Über sehr eilige Handlungsempfehlungen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen
Punktgenau zur Amtseinführung Joe Bidens wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung ein Strategiepapier transatlantischer Think Tanks präsentiert, das für eine „Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika“ plädiert: „Zügig, ambitioniert und schwer umkehrbar!“
Mal ehrlich: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die freundliche Ermunterung „Traut Euch!“ hören oder lesen?
Ist das die Stimme des Schwimmlehrers in Richtung seiner zaghaften Zöglinge hoch oben auf dem Zehn-Meter-Brett? Wirbt hier Gregor Gysi im Clip vor der Bundestagswahl 1990 für das Kreuzchen bei der PDS, kurz bevor er sich mit einem augenzwinkernden „Sieht ja keiner!“ in die Wahlkabine verzieht? Ermutigt eine verständnisvolle Psychologin in der Bravo fünfzehnjährige LGBTI*-Jugendliche zum Coming Out? Handelt es sich hier gar um Werbung für einen Swinger-Club?
Weit gefehlt!
Dies ist der Titel eines Dossiers, das punktgenau zur Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten am 20. Januar der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt und in den Leitmedien der Republik begierig rezipiert wurde. Die vollständige Überschrift „Transatlantisch? Traut Euch! – Für eine Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika“ macht deutlich, in welche – abenteuerliche?, geheimnisvolle?, gar verbotene? – Sphären das Strategiepapier die Leserschaft hineinlocken will. Und so ist es denn auch nicht verwunderlich, dass das Dossier von Vertretern nahezu sämtlicher transatlantischer Think Tanks und ihrer deutschen Alliierten unterzeichnet wurde: Atlantik-Brücke, Aspen Institute, German Marshall Fund und Brookings Institution, der European Council on Foreign Relations, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, das Kieler Institut für Sicherheitspolitik und die Münchner Sicherheitskonferenz, die Hanns-Seidel-Stiftung schließlich, wundert das noch jemanden?, die längst auf Linie getrimmte Heinrich-Böll-Stiftung – alle, und das sind noch gar nicht alle, haben sie sich zu einer gemeinsamen Plattform zusammengefunden, die dringlichst dafür wirbt, dass wieder mal ein (dieses Mal transatlantischer) ‚Ruck‘ durchs Land zu gehen hat!
So ein Dossier fällt nicht vom Himmel. Und man braucht kein Polit- oder Medienprofi sein, um zu durchschauen, dass solch einer perfekt getimeten orchestrierten Aktion aller transatlantischen Organisationen inclusive renommierter Sympathisanten bis in den tiefsten Evangelischen Kirchentag eine langfristige, außerordentlich sorgfältige logistische Vorbereitungsphase vorausgangen sein muss. (Die man sich sicher auch einiges kosten ließ.)
Mit LGBTI*, MeToo, BLM und Greta für die ‚nukleare Teilhabe‘?
Aber warum schlägt ein von Vertretern namhafter, sich stets als hochseriös präsentierender Think Tanks unterzeichnetes Papier ausgerechnet einen so koketten Ton an, wo es doch um harte Politik geht? Warum werden die potentiellen Leser, als handele es sich um Kunden eines großen schwedischen Möbelhauses oder User des neuesten Smartphones aus Cupertino, gleich kumpelhaft geduzt? Wen genau will man mit diesem aufdringlich-saloppen Tonfall eigentlich erreichen?
Ein Zitat aus der Präambel bringt uns auf die richtige Spur: „Die Neue Übereinkunft wird aber nur tragfähig sein, wenn sie die neuen zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in unseren Ländern erkennt und berücksichtigt. Gerade junge Menschen und vielfältige Minderheiten (die in ihrer Summe gerade in den Vereinigten Staaten schon mehrheitsfähig sind) haben in den vergangenen Jahren neue Bewegungen gegründet und Energien entfaltet, die Amerika nachhaltig verändern werden. In Deutschland und Europa sind solche Bewegungen – beispielsweise zur Bekämpfung des Klimawandels und der Überwindung von Rassismus und Sexismus, aber auch mit Blick auf Themen wie den Wandel der Arbeitswelt – anschlussfähig. Vor allem weisen sie weit über die bestehenden, ‚klassischen‘ transatlantischen Eliten, die vor allem handels- und sicherheitspolitisch geprägt sind, hinaus und ergänzen diese. Die Annäherung an jüngere, diversere und weniger ‚klassische‘ Akteure wird die transatlantische Erzählung fortschreiben.“ Und natürlich brauchen diese jüngeren, diverseren Akteure auch eine etwas weniger „klassische“ Ansprache! Schließlich haben die weit in die Zukunft vorausdenkenden transatlantischen Autoren – Sie ahnen es bereits – mit den LGBTI*Menschen, Black Lives Matter und Greta noch Großes vor.
