Der Ölpreiseinbruch und seine Folgen für Russlands Wirtschaft

Welche Spuren zeigen Leistungsbilanz und Föderationshaushalt?

Vor gut einem Jahr erreichte der Preis für russisches Urals-Öl noch rund 66 Dollar je Barrel. Von Ende 2019 bis Anfang April 2020 stürzte er auf rund 14 Dollar ab. Bis zum Jahresende 2020 erholte er sich zwar auf rund 49 Dollar. Im Jahresdurchschnitt war er nach Angaben des russischen Finanzministeriums mit 41,73 Dollar aber rund 34 Prozent niedriger als 2019 (63,59 Dollar).

2020 war der Urals-Ölpreis rund ein Drittel niedriger als 2019

BOFIT, Bank of Finland: Crude oil prices rise above 50 $ barrel; 08.01.2021; Bildadresse

Die gesamtwirtschaftlichen Folgen des Preisrückgangs zeigen sich vor allem in der Leistungsbilanz und im Staatshaushalt. Der Überschuss in der Leistungsbilanz halbierte sich 2020 auf rund 33 Milliarden Dollar. Die Einnahmen im Föderalhaushalt aus dem Öl- und Gasbereich verringerten sich gegenüber 2019 um rund 34 Prozent.

Die Energieexporterlöse sanken noch etwas stärker als der Ölpreis

Der Ölpreisrückgang um rund ein Drittel war die wichtigste Ursache für die Abnahme der Erlöse Russlands aus dem Rohölexport. Außerdem veringerte sich die exportierte Menge (in den ersten 10 Monaten laut Rosstat um 11 Prozent).

Die Erdöl-Exporterlöse sanken nach einer ersten Schätzung der Zentralbank 2020 um rund 41 Prozent auf 72,5 Mrd. $. Der Erlös aus dem Export von Mineralölprodukten verringerte sich nur wenig schwächer um 34 Prozent auf 44,4 Mrd. $.

Die Ausfuhrerlöse im Erdgasgeschäft fielen ähnlich stark wie im Ölbereich. Insgesamt waren sie rund 36 Prozent niedriger. Beim Export per Pipeline (2020: 25,1 Mrd. $) sanken um rund 40 Prozent. Die Erlöse bei der Ausfuhr von verflüssigtem Erdgas (liquefied natural gas, LNG) waren mit 6,8 Mrd. $ rund 14 Prozent niedriger als 2019. Insgesamt waren die Erlöse aus der Ausfuhr dieser Energieträger mit 149 Mrd. $ rund 38 Prozent niedriger als 2019 (239 Mrd. $).

Russlands Export von Erdöl, Mineralölprodukten und Erdgas

Russische Zentralbank: External sector statistics; mit: Estimates of Key Aggregates of the Balance of Payments of the Russian Federation in 2020 und Balance of Payments of the Russian Federation (Estimate. Analytical Presentation); 19.01.2021

Der Anteil dieser Energieexporterlöse an den gesamten Erlösen aus Warenexporten sank 2020 kräftig um rund 12 Prozentpunkte auf rund 45 Prozent.

Der Handelsbilanzüberschuss sank um fast die Hälfte

Der Erlös aus dem Export der übrigen Waren hielt sich 2020 mit rund 181 Milliarden US-Dollar zwar auf dem Niveau des Jahres 2019. Mit einem Rückgang um rund 90 Mrd. $ ließen die Erlöse aus dem Export von Erdöl, Ölprodukten, Erdgas und LNG aber auch die gesamten Warenexporterlöse um rund 90 Mrd. $ auf rund 330 Mrd. $ sinken.

Der Wert der Wareneinfuhren nahm gleichzeitig nur um 15 Mrd. $ auf rund 240 Mrd. $ ab.

Damit verringerte sich der Handelsbilanzüberschuss 2020 um rund 46 Prozent auf rund 89 Mrd. $. Im Jahr 2019 hatte er noch rund 165 Mrd. $ betragen. In der folgenden Abbildung, die Tatiana Evdokimova twitterte, zeigen die dunkelblauen Säulenteile diesen Rückgang des Handelsbilanzüberschusses.

Russlands Leistungsbilanz und ihre Komponenten

Tatiana Evdokimova: Russian current account surplus was pretty decent; Tweet, 20.01.2021;
Bildadresse

Der Leistungsbilanzüberschuss halbierte sich 2020

Gleichzeitig verringerten sich 2020 die negativen Salden in den beiden anderen in der Abbildung ausgewiesenen Teilen der Leistungsbilanz. Das Defizit in der Dienstleistungsbilanz (grauer Säulenteil) sank auf – 18 Mrd. $ und das Defizit in der „Einkommensbilanz“ (hellblauer Säulenteil) auf – 39 Mrd. $.

Der Leistungsbilanzüberschuss (rote Linie) halbierte sich damit 2020 von rund 65 Milliarden US-Dollar auf rund 33 Milliarden US-Dollar (2,3 Prozent des BIP).

Eine detaillierte Übersicht über die Entwicklung der russischen Zahlungsbilanz seit 2014 gibt eine Tabelle in einem Beitrag des am Freitag veröffentlichten Wochenberichts des Forschungsinstituts BOFIT der finnischen Zentralbank.

