Russlands Wirtschaft: Rückgang weniger gravierend als bisher errechnet

Rosstat revidierte die Industrieproduktion kräftig nach oben

Trotz rasch steigender Infektionszahlen gibt sich Russlands Regierung im Hinblick auf die Entwicklung der Wirtschaft zuversichtlich. Dass die Statistikbehörde Rosstat in der letzten Woche ihre bisherigen Angaben zur Industrieproduktion deutlich nach oben revidierte, stützt den Optimismus der Regierung.

Laut den neuen Rosstat-Zahlen war die Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“, das rund die Hälfte der gesamten Industrieproduktion stellt, in den ersten neun Monaten 2020 sogar genauso hoch wie im Vorjahr. Vor allem im Bergbau und bei der Förderung von Rohstoffen sank die Produktion jedoch. Insgesamt hat Russlands Industrie bisher nur einen kleinen Teil des Einbruchs ihrer Produktion während des Lockdowns im Frühjahr aufgeholt. Im September sank die Industrieproduktion gegenüber August saisonbereinigt sogar etwas.

Auch der IWF erwartet jetzt nur noch eine Rezession von rund 4 Prozent

Die russische Regierung kann im internationalen Vergleich eine günstige Zwischenbilanz der Entwicklung ihrer Wirtschaft seit dem Ausbruch der Corona Pandemie ziehen. Ihre Ende September veröffentlichte Prognose, dass Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion 2020 nur um 3,9 Prozent sinken dürfte, wird vom Internationalen Währungsfonds weitgehend geteilt. Der IWF erwartet in seinem am 13. Oktober erschienenen Weltwirtschaftsausblick in Russland in diesem Jahr nur noch eine Rezession von 4,1 Prozent. Ende Juni hatte er noch eine Abnahme des Bruttoinlandsprodukts um 6,6 Prozent prognostiziert. Die Länder des Euro-Raums haben laut IWF hingegen 2020 mit einem doppelt so starken Einbruch der Wirtschaft um 8,3 Prozent zu rechnen.

Zuversichtlicher Wirtschaftsminister – skeptische Abgeordnete

Russlands Wirtschaftsminister Reshetnikov bekräftigte laut Finmarket.ru bei den Beratungen der Haushaltsplanung in der Duma am 15. Oktober, die Wirtschaft entwickele sich entsprechend den Annahmen der Regierung. Er unterstrich, dass der Haushaltsplan keinen zweiten „harten Lockdown“ wie im Frühjahr in Betracht ziehe. Eine erneute Verschärfung der Pandemie nennt der Plan lediglich als wichtigstes Risiko für die Prognosen.

Der Duma-Ausschuss für Wirtschaftspolitik kritisierte in einem Informationspapier für die Abgeordneten laut Finmarket.ru, dass die Regierung die schon begonnene „zweite Welle“ der Pandemie und damit erforderlich werdende Beschränkungen der Wirtschaft nicht ausreichend berücksichtige. Die Prognose der Regierung sei als Basis für die Haushaltsplanung deswegen nicht geeignet. Ähnliche Kritik kam vom Rechnungshof.

Die Industrieproduktion sank deutlich weniger als bisher angegeben

Die zuversichtliche Sicht der Regierung auf die aktuelle Entwicklung der russischen Wirtschaft wird durch die am Donnerstag von Rossstat veröffentlichte kräftige Aufwärtsrevision der Industrieproduktion seit Anfang 2019 gestützt. Dmitry Dolgin, Chef-Volkswirt Russland der ING Bank, verglich die bisherigen Rosstat-Angaben zur Industrieproduktion mit den revidierten Daten.

Für das Jahr 2019 hob Rosstat das Wachstum der gesamten Industrieproduktion um einen Prozentpunkt von 2,3 Prozent auf 3,3 Prozent an. Dolgin schätzt, dass deswegen die Wachstumsrate der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Jahr 2019 von bisher 1,3 Prozent auf 1,6 Prozent angehoben werden dürfte.

Für den Zeitraum Januar bis August 2020 hatte Rosstat bisher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Rückgang der Industrieproduktion um 4,5 Prozent errechnet. Jetzt ermittelte das Statistikamt für den Zeitraum Januar bis September 2020 nur noch einen Rückgang um 2,9 Prozent (Pressemeldung mit Tabelle).

Dolgin meint zu dieser Aufwärtsrevision, jetzt gewinne seine optimistische Prognose, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt 2020 nur um 2 bis 3 Prozent sinken werde, an Wahrscheinlichkeit. Die Aufwärtrevision der Industrieproduktion entspreche einer um 0,4 Prozentpnkte höheren gesamtwirtschaftlichen Produktion.

Besonders starke Aufwärtsrevision im Verarbeitenden Gewerbe

Insbesondere das „Verarbeitende Gewerbe“ („Manufacturing“) trug dazu bei, dass der Rückgang der gesamten Industrieproduktion im laufenden Jahr von Rosstat jetzt schwächer als bisher ausgewiesen wird. Nachdem das Statistikamt bisher für die ersten acht Monate noch einen Rückgang der Produktion des Verarbeitenden Gewerbes um 2,5 Prozent ermittelt hatte, errechnete es jetzt, dass die Produktion in den ersten neun Monaten 2020 ihr Vorjahresniveau wieder erreichte (dritter Kasten von links in der Abbildung).