Die (namentlich nirgends genannten) Autoren wollen nicht einfach zurück in die vermeintlich idyllische Prä-Trump-Ära, ihr Anliegen ist erheblich, um eines ihrer Lieblingswörter zu zitieren, ambitionierter! Das über stolze 60.000 Zeichen lange Dossier plädiert, der Untertitel macht dies sofort unmissverständlich klar, für nichts weniger als für eine „Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika“. Dass diese angestrebte „Neue Übereinkunft“ nicht nur gleich neunmal bemüht – das nackte Wort „Übereinkunft“ bringt es sogar auf ganze fünfzehn Nennungen –, sondern auch, als handele es sich um einen seit Jahrzehnten etablierten Begriff, stets groß geschrieben wird, ist natürlich kein Zufall. Hier soll offensichtlich ein fixer Terminus in den öffentlichen Diskurs lanciert und dort ‚nachhaltig‘ verankert werden.
„Ambitioniert, zügig, zukunftsfest!“
Das Papier startet mit einer Einleitung in epischer Breite, die nach dem verheerenden Trump-Ausrutscher nun mit Joe Biden einen Neustart in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA, dem „Rückversicherer der europäischen Einigung und damit Friedensbewahrer Europas“, zu begründen sucht. Und dabei wird mit großen Worten nicht gespart: „Nicht zuletzt, weil Amerika sich Europa öffnet, bleibt die deutsche Frage geschlossen.“ Bereits dieser geschraubte Chiasmus – der offenbar Assoziationen zu Richard von Weizsäckers berühmtem Dictum „Die deutsche Frage ist solange offen, wie das Brandenburger Tor zu ist“ wecken soll – stimmt hinten und vorne nicht. Die „deutsche Frage“ wurde vor über drei Jahrzehnten durch die Wiedervereinigung abschließend geregelt und niemand, wirklich niemand, hat die Absicht, nochmals eine Mauer zu bauen! Es geht hier um etwas Anderes: Nostalgische Erinnerungen an den (west-)deutsch-amerikanischen Honeymoon der Nachkriegszeit sollen den emotionalen Boden für das ehrgeizige Projekt der sogenannten „Neuen Übereinkunft“ bereiten, das es in die Köpfe und Seelen der deutschen Bevölkerung zu pflanzen gilt.
Den Autoren reicht es nämlich keinesfalls, wenn Deutschland „es sich einfach machen und in den Gestus einer abwartenden Kooperationsbereitschaft verfallen“ würde. „Abwarten und dann mitmachen ist nicht genug. Deutschland muss nun selbst aktiv werden und, in Abstimmung mit den europäischen Partnern, schnell ein Ideenpaket vorlegen, das auf den Kern der transatlantischen Übereinkunft zielt und sie zukunftsfest macht. Die Zeitspanne für Gespräche über die Neuausrichtung ist erschreckend kurz.“ Und damit sind die entscheidenden Prinzipien benannt: Zügig, ambitioniert und schwer umkehrbar – fehlt nur noch das Wort „proaktiv“, Synonym für vorauseilenden Gehorsam – sollen nun die Pflöcke für die erneuerte deutsch-amerikanische Allianz festgeklopft werden, um so der gerade ins Amt gekommenen Biden-Administration schnelle Erfolge zu ermöglichen. Schließlich soll – und hier schlägt das Papier wahrhaft lyrische, gar hymnische Töne an – „aus dem Teufelskreis der vergangenen vier Jahre eine Engelsspirale werden.“
Insgesamt sechs Handlungsfelder macht das Papier aus, die zu einem „Ideenpaket der Bundesregierung“ verschnürt, die künftige Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bestimmen sollen: Covid 19, Klimapolitik („Ambition mit Ambition beantworten“), Nato, China, Handel sowie Technologie und Digitalpolitik. Konzentrieren wir uns auf das nach dem Sandwichprinzip geschickt in der Mitte des Papiers positionierte entscheidende Kapitel, das natürlich nur „Nato: Mehr Verantwortung wagen“ lauten kann!