Im vierten Quartal stieg der Leistungsbilanzüberschuss auf 6 Milliarden Dollar

Wie sich der Leistungsbilanzsaldo von Quartal zu Quartal entwickelte, zeigt die folgende Abbildung von Dmitry Dolgin, Chef-Volkswirt für Russland der ING Bank.

Im zweiten Quartal 2020 war der Leistungsbilanzüberschuss (graue Säule) insbesondere wegen des Einbruchs der Ölpreise von rund 23 Mrd. $ auf nur noch rund 1 Mrd. $ abgestürzt. Bis zum vierten Quartal erholte er sich nur auf rund 6 Mrd. $.

Zum Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses im Verlauf des Jahres 2020 trug bei, dass die Ausfuhrerlöse von Nicht-Brennstoffen im dritten und vierten Quartal etwas höher waren als im Vorjahr (rote Linie).

Vierteljährliche Entwicklung der russischen Leistungsbilanz

Leistungsbilanzüberschuss in Mrd. US-Dollar (graue Säulen; rechte Skala);
Veränderung der Exporte von Nicht-Brennstoffen (rote Linie) sowie der Importe von Waren (dunkelblaue Linie) und Dienstleistungen (hellblaue Linie) gegenüber Vorjahr in Prozent

Dmitry Dolgin; ING Bank: Russia balance of payments: supportive of ruble in the near-term, but risks for 2H21 mount; 19.01.2021

Die Importe von Waren (graue Linie), die im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich stark gesunken waren, verringerten sich im dritten und vierten Quartal deutlich schwächer. Im vierten Quartal waren die Warenimporte nur noch rund 2,5 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor.

Die Dienstleistungsimporte (blaue Linie), zu denen auch die Ausgaben bei Auslandsreisen gehören, unterschritten ihr Vorjahresniveau im vierten Quartal aber noch um rund 39 Prozent.

Vom Öl- und Gasbereich erhielt der Staat 2020 ein Drittel weniger Einnahmen

Der Ölpreisrückgang um rund ein Drittel und die niedrigere Ölförderung hinterließen 2020 auch im föderalen Haushalt deutliche Spuren. Die Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich verringerten sich nach Angaben des Finanzministeriums gegenüber 2019 um rund 34 Prozent.

Wie die folgende Abbildung von Tatiana Evdokimova zeigt, sank der Anteil der Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich an den gesamten föderalen Einnahmen von rund 39 Prozent auf rund 28 Prozent (rote Linie, rechte Skala). 2014 hatte der Öl- und Gasbereich noch rund 51 Prozent der föderalen Einnahmen gestellt.

Tatiana Evdokimova: A cocktail of low oil prices and oil price production cuts…; Tweet vom 21.01.21; Bildadresse

Die Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich entsprachen 2020 nur noch rund 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (dunkelblaue Säule; linke Skala). Die übrigen Einnahmen des föderalen Haushaltes (hellblaue Säule; linke Skala) entsprachen rund 12 Prozent des BIP.

Ausländische Direktinvestitionen so niedrig wie seit 1994 nicht mehr

Tatiana Evdokimova macht auch auf den von der Zentralbank mitgeteilten starken Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen in russische Unternehmen außerhalb des Finanzsektors aufmerksam. Sie betrugen 2020 nur noch 1,4 Milliarden US-Dollar. Noch niedriger waren diese Direktinvestitionen zuletzt im Jahr 1994.

Tatiana Evdokimova: The pandemic brings the inflow of foreign direct investments…; Tweet vom 19.01.2021; Bildadresse

Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Zahlungsbilanz 2020 (Zentralbank-Schätzung); Rosstat-Daten Außenhandel November

Föderalhaushalt 2020

Nord Stream 2

Deutsch-russische Beziehungen

Russland-Konferenzen der IHK Düsseldorf am 14.01.2021 und am 09.12.2020

Wöchentliche Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

BOFIT (Bank of Finland): BOFIT Weekly (Russland und China im wöchentlichen Wechsel; donnerstags finnische; freitags englische Ausgabe); BOFIT Russia Statistics

Vnesheconombank Institute:World Economy and Markets Review“ mit Russland-Themen:

Sberbank: Wochenbericht „Global Economic News“ mit folgenden Russland-Themen:

Marina Voitenko; politcom.ru: Wirtschaftspolitischer Wochenrückblick; jeweils donnerstags

  • 21.01. On the way to qualitative growth: Rückblick auf Gaidar-Forum
  • 14.01.: Oil prices matter: Hohe Ölpreisvolatilität im Jahr 2020; Ölpreisprognose für 2021 nach OPEC+Abkommen auf 50 bis 55 Dollar/Barrel gestiegen; voraussichtliche Rubel-Aufwertung auf rund 70 Rubel/Dollar kann Inflation auf 3,5 bis 4 Prozent bis Ende 2021 dämpfen; der Nationale Wohlfahrtsfonds kann auf 7 Prozent des BIP aufgefüllt werden.

Dmitry A. Zaitsev; Rechnungshof-Wochenbericht:Economic Monitoring“ ; jeweils donnerstags

Sonstige periodische Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik;

Russlands Wirtschaft am Jahreswechsel 2020/2021 – Rückblick und Ausblick

Gaidar Forum in Moskau am 14./15. Januar

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