Seit Mai ist aber ein sinkendes BIP zu beobachten
Die russische Regierung geht in ihrer Haushaltsplanung davon aus, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in diesem Jahr um 4,2 Prozent steigt. Ein ähnlich starkes Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahresvergleich 2021 gegenüber 2020 wird inzwischen von sehr vielen Banken, Forschungsinstituten und internationalen Wirtschaftsorganisationen erwartet. Jetzt auch von der Weltbank.
Allerdings hat nach Berechnungen des Forschungsinstituts der Vnesheconombank im Mai ein Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vormonat begonnen, der sich im August auf 0,8 Prozent beschleunigte. Für September signalisiert die Erholung der Einkaufsmanager-Indizes jedoch eine Stabilisierung der Produktion.
Die Weltbank erhöht ihre Wachstumsprognose für 2021 auf 4,3 Prozent
Im Vorfeld der gemeinsamen Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank veröffentlichte die Weltbank ihren Bericht „Europe and Central Asia Economic Update“, der für 23 Länder in Mittel- und Osteuropa sowie Zentralasien Konjunkturprognosen bietet. Für Russland (Seite 123/124) erwartet die Weltbank, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 4,3 Prozent wächst. Diese Prognose entspricht weitgehend den Umfrageergebnissen der Nachrichtenagenturen Reuters (+ 4,3 Prozent) und Interfax (+ 4,4 Prozent).
Wachstumsprognosen 2021 bis 2023
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent
2021 | 2022 | 2023 | ||
DekaBank, Frankfurt | 08.10.21 | 4,5 | 2,2 | |
Interfax-Umfrage | 06.10.21 | 4,4 | 2,5 | |
Weltbank | 05.10.21 | 4,3 | 2,8 | 1,8 |
Reuters-Umfrage | 30.09.21 | 4,3 | 2,6 | |
OECD Interim Outlook | 21.09.21 | 2,7 | 3,4 | |
Russisches Wirtschaftsministerium | 21.09.21 | 4,2 Urals 66,0 $/b | 3,0 Urals 62,2 $/b | 3,0 Urals 58,4 $/b |
Internationaler Währungsfonds | 27.07.21 | 4,4 | 3,1 | |
Russische Zentralbank | 23.07.21 | 4,0 bis 4,5 Urals 65 $/b | 2,0 bis 3,0 Urals 60 $/b | 2,0 bis 3,0 Urals 55 $/b |
Deutlich höher als die Weltbank veranschlagte in diesem Jahr bisher der Internationale Währungsfonds Russlands Wachstumsperspektiven. Er hob seine Prognose für das diesjährige Wirtschaftswachstum bereits Ende März im „World Economic Outlook“ auf 3,8 Prozent an. Die Weltbank prognostizierte hingegen noch Ende Mai in ihrem „Russia Economic Report“ nur ein Wachstum von 3,2 Prozent für 2021. Ende Juli erhöhte der IWF im „Update“ des Weltwirtschaftsausblicks seine Russland-Prognose weiter auf 4,4 Prozent (siehe obige Tabelle). Am 12. Oktober wird der IWF neue Prognosen in der Herbstausgabe seines WEO veröffentlichen.
Für 2022 und 2023 senkt die Weltbank ihre Prognosen aber
Mit der Erhöhung ihrer Wachstumsprognose für 2021 um 1,1 Prozentpunkte auf 4,3 Prozent senkte die Weltbank gleichzeitig ihre bisherige Prognose für 2022 um 0,4 Prozentpunkte auf 2,8 Prozent. Ihre Prognose für 2023 nahm sie um 0,5 Prozentpunkte auf 1,8 Prozent zurück. Sie verweist dazu auf „anhaltende strukturellen Hemmnisse“ für das Wachstum in Russland und auf wahrscheinliche weitere Sanktionen.