Der „lodernde Glutkern“
Sprache ist verräterisch. „Das Sicherheitsbündnis ist der Glutkern der transatlantischen Partnerschaft“, lautet der Eröffnungssatz. Leidenschaftlicher und poetischer ist das nordatlantische Militärbündnis noch niemals besungen worden! Wobei nur offen bleibt, was da eigentlich glüht: Die stürmische Wieder-Vereinigung der beiden Partner, die vier Jahre lang wie die zwei Königskinder im Lied – nicht nur – wegen des viel zu tiefen atlantischen Wassers zusammen nicht kommen konnten? Oder die dahinschmelzenden Kerne der im rheinland-pfälzischen Büchel gelagerten Atomsprengköpfe? Mit schlafwandlerisch sicherem Stilgefühl haben die Autoren jedenfalls das Nato-Kapitel mit diesem dichterischen Juwel eingerahmt. Es bildet Anfang und Ende.
Leider liest sich das in der offiziellen englischen Übersetzung etwas nüchterner: „Hence, the security alliance continues to be the core of the transatlantic partnership.“ Hier lodert keine Glut. Ein Indiz, dass die passionierte Liebe, mit der sich die Deutschen ihrer Schutzmacht endlich wieder an den Hals werfen wollen, auf der anderen Seite nicht ganz so inniglich erwidert werden könnte?
Gegen wen es – unter anderem – wieder gehen wird, steht dagegen bereits im dritten Satz zweifelsfrei fest: „Die Konfliktstrategie Russlands und sein wachsendes militärisches Potential verlangen amerikanisches Gegengewicht.“ Und dazu „sollte Deutschland den NATO-Generalsekretär darin unterstützen, das Strategische Konzept von 2010, in dem von Russland nur als Partner und von China gar nicht die Rede ist, den neuen Gegebenheiten anzupassen.“ Bedrohungsanalyse? Fehlanzeige! Wie bei allen ähnlichen Papieren wird die ‚russische Bedrohung‘ stets axiomatisch vorausgesetzt. Entspannungspolitik? Dieses verstaubte Wort findet sich im gesamten Dossier ebenso wenig wie der Begriff „Abrüstung“!
Aber es geht nicht nur um Russland. Das Papier ist bekanntlich „ambitioniert“! Der erheblich ehrgeizigere „New Deal“ (kein Wort der Autoren) und „Glutkern“ der „Neuen Übereinkunft“ lautet kurzgefasst so: „Die europäischen Nato-Staaten – mit Deutschland an erster Stelle – erhöhen ihre Fähigkeiten zur konventionellen Verteidigung erheblich. Dadurch entlasten sie die USA in Europa und erleichtern es ihnen, im Indo-Pazifik die Interessen der liberalen Demokratien zu schützen. Im Gegenzug bekräftigen die USA ihr Bekenntnis zur Verteidigung des Bündnisgebietes. Sie untermauern dies durch ihre dauerhafte militärische Präsenz in Europa sowie durch ihre nukleare Schutzzusage, die Deutschland durch die Nukleare Teilhabe unterstützen sollte, solange es Nuklearwaffenstaaten außerhalb der Nato gibt.“
Endlich ist die Katze aus dem Sack! Und das bedeutet auch, dass Europa deutlich stärker werden muss. „Europa muss als Partner der USA und tragende Säule der transatlantischen Gemeinschaft handlungsfähig sein.“ Hatten wir das nicht neulich ausgerechnet in der taz gelesen?
