Virus-Krise bringt Ölpreis unter verschärften Druck

Sinkt Russlands Leistungsbilanzüberschuss 2020 noch schneller als geplant?

Welche Auswirkungen hat das Corona-Virus auf Russlands Wirtschaft und die Rohstoff-Exporte? Die Montagsanalyse von Klaus Dormann.

Russland hat 2019 die Produktion und den Export von Erdöl und Erdgas zwar mengenmäßig gesteigert. Die Ausfuhrerlöse von Öl und Gas sanken jedoch. Bei einem Rückgang des Ölpreises um rund 9 Prozent war der Erlös aus der Ausfuhr von Energieträgern und Brennstoffen 2019 um 8,5 Prozent niedriger als im Vorjahr. Der Energieanteil am gesamten Erlös aus der Warenausfuhr sank laut Zollstatistik um knapp 2 Prozentpunkte auf rund 62 Prozent.

Mit sinkenden Erlösen beim Energieexport begann 2019 auch der hohe Handelsbilanzüberschuss Russlands zu schrumpfen. Der 2018 stark gestiegene Überschuss in der Leistungsbilanz sank ebenfalls deutlich.

Die aktuelle „Virus-Krise“ hat den Abwärtstrend des Ölpreises verschärft. Vom 09. Januar bis zum 28. Februar sank der Urals-Ölpreis (tagesaktuelles Chart von Oilprice.com) um rund ein Viertel auf nur noch 46,60 Dollar/Barrel.

Entwicklung des Urals-Ölpreises von Januar 2013 bis Januar 2020;im Januar 2020 betrug er im Durchschnitt noch 61,67 Dollar/Barrel;

Economic Expert Group: Economic Review – February 2020; Seite 49; 21.02.2020

Russlands Zentralbank geht in ihrer mittelfristigen Prognose im Basisszenario für den Jahresdurchschnitt 2020 nur von einem Rückgang des Urals-Ölpreises auf 55 Dollar/Barrel aus (- 13,5 Prozent gegenüber 2019). Bleibt der Ölpreis so niedrig wie Ende Februar (46,60 Dollar/Barrel), ist damit zu rechnen, dass Russlands immer noch sehr hoher Leistungsbilanzüberschuss deutlich schneller sinkt als die Zentralbank schon jetzt erwartet.

2019 sank der Energieanteil an den Exporterlösen

Daten über die wertmäßige Entwicklung des Exports von Energieträgern und Brennstoffen ermittelt Russlands Zollstatistik. Am 25. Februar wurden Ergebnisse der Zollstatistik für 2019 auch von der Statistikbehörde Rosstat in ihrem Bericht zur Entwicklung des Außenhandels im Jahr 2019 veröffentlicht. Danach stellten Energieträger und Brennstoffe im letzten Jahr mit einem Ausfuhrerlös von insgesamt 262,5 Milliarden US-Dollar 62,1 Prozent der der gesamten Warenexporterlöse (2018: 63,8 Prozent).

Der Exporterlös von Rohöl (einschließlich Erdgaskondensat) sank um 6,0 Prozent auf 121,4 Milliarden Dollar. Die Erlöse aus dem Export von Erdgas durch Pipelines gingen um 15,3 Prozent zurück.

Der Rückgang des Energie-Anteils an den gesamten Ausfuhrerlösen um knapp 2 Prozentpunkte kann als kleiner Fortschritt bei der angestrebten Diversifizierung der Exporte gesehen werden. Gleichzeitig stagnierte allerdings 2019 der Anteil der Erlöse aus der Ausfuhr von Maschinen und Ausrüstungen mit 6,5 Prozent auf dem Vorjahresniveau. Weitere Informationen zur wertmäßigen Entwicklung der russischen Energieexporte vermitteln Schätzungen der russischen Zentralbank vom 17. Januar zur Entwicklung der Leistungsbilanz im Jahr 2019. Sie enthalten auch Angaben zur Entwicklung des Exports von Mineralölprodukten und LNG (verflüssigtes Erdgas). Von den Rosstat-Angaben aus der Zollstatistik weichen die Schätzungen der Zentralbank nur wenig ab. Bis Mitte März dürfte die Zentralbank neue Zahlen zur Leistungsbilanz 2019 veröffentlichen.