Manufacturing was the key driver of the backward-looking upgrade

In den Industrie-Bereichen „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ (Commodity extraction) und „Versorgungsunternehmen/Energie“ (Utilities – energy) ergab sich hingegen nach den neuen Rosstat-Berechnungen ein kaum schwächerer Rückgang der Produktion als bisher.

Verarbeitendes Gewerbe im dritten Quartal fast wieder so hoch wie 2019

Die Aufwärtsrevision führte dazu, dass die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes im dritten Quartal 2020 nur noch 0,4 Prozent niedriger war als im Vorjahresquartal (Juli: – 0,1 Prozent; August: + 0,4 Prozent; September: – 1,6 Prozent). Denis Popov, Chef-Analyst der PJSC Promsvyazbank hat in der folgenden Abbildung die revidierten Veränderungsraten (dunkelblaue Linie) mit den bisherigen Angaben (hellblaue Linie) verglichen.

Produktion im Verarbeitenden Gewerbe;
Veränderung gegenüber Vorjahresmonat in Prozent

Quellen: Rosstat, PSB Analytics & Strategy
Denis Popov; PJSC Promsvyazbank: Rosstat significantly improved its assessment of the situation in the industry – forecast of real GDP for 2020 may be increased; Charts; 16.10.2020

Im Bereich „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ ging die Produktion auch wegen der Vereinbarungen über die Einschränkung der Ölförderung mit der OPEC+ stark zurück. Sie war im September noch 10 Prozent niedriger als im Vorjahresmonat.

Produktion im Bereich „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ Veränderung gegenüber Vorjahresmonat in Prozent

Insgesamt ist die Industrieproduktion jetzt noch 5 Prozent niedriger

Die folgende Abbildung von Tatiana Evdokimova, frühere Chefvolkswirtin Russland der Nordea Bank, zeigt die Veränderungen der gesamten Industrieproduktion gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat in Prozent.

In der Abbildung ist vermerkt, dass die Industrieproduktion während des Lockdowns im Mai nicht wie bisher angegeben um 9,6 Prozent niedriger war als im Vorjahresmonat, sondern nur um 7,9 Prozent (hellblaue Linie).

Im August 2020 verringerte sich der Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat auf 4,2 Prozent. Im September erhöhte er sich aber wieder auf 5,0 Prozent.

Vom „Lockdown-Quartal“ hat sich die Industrieproduktion bisher kaum erholt

Die jüngste Revision der Industrieproduktion setzt Anfang 2019 ein. Wie sich die Industrieproduktion seither von Monat zu Monat entwickelt hat, zeigt die folgende Abbildung Dolgins der saisonbereinigten Entwicklung nach Angaben von Rosstat.

Saisonbereinigt hat sich die Industrieproduktion nach der jüngsten Revision deutlich günstiger entwickelt (rote Linie) als bisher errechnet wurde (graue Linie). Von Dezember 2018 bis Juni 2020 war sie nach den bisherigen Rosstat-Angaben um 7,3 Prozent gesunken. Nach den neuen Berechnungen ergibt sich bis Juni 2020 hingegen nur ein Rückgang um 4,6 Prozent.

Index der saisonbereinigten Industrieproduktion (Dezember 2018=100)

Die Abbildung macht aber auch deutlich, dass sich die Industrieproduktion insgesamt bisher kaum vom Einbruch im zweiten Quartal erholt hat. Von Februar 2020 bis Mai 2020 sank sie saisonbereinigt um 6,8 Prozent. Seitdem ist sie nur um 0,8 Prozent gestiegen. Zuletzt sank der Index sogar wieder etwas von 96,3 im August auf 96,2 im September.

Zur schwachen Erholung im dritten Quartal trug insbesondere bei, dass die Produktion im Bereich „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ im dritten Quartal fast auf dem gedrückten Niveau des zweiten Quartals stagnierte. Sie war noch 11,5 Prozent niedriger als im dritten Quartal 2019. Wie wenig sich die Industrieproduktion bisher vom Rückgang im zweiten Quartal erholt hat, zeigt auch die dunkle Linie der saison- und kalenderbereinigten Entwicklung der Industrieproduktion in der folgenden Abbildung aus der monatlichen Rosstat-Pressemeldung. Dazu hat Rosstat auch eine Trendlinie berechnet (orange Linie), die sich fast völlig mit der Linie der saison- und kalenderbereinigten Entwicklung deckt. Die gelbe Linie zeigt die Entwicklung ohne Bereinigung (Basisjahr 2017 = 100).

Titelbild
Titelbild: Rodion Tkachev on Unsplash
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Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Industrieproduktion im September; Revision für 2019 und Januar bis August 2020

BIP-Prognosen für Russland (Kudrin/Rechnungshof, IWF, Weltbank)

Periodisch erscheinende Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik

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Außenwirtschaftliche Entwicklung: Zahlungsbilanz und Wechselkurs

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