Resilientes Russland: Leistungsbilanzüberschuss und niedriges Haushaltsdefizit

Am 24. Februar jährte sich der Beginn des Ukraine-Krieges. Im ersten Kriegsjahr 2022 ist Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion um 1,2 Prozent gesunken. Von dieser Rezession hat sich Russland im Jahr 2023 mit einem Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts um 3,6 Prozent unerwartet schnell erholt, obwohl zahlreiche Sanktionen gegenüber Russland verhängt wurden. 

Erhebliche Auswirkungen hatten der Krieg und die Sanktionen auf die Entwicklung der russischen Leistungsbilanz und des föderalen Haushalts. 2022 ließ der Krieg die Energie- und Rohstoffpreise sehr stark steigen. Russlands Überschuss in der Leistungsbilanz wuchs preisbedingt auf einen Rekordstand. 2023 „normalisierte“ sich der Leistungsbilanzüberschuss  Das Defizit im Bundeshaushalt hielt die Regierung trotz stark steigender Rüstungsausgaben niedrig. 2023 sank es von 2,1 auf 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Der stark gestiegene Leistungsbilanzüberschuss sank 2023 um 79 Prozent

Im ersten Kriegsjahr 2022 stieg Russlands Leistungsbilanzüberschuss auf einen langjährigen Höchststand von 238 Milliarden US-Dollar (siehe folgende Abbildung). 2023 fiel der Leistungsbilanzüberschuss nach Einschätzung der Zentralbank gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich um rund 79 Prozent auf nur noch rund 51 Milliarden US-Dollar. Im Vergleich der letzten 15 Jahre war er damit aber nicht ungewöhnlich niedrig.

 Russlands Leistungsbilanzüberschuss 2008 bis 2023

in Mrd. US-Dollar

BOFIT, Bank of Finland: Russia Statistics 

2024 erwartet die Zentralbank einen weiteren Rückgang des Überschusses in der Leistungsbilanz um rund 18 Prozent auf rund 42 Mrd. US-Dollar (s. folgende Tabelle, erste Zeile).

In der Handelsbilanz erwartet die Zentralbank in diesem Jahr nur sehr geringe Veränderungen. Sie rechnet 2024 mit einem Rückgang der Warenexporterlöse um 2,4 Prozent auf 414 Milliarden US-Dollar bei einem noch schwächeren Rückgang des Wertes der Warenimporte um 1,6 Prozent auf 299 Milliarden US-Dollar. Der Überschuss in der Handelsbilanz werde sich damit 2024 um 4,2 Prozent auf nur noch 115  Milliarden US-Dollar verringern (s. zweite Zeile).

Prognose der russischen Zentralbank zur Entwicklung der Leistungsbilanz

Zentralbank: Mid-term forecast, PDF, 16.02.24

Starker Rückgang des russischen Außenhandels mit „westlichen Staaten“

Vor dem Krieg waren die „westlichen Staaten“ mit weitem Abstand Russlands wichtigster Handelspartner. 2022 und 2023 sanken aber sowohl Russlands Importe aus den westlichen Staaten als auch seine Exporte in die westlichen Staaten scharf.

Das Wirtschaftsportal „The Bell“ wertete zur Veränderung der Struktur der russischen Handelspartner einen vom Wissenschaftsportal „ECONS“ der russischen Zentralbank veröffentlichten Artikel von Alexander Knobel und Alexander Firanchuk aus („Reorientation of Russia’s foreign trade: six main conclusions“, 22.02.24). 

China wurde zum größten Lieferanten Russlands

Die vom Westen verhängten technischen und finanziellen Sanktionen zwangen Russland, Einfuhren aus den „westlichen Staaten“ zu ersetzen. China wurde zum größten Lieferanten Russlands. Sein Anteil an Russlands Importen stieg 2023 auf 45 Prozent. Vor dem Krieg lieferte China 27 Prozent. Der Anteil der „westlichen Staaten“ an Russlands Importen fiel gleichzeitig von 47 auf 17 Prozent.

