Russland: Wachstumsprognose 2018 wurde übertroffen

Russland: Wachstumsprognose 2018 wurde übertroffen,
2019 flaut der Aufschwung aber ab

Nach neuesten Analysen wuchs die russische Wirtschaft 2018 überraschend stark um 2 Prozent. Dennoch war das Bruttoinlandsprodukt 2018 kaum höher als 2014.

Von „Stagnation“ ist in den letzten Jahren oft die Rede, wenn es um die Entwicklung der russischen Wirtschaft geht. Am Freitag berichtete das Wirtschaftsministerium jedoch, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion nach seinen Schätzungen 2018 um 2,0 Prozent gestiegen ist. Im neuen Jahr rechnet die Regierung allerdings weiterhin mit einer deutlichen Abschwächung des Wachstums. Auch der Ostausschuss Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) erwartet ein „schwieriges Jahr“ in Russland. Schon 2018 stagnierte die deutsche Ausfuhr nach Russland voraussichtlich.

Erholung der russischen Wirtschaft war stärker als bisher erwartet

Die gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland, die 2015 mit dem Einbruch der Ölpreise um 2,5 Prozent gesunken war, steigt seit 2016 wieder. Laut Ende 2018 revidierten Berechnungen der Statistikbehörde Rosstat wuchs das reale Bruttoinlandsprodukt 2016 um 0,3 Prozent und 2017 um 1,6 Prozent. Der Rückschlag der Rezession 2015 war damit aber noch nicht ganz aufgeholt. Das gelang erst 2018.

Die Erwartungen für das 2018 erreichte Wachstum lagen bisher im Durchschnitt bei 1,7 Prozent. Das ergaben Analysten-Umfragen des Research-Unternehmens FocusEconomics, von Reuters und Bloomberg. Am Freitag teilte das Wirtschaftsministerium jedoch mit, dass nach neuen Berechnungen das Bruttoinlandsprodukt im letzten Jahr um 2,0 Prozent gestiegen ist. Bisher hatte die Regierung mit 1,8 Prozent gerechnet. Folgt man den Schätzungen des Wirtschaftsministeriums war das BIP im letzten Jahr also rund 1,3 Prozent höher als vor der Rezession im Jahr 2014. Anfang Februar wird Rosstat eine erste BIP-Schätzung für 2018 vorlegen.

Bauproduktion wurde sehr stark nach oben revidiert

Zur Begründung der Aufwärtsrevision des Wachstums im Jahr 2018 verweist das Wirtschaftsministerium vor allem darauf, dass die Bauproduktion im letzten Jahr viel stärker gestiegen ist (+ 5,3 Prozent) als bisher angenommen wurde (+ 0,5 Prozent). Die folgende Abbildung des Wirtschaftsministeriums zeigt, dass die Bauproduktion nach den neuen Berechnungen (rote Linie) Ende 2018 saisonbereinigt das vor der Rezession im Januar 2014 erreichte Niveau um rund 2 Prozent übertroffen hat.

Quelle: Russisches Wirtschaftsministerium: Bild der Produktion – Januar 2019, 25.01.2019

Verbraucher haben noch viel Aufholbedarf

Insbesondere die real verfügbaren Einkommen der Bevölkerung und der Einzelhandelsumsatz haben die Einbußen der Rezession jedoch noch längst nicht aufgeholt (siehe auch Klaus Dormann: Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland; 39 Seiten, veröffentlicht vom Deutsch-Russischen Wirtschaftsclub, Düsseldorf).

Die real verfügbaren Einkommen sanken nach Mitteilung von Rosstat im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr um 0,2 Prozent, wenn man einmalige Sonderzahlungen im Januar 2017 in den Vergleich einbezieht. Der Rückgang der Einkommen begann schon 2014. Im Vergleich zu 2013 waren sie 2018 rund 11 Prozent niedriger.

Ähnlich tief steckt der reale Umsatz des Einzelhandels noch im Minus. Bei einer verstärkten Kreditaufnahme der Verbraucher verdoppelte sich sein Anstieg 2018 zwar auf 2,6 Prozent. 2015 und 2016 war er jedoch um insgesamt rund 14 Prozent eingebrochen.

