Wie die deutsche Wirtschaft den Osten Europas eroberte

Sachbuch “Go East” – Erfolge, Erfahrungen, Irrtümer

Das Buch “Go East. Erfolge, Erfahrungen, Irrtümer” von Jutta Falkner schildert die Erfolgsgeschichte deutscher und österreichischer Unternehmen in Ost- und Mitteleuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Es erscheint im September im Verlag LangenMüller. 

Während zahlreiche Veröffentlichungen zum Osthandel vor allem Politik und Institutionen in den Mittelpunkt stellen, betrachtet Falkner die Entwicklung der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen konsequent aus unternehmerischer Sicht und lässt dabei die Akteure selbst zu Wort kommen.

Dabei setzt sie noch vor dem Beginn des Transformationsprozesses von der Plan- zur Marktwirtschaft an und beschreibt, wie der Handel zwischen deutschen und österreichischen Unternehmen und den Ministerien und Außenhandelsorganisationen in den RGW-Ländern konkret funktionierte, wie westliche Unternehmen Maschinen und Anlagen gegen Öl und Gas lieferten, Flughäfen und Chemiewerke bauten und auch Herrenunterwäsche und Doppelkorn als Zahlungsmittel akzeptierten.

Der Westen boykottierte Olympia – aber nicht die Unternehmen

Falkner erzählt vom Bau eines Hüttenwerkes auf dem Gelände, auf dem sich im Zweiten Weltkrieg deutsche und sowjetische Panzer in der größten Landschlacht gegenüberstanden, die es je gegeben hat. 30 Jahre nach der Panzerschlacht am Kursker Bogen präsentierte die sowjetische Führung deutschen Industrievertretern dieses Gelände als zukünftigen Standort für ein großes kombiniertes Hüttenwerk – projektiert von deutschen Unternehmen und ausgestattet mit deutschen Anlagen und deutscher Technologie. Das amerikanische Embargo nach dem Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan stellte das Geschäft infrage. Aber Wirtschaft und Politik in Deutschland kämpften gemeinsam für das Vorhaben, denn immerhin handelte es sich mit einem Gesamtvolumen von fünf Milliarden DM um das größte Projekt in der Geschichte der deutsch-sowjetischen Industriekooperation. 1984 wurde das Oskol Elektrometallurgische Werk (OEMK) als das modernste Hüttenwerk der Welt eröffnet.

1980 boykottierte die westliche Welt die Olympischen Sommerspiele in Moskau. Deutsche Sportler durften nicht in das Zentrale Lenin-Stadion in Moskau einmarschieren. Der Flughafen, die Sportstätten und Hotels aber waren von deutschen Unternehmen gebaut und eingerichtet worden.

Vertrauen war anfangs schwer

Jutta Falkner: “Go East. Erfolge, Erfahrungen, Irrtümer”

Falkner erlebte den Überlebenskampf des erste deutsch-sowjetischen Gemeinschaftsunternehmens Homatek. Wo einst der deutsche Partner, ein traditionsreiches Maschinenbauunternehmen, seine Werkhallen hatte, steht heute ein Lidl-Markt. Wo der sowjetische Partner, einer der größten Werkeugmaschinenhersteller der Sowjetunion, in Moskau residierte, existiert heute eine Shopping-Mall.

Die Autorin lässt den Leser miterleben, wie die Übernahme des tschechischen Autoherstellers Škoda durch Volkswagen gelaufen ist und wie und warum sich deutsche und österreichische Kfz-Zulieferer in Windeseile in Tschechien, der Slowakei, Polen, Ungarn und Rumänien ansiedelten. Dieser Erfolgsstory stellt sie die schwierigen Bedingungen für die westliche Automobilindustrie in Russland gegenüber.

