Des Westens Sorge

Türkei und Russland: zwischen Konkurrenz und Kooperation

Seitdem Russland und die Türkei im Jahr 2017 ihre Beziehungen normalisierten, wuchs in den USA und Europa die Sorge, diese Annäherung könnte auf Kosten westlicher Interessen gehen. Diese Antagonisierung könnte für die EU jedoch zu falschen Schlussfolgerungen führen.

von Frederic Krull

Seit 2017 – dem Jahr in dem sich die russisch-türkischen Beziehungen wieder vom Schock, ausgelöst durch den Abschuss eines russischen Jets durch die Türkei im Jahr 2015, langsam erholten – wuchs in Europa und den USA die Sorge, diese Annäherung könne auf Kosten des Westens gehen. Die Vorstellung, dass sich Putin und Erdoğan zusammentun, um ihre eigenen regionalen Ambitionen zu verfolgen, machte die Runde und sorgte vor allem in Washington für ernsthafte Zweifel an der Türkei als strategischen Verbündeten.

Eine Hauptsorge der vergangenen Jahre: die türkische Anschaffung des Raketenabwehrsystems „S-400“ aus russischer Produktion. Der türkische Präsident Erdoğan verhandelte den Deal zum Kauf des fortschrittlichen Waffensystems im Jahr 2017 und ließ es 2019 und 2020 ausliefern. Gegen die Drohungen der USA, die Türkei unter dem Countering American Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) zu sanktionieren, und trotz ihres Ausschlusses aus dem F-35 Joint Strike Fighter Programm – in welches die Türkei bereits umfangreich investiert hatte – die Regierung in Ankara ließ sich vom Kauf nicht abbringen. Am 14. September letzten Jahres, verhängte die Trump Regierung schließlich die CAATSA-Sanktionen gegen das Direktorat der Türkischen Verteidigungsindustrie.

Das Ereignis fiel mit der Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs während des Gipfeltreffens vom 10. bis 11. Dezember zusammen, türkische Einzelpersonen zu sanktionieren, die, nach Ansicht des Blocks, an provokativen Gasbohraktivitäten im östlichen Mittelmeer beteiligt waren. Der Entscheidung vorausgegangen war ein monatelanger Streit zwischen der Türkei und Griechenland sowie anderen Mittelmeeranrainern, die entweder für das eine oder das andere Lager Partei ergriffen. Dabei sah sich die türkische Regierung zunehmend isoliert in der Region, mit der international anerkannten Regierung Libyens als einzigen Verbündeten, in einem Konflikt der durch seine historischen Wurzeln und Vielzahl an Konfliktparteien keine baldige Lösung erkennen lässt.

Symbolische Sanktionen

Die von den USA und der EU verhängten Sanktionen können eher als symbolisch gedeutet werden, als dass sie ernsthaften ökonomischen Schaden anrichten würden. Dennoch folgen die Schritte den wachsenden Forderungen, entschiedenere Maßnahmen zu ergreifen, um der als aggressiv wahrgenommenen Außenpolitik sowohl der Türkei, als auch Russlands entgegenzuwirken. In den USA drängte der Kongress seit Jahren auf die Umsetzung der CAATSA-Sanktionen. In der EU sind es hauptsächlich Frankreich, Griechenland und Zypern welche eine harte Linie gegen Erdoğan fordern.  

Für Kritiker wie Dimitar Bechev und Suat Kınıklıoğlu gibt es Anzeichen für einen allgemeinen Trend in Europa, eine doppelte Herausforderung an der östlichen und südöstlichen Grenze zu sehen, die sich in Russland und der Türkei verkörpert. Doch beide Länder in einen Topf zu werfen und die eigene Politik daraufhin auszurichten, könnte in die falsche Richtung führen. Sie argumentieren, dass die Befürchtung einer autokratischen Blockbildung zwischen Russland und der Türkei problematisch ist und zu falschen Schlüssen führen kann. Insbesondere für die EU, deren geografische, kulturelle und politische Nähe zu beiden Ländern verschiedene Grautöne in den Beziehungen impliziert.

Ohnehin kann man in den Russland-Türkei Beziehungen der letzten Jahre zwar einige Höhe- aber auch viele Tiefpunkte erkennen. Während jedoch Wladimir Putin von einer historischen Wiederannäherung in den bilateralen Beziehungen sprach, porträtiert die regierungsnahe Presse in der Türkei die Beziehungen zu Russland als gelungenen diplomatischen Drahtseilakt Ankaras. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass die beiden Länder in einigen Konflikten auf unterschiedlichen Seiten stehen. Veranschaulicht wurde dies zuletzt in aller Klarheit, als im März 2020 34 türkische Soldaten durch Bombardements des Assad-Regimes getötet wurden. Auch in Libyen unterstützen beide Länder unterschiedliche Parteien.

Was die allgemeinen bilateralen Beziehungen angeht, argumentiert Seçkim Köstem, Professor für Internationale Beziehungen an der Bilkent Universität Ankara, so bestehe insbesondere auf ökonomischer Ebene ein starkes Ungleichgewicht zu Gunsten Russlands. Der Einbruch türkischer Exporte infolge der westlichen Sanktionen gegen Russland seit 2014 und der starke Rückgang russischer Touristen in türkischen Urlaubsgebieten, infolge der sogenannten ‘Fighter-Jet Crisis’ von 2015 sind gute Beispiele der asymmetrischen ökonomischen Verhältnisse.

Zwischen Partnerschaft und Konkurrenz

Auch in Fragen der Energiesicherheit ist das russisch-türkische Verhältnis ambivalent. So ist die Türkei ähnlich der EU stark abhängig von Rohstoffimporten aus Russland und wünscht diese Abhängigkeit zu reduzieren. Gleichzeitig versucht Ankara seit Jahren, die geostrategische Position der Türkei als regionalen ‚Energyhub‘ zu forcieren. Dabei fährt die türkische Regierung eine doppelte Strategie, die sowohl den Transport von russischem Gas nach Europa vorsieht, als auch gleichzeitig und in direkter Konkurrenz beginnt, azerisches Gas über den Südlichen Gas Korridor gen Westen zu exportieren.

Die Türkei wird ihre regionalen Ambitionen weiterhin verfolgen und voraussichtlich ihren offensiven Kurs in der Außenpolitik fortsetzen. Dabei können russische und türkische Interessen konvergieren oder im Konflikt miteinander stehen. Wie Galip Dalay von der Stiftung Wissenschaft und Politik jedoch beschreibt, zeigen die Entwicklungen der jüngeren Jahre, dass die bilateralen Beziehungen vorrausichtlich transaktional, problemorientiert und weitestgehend ohne übergeordnete Prinzipien auskommen werden.

Anders als für die USA, deren Beziehungen zur Türkei historisch immer auf geostrategischem und sicherheitspolitischem Kalkül beruhten, muss die EU andere Wege des Umgangs mit dem direkten Nachbarland und Mitglied der Zollunion finden. Zu verwoben sind Geopolitik, Ökonomie und Zivilbevölkerung, als das man dem Land einfach den Rücken kehren könnte.

Gerade weil die Türkei sich an einem politischen Scheideweg befindet, sollte sich die EU bemühen, antagonistische Narrative zu vermeiden und sich ihrer Mitverantwortung für innertürkische Verhältnisse bewusst werden. Gleichzeitig sollte weitere Zusammenarbeit, wie z.B. der Ausbau der Zollunion, an feste Bedingungen wie die Einhaltung rechtstaatlicher Prinzipien, Menschenrechte und einer Rückkehr zum Multilateralismus in der Außenpolitik geknüpft werden.

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