Das war die Online-Russlandkonferenz mit u.a. Manturow und Precht
Wie wird die Welt und die globale Wirtschaft im kommenden Jahr aussehen? Wird die Corona-Krise gewütet oder die Welt verbessert haben? Um dies zu diskutieren, hatte die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) am heutigen Montag hochrangige CEOs, Politiker und den Populärphilosophen Richard David Precht zu einer Online-Konferenz versammelt. Durch Kurzvorträge und Diskussionen mit Publikumsbeteiligung sollten Antworten gefunden werden.
Den Anfang machte Denis Manturow, Minister für Industrie und Handel der Russischen Föderation. In seiner etwa 20-minütigen Keynote umriss er das Ausmaß der Pandemie-Krise und außerdem PR-geschult die Regierungsmaßnahmen, mit denen ihr Einhalt geboten werden soll. Es handele sich um die “größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg”, die Russische Regierung tue das Bestmögliche, um ihre Folgen abzufedern. Die Nationalen Projekte würden sich um ein Jahr verzögern, ihre Ziele aber dennoch erreicht – solange die Lage so stabil bleibt wie aktuell.
Konkreter und ergiebiger wurde es in der Panel-Diskussion. AHK-Vorsitzender Matthias Schepp hatte namhafte Manager und Wirtschaftsvertreter aus Deutschland und Russland sowie einen russischen Politologen versammelt. Gleich die erste Frage sollte den Teilnehmern eine Einschätzung entlocken: Macht Corona die Welt besser oder schlechter?
Pessimismus vs. Zuversicht
Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hatte wenig Optimismus anzubieten: “Eine Krise ist nichts Gutes”. Wenig hoffnungsvoll äußerte sich auch Politikbeobachter und Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow. Es würde sich nichts verändern, also würde die Welt weiterhin schlechter werden. Zuversichtlicher schätzte Werner Baumann, Vorstandsvorsitzender der BayerAG die Zukunft ein. Zunächst würde es zwar bergab gehen, aber langfristig gesehen würde aus der Krise eine bessere Welt entstehen.
Veranschaulichen konnte diese Auffassung der Geschäftsführer der Globus Holding Thomas Bruch: “Anfangs war es denkbar, dass wir richtig große Probleme bekommen.” Verbunden mit den anfänglichen Hamsterkäufen sei es eine Herausforderung gewesen, die Lieferketten am Laufen zu halten. “Aber wir haben die Probleme gelöst und sind gestärkt daraus hervorgegangen.”
Auf die Frage nach der Rolle der Großmächte präzisierte Politikexperte Lukjanow seine pessimistische Position: Schon vor der Krise hätten sich Staaten zunehmend protektionistisch verhalten, dieser Trend sei nun noch verstärkt worden. Auf der ganzen Welt würden Staaten sich in erster Linie auf sich konzentrieren; die USA, Deutschland und auch Russland sei keine Ausnahme. Er würde nicht darauf setzen, dass die Zusammenarbeit jetzt wieder an Fahrt gewinnen würde.
Auch Bayer-Vorsitzender Baumann sah zunehmenden Protektionismus problematisch. Felbermayr hob vor allem die gestiegenen Staatsquoten negativ hervor. Erfahrungsgemäß würde es sehr lange dauern, bis sich der Staat wieder auf Vorkrisenniveau aus der Wirtschaft zurückgezogen habe. Auch Lukjanow hatte angemerkt, dass die meisten Staaten in der Krise ihre Macht ausgeweitet hätten. Zum Schluss äußerten die Teilnehmer ihren Willen und ihre Hoffnungen auf mehr Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland. Man müsse endlich auf das blicken, was einen verbindet, und nicht immer nur auf das Trennende, wünschte sich Globus-Geschäftsführer Bruch.
Die Einschätzungen des Philosophen
Anschließend wurde Philosoph und Bestseller-Autor Richard David Precht für die zweite Diskussion zugeschaltet. “Ich bin weder ausgewiesener Russlandkenner, noch führe ich ein Unternehmen, insofern vielen Dank für die Einladung”, nahm er auf die Tatsache Bezug, dass er aus der Teilnehmerliste hervorstach; um kurz darauf mit einer beliebten Pandemie-Floskel aufzuräumen: Es gebe wenig unsinnigeres als “die Annahme, dass nach Corona alles anders werde”. Die Menschen blieben natürlich die gleichen, allenfalls gebe es mehr Bewusstsein dafür, dass wir “biologische Wesen sind und nicht mit dem Smartphone verwandt”.
Die Corona-Krise wirke wie ein Brennglas: Einserseits mache sie Probleme sichtbarer, und andererseits beschleunige sie Trends, die ihren Anfang bereits genommen haben. Zwei Herausforderungen sei die Weltgemeinschaft gegenübergestellt: Die “Jahrhundertaufgabe” Digitalisierung, die einen ähnlichen Umbruch wie seinerseits die erste Industrielle Revolution darstelle. Dass man derartige Zeitenwenden auch verschlafen könne, zeige das Beispiel Russland, das zur Zarenzeit die Industrialisierung verpasst habe und den Rückstand zum Westen auch unter Stalin nie ganz aufgeholt habe.
Die zweite Herausforderung sei der Klimawandel und übersteigerter Ressourcenverbrauch, der eine Transformation in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem erfordere. Beide Probleme hätten immense Folgen auf die Gesellschaft. “Das ärgerliche ist, dass wir sie trotzdem mit dem Mindset aus dem 20. Jahrhundert angehen”.
Crashs und Krisen für Veränderung
Zu diesem 20.-Jahrhundert-Mindset gehört für Precht auch das “Freund-Feind-Schema”; die Verurteilung Russlands und reflexartiger Ablehnung von allen Putin-Vorstößen bei gleichzeitiger Hofierung Chinas und Saudi Arabiens. Die USA brauche Russland nicht als Handelspartner, aber sehr wohl als “Feind für ihre Rüstungsindustrie”. In Europa sei die Sache aber anders, insofern wünsche er sich eine Außenpolitik mit Vernunft und Augenmaß und ein entspanntes Verhältnis mit Russland. Auch zum Thema Nord Stream 2 äußerte sich der Philosoph: “Es ist unglaublich, wie stark man von Freunden erpresst werden kann”.
Die Frage, was er der Russischen Regierung raten würde, wollte er nicht beantworten. (“Das wäre Selbstüberschätzung”) Er fände es aber hilfreich, wenn Russland noch klarer kommunizieren würde, dass man an einer Wiederkehr des Rüstungswettlaufs kein Interesse habe.
Ein Teilnehmer aus dem Publikum fragte nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen, ein Konzept, für das sich Precht öffentlich stark macht. Er gehe davon aus, dass die meisten Länder ein solches Grundeinkommen einführen werden – aber nicht in den nächsten fünf Jahren. Es sei eine Antwort auf den bevorstehenden Umbruch, zu der er keine Alternative sehe. Allerdings setze sie gleichzeitig einen kulturellen Wandel voraus. Dieser sei durchaus aus zivilgesellschaftlicher Initiative möglich. “Ich habe aber die Befürchtung, dass wir Crashs und Krisen brauchen, um so eine Veränderung herbeizuführen.”
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