Weitere Erfolge gab es 2018 bei der Preisstabilisierung. Am Jahresende beschleunigte sich der Anstieg der Verbraucherpreise zwar auf 4,3 Prozent. Im Jahresdurchschnitt war die Inflationsrate mit 2,9 Prozent aber noch niedriger als 2017 (3,7 Prozent).

2019 schwächt sich das Wachstum voraussichtlich ab

Im neuen Jahr wird sich der Konjunkturaufschwung voraussichtlich nicht beschleunigen. Die befragten Analysten rechnen im Gegenteil im Durchschnitt mit einer Abschwächung des Wachstums auf 1,5 Prozent (FocusEconomics) oder 1,4 Prozent (Reuters). Das russische Wirtschaftsministerium hat schon vor einem halben Jahr, als die Regierung beschloss, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, seine Wachstumsprognose für das neue Jahr deutlich gesenkt. In der Ende November beschlossenen Haushaltsplanung geht die Regierung für 2019 nur noch von einem Produktionsanstieg um 1,3 Prozent aus.

Wirtschaftsminister Oreschkin blieb bei dieser Prognose, als er am Freitag beim Weltwirtschaftsforum in Davos in einem Bloomberg-Interview seine neue Wachstumsschätzung für 2018 von 2 Prozent nannte. Zur Begründung für die Abschwächung des Wachstums in Russland machte er in erster Linie ungünstige außenwirtschaftliche Entwicklungen verantwortlich. Das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsame sich signifikant. Aber auch „interne Faktoren“ trügen zum langsameren Anstieg der Produktion bei. So werde die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die die Regierung zur Lösung langfristiger Probleme vorgenommen habe, die Wachstumsdynamik vor allem am Beginn des Jahres 2019 dämpfen.

Die meisten Analysten erwarten 2019 eine deutlich geringere Abschwächung des Wirtschaftswachstums als der Wirtschaftsminister. Bei der Umfrage von FocusEconomics wurde mit einem Rückgang des Wachstums von 1,7 Prozent auf 1,5 Prozent gerechnet, bei der Reuters-Umfrage von 1,7 Prozent auf 1,4 Prozent.

Wachstumsprognosen 2018 bis 2020

  Bruttoinlandsprodukt, real ggü. Vj. %
201820192020
Wirtschaftsministerium25.01.192,01,3
Helaba, Frankfurt25.01.191,81,71,7
BNP Paribas, Paris24.01.191,71,51,8
Internationaler Währungsfonds21.01.191,71,61,7
SEB, Stockholm21.01.191,61,62,0
Berenberg Bank, Hamburg21.01.191,71,41,7
Commerzbank, Frankfurt18.01.191,61,11,2
Economist Intelligence Unit16.01.191,71,61,6
DekaBank, Frankfurt16.01.191,81,41,6
Morgan Stanley14.01.191,61,51,6
FocusEconomics Consensus Forecast08.01.191,71,51,7
Weltbank, Global Economic Prospects08.01.191,61,51,8
ABN Amro, Amsterdam08.01.192,01,51,5
Reuters-Umfrage27.12.181,71,4
Eurasian Development Bank27.12.181,81,62,1
RIA Rating21.12.181,7-1,8
SocieteGenerale, Paris20.12.181,51,21,5
Danske Bank, Kopenhagen19.12.181,61,31,4
Russische Zentralbank,
Basisszenario

01.10.181,5 bis 2,0
Urals 70 $/b

1,2 bis 1,7
Urals 55 $/b

1,8 bis 2,3
Urals 55 $/b

Russisches Wirtschaftsministerium;
Haushaltsvorlage, Basisszenario
01.10.181,8
Urals 69,6 $/b
1,3
Urals 63,4 $/b
2,0
Urals 59,7 $/b

Deutsche Unternehmen erwarten 2019 ein „schwieriges Jahr“

Die Mehrzahl der deutschen Unternehmen in Russland beginnt das neue Jahr mit viel Skepsis. 2019 dürfte „ein schwieriges Jahr“ werden. Das meinten bei einer Umfrage des Ostausschusses Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) rund 60 Prozent der befragten deutschen Unternehmen in Russland. Der OAOEV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Büchele wies in seiner Rede beim Neujahrsempfang des Verbandes am 10. Januar in Berlin darauf hin.