Russlands Export von Erdöl, Mineralölprodukten und Erdgas

  2018 2019
Mrd. $ Mrd. $ % ggü. 2018
Erdöl 129,2 121,6 -5,9
Mineralölprodukte 78,2 66,3 -15,2
Erdgas insgesamt 54,4 49,9 -8,3
– Pipeline-Exporte 49,1 41,5 -15,5
– LNG-Exporte 5,3 8,4 +58,5
Erdöl, Produkte,
Erdgas insgesamt
261,8 237,8 -9,2
Sonstige Exporte 181,3 180,2 -0,6
Export insgesamt 443,1 417,9 -5,7
Anteil von Öl und Gas
am Export in %
59,1 56,9

Russische Zentralbank: External Sector StatisticsBalance of Payments of the Russian Federation; Estimate Analytical Presentation,17.01.2020

Wie die Zollstatistik zeigen auch die Schätzungen der Zentralbank, dass der Anteil der von ihr erfassten Energieexporte an den gesamten Exporten 2019 gesunken ist. Erdöl, Mineralölprodukte und Erdgas stellten 2019 laut Zentralbank-Schätzung 56,9 Prozent der gesamten Exporterlöse. 2018 waren es 59,1 Prozent.

2018 war der „Öl- und Gasanteil“ an den gesamten Exporterlösen um gut 4 Prozentpunkte gestiegen. Mit 59,1 Prozent war er aber immer noch rund 7 Prozentpunkte niedriger als 2014 mit 66,4 Prozent. 2019 war der „Öl- und Gasanteil“ sogar fast 10 Prozentpunkte niedriger als 2014. Der Wert der Exporte von Erdöl, Mineralölprodukten und Erdgas war 2019 um 9,2 Prozent niedriger 2018. Der Wert der sonstigen Exporte verringerte sich nur um 0,6 Prozent.

Mengenmäßig produzierte und exportierte Russland 2019 mehr Öl und Gas

Über die Entwicklung der Produktions- und Ausfuhrmengen von  Erdöl- und Erdgas berichtete Ende Februar das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank in „BOFIT Weekly“.

Rohölförderung 2019: Anstieg um rund 1 Prozent

Russlands Rohölförderung (einschließlich Gaskondensat) stieg 2019 um rund ein Prozent auf rund 560 Millionen Tonnen (11,3 Millionen Barrel/Tag). So hoch war sie noch nie nach dem Ende der Sowjetunion. Laut IEA war Russland damit weltweit zweitgrößter Produzent nach den USA.

Russian crude output hit new highs last year

Sources: CEIC, Rosstat.
BOFIT (Bank of Finland): Russian crude oil production hits record levels; BOFIT Weekly, 28.02.2020

Rohölausfuhr: Anstieg um knapp 3 Prozent

Mit rund 270 Millionen Tonnen wurde 2019 fast die Hälfte der Ölförderung exportiert. Die Rohölausfuhr stieg um fast 3 Prozent. In den ersten drei Quartalen wurde gut die Hälfte in die EU geliefert, reichlich ein Viertel nach China.

Erdgasförderung: Anstieg um rund 3 Prozent

Russlands Erdgasförderung stieg 2019 um rund 3 Prozent auf fast 690 Milliarden Kubikmeter, eine neues Rekordniveau.

Der Anstieg ergab sich weitgehend aus dem Ausbau der Produktion von verflüssigtem Erdgas (liquefied natural gas, LNG). Die LNG-Produktion erhöhte sich um fast die Hälfte auf rund 29,5 Millionen Tonnen (rund 40 Milliarden Kubikmeter). Die übrige Erdgasförderung stieg nur um rund ein Prozent. LNG stellte damit 2019 rund 6 Prozent der gesamten Erdgasproduktion.

LNG led growth in Russian natural gas production last year

BOFIT (Bank of Finland): LNG drives growth in Russian natural gas production; BOFIT Weekly, 28.02.2020

Erdgasausfuhr: Anstieg um knapp 6 Prozent

Mit 250 Milliarden Kubikmetern wurde 2019 rund ein Drittel der Erdgasförderung exportiert. Bei einer Verdoppelung der LNG-Exporte stieg die gesamte Ausfuhr von Erdgas um fast 6 Prozent. Die Pipeline-Lieferungen stagnierten auf dem Vorjahresniveau. Der LNG-Anteil an den gesamten Erdgasausfuhren erhöhte sich auf rund 15 Prozent.

In den ersten drei Quartalen 2019 gingen fast 70 Prozent der Erdgasausfuhren in die EU. Rund 15 Prozent wurden an CIS-Länder geliefert.

Die Lieferungen nach China machten nach der Eröffnung der Pipeline „Power of Siberia“ 2019 nur knapp 1 Prozent der gesamten Erdgasexporte aus. 2020 sollen nach China rund 5 Milliarden Kubikmeter geliefert werden, 2021 rund 10 Milliarden Kubikmeter. Die „Virus-Krise“ könnte jedoch die Nachfrage aus China dämpfen, merkt BOFIT an.

