Kolumne: Amboss oder Hammer sein!

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um China: Seine Zusammenarbeit mit Russland, und was das Deutschland angeht.

Früher war alles besser

„Was kümmert es mich, wenn in China ein Sack Reis umfällt“, so sagte man früher, wollte man maximales Desinteresse zum Ausdruck bringen. Heute fällt mehr um als nur ein Sack, aber dazu gleich mehr. Eine zweite Weisheit, vorwiegend älterer Semester lautet: „Früher war alles besser“. Ich bin dann immer unsicher, wann genau dieses Früher gewesen sein soll. In der Antike, als man Andersdenkende an Kreuze genagelt hat? Im Mittelalter, als Hebammen und andere unliebsame Erscheinungen verbrannt worden und Wissenschaftler wider besseres Wissen die Erde in eine Scheibe verwandeln mussten, oder doch eher in der jüngeren Vergangenheit, die so schöne Dinge wie den Vokuhila oder einen Tanz namens Gangnam Style hervorgebracht hat? Es ist nicht ganz klar. Vielleicht ist damit aber auch gemeint, dass die Welt komplexer, globaler und vermeintlich unverstehbarer geworden ist, früher alles einfacher war. Jedenfalls ist sie heutzutage so vernetzt, dass uns China kümmern sollte; und nicht nur die Grundnahrungsmittelschieflage – maximale Punktzahl bei Scrabble!

Unabhängiger von Öl aus dem Golf

Der Treibstoff dieser Dynamik sind fossile Brennstoffe, allen voran Erdöl. Der Preis dafür kennt allerdings dieser Tag nur eine Richtung: bergab. Das ist insofern erstaunlich, als früher immer galt: Je turbulenter die Ereignisse in der Welt, umso teurer das Öl. Wenn früher den Öl exportierenden Ländern das Geld ausging, brauchten sie nur ein wenig Trouble zu veranstalten und schon rollte der Rubel wieder. Etwas platt, aber treffend. Dass diese Formel heute nicht mehr gilt, hat viele Ursachen. Die Amerikaner, einst größter Nettoimporteur, sind dank ausgereifterer Frackingtechnologie heute zum größten Ölproduzenten und zum Exporteur geworden. Außerdem sind sie auch bei niedrigem Preis konkurrenzfähig. Das wiederum macht die USA wesentlich unabhängiger von Öl aus den Golfstaaten und dem arabischen Raum. Die Amerikaner könnten notfalls auf Eigenversorgung umstellen.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Betriebe stillstehen

Ein zweiter Grund ist die Entwicklung der weltwirtschaftlichen Konjunktur. Die kühlt sich spürbar ab, seit der größte Präsident aller Zeiten und ein auf Lebenszeit gewählter Parteichef sich entschlossen haben, einen Handelskrieg zu führen. Die Folgen dieser Auseinandersetzung sind noch gar nicht absehbar. In jedem Fall belasten sie die chinesische Wirtschaft nachhaltig. Sie wächst langsamer. China aber ist der weltgrößte Ölimporteur. Nimmt es weniger Öl ab, drückt das auf den Preis. Und zu allem Überfluss gibt es auch noch Covid 19 – das Coronavirus. „Die Produktionen in China stehen still. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Firmen außerhalb Chinas nicht mehr produzieren können, weil Ihnen die Lieferungen fehlen“, zeigt sich ein deutscher Unternehmer mit intensivem Engagement in China sichtlich besorgt. Und das bedeutet noch weniger Öl, das geliefert wird.

Strikte Ausrichtung nach China

Vor allem aber bedeutet es, dass sich die chinesische Wirtschaft weiter abschwächen wird. Wie stark der Einbruch ausfällt, ist reine Spekulation. Aber bei einem Anteil von knapp 19 Prozent am weltweiten BIP ist die Frage nicht, ob diese Schwäche auch andere Volkswirtschaften in Mitleidenschaft ziehen wird, sondern wie stark.

