Russisches Wirtschaftswachstum 2021: Gestiegene Prognosen

Positive Prognosen zur russischen Wirtschaft und sinkendes BIP

Sehr viele Konjunkturexperten sind sich inzwischen weitgehend einig, dass Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion 2021 um rund 4 Prozent steigen dürfte. Von den fünf führenden deutschen Konjunkturforschungsinstituten sind allerdings gut drei Monate vor dem Jahresende noch sehr unterschiedliche Wachstumsprognosen zu hören. Die Spannbreite reicht hier von + 5,8 Prozent (IWH Halle) bis zu lediglich + 2,2 Prozent (DIW Berlin), wie wir bereits vor einer Woche berichteten.

Der „Konsens“ erwartet wie die Regierung 4,2 Prozent Wachstum

Auch einige der in der letzten Woche veröffentlichten Prognosen kommen zu sehr gegensätzlichen Einschätzungen. So erhöhte das Kiel Institut für Weltwirtschaft seine Wachstumsprognose für Russland auf + 4,7 Prozent. Vor drei Monaten hatte es nur mit + 2,7 Prozent gerechnet. Die OECD senkte hingegen gleichzeitig ihre Prognose von + 3,5 Prozent auf + 2,7 Prozent.

Ein ähnlich schwaches Wachstum der russischen Wirtschaft wie die Pariser Internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erwarten aber nur wenige Beobachter. Abgesehen vom Berliner DIW und der OECD wurden fast alle anderen Prognosen bis zuletzt weiter angehoben. Ein ähnlich starkes Wachstum der russischen Wirtschaft wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft (+ 4,7 Prozent) erwarten jetzt zum Beispiel auch Allianz/Euler Hermes (+ 4,5 Prozent), die DekaBank (+ 4,5 Prozent) und die Rating-Agentur Fitch (+ 4,3 Prozent).

Das Münchner ifo Institut rechnet in seiner Herbstprognose weiterhin mit einem Produktionsanstieg von + 4,2 Prozent in Russland. Ein Wachstum von 4,2 Prozent wurde auch bei der jüngsten Umfrage der russischen Zentralbank bei in- und ausländischen Analysten als „Konsens“ ermittelt.

Auch die russische Regierung geht in ihrer Haushaltsplanung und in ihren mittelfristigen Prognosen für die sozio-ökonomische Entwicklung davon aus, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 4,2 Prozent erreicht (weitere Infos dazu am Ende dieses Artikels).

Was kommt nach dem starken Wachstum der „Erholungsphase“?

Allerdings setzt sich das rasche Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion, das in der Phase der Erholung vom Rückgang der Produktion im Frühjahr 2020 bis etwa zur Jahresmitte 2021 registriert wurde, offenbar nicht weiter fort. Im Juli und August ist Russlands Industrieproduktion gegenüber dem Vormonat leicht gesunken. Auch das Bruttoinlandsprodukt nahm nach ersten Berechnungen im Juli ab (s. Ostexperte.de-Bericht). Die Stimmung der Unternehmen verschlechterte sich bei den Einkaufsmanagerumfragen in den Sommermonaten deutlich. Manche Konjunkturbeobachter erwarten deswegen offenbar im zweiten Halgbjahr einen scharfen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion.

Die Prognosen der deutschen Institute für 2021 sind sehr unterschiedlich

Erstaunlich konträr haben sich im letzten halben Jahr vor allem die Einschätzungen des Berliner DIW und des Kieler IfW entwickelt. Während das IfW seine Prognose für das russische Wachstum im Jahr 2021 seit Mitte März von + 2,8 Prozent auf + 4,7 Prozent anhob, senkte das DIW seine Prognose von + 2,9 Prozent auf + 2,2 Prozent. Besonders groß ist aktuell der Unterschied zwischen der DIW-Prognose und der Prognose des Leibniz Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Das IWH erwartet, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 5,8 Prozent wächst. Einen so starken Produktionsanstieg prognostizieren nicht einmal die Konjunkturforschungsinstitute der Moskauer Higher School of Economics (+ 4,6 Prozent) der Vnesheconombank (+ 4,5 Prozent) und der Russischen Akademie der Wissenschaften (+ 4,3 Prozent).