„Geringe Reformdynamik“ Russlands und drohende US-Sanktionen

Büchele sieht die Gründe für die stark gedämpfte Stimmung der Unternehmen zum einen in der „geringen Reformdynamik“ der Wirtschaftspolitik der russischen Regierung. Als Ursachen nennt er aber auch die vom Westen verhängten Sanktionen und die Aussicht auf neue Strafmaßnahmen der USA. Sie verunsicherten die Investoren und trugen so wesentlich zur Abschwächung des Rubelkurses bei. Nominal wertete der Rubel gegenüber dem Euro nach Berechnungen der Zentralbank im Jahresdurchschnitt 2018 um 11 Prozent ab. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Inflationsraten betrug die Abwertungsrate 9,8 Prozent.

Deutsche Exporte nach Russland stagnierten 2018 voraussichtlich

Die Verteuerung von in Euro gehandelten Gütern und das schwache Wachstum der russischen Wirtschaft erschweren den Absatz deutscher Waren in Russland. Gebremst wird der deutsche Export auch durch die von der russischen Regierung als „Gegen-Sanktionen“ verhängten Importverbote. Hinzu kommen ihre Anstrengungen, Einfuhren nach Russland durch die Förderung der Produktion im Inland zu ersetzen.

Büchele erwartet, dass die deutschen Lieferungen nach Russland 2018 allenfalls das Vorjahresergebnis wieder erreicht haben. In den ersten 10 Monaten waren die Warenausfuhren laut OAOEV-Statistik (deutsche Außenhandelsstatistik) nur 0,7 Prozent höher als im Vorjahr.

Am Jahresanfang 2018 hatte der OAOEV noch die Möglichkeit gesehen, dass die deutschen Ausfuhren nach Russland um rund ein Zehntel wachsen könnten. Aber schon zur Jahresmitte meinte Geschäftsführer Michael Harms, dass er diese Erwartung wegen der Sanktionspolitik der USA wohl korrigieren müsse.

Deutsche Einfuhren aus Russland verteuerten sich energiepreisbedingt

Die Einfuhren aus Russland wuchsen hingegen in den ersten 10 Monaten um 15,7 Prozent. Angesichts des hohen Energie-Anteils an den deutschen Einfuhren aus Russland dürfte dazu der Anstieg der Ölpreise erheblich beigetragen haben. Urals-Öl verteuerte sich laut einer Pressemitteilung des russischen Finanzministeriums im Jahresdurchschnitt 2018 um 32,0 Prozent von 53,03 Dollar/Barrel auf 70,01 Dollar/Barrel.

Der bilaterale Handelsumsatz (Exporte+Importe) war laut OAOEV im Zeitraum Januar bis Oktober 2018 knapp 9 Prozent höher als vor einem Jahr.

Russland fällt als Kunde Deutschlands zurück

Im Vergleich mit anderen wichtigen Märkten in Mittel- und Osteuropa sinkt die Bedeutung Russlands als Abnehmer deutscher Waren damit weiter. In der Rangliste des Statistischen Bundesamtes der Kundenländer Deutschlands lag Russland bereits 2017 nur noch auf Platz 14, weit hinter Polen, wohin Deutschland reichlich doppelt so viel exportierte wie nach Russland. Bei den Lieferländern Deutschlands rangierte 2017 nicht nur Polen (Platz 6) weit vor Russland (Platz 13), sondern auch die Tschechische Republik (Platz 7).

Das Gewicht der 29 OAEV-Länder in Mittel- und Osteuropa im deutschen Außenhandel wird leicht unterschätzt. Der OAEV stellte in einer Bilanz des ersten Halbjahres 2018 fest, dass sie insgesamt einen Anteil von rund 19 Prozent am deutschen Handelsumsatz erreichten. „Damit ist die Region für die deutsche Wirtschaft wichtiger als die riesigen Märkte China, USA und Japan zusammen“ unterstrich der Verband.