Das BIP war schon im zweiten Quartal höher als vor dem „Corona-Einbruch“
In ihrem Bericht zur Konjunktur in Europa und Zentralasien verweist die Welbank darauf, dass Russlands reales Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2021 um 10,5 Prozent höher war als ein Jahr zuvor. Die gesamtwirtschaftliche Produktion habe damit ihr „Vorkrisenniveau“ übertroffen. Der Rückgang im ersten und zweiten Quartal des Krisenjahres 2020 wurde mehr als ausgeglichen.
Die folgende Abbildung des „Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognosen, CMASF“ zeigt diesen Befund. Das reale Bruttoinlandsprodukt war im zweiten Quartal 2021 saisonbereinigt mit 104,3 Indexpunkten höher als im dritten und vierten Quartal 2019 vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.
Reales Bruttoinlandsprodukt (in Prozent des durchschnittlichen Quartalswertes im Jahr 2018; unbereinigte und saisonbereinigte Werte)
Welche Wachstumstreiber die Weltbank im Jahr 2021 sieht
Als Wachstumstreiber für die russische Wirtschaft im laufenden Jahr nennt die Weltbank zum einen die relativ hohen Rohstoffpreise und eine verhältnismäßig starke ausländische Nachfrage. Die Exporte von Waren und Dienstleistungen werden laut der Weltbank 2021 um 5,3 Prozent steigen (nach einem Rückgang um 4,3 Prozent im Jahr 2020).
Die Importe dürften allerdings rund drei Mal so schnell wachsen wie die Exporte, nämlich um 15,9 Prozent (nach einem Rückgang um 12,0 Prozent). Von der Veränderung der Netto-Exporte wird Russlands Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr also deutlich gebremst werden. Zu dieser Einschätzung kam auch die Mailänder Großbank UniCredit, über deren Russland-Prognosen Ostexperte.de vor einer Woche berichtete.
Auch die Wirtschaftspolitik der Regierung fördert das Wachstum. Staatliche Investitionsprogramme geben in diesem Jahr, so die Weltbank, der Bauwirtschaft Auftrieb. Die Regierung setze auch sozialpolitische Hilfsprogramme fort. Der Einzelhandel erhalte durch das kräftige Wachstum der Kredite Impulse. Mit der Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt habe sich die inländische Nachfrage kräftig erholt.
Die anhaltende Erholung der Weltwirtschaft, relativ hohe Ölpreise und eine Verbesserung der COVID-Situation tragen laut der Weltbank-Prognose voraussichtlich dazu bei, die Erholung der inländischen Nachfrage weiter zu festigen. Die Lockerung der Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie fördere die Produktion der Dienstleistungsbranchen.
Der Private Verbrauch wird nach Einschätzung der Weltbank 2021 um 7,8 Prozent steigen. Der Rückgang im Corona-Krisenjahr 2020 um 8,6 Prozent kann damit 2021 noch nicht vollständig ausgeglichen werden. Auch bei den Bruttoanlageinvestitionen, die 2020 um 4,3 Prozent sanken, gelingt dies 2021 mit einem Anstieg um 4,2 Prozent noch nicht ganz.
Die Ölförderung ist noch eingeschränkt
Die russische Ölförderung wird nach Einschätzung der Weltbank mit der allmählichen Lockerung der im Abkommen mit der OPEC+ vereinbarten Begrenzung der Ölförderung zwar steigen. Ihr „Vorkrisenniveau“ werde sie aber voraussichtlich nicht vor Mai 2022 wieder erreichen.
Gewichtige Konjunkturrisiken bleiben
Das Haupt-Risiko für die Wirtschaftsentwicklung in Russland ist nach Einschätzung der Weltbank angesichts der niedrigen Impfquote die weitere Entwicklung der Pandemie. Beeinträchtigt werden könnten die Aussichten für die Wirtschaft auch durch eine plötzliche Verschlechterung der globalen Finanzierungsmöglichkeiten und die Verhängung neuer Sanktionen.