Sehr hoher Leistungsbilanzüberschuss 2019 um gut ein Drittel gesunken

Insbesondere dank seiner hohen Erlöse aus dem Export von Energie und Rohstoffen hat Russland in den letzten 13 Jahren immer beträchtliche Überschüsse in seiner Leistungsbilanz erzielt. Sie schwankten allerdings erheblich. Meist lag der Überschuss zwischen 30 und 100 Milliarden Dollar. 2018 stieg der Überschuss sogar auf 113,5 Milliarden Dollar (fast 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). 2019 sank der Leistungsbilanzüberschuss laut den ersten Schätzungen der Zentralbank allerdings um gut ein Drittel auf rund 71 Milliarden US-Dollar (rund 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts).


Zentralbank: Investor presentation: Russian Financial Sector“; Feb. 2020
http://www.cbr.ru/Collection/Collection/File/27390/cbr_ir_2020-02.pdf

Zentralbank erwartet raschen Abbau des Leistungsbilanzüberschusses

Bis 2022 wird der Überschuss in der Leistungsbilanz nach Einschätzung der Zentralbank weitgehend verschwinden. Die Zentralbank rechnet damit, dass er in den nächsten drei Jahren ähnlich rasch abnehmen wird wie 2019. Das ergibt sich aus den mittelfristigen Prognosen der Zentralbank, die sie am 7. Februar anlässlich der Sitzung ihres Direktorenrates, bei dem eine weitere Senkung des Leitzinses beschlossen wurde, veröffentlichte.

Hinsichtlich des Ölpreises geht die Zentralbank in ihrem Basisszenario davon aus, dass der Urals-Ölpreis im Jahresdurchschnitt 2020 weiter auf 55 Dollar/Barrel sinkt (Urals-Ölpreis am 28.02.2020: 46,6 Dollar/Barrel). 2021 und 2022 soll er nur noch jeweils 50 Dollar/Barrel erreichen.

Bei dieser Ölpreisentwicklung werden der Handels- und der Leistungsbilanzüberschuss laut Zentralbank rasch weiter sinken. 2020 rechnet sie mit folgender Abnahme der Überschüsse:

  • Der Handelsbilanzüberschuss („Balance of trade“ in der folgenden Tabelle der Zentralbank) soll von 163 Milliarden Dollar auf 136 Milliarden Dollar zurückgehen (rund – 17 Prozent).
  • Der Leistungsbilanzüberschuss („Current account“) soll um rund ein Drittel von 71 Milliarden Dollar auf 47 Milliarden Dollar abnehmen.

Basis-Szenario zur Entwicklung der Leistungs- und der Handelsbilanz
Milliarden US-Dollar

Zentralbank: Medium-Term Forecast; 07.02.2020

Bis 2022 dürfte sich der Leistungsbilanzüberschuss nach den Erwartungen der Zentralbank gegenüber 2019 um rund 75 Prozent verringern und 2022 nur noch 18 Milliarden Dollar erreichen.

Der Handelsbilanzüberschuss soll von 2019 bis 2022 um rund 30 Prozent von 163 auf 115 Milliarden Dollar sinken.

Russlands „Sicherheitspolster“: Hohe Währungsreserven

Nach dem Einbruch der Ölpreise im Jahr 2014 waren die Währungsreserven Russlands im März des Rezessionsjahres 2015 auf rund 352 Milliarden US-Dollar gesunken. Mit Hilfe der Leistungsbilanzüberschüsse konnte Russland sie bis Ende 2019 wieder auf rund 544 Milliarden Dollar aufstocken. Ähnlich hoch waren sie zuletzt Ende 2012.

Die Zentralbank streicht in ihrer Präsentation für Investoren zum russischen Finanzsektor, die fast monatlich aktualisiert wird, heraus:

 „Signifikante internationale Währungsreserven sichern die finanzielle Stabilität“

Zentralbank: Investor presentation: Russian Financial Sector“; Feb. 2020
http://www.cbr.ru/Collection/Collection/File/27390/cbr_ir_2020-02.pdf

Die Währungsreserven entsprachen 2019 rund 33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sie deckten den Wert der Importe für die Dauer von 18 Monaten. Gleichzeitig verringerte Russland seine Verschuldung im Ausland (braune Säulen) seit Mitte 2014 um rund ein Drittel.

Titelbild
Titelbild: Leere Metro-Station in Moskau. Quelle:

Paul G / Unsplash

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Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Außenwirtschaft Russlands; Produktion und Ausfuhr von Öl- und Gas

Russland-Konferenz in Berlin am 19.02.2020

Zentralbank: Konjunkturbericht für Januar, 28.02.2020; Statistical Bulletin (monatlich)

Weitere Monatsberichte zur Konjunktur in Russland

Industrieproduktion im Januar

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte

Weitere Veröffentlichungen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Zentralbank: Präsentationen für Investoren in Englisch

Zentralbank: Monetary Policy Report; nächste Ausgabe erscheint am 06.05.2020

Zentralbank Konjunkturbericht „Talking Trends“ vom 12.02.2020