Der jämmerliche Abzug des Westens aus Afghanistan könnte immerhin die Chance bieten, Berechtigung und Sinn künftiger „Regime Change“-Operationen endlich grundsätzlich in Frage zu stellen. Aber Joe Biden tönt schon wieder wie einst George W. Bush. Und AKK liefert stotternde Begleitmusik.
Kennen Sie schon den? „Was ist der Unterschied zwischen der Sowjetunion und dem Westen? – Die Sowjetunion war bereits nach zehn Jahren aus Afghanistan draußen. Der Westen brauchte doppelt so lange!“
Es gibt noch einen weiteren Unterschied: Nachdem Michail Gorbatschow im Februar 1989 die letzten Truppen aus Afghanistan abgezogen hatte, enthielt sich das Land – wie übrigens auch dessen größter Nachfolgestaat – ab nun sämtlicher „Regime Change“-Optionen, wie sie zum Beispiel noch im August 1968 in Prag praktiziert worden waren. Die Weichen hatte er bereits kurz nach seiner Wahl zum Generalsekretär der KPdSU im Frühling 1985 mit der berühmten „Sinatra-Doktrin“ („I did it my way“) gestellt, die es den Verbündeten der UdSSR freistellte, welchen Weg sie künftig gehen wollten. Und im Dezember 1988 hatte Gorbatschow in einer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen seine Vision einer Weltordnung in folgendem Satz zusammengefasst: „Unser Ideal ist eine Weltgemeinschaft von Rechtsstaaten, die ihre Außenpolitik dem Recht unterordnet.“
Anders der amtierende US-Präsident Joe Biden, der auch nach dem grandios verlorenen Afghanistankrieg den Hals offenbar immer noch nicht voll bekommt. „Wir werden euch jagen, und wir werden euch dafür bezahlen lassen“, drohte er prä-, besser: postpotent am Donnerstag in ohnmächtiger Wut den mutmaßlichen Drahtziehern der Selbstmordattentate vor dem Kabuler Flughafen, den Anführern der Terrorgruppe Isis-K. Ähnlich hatte nach Nine-Eleven bereits Bidens Amtsvorvorvorgänger George W. Bush getönt. Was aus dessen vollmundigen, vor – wie Mitglieder*innen und Sympathisant*innen der ehemaligen Partei der Friedensbewegung, den heute treuesten US-Fans, in anderen Kontexten schreiben würden – ‚toxischer Männlichkeit‘ nur so strotzenden Ankündigungen wurde, ist ja bekannt.
Der Zwanzigjährige Krieg des Westens auf dem Territorium Afghanistans erinnert frappierend an eine bitterböse Phrase aus den Zeiten, als die DDR noch ewig existierte – und der sich nach dem Fall der Mauer prompt bewahrheitete: „Der Sozialismus ist der kürzeste Weg vom Kapitalismus zum Kapitalismus!“ In Analogie zu diesem weisen Satz könnte man nun formulieren: „Der Krieg in Afghanistan war der kürzeste Weg von der Taliban-Herrschaft zur Herrschaft der Taliban!“
Ob aus diesem atemberaubenden Desaster endlich vernünftige Lehren für die Zukunft gezogen werden, darf getrost bezweifelt werden. Schon mehren sich in Deutschland die Stimmen, die eine weitere Aufrüstung des „europäischen Arms der NATO“ fordern, da sich gezeigt habe, dass man ohne die USA ja noch nicht mal einen Flughafen sichern könne.
Die letzten Zuckungen des jämmerlichen, Vietnam noch unterbietenden, westlichen Abzugs aus Afghanistan brachte jedenfalls unsere Verteidigungsministerin in einer Formel auf den Begriff, die – wie einstmals Horaz – für sich in Anspruch nehmen kann, haltbarer als Erz („aere perennius“) zu sein. Vor einigen Tagen teilte AKK, deren performative Qualitäten ihren fachlichen in keiner Weise nachstehen, einer tief beeindruckt lauschenden Gruppe von Journalisten folgendes (hier, ab Minute 01:40) mit: „Wir werden die unverzüglichen und ohne Verzögerung durchgeführte Präzisierung der Planung der Auslösung der Vorbereitung der Mission seit letzter Woche, insbesondere seit Donnerstag letzter Woche, noch einmal darlegen.“
Diesen brillianten Ausführungen ist nichts weiter hinzuzufügen. Hoffen wir, dass den nächsten Auslandseinsatz der Bundeswehr ein ebenso geniales Epitaph krönen wird!
Dieser Text erschien zuerst bei RT Deutsch. Ostexperte.de bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Debattenbeiträge und Kommentare müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.