Lieferregionen der russischen Importe

The Bell: How Russia’s economy survived two years of war, 24.02.24

Die Exporte in die „westlichen Staaten“ brachen tief ein

Russlands Exporte in die „westlichen Staaten“ sanken von rund 100 Mrd. US-Dollar im ersten Quartal 2022 auf rund 17 Mrd. US-Dollar im vierten Quartal 2023 (siehe ECONS). Gleichzeitig stiegen vor allem die russischen Exporte in die „neutralen Staaten“ stark an  Sie wurden zur mit Abstand wichtigsten Zielregion der russischen Exporte. Russlands Ausfuhren nach China sind seit Anfang 2022 deutlich schwächer gestiegen.

Zielregionen von Russlands Exporten, in Mrd. US-Dollar

The Bell: How Russia’s economy survived two years of war, 24.02.24

2024 und 2025 dürfte der „Außenbeitrag“ Russlands Wachstum stützen

Vor einer Woche berichtete Ostexperte bereits, dass die russische Zentralbank in ihrer mittelfristigen Konjunkturprognose ihre Prognosespanne für das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024 auf 1,0 bis 2,0 Prozent angehoben hat.

Bisher liegen zwar nur wenige Daten für die reale Entwicklung der Aus- und Einfuhren vor. Die Prognosen der Zentralbank lassen jedoch erwarten, dass das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von 1,0 bis 2,0 Prozent im Jahr 2024 von der außenwirtschaftlichen Entwicklung gestützt werden dürfte. Der „Außenbeitrag“ zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, die Differenz zwischen Aus- und Einfuhren, wird laut den Prognosen der Zentralbank voraussichtlich steigen

Die Zentralbank geht davon aus, dass die Veränderungsrate der Ausfuhren gegenüber 2023 zwischen – 1,0 Prozent und + 1,0 Prozent liegen dürfte. Die Ausfuhren werden also 2024 real etwa stagnieren. Gleichzeitig erwartet die Zentralbank, dass die Einfuhren um 4,0 bis 2,0 Prozent gegenüber 2023 sinken. Die Differenz zwischen Aus-und Einfuhren dürfte damit steigen.

2025 erwartet die Zentralbank eine weitere Unterstützung des Wirtschaftswachstums durch die außenwirtschaftliche Entwicklung. Sie prognostiziert, dass die Ausfuhren real um   1,5 bis 3,5 Prozent steigen. Demgegenüber könnten die Einfuhren noch weiter sinken. Die Prognosespanne der Zentralbank für die Entwicklung der Einfuhren im Jahr 2025 liegt zwischen -1,5 Prozent und +0,5 Prozent.

Die Defizitquote des Föderalen Haushalts sank 2023 auf 1,9 Prozent des BIP

Das Forschungsinstitut der staatlichen Wneschekonombank (Bank für Außenwirtschaft) hat in seiner mittelfristigen Prognose für die russische Wirtschaft auch die Entwicklung des Föderalen Haushalts analysiert.

2021 – im letzten Jahr vor dem Ukraine-Krieg – war im Haushalt noch ein kleiner Überschuss von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erzielt worden. Im ersten Kriegsjahr 2022 wurde ein Defizit von 2,1 Prozent des BIP verzeichnet. Trotz der stark erhöhten Rüstungsausgaben sank die Defizitquote im Jahr 2023 auf 1,9 Prozent des BIP (siehe letzte Zeile der folgenden Tabelle des VEB-Instituts).

Entwicklung des Föderalhaushaltes seit 2021,
Prognosen des VEB-Instituts bis 2026 im Vergleich mit dem Haushaltsgesetz

Wneschekonombank-Institute: Medium-term forecast for the Russian economy, taking into account the results of 2023, 12.02.24

Der Öl- und Gasbereich stellte 2023 noch rund 30 Prozent der Einnahmen

Starke Veänderungen gab es seit 2021 in der Struktur der Einnahmen des Föderalen Haushaltes. 