Nikolaus Knauf, Inhaber der Gebr. Knauf KG, Iphofen, gibt im Gespräch mit der Autorin Auskunft darüber, wie er sein Gips-Imperium im Osten aufgebaut hat. “Die Geschichte hat bisher immer gezeigt, dass nach einem Systemwandel eine Zeit der Blüte kommt, des Aufbaus”, wusste Knauf schon damals. Und er gibt den Ratschlag: “Als Unternehmer sollte man sich vollkommen frei machen von der Politik. Man muss sie nur ertragen.“

Deutschland und Österreich als führende Handelspartner

Das Dilemma mit der Öl- und Gasindustrie fasst Falkner mit den Worten zusammen: “30 Jahre, nachdem die kommunistischen Regimes in Ost- und Mitteleuropa davongejagt wurden, streiten Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Europa und weltweit über die Verlegung zusammengeschweißter Rohre, als würde die ganze Rote Armee durch diese Pipeline nach Westeuropa geschleust.” Sie lässt diejenigen Vorstände deutscher und österreichischer Energieunternehmen zu Wort kommen, die mit dem russischen Gaskonzern Gazprom seit Jahren gut zusammenarbeiten, bringt aber auch zur Sprache, wie schwierig die Anfänge waren, bis Vertrauen zwischen den Partnern aufgebaut war.

Wie Protektionismus die Zusammenarbeit mit Russland erschwert, stellt sie am Beispiel des Landmaschinenherstellers Claas dar. Trotz aller Bemühungen gelang es Claas über Jahre hinweg nicht, den russischen Lokalisierungsanforderungen zu genügen und wie der russische Marktführer Rostselmasch staatliche Subventionen für seine Mähdrescher und Traktoren zu erhalten. Aber Claas gab nicht auf. 2015 unterzeichnete das Unternehmen schließlich einen speziellen Investitionsvertrag, der es zum Hersteller “vaterländischer Produkte” machte. Heute gilt das Unternehmen als Vorzeigeprojekt, mit dem sich die russische Regierung gern schmückt. Seinem russischen Konkurrenten begegnet Claas auf Augenhöhe. Wenn ab 2023 sogar die Motoren für die Claas-Mähdrescher in Krasnodar produziert werden, wird der Landmaschinenspezialist aus Harsewinkel russischer sein als das russischste Unternehmen, glaubt Falkner.

Irrtümer, Erfahrungen und Erfolge

Schließlich beschreibt sie auch die Rolle der deutschen und österreichischen Banken bei der Finanzierung von Handel und Investitionen im Transformationsprozess. Während die Österreicher als die Pioniere im Osten gelten und schon früh kleine und große Finanzinstitute übernahmen, gaben sich beispielsweise die Deutsche Bank und die Commerzbank mit ihrer Rolle als führende Institute im Bereich Handelsfinanzierung zufrieden. Den Markt für Investmentbanking in Russland und Kasachstan hat vor allem die Deutsche Bank überschätzt.

Heute gehören Deutschland und Österreicher in allen Ländern der Region Ost- und Mitteleuropa zu den führenden Handelspartnern. Als ein Erfolgsfaktor bei der Eroberung der Märkte sieht Falkner die Tatsache, dass Deutschland auf drei Schätze zurückgreifen konnte, die keiner anderen Nation in dem Umfang zur Verfügung standen: Ostdeutsche, Rumänien- und Russlanddeutsche, polnische und russische Ehefrauen und das deutsche Verbandswesen.

Im letzten Kapitel fasst Falkner Irrtümer, Erfahrungen und Erfolge zusammen und betrachtet es als schönsten und größten Erfolg, “dass deutsche Unternehmen als Wirtschaftspartner in allen Ländern willkommen sind, dass Albaner, Armenier, Aseris, Weißrussen, Esten, Georgier, Kasachen, Kroaten, Kirgisen, Letten, Litauer, Mazedonier, Montenegriner, Moldawier, Polen, Russen, Rumänen, Serben, Slowenen, Tadschiken, Turkmenen, Ukrainer und Usbeken gern mit uns zusammen. Und wir mit ihnen.”

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Delpixel / Shutterstock.com
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Über die Autorin

Dr. Jutta Falkner beschäftigt sich als Wirtschaftsjournalistin seit mehr als 30 Jahren mit den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen. Anfang der 90er-Jahre übernahm sie mehrheitlich die »Ost-West-Kontakte Verlags- und Werbegesellschaft mbH & Co. KG«, Hamburg, und baute sie als »OWC-Verlag für Außenwirtschaft GmbH« zu einem der führenden Außenwirtschaftsverlage Deutschlands aus. Die Publikationen befassten sich schwerpunktmäßig mit den Märkten Ost- und Mitteleuropas sowie Asiens. Die wirtschaftliche Erschließung von Ost- und Mitteleuropa durch westliche Unternehmen hat sie unmittelbar begleitet und kommentiert. Nach dem Verkauf des Verlages gibt sie heute u. a. das BusinessPortal Norwegen heraus.