Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik
Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um die ambitionierten Wirtschaftsprojekte der russischen Regierung – und ihre Probleme und Chancen.
Große Hoffnung, großer Druck
Mit dem neuen russischen Regierungschef Mischustin verbinden sich große Hoffnungen. Einerseits auf eine deutlich effektivere Regierungsarbeit, andererseits auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung. Doch auch der Druck ist groß. Wie gewaltig er sein muss, machen seine Forderungen an die Regierung und die Ministerien deutlich. Bis spätestens 20. Februar sollen die fachlich Verantwortlichen die Einhaltung der Ziele der Nationalen Projekte bestätigen, bis 28. Februar die Änderungen in die Gesetzgebung eingebracht werden. Nun muss man sich nicht unbedingt die teilweise quälend langsame Entscheidungsfindung der deutschen Politik zum Vorbild nehmen, aber vier Wochen erscheinen für eine fundamentale Neuausrichtung doch sehr ambitioniert. Die Pläne für die Projekte sind nicht neu und der Weg zu deren Umsetzung ebenso wenig. Deshalb ist die Frage, kann es gelingen, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass effektive Ergebnisse erzielt werden? Denn genau daran haperte es bis jetzt.
Effizienz des öffentlichen Sektors stärken
Albert Einstein hat neben der Relativitätstheorie auch die ein oder andere Lebensweisheit hervorgebracht, unter anderem: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Reicht es also, nur mehr und mehr Geld zur Verfügung zu stellen? Ja – in bestimmten Sektoren spielt die finanzielle Ausstattung eine entscheidende Rolle. Wenn es denn stimmt, dass die wertvollste Ressource der Zukunft Bildung ist, dann muss Russland deutlich mehr investieren. Bei den öffentlichen Bildungsausgaben belegt Russland in einer entsprechenden OECD-Statistik unter 40 untersuchten Industrienationen den letzten Platz. Die privaten Investitionen in Bildung sind allerdings deutlich höher. Nein – wenn es darum geht, die Gesellschaft und die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Im Global Competiviness Report des World Economic Forum liegt Russland auf Position 43. Und in diesem Ranking wird Russland schlechter. Es bildet Soft Skills ab wie die Arbeit der Verwaltung und der Institutionen, das Zusammenspiel zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die Arbeitsmarktflexibilität, die Finanzierung von Innovationen und die Adaption von technischen Neuerungen. Hier zählt mehr der Wille zur Veränderung als das Geld.
25.700.000.000.000 Rubel
25,7 Trillionen Rubel, eine 25 gefolgt von einer Sieben und elf Nullen. So schwer ist das staatliche Förderprogramm des russischen Staates bis 2024. Über zwölf sogenannte Nationale Projekte wurden und werden gigantische Summen in Humankapital, Wirtschaftswachstum und die Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse investiert. Das ganz große Ziel besteht darin, Russland von einem Emerging Market in ein entwickeltes Industrieland zu verwandeln. Zumindest auf dem Papier liest sich das Programm sehr strukturiert und mit Aussicht auf Erfolg. Das mit großem Abstand meiste Geld – knapp 160 Milliarden Euro – wird in die Infrastruktur gepumpt, gefolgt von Ökologie, Demographie und der Gesundheitsversorgung. 160 Milliarden klingt viel, ist aber nur etwas mehr als Deutschland im Zeitraum 2013 bis 2018 ausgegeben hat. Und hierzulande ist – trotz anderslautender Behauptungen – die Infrastruktur gut ausgebaut. Vergleichsweise bescheiden nehmen sich die knapp sieben Milliarden für die Förderung des Mittelstandes aus. Weniger ist nur für Kultur und die Erhöhung der Arbeitsproduktivität vorgesehen.
Schwache Produktivität
Und das, obwohl die Schwäche bei letzterer einer der Hauptgründe für die nur mäßige wirtschaftliche Entwicklung Russlands ist. Laut OECD-Statistik führt Irland die Liste der produktivsten Länder mit einem Koeffizienten von 85,9 vor Norwegen und Luxemburg an, Russland landet mit 24,1 nur unter den letzten vier. Die Gründe für das schlechte Abschneiden sind vielfältig. Einer ist der Mangel an Wettbewerb innerhalb des Landes. Weit über die Hälfte aller Unternehmen ist unter staatlicher Kontrolle, und Staatsunternehmen sind nirgendwo auf der Welt die effektivsten und innovativsten. Als Regulativ sollen mittelständische Firmen fungieren, aber deren Anzahl schrumpft, und beim besonders relevanten industriellen Mittelstand ist die Not besonders groß. Der föderale Steuerdienst, das russische Finanzamt – und wer sonst könnte es wissen – listet in seiner Statistik für die gesamte russische Föderation 17.045 mittlere Unternehmen auf. Gemeint sind damit Firmen, die 100 und mehr Mitarbeiter beschäftigen. Im gesamten fernöstlichen Verwaltungsbezirk sind es gerade noch 635.
Ein Einwohner pro Quadratkilometer
Nun könnte man argumentieren, dort wohnen auf fast sieben Millionen Quadratkilometern auch weniger als sieben Millionen Menschen, also einer pro Quadratkilometer. Aber selbst wenn man diese Zahlen zugrunde legt, sind 66.436 Beschäftigte in den mittleren Unternehmen wenig bis sehr wenig. Auf keinen Fall jedoch genug, um die Basis für eine leistungsfähige Industrie bilden zu können. Aber genau die wäre nötig, um die anspruchsvollen Großprojekte im Fernen Osten und in Sibirien umsetzen zu können. Die meisten großen Vorhaben sind im Bereich Öl, Gas und Rohstoffe angesiedelt. Aber auch dafür sind hoch spezialisierte und auf höchstem technischem Niveau arbeitende Lieferanten notwendig. Darüber hinaus sind auch Infrastrukturprojekte, neue Standorte der Petrochemie, der Fischereiwirtschaft, die Modernisierung von Krankenhäusern, städtischer Infrastruktur, der Ausbau von Häfen, Werften usw. geplant. Bezeichnenderweise ist die „Investmentkarte“, in der jedes Projekt akribisch beschrieben ist, neben Russisch auch auf Englisch, Chinesisch, Japanisch, Koreanisch und Deutsch umschaltbar. Vermeintlich diejenigen Länder, aus denen man hofft, die notwendigen Investitionen und das Know-how zu bekommen.
Löwenanteil soll von privaten Investoren kommen
Investitionen sind deshalb von so entscheidender Bedeutung, weil auf der Webseite des Bevollmächtigten des Präsidenten für den Fernen Osten von den errechneten 11,2 Billionen Rubel nur etwa ein Drittel aus dem Budget fließen sollen. Der Rest soll von privaten Investoren kommen. Und da schließt sich der Kreis. Eine der ersten Fragen eines jeden Investors wird die nach der Infrastruktur und den Lieferanten sein. Beides ist in Russland – zumal je weiter man nach Osten kommt – nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Eines der wichtigsten Motive für deutsche Auslandsinvestitionen in den letzten Jahren war die zu erwartende Kostenersparnis. Zwar liegen die reinen Lohnkosten in Russland deutlich unter denen in Deutschland, was jedoch die Lohnstück- und Zusatzkosten betrifft, ist Russland nicht vorteilhafter als andere Standorte weltweit. Und das wiederum liegt an der mangelnden Arbeitsproduktivität und dem Mangel an Wettbewerb. Es wird also allerhöchste Zeit zu handeln.
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