Die Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich (zweite Zeile der Tabelle) waren 2022 dank der stark steigenden Energiepreise noch um rund 27 Prozent auf 11,6 Billionen Rubel gewachsen. 2023 sanken sie jedoch um rund 24 Prozent auf 8,8 Billionen Rubel. Ursachen dafür waren deutlich niedrigere Ölpreise als 2022 und der starke Rückgang der Erdgasexporte. Die Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich waren 2023 aber kaum niedriger als 2018 wie die folgende Abbildung zeigt.

Einnahmen des Föderationshaushaltes aus dem Öl- und Gasbereich

RND, Christoph Kühne: Zwei Jahre nach dem Überfall auf die Ukraine. Was bringen die Sanktionen gegen Russland? 19.02.2024

Gleichzeitig stiegen 2023 die übrigen Haushaltseinnahmen außerhalb des Öl- und Gassektors aber um rund 25 Prozent, so dass die Einnahmen insgesamt um gut 4 Prozent auf 32,4 Billionen Rubel stiegen.

Der Anteil der Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich an den gesamten Einnahmen sank 2023 auf rund 30 Prozent. 2022 war er vorübergehend auf rund 42 Prozent gestiegen.

Ohne die Öl- und Gaseinnahmen wäre das Defizit im russischen Föderationshaushalt im Jahr 2022 auf 9,6 Prozent des BIP gestiegen. 2023 hätte es noch 7,1 Prozent des BIP betragen (vorletzte Zeile der Tabelle). 

Die schwarze Linie in der folgenden Abbildung des Forschungsinstituts BOFIT der finnischen Zentralbank zeigt den immer noch hohen Beitrag der Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich (schwarze Linie) zu den gesamten Einnahmen des föderalen Haushalts (blaue Linie).

Entwicklung des föderalen Haushaltes 2018 bis 2023
Saldo; Einnahmen insg.; Öl- und Gaseinnahmen; Ausgaben; in Billionen Rubel (gleitende 3-Monatssumme, saisonbereinigt)

BOFIT Bank of Finland: Russia plans further increases in government spending despite deficits, 19.01.24

Ein hoher Grad “fiskalischer Resilienz”

In ihrem vierteljährlichen Bericht zu den Auswirkungen der Sanktionen auf die russische Wirtschaft für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima analysieren das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das Münchner ifo-Institut und das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) auch die Entwicklung des russischen Föderationshaushaltes. Sie stellen fest, dass die Trends der Haushaltsentwicklung auf einen hohen Grad “fiskalischer Resilienz” schließen lassen. Die Defizite im russischen Haushalt würden generell “unter Kontrolle” gehalten – trotz scharf erhöhter Militärausgaben und der Erosion der Einnahmen der Regierung durch die westlichen Energie-Sanktionen. 

Auch die Finanzierung des Defizits sei kaum ein Problem, meinen die Institute, zumindest nicht derzeit. 90 Prozent des Haushaltsdefizits seien im letzten Jahr durch den “National Wealth Fund” gedeckt worden.

Im Verlauf des Jahres 2023 sei der Wert des NWF in US-Dollar um rund 10 Prozent gesunken (siehe rote Linie in der folgenden Abbildung). Der Wert des liquiden Teils des Fonds (Devisen und Gold) habe sich um 36 Prozent verringert.

Russlands “National Welfare Fund” 

rote Linie: Wert des NWF in Milliarden US-Dollar, linke Skala, blaue Linie: Anteil des NWF-Wertes am BIP in Prozent, rechte Skala

CES ifo: EconPol Policy Report; Vasily Astrov, Lisa Scheckenhofer, Camille Semelet, Feodora Teti: Monitoring the Impact of Sanctions on the Russian Economy, Quarterly Report Vol. 2, 21.02.24

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen hier als PDF-Dokument, unter anderem zu:

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