Russland hat seine Wirtschaft 2014 – auch in Folge der westlichen Sanktionen – vehement in Richtung Kooperation mit China ausgerichtet. Heute ist die Volksrepublik der größte Handelspartner und einer der wichtigsten Investoren im Land. Ein ums andere Mal haben Wettbewerber aus anderen, meist westlichen Ländern bei Ausschreibungen den Kürzeren gezogen, weil chinesische Anbieter die – staatliche – Finanzierung gleich mitgebracht haben. Ob es in jedem Fall technologisch die richtige Entscheidung war, darf zumindest bezweifelt werden. Politische Entscheidungen ersetzen wirtschaftlichen Sachverstand jedenfalls nicht.

Wenig Lokalisierung aus China

Was chinesische Firmen mit wenigen Ausnahmen bisher oft vermeiden, ist die Lokalisierung von Produktionen in Russland. Es lohnt sich einfach aus wirtschaftlichen Gründen nicht. Den Druck zur Lokalisierung und Importsubstitution, dem westliche Anbieter verstärkt ausgesetzt sind, scheinen Unternehmen aus dem Reich der Mitte nicht zu spüren. Wie immer der chinesische Masterplan aussehen mag, die Engagements folgen den strategischen Interessen Sicherung der Rohstoffversorgung und Ausbau der Infrastruktur, für die Transportwege in Richtung Europa und des nördlichen Seewegs. Der russische Export besteht folgerichtig auch fast ausschließlich aus Rohstoffen. Trotzdem investieren Chinesen. Die FDI-Projekte sind von Null im Jahr 2012 auf 32 im Jahr 2017 gestiegen, um in den letzten beiden Jahren wieder stark zu sinken. Führend sind in dieser Statistik die Amerikaner, ja sie lesen richtig, die Amerikaner vor den Deutschen. Die meisten Projekte sind aus dem Bereich Land- und Ernährungswirtschaft, gefolgt von Maschinen und Anlagen. Investiert wird aber auch in Infrastruktur und Öl und Gas. Vor allem auch in Sibirien und im Fernen Osten sind die südlichen Nachbarn involviert.

Strategische Partnerschaft oder Abhängigkeit?

Das wirft die Frage auf, wie strategisch die Partnerschaft zwischen Russland und China wirklich ist. Oder ist es eher eine Abhängigkeit? Die Investitionen der Chinesen lassen ein ganz klares Interesse an ausgewählten Bereichen wie Infrastruktur, Transport, Energie und Rohstoffen erkennen. Kaum Interesse besteht hingegen bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Digitalisierung, Hochtechnologie, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, Smart Factories und Smart Cities, autonomes Fahren, Elektromobilität, GreenTech, Raumfahrt und Rüstung. In diesen Bereichen setzt China entweder auf die eigenen Innovationen oder auf Kooperationen mit anderen Ländern, darunter auch Deutschland.

Russland ist Teil Europas

Die Deutschen wiederum sind hegemonialer und geostrategischer Interessen eher unverdächtig. Dafür aber ein Partner auf Augenhöhe, der neben technologischer Marktführerschaft auch Unternehmen zu bieten hat, die nicht vom Staat gelenkt sind und zum Wohle der Verbraucher und am Markt orientiert handeln. Es wäre also durchaus einen Versuch wert, Russland noch einmal ein Angebot zur, wenn schon nicht strategischen, so doch wenigstens zur vertieften Zusammenarbeit zu machen. Russland ist Teil Europas, auch wenn geografisch der größte Teil des Landes in Asien liegt. Und neben seiner militärischen Stärke braucht das Land eine wirtschaftlich solide Perspektive. Früher oder später wird sich deshalb die Frage sowohl für die Europäer als auch für Russland stellen, die Goethe in die schönen Zeilen gekleidet hat: „Du musst herrschen und gewinnen, oder dienen und verlieren, leiden oder triumphieren, Amboss oder Hammer sein.“ Und wer will schon Amboss sein.

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