Wachstumsprognosen 2021 bis 2023

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

  202120222023
Russian Academy of Sciences23.09.214,32,62,4
Fitch Ratings23.09.214,32,72,3
Kiel Institut für Weltwirtschaft23.09.214,73,32,3
Ifo Institut München22.09.214,22,51,6
OECD Interim Outlook21.09.212,73,4 
Russisches Wirtschaftsministerium21.09.21

4,2

Urals 66,0 $/b

3,0

Urals 62,2 $/b

3,0

Urals 58,4 $/b

Vnesheconombank Institute17.09.21

4,5

Urals 66 $/b

2,4

Urals 58 $/b

2,3

Urals 55 $/b

Allianz, Euler-Hermes17.09.214,53,3 
BOFIT, Bank of Finland16.09.213,72,82,4
DIW Berlin16.09.212,23,02,4
RWI Essen16.09.214,02,82,3
IWH Halle14.09.215,83,51,8
Economist Intelligence Unit, London17.09.213,82,61,9
OPEC, Wien13.09.213,52,5 
Commerzbank, Frankfurt10.09.213,93,1 
Helaba, Frankfurt10.09.213,02,0 
Interfax Consensus Forecast07.09.214,32,4 
FocusEconomics Consensus07.09.213,82,7 
RIA Rating, Moskau07.09.214,0  
JP Morgan07.09.214,52,5 
ING Bank, Amsterdam06.09.213,82,23,0
DekaBank, Frankfurt03.09.214,52,2 
Zentralbank-Umfrage02.09.214,22,42,2
Vedomosti-Umfrage01.09.213,92,5 
Reuters-Umfrage31.08.214,32,6 
Higher School of Economics30.08.214,62,5 
Internationaler Währungsfonds27.07.214,43,1 
Russische Zentralbank23.07.21

4,0 bis 4,5

Urals 65 $/b

2,0 bis 3,0

Urals 60 $/b

2,0 bis 3,0

Urals 55 $/b

Das VEB-Institut erwartet im vierten Quartal ein leicht sinkendes BIP

Das Forschungsinstitut der Vnesheconombank hat seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft im August auf + 4,5 Prozent angehoben. Es blieb in einer Aktualisierung seiner Prognosen Mitte September dabei, obwohl das Bruttoinlandsprodukt nach ersten Bereichnungen des VEB-Instituts im Juli 2021 gegenüber dem Vormonat gesunken ist. Die folgende Abbildung des Instituts zur vierteljährlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts lässt aber erkennen, dass das Institut jetzt im dritten Quartal 2021 mit einer Stagnation und im vierten Quartal mit einem leichten Rückgang des BIP rechnet (dunkelgrüne Linie).

Bruttoinlandsprodukt und Investitionen; 4. Quartal 2018=100

Vnesheconombank-Institute: Medium-term forecast for the development of the Russian economy; 17.09.2021

Die Industrieproduktion ist im Juli und August gesunken

Den Rückgang der Industrieproduktion im Juli und August gegenüber dem Vormonat zeigt die folgende Abbildung aus dem am Freitag veröffentlichten Wochenbericht des VEB-Instituts.

Entwicklung der Industrieproduktion (Januar 2014=100)

Industrieproduktion insgesamt; Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen; Produkton im „Verarbeitenden Gewerbe“

Vnesheconombank Institute: Industrieproduktion in Russland im August; in:„World Economy and Markets Review“; 24.09.2021

Insgesamt sank die Industrieproduktion (schwarze Linie in der Abbildung) laut den Berechnungen des VEB-Instituts saison- und kalenderbereinigt im Juli gegenüber Juni um 1,0 Prozent. Im August nahm sie gegenüber Juli weiter um 0,5 Prozent ab. Dabei verringerte sich vor allem die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“(untere hellgrüne Linie). Sie sank im Juli gegenüber Juni um 1,8 Prozent und im August gegenüber Juli um 0,8 Prozent. Im „Verarbeitenden Gewerbe“ (obere dunkelgrüne Linie) war der Rückgang weniger stark. Er setzte aber schon im Juni ein (- 0,4 Prozent gegenüber Mai) und hielt in ähnlichem Tempo im Juli (- 0,4 Prozent) und August (- 0,3 Prozent) an.