Die Weltbank weist in ihrer Konjunkturanalyse auch darauf hin, dass Frühindikatoren eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums im dritten Quartal 2021 signalisierten.
DekaBank: „Eher schwache wirtschaftliche Dynamik“ im August
Daria Orlova, Russland-Expertin der Frankfurter DekaBank, erwartet für die russische Wirtschaft in diesem Jahr zwar ein noch etwas stärkeres Wachstum als die Weltbank. Sie hob ihre Wachstumsprognose bereits Anfang September auf +4,5 Prozent an.
Auch sie spricht aber an, dass die Produktion zuletzt „schwächelte“. Zur Konjunkturentwicklung im August stellt sie am Freitag in den „Emerging Markets Trends“ der DekaBank fest:
„Die wirtschaftliche Dynamik im letzten Sommermonat ist, wie von den Einkaufsmanagerindizes vorgezeichnet, eher schwach ausgefallen. Zwar haben sich die Einzelhandelsumsätze nach dem Abklingen der Corona-Sommerwelle und beflügelt von den Einmalzahlungen für Haushalte mit Schulkindern im August gefestigt. Die Produktionsseite zeigte sich allerdings eher schwach, nicht zuletzt wegen der niedrigen Erträge in der Landwirtschaft.“
Scharfer Produktionsrückgang in der Landwirtschaft
Die Research-Abteilung der Sberbank stellte in ihrem Wochenbericht den Produktionseinbruch in der Landwirtschaft von Juli auf August in der folgenden Abbildung dar (gelbe Linie). Nach den Berechnungen der Sberbank sank die landwirtschaftliche Produktion im August gegenüber Juli saisonbereinigt um 12,8 Prozent. Im Vergleich mit August 2020 ergab sich laut Rosstat ein Rückgang der Produktion der Landwirtschaft um 10,1 Prozent, wie auch bneInellinews berichtet.
Reale Produktionsentwicklung in Landwirtschaft, Industrie, Bauwirtschaft und Transportgewerbe (Dezember 2019=100, saisonbereinigt)
Auch die Produktion der Bauwirtschaft (hellgrüne Line), die bis Juli stark gestiegen war, sank im August laut Sberbank gegenüber dem Vormonat deutlich (- 2,9 Prozent). Das Transportgewerbe verzeichnete im Warenverkehr hingegen einen leichten Produktionsanstieg um 0,4 Prozent (dunkelgrüne Linie). Die Industrieproduktion (schwarze Linie) veränderte sich seit dem Frühjahr nur wenig. Im August sank sie geringfügig (- 0,2 Prozent).
VEB-Institut: Das Bruttoinlandsprodukt sank im August um 0,8 Prozent
Das Forschungsinstitut der Vnesheconombank hat am Freitag bereits erste Berechnungen für die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im August veröffentlicht. Danach ist die Produktion der Gesamtwirtschaft im August gegenüber dem Vormonat Juli weiter um 0,8 Prozent gesunken. Nach der raschen Erholung der gesamtwirtschaftlichen Produktion hatte bereits im Mai ein Rückgang begonnen.
Index des realen Bruttoinlandsprodukts (Jan. 2014=100)
Erste Hinweise für eine Einschätzung, wie sich die gesamtwirtschaftliche Produktion im September entwickelte, können die Ergebnisse der Einkaufsmanager-Umfragen geben.
Die Einkaufsmanager-Indizes haben sich im September erholt
Laut den Umfragen von IHS Markit, die Anfang Oktober veröffentlicht wurden, sind im September die Einkaufsmanager-Indizes im Verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich gestiegen. Das VEB-Institut veröffentlichte dazu folgende Abbildung:
IHS Markit Einkaufsmanager-Indizes für das Verarbeitende Gewerbe (orange) und für Dienstleistungen (blau)
Der Einkaufsmanagerindex im Verarbeitenden Gewerbe (orange Linie), der von Mai bis August von 51,9 Punkten auf nur noch 46,5 Punkte gefallen war, erholte sich im September kräftig auf 49,8 Punkte. Er liegt damit nur noch knapp unter der „Wachstumsschwelle“ von 50 Punkten.
