg um 0,8 Prozent gegenüber Dezember leicht beschleunigt fort. Im Februar sank der reale Dienstleistungsumsatz gegenüber Januar jedoch um 1,2 Prozent.

Als Hintergrund für die Entwicklung von Einzelhandel und Dienstleistungen informiert das VEB-Institut über die Entwicklung der Reallöhne. Im Januar 2024 waren sie 8,5 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Im Jahresvergleich 2023 gegenüber 2022 sind die Reallöhne um 7,8 Prozent gestiegen, nachdem sie im Rezessionsjahr 2022 nur um 0,3 Prozent gestiegen waren.

Die verfügbaren Realeinkommen der privaten Haushalte sind 2023 um 5,4 Prozent gestiegen, also nicht so stark wie die Reallöhne. 2022 waren sie um 1,0 Prozent gesunken. Zur Entwicklung der verfügbaren Realeinkommen seit 2014 veröffentlichte die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer in einer Fokusanalyse „Konsumverhalten in Russland“ folgende Abbildung.

Deutsch-Russische Auslandshandelskammer: Fokusanalyse „Konsumverhalten in Russland“, 01.04.24

Einkaufsmanager-Indizes signalisieren für März ein weiteres Wachstum

Die nach Befragung von russischen Unternehmen Anfang April von S&P Global veröffentlichten „Einkaufsmanager-Indizes“ signalisieren ein weiteres Wachstum der Geschäftsaktivitäten der russischen Wirtschaft im März.

PSB-Chefanalyst Denis Popov hat in der folgenden Abbildung die monatliche Entwicklung der Einkaufsmanager-Indizes für das „Verarbeitende Gewerbe“ (gelbe Linie) und den Service-Bereich (rote Linie) seit Anfang 2021 dargestellt. Der „Purchasing Manager-Index“ für das „Verarbeitende Gewerbe“ stieg im März von 54,7 auf 55,7 Punkte, der PMI für den Dienstleistungsbereich von 51,1 auf 51,4 Punkte. Beide liegen also deutlich über 50 Indexpunkten. Dieser Wert wird von S&P Global als „Wachstumsschwelle“ betrachtet.

Entwicklung von Einkaufsmanager-Indizes und Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts im Vergleich

Denis Popov, Chief Economist PSB; Finam.ru: Acceleration of economic dynamics will negatively affect price stabilization in the Russian Federation, 04.04.24

Popov vergleicht die Entwicklung der Einkaufsmanager-Indizes mit den Veränderungsraten des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat. Er meint, der Anstieg der Indizes garantiere nicht, dass das „Rekordwachstum“ der gesamtwirtschaftlichen Produktion (+ 7,7 Prozent im Februar 2024 gegenüber Februar 2023) im März anhalten werde. Das Wachstum werde aber „definitiv signifikant“ sein.

Das könne sich negativ auf die Stabilisierung der Preise auswirken. Er rechne deswegen nicht mit einer Senkung des Leitzinses im April.

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

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