Veränderungen der Industrieproduktion insgesamt und der Produktion in den Bereichen „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ sowie „Verarbeitendes Gewerbe“ gegenüber dem Vormonat (bereinigt) und gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent

Vnesheconombank Institute: Industrieproduktion in Russland im August; in:„World Economy and Markets Review“; 24.09.2021

Auch Rosstat zeigt den bereinigten Rückgang der Industrieproduktion

Die Ergebnisse der Berechnungen des Statistikamtes Rosstat zur saison- und kalenderbereinigten Entwicklung der Industrieproduktion weichen von den Berechnungen des VEB-Instituts zwar etwas ab. Auch die von Rosstat veröffentlichte Abbildung zur Entwicklung der Industrieproduktion macht aber deutlich, dass die Industrieproduktion seit Mitte 2021 saison- und kalenderbereinigt leicht gesunken ist (dunkelblaue Linie). Laut Rosstat war sie im August noch etwa ebenso hoch wie im Februar 2020 (vor dem Corona-Lockdown im Frühjahr 2020).

Index der Industrieproduktion (2018=100)

Gelbe Linie: unbereinigt; dunkelblaue Linie: saison und kalenderbereinigt; rote Linie: Trend
Quelle: Rosstat: Industrieproduktion im August; 22.09.2021

Wachstumsimpulse werden im zweiten Halbjahr von der Ölförderung und den Einmal-Zahlungen erwartet

Die in der letzten Woche erschienene vierteljährliche Konjunkturprognose des Konjunkturforschngsinstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften stellt heraus, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion der russischen Wirtschaft bereits im April ihr „Vorkrisenniveau“ wieder erreicht habe. Die kräftige Erholung habe zum einen auf der in der Krise aufgestauten Nachfrage von privaten Haushalten und Unternehmen beruht. Sie habe sich außerdem aus der Verbesserung der Konjunktur im Ausland und der Umsetzung der Anti-Krisen-Maßnahmen der Regierung ergeben.

Der Bericht des RAS-Instituts untersucht, welche Faktoren die Konjunkturentwicklung bis zum Ende des Jahres 2021 und im Jahr 2022 bestimmen werden. Zum einen erwartet das Institut, dass verstärkte Wachstumsimpulse vom Export kommen werden. Angesichts der ziemlich schnellen Erholung der Weltwirtschaft und der Lockerung der Begrenzungen der Ölförderung im Rahmen des Abkommens der OPEC+ werde auf kurze Sicht der Export von Öl und Ölprodukten zu einer der wichtigsten Quellen für das Wachstum der Industrie und der gesamten Wirtschaft werden.

Außerdem schätzt das Institut, dass im Jahr 2021 von den Einmal-Zahlungen an Rentner und Militär-Personal ein Anstieg der Wachstumsrate um mindestens 0,3 Prozentpunkte ausgeht. Allerdings handele es sich dabei um einen einmaligen Vorgang, der im nächsten Jahr wieder wegfalle. Es gebe deswegen das Risiko, dass das Wachstum 2022 fast ebenso stark gebremst werde.

Auch Denis Popov (PSB Analytics & Strategy) meint in einer detaillierten Analyse der Entwicklung der Industrieprodukion im Finanzportal Finam.ru, dass der Bereich der Förderung von Rohstoffen angesichts der Lockerung der Begrenzung der Ölförderung ein erhebliches Erholungspotenzial habe. Im August sei die gesamte Rohstoff-Produktion 4,8 Prozent niedriger gewesen als vor zwei Jahren im August 2019. Die Öl- und Gasförderung sei dabei um 7,7 Prozent niedriger gewesen. Popov verweist auch auf die aktuelle Knappheit des Erdgasangebots in der EU.