Es folgt eine wahre Kaskade von Forderungen im Detail. Vom Zwei-Prozent-Ziel über die Modernisierung der Beschaffungsprozesse der Bundeswehr und eine berechenbare Rüstungszusammenarbeit mit den NATO-Partnern bis hin zu einer „politischen Kraftanstrengung“, sprich: Initiativen, mit denen Deutschland die USA entlasten und angeblich zur Sicherheit Europas beitragen soll. „Das betrifft vor allem die Peripherie von EU und NATO. Vom Hohen Norden über die Ostsee, Belarus und die Ukraine, den Westbalkan und den Kaukasus bis zum Mittelmeerraum des Nahen Ostens und Nordafrikas: Überall bestehen Krisen oder gar tatsächliche Konflikte, die durch größeres Engagement, gezielteres und besser abgestimmtes Vorgehen gemildert werden könnten.“
Und nun verstehen wir endlich den tiefen Sinn der angestrebten Annäherung an die berühmten jüngeren, diverseren und weniger ‚klassischen‘ Akteure: Von der farbenfrohen Queer-Szene über MeeToo und Black Lifes Matter bis hin zur unermütlichen Greta – alle sind sie eingeladen zur Stärkung der westlichen Verteidigungsfähigkeit, zur Bekräftigung der (großgeschrieben) „Nuklearen Teilhabe“ und zum Schutz der liberalen Demokratien. Von Europas Peripherie bis zum indopazifischen Raum!
Denn, so heißt es abschließend: „Diese Nato ist unsere Nato. Und Deutschland hat es mehr als jede andere Nation in der Hand, durch mehr Initiative und verstärkte Beiträge die Allianz so zu formen, dass sie als Glutkern des Westens weiter lodert.“
Unwillkürlich fragt man sich, ob solch intime Lyrik überhaupt von einer grobschlächtigen Männerseele verfasst werden konnte!
Der Worte sind genug gewechselt …
„Taten bitte!“ So ist das letzte Kapitel in lässiger Dreistheit überschrieben. Hier wird im vertrauten Sound nochmals Klartext gesprochen: „Ambitionslosigkeit ist der schlimmste Feind des transatlantischen Neubeginns. Für Deutschland nährt sich diese Gefahr nicht zuletzt aus der strategischen Entwöhnung.“ Und dann wird die Öffentlichkeit darauf eingestimmt, dass ab jetzt mehr gefragt ist als „wohlfeile Lippenbekenntnisse“! Verlangt werden Taten, Taten, Taten und „die Kraft, sich von manch liebgewonnenem Vorteil, mancher Bequemlichkeit zu verabschieden.“
Und „unverzüglich“ soll alles gehen. Nicht nur die Worte „ambitioniert“, „ehrgeizig“ und „anspruchsvoll“ durchziehen leitmotivisch das Dossier. Immer wieder bricht die Ungeduld der Autoren durch – als habe man nur ein ganz kleines Zeitfenster zur Verfügung, das es unbedingt zu nutzen gelte! Das dritte Zauberwort, wir hörten es bereits, lautet „schwer umkehrbar“, wahlweise „zukunftsfest“ oder, modischer, „nachhaltig“. Jetzt sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Am besten für die nächsten Jahrzehnte! Man glaubt noch den Nachhall des Trump-Schocks zu spüren, der den Autoren offenbar immer noch schwer in den Gliedern steckt.
Das Papier durchzieht zudem ein Gestus, der zwischen peinlicher Anbiederung und oberlehrerhaftem Paternalismus permanent hin- und herpendelt und mit der Zeit immer unangenehmer aufstößt!
Allerspätestens seit der Veröffentlichung am 20. Januar werden nun die Kernthesen auf den verschiedensten Kanälen – und durchaus nicht immer mit dem offiziellen Absender – in die Medien lanciert, um die Öffentliche Meinung im gewünschten Sinne zu beeinflussen. Vom Tagesspiegel über die Zeit und den Deutschlandfunk bis hin zur taz sickern sie bereits in die Mainstreammedien und werden dort gebetsmühlenartig wiederholt, sprich: der Bevölkerung eingehämmert. (Und man wünscht sich unwillkürlich, soviel geballte mentale und Publicity-Energie würde auch mal ins deutsch-russische Verhältnis gesteckt!)
Dass mit Ellen Ueberschär ausgerechnet ein Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung dieses Papier nicht nur unterzeichnet, sondern auch maßgeblich mitverfasst hat, ist leider längst keine Überraschung mehr. Aber dafür gibt es dort ja den Genderstern und die Websites in Leichter Sprache!
Petra Kelly und der Namensgeber der parteinahen Stiftung würden sich im Grabe umdrehen!
Dieser Text erschien zuerst bei RT Deutsch. Ostexperte.de bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Debattenbeiträge und Kommentare müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.