Außenminister Heiko Maas zur „neuen Europäischen Ostpolitik“

Gast beim Neujahrsempfang des OAOEV war Außenminister Heiko Maas. Er skizzierte in seiner Rede, die vom Auswärtigen Amt veröffentlicht wurde, sein Konzept einer „neuen Europäischen Ostpolitik“. Maas unterstrich, dass bei aller Bedeutung Russlands „Ostpolitik“ mehr sei als Russlandpolitik:

„Kernbestandteil einer neuen Europäischen Ostpolitik ist natürlich das Verhältnis zu Russland. Das gebietet zum einen schon die Geographie. Das gebieten unsere gemeinsamen Interessen an Sicherheit in Europa. Das gebieten die engen Bindungen, die es zwischen Deutschen und Russen gibt. (…)

Wir wollen eine möglichst enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Russland – auch das muss Ziel einer Europäischen Ostpolitik sein.

Aber um dorthin zu gelangen, brauchen wir einen echten, ehrlichen Dialog. Und wir brauchen auch klare Prinzipien. Umso komplizierter das Verhältnis ist, desto klarer muss auch die Sprache werden. (…)

… bei aller Bedeutung Russlands: Ostpolitik ist mehr als nur Russlandpolitik. Eine neue europäische Ostpolitik muss auch die Ukraine, Belarus, Moldau, den Südkaukasus, die Länder in Zentralasien sowie Südosteuropa umfassen. Denn „der Osten“ ist ja längst kein vom Westen klar abgegrenzter monolithischer Block mehr.

OAOEV will mit „Neuer Agenda“ Zusammenarbeit mit Russland verbessern

Der OAOEV-Vorsitzende Büchele betonte in seiner Rede auf dem Neujahrsempfang, dass trotz gravierender Konflikte langfristig kein Weg an einer engen Partnerschaft zwischen der EU und Russland vorbeiführe. Er sagte:

„Wir sind in diesem Jahrhundert, das nach Lage der Dinge kein europäisches, sondern ein asiatisches sein wird, mehr denn je aufeinander angewiesen.“

„Um die Zukunft gemeinsam zu gestalten, brauchen wir jetzt eine echte Strategie, eine neue Agenda für die europäisch-russischen Beziehungen“.

Grundzüge dieser „Neuen Agenda“ beschreibt der OAOEV in einem 30-seitigen Positionspapier, das der Verband am 11. Januar vorstellte. Der Verband nennt 15 „Zukunftsfelder“, in denen er viel Potenzial für eine verstärkte Zusammenarbeit sieht. Dazu gehören Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, zur Digitalisierung der Wirtschaft, Agrarwirtschaft und Klimaschutz, die Erforschung des Weltraums, Energie- und Rohstoffsicherheit, Medizin und Mobilität.

„In allen genannten Feldern können innovative Unternehmen aus der EU und Russland gemeinsam an Lösungen arbeiten. Und zum Teil tun sie dies bereits heute sehr erfolgreich”, betonte Büchele. Ein gutes Beispiel sei das Thema Digitalisierung.

Ein riesiges, gemeinsames Arbeitsfeld sei auch der Agrar- und Ernährungssektor: „Russland ist der wichtigste Getreideproduzent in Europa und spielt eine enorme Rolle für die Welternährung. Gemeinsam können wir klimaresiliente Pflanzen entwickeln, um die Ernteerträge zu steigern und die Folgen des Klimawandels zu begrenzen”, erläuterte Büchele.

Bereits hervorragend laufe die Zusammenarbeit in der Weltraumforschung. Gerade im Bereich der angewandten Forschung sieht Büchele für die EU und Russland erheblichen Verbesserungsbedarf.

„Wir erhoffen uns von dieser ‚neuen Agenda’ einen positiven Impuls, der einmal den Blick über die tagespolitischen Blockaden hinaus öffnet”, erläuterte der Vorsitzende die Zielsetzung der Initiative seines Verbandes.

Quellen und Lesetipps

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte und Konjunkturprognosen:

Medienberichte und Studien zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik:

OAOEV zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Russische Regierung zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik:

Ostexperte.de-Artikel von Klaus Dormann:

 

Titelbild
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