Der Index für die Dienstleistungsunternehmen (blaue Linie), der im August auf 49,3 Punkte gesunken war, übertraf im September mit 50,5 Punkten die „Wachstumsschwelle“ bereits wieder.
IHS Markit rechnet in Russland für 2021 derzeit mit einem Wirtschaftswachstum von 4,3 Prozent heißt es in einem Kommentar des Unternehmens zu den aktuellen Umfrageergebnissen.
DekaBank: „Die Zeichen für den Herbst stehen etwas besser“
Daria Orlova kommentierte die Umfrageergebnisse und die aktuelle Konjunkturlage so:
„Im September konnten sich die Stimmungsindikatoren sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor wieder erholen, sodass die Zeichen für den Herbst etwas besser stehen. Der aktuelle Anstieg der COVID-19-Fälle bereitet zwar etwas Sorgen, doch mögliche Lockdown-Maßnahmen dürften gering ausfallen und sich damit nur moderat auf die Konjunktur auswirken.“
Der Leitzins dürfte bis zum Jahresende auf 7,25 Prozent erhöht werden
Eine Lockerung der Geldpolitik erwartet die DekaBank-Analystin angesichts der Konjunkturabschwächung in den Sommermonaten nicht. Orlova meint im Hinblick auf die am 22. Oktober anstehende nächste Leitzinsentscheidung:
„Die Geldpolitik dürfte sich von der gegenwärtigen Verlangsamung nicht verunsichern lassen, denn eine Rückkehr zum Trendwachstum ab der zweiten Jahreshälfte 2021 nach einer schnellen Aufholphase ist ohnehin Bestandteil der Zentralbankprojektionen. Nach den starken Leitzinsanhebungen im Sommer hat das geldpolitische Komitee das Tempo der Zinsanhebungen allerdings schon im September auf 25 Bp je Sitzung gedrosselt. Angesichts der anhaltenden Angebotsschocks und der nach wie vor hohen Inflationserwartungen erwarten wir noch zwei Leitzinsanhebungen in diesem Jahr auf dann 7,25%.“
Mit einer Erhöhung des Leitzinses von derzeit 6,75 Prozent auf 7,25 Prozent am Jahresende 2021 rechnet in der jüngsten Interfax-Umfrage auch eine knappe Mehrheit der Analysten. Etwas weniger als die Hälfte der Befragten erwartet sogar einen Anstieg auf 7,5 Prozent.
Hintergrund dafür sind die gestiegenen Inflationserwartungen. Für Dezember 2021 wird in der Umfrage mit einer jährlichen Inflationsrate von 6,6 Prozent gerechnet. Einen Monat zuvor rechneten die Analysten am Jahresende nur mit Anstieg der Verbraucherpreise um 5,9 Prozent gegenüber Dezember 2020.
Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:
- Wie die ING-Bank und die UniCredit Russlands Konjunktur 2021/22 sehen; 05.10.2021
- BIP-Wachstum 2021: Gestiegene Prognosen – Aber die Produktion beginnt zu sinken; 27.09.2021
- Prognosen deutscher Institute für Russlands Wachstum differieren stark; 20.09.2021
- Weitere Leitzinserhöhung auf 6,75 Prozent; verschärfter Preisanstieg; 13.09.2021
Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:
Auch noch Wasserstoff aus Russland? Mathias Brüggmann wettert im Handelsblatt dagegen
Erdgasmarkt-Analyse von John Kemp, Reuters; mit Chart-Books; Erdgas-Preise+Energie-Märkte; SZ-Bericht zu russischen Lieferungen: Merkel nimmt Russland in Schutz
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