Gegen Jahresende wird  der Anstieg der Industrieproduktion gegenüber dem Vorjahresmonat nach Einschätzung von Popov zwar voraussichtlich auf 3 bis 3,5 Prozent sinken. Seine Prognose für den Anstieg der Industrieproduktion im Jahresvergleich 2021/2020 hebt er aber auf +4,3 Prozent an.

Erwartungen des Wirtschaftsminiserium für die Jahresergebnisse 2021 und die sozio-ökonomische Entwicklung bis 2024

Das russische Wirtschaftsministerium rechnet für das Jahr 2021 mit einem Anstieg der Industrieproduktion um 4,2 Prozent. Auch das Bruttoinlandsprodukt werde um 4,2 Prozent steigen.

Diese Einschätzung wiederholte Wirtschaftsminister Reshetnikov in einer Sitzung der Regierung am 21. September und einer Rede im Föderationsrat am 22. September. Das Wirtschaftsministerium veröffentlichte zu seinen Prognosen der sozio-ökonomischen Entwicklung bis 2024, die der Haushaltsplanung zugrunde gelegt werden, in der letzten Woche in einer Präsentation auch folgende Übersicht zu den für das Jahr 2021 erwarteten Ergebnisse.

Bei einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und der Industrieproduktion um jeweils 4,2 Prozent rechnet das Ministerium mit einem Anstieg der realen Anlageinvestitionen um 4,5 Prozent.

Prognose des Wachstums volkswirtschaftlicher Parameter in 2021: Bruttoinlandsprodukt, Industrieproduktion, Anlageinvestitionen; Verbraucherpreise (Dez. 2021), Einzelhandelsumsatz, Dienstleistungsumsatz

Russisches Wirtschaftsministerium: On the forecast of socio-economic development Russian Federation for 2022-2024; 22.09.2021

Der Anstieg der Verbraucherpreise wird nach Einschätzung des Ministeriums im Dezember 2021 im Vergleich zum Vorjahresmonat noch 5,8 Prozent betragen. Das Ministerium erwartet im Jahresvergleich 2021/2020 einen realen Anstieg des Einzelhandelsumsatzes um 6,9 Prozent und einen Anstieg des realen Umsatzes der Dienstleistungen für die Bevölkerung um 16,7 Prozent.

Dabei geht es – wie die folgende Abbildung zeigt – von einem Anstieg der Reallöhne im Jahr 2021 um 3,1 Prozent aus. Der Anstieg der real verfügbaren Einkommen wird für 2021 auf 3,0 Prozent veranschlagt. Auf dem Arbeitsmarkt erwartet das Ministerium eine stabile Entwicklung. Die Zahl der Beschäftigten soll von 71,7 Millionen im Jahr 2021 auf 72,2 Millionen im Zeitraum 2022 bis 2024 steigen. Die Arbeitslosenquote im Zeitraum 2022 bis 2024 wird auf 4,6 Prozent geschätzt.

Prognosen zur Entwicklung von Löhnen, Einkommen und Arbeitsmarkt

Russisches Wirtschaftsministerium: On the forecast of socio-economic development Russian Federation for 2022-2024; 22.09.2021

Das Wirtschaftsministerium veröffentlichte mit der Zusammenfassung einer Rede Wirtschaftsminister Reshetnikovs bei einer Sitzung der Regierung folgende Tabelle zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahr 2020 und den Prognosen des Ministeriums bis 2024.

Wirtschaftsministerium: Bericht zur Rede von Wirtschafsminister Reshetnikov bei der Sitzung der Regierung zur Prognose der sozio-ökonomischen Entwidklung für die Haushaltsplanung; mit Prognosetaballe; 21.09.2021

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

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