Russische Zentralbank: Neuer Leitzins und mehr Wirtschaftswachstum

Russlands Zentralbank rechnet für 2021 mit bis zu 4,5 Prozent Wachstum

Russlands Zentralbank erhöhte ihren Leitzins am Freitag weiter von 5,5 Prozent auf 6,5 Prozent. Sie veröffentlichte auch neue Prognosen zur mittelfristigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bis 2023. Die Zentralbank rechnet jetzt damit, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion 2021 um 4 bis 4,5 Prozent wachsen wird. Gleichzeitig erwartet sie einen deutlich stärkeren Preisanstieg als in ihrer letzten Prognose vor 3 Monaten: die Nachfrage wachse schneller als die Möglichkeiten zur Ausweitung des Angebots.

Rasche Erhöhung des Leitzinses seit März 2021

Im „Lockdown“ im Frühjahr des Corona-Krisenjahres 2020 hatte die Zentralbank ihren Leitzins bis auf 4,25 Prozent – ein Rekordtief – gesenkt, um die Konjunktur zu stützen.

Russlands Leitzins in Prozent seit 2012

Trading Economics: Bank of Russia Hikes Policy Rate by 100 bps; 23.07.2021

Nachdem sich die Produktion erholte und die Inflationsrate unerwartet stark anzog, begann die Zentralbank im März 2021, ihren Leitzins wieder anzuheben. Zunächst erhöhte sie ihn um 25 Basispunkte, im April und Juni 2021 um jeweils 50 Basispunkte. Die jüngste Erhöhung um 100 Basispunkte von 5,5 Prozent auf 6,5 Prozent ist die stärkste Leitzins-Erhöhung seit der Wirtschaftskrise im Jahr 2014. Überraschend kam sie nicht. Viele Analysten hatten aufgrund von Äußerungen der Zentralbank mit einer Erhöhung um 75 bis 100 Basispunkte gerechnet.

Die Inflation hat sich deutlich beschleunigt

Von Mai auf Juni 2021 ist der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat von 6,0 auf 6,5 Prozent gestiegen. Zentralbank-Präsidentin Elvira Nabiullina meinte in ihrem Statement zur Leitzinserhöhung, dass sich der Inflationsdruck als stärker und nachhaltiger als erwartet erweise.

Das Wachstum der russischen Wirtschaft habe sich im zweiten Quartal beschleunigt. Es seien Anzeichen für eine „Überhitzung“ der Wirtschaft zu beobachten. In vielen Industriebereichen übersteige die wachsende Nachfrage die Möglichkeiten das Angebot durch eine Steigerung der Produktion und mehr Einfuhren zu erhöhen.

Die Zentralbank verweist auch auf preistreibende Effekte der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Viele Arbeitsmigranten hätten Russland wegen der Pandemie verlassen. Der Mangel an Arbeitskräften führe zu Lohnsteigerungen. Die Nachfrage der Verbraucher wachse, die Kosten für die Unternehmen stiegen.

Nabiullina: Die hohen Inflationserwartungen dürfen sich nicht verfestigen

Präsidentin Nabiullina hob hervor, dass sich die Inflationserwartungen weiter erhöht haben (siehe folgende Abbildung von Tatiana Evdokimova).

Leitzins und Inflationserwartungen der Haushalte in Prozent

Tatiana Evdokimova: Fresh historically high gap between the key rate and inflation expectations. Time for the Bank of Russia to catch up; Tweet, 22.07.2021

Es sei jetzt wichtig, so Nabiullina, Anreize für eine Stärkung der Sparneigung zu schaffen. Dafür würden höhere Zinsen benötigt. Es dürfe nicht toleriert werden, dass sich die Inflationserwartungen auf dem erreichten hohen Niveau verfestigen.

Das Inflationsziel von 4 Prozent könnte erst 2023 erreicht werden

Angesichts dieser Trends erwartet die Zentralbank in ihrer neuen mittelfristigen Prognose, dass die Inflationsrate am Jahresende 2021 noch 5,7 bis 6,2 Prozent erreichen wird. In ihrer bisherigen Prognose vom April hatte sie einen deutlich stärkeren Rückgang des Preisanstiegs auf 4,7 bis 5,2 Prozent angenommen.

Russlands Zentralbank strebt eine Inflationsrate von vier Prozent an. Im April hatte sie noch prognostiziert, dieses Ziel Ende 2022 zu erreichen. Jetzt erwartet sie für Ende 2022 eine Preissteigerungsrate von 4,0 bis 4,5 Prozent. Der Leitzins wird laut ihrer neuen Prognose im nächsten Jahr im Durchschnitt bei 6,0 bis 7,0 Prozent gehalten werden (bisher war sie von 5,3 bis 6,3 Prozent ausgegangen).

Mittelfristige Prognosen der russischen Zentralbank zur Entwicklung von Verbraucherpreisen, Leitzins und Bruttoinlandsprodukt (Auszug)

Zentralbank: Medium-term forecast; 23.07.2021

Bei der Analysten-Umfrage der Zentralbank, die sie eine Woche vor ihrer Leitzinsenscheidung veröffentlichte, wurde im Mittelwert mit einer Inflationsrate von 5,6 Prozent für Dezember 2021 gerechnet.

Alfa-Bank erwartet Ende 2021 einen Leitzins von 7 Prozent

Natalia Orlova, Chef-Volkswirtin der Alfa-Bank, meint in einem Kommentar zur Leitzinserhöhung, dass die Inflationsrate im Dezember im Vergleich zum Vorjahresmonat wohl noch 6,3 Prozent betragen werde. Die von der Zentralbank prognostizierte Spanne von 5,7 bis 6,2 Prozent hält sie nur für erreichbar, falls das Preisniveau im August und/oder September sinken werde.

Orlova geht davon aus, dass das Preisniveau im August-September stagniert und die Zentralbank am 10. September den Leitzins „moderat“ um 25 Basispunkte erhöht. Bis zum Jahresende werde der Leitzins angesichts der wahrscheinlichen Straffung der Geldpolitik in den USA dann voraussichtlich um weitere 25 Basispunkte auf 7,0 Prozent angehoben werden.

Anfang Juli hatte Orlova zur Inflationsentwicklung in Russland eine ausführliche Analyse veröffentlicht („Inflation in Russia: too many risks on the horizon“; finam.ru,). Auch Dmitry Dolgin, Chef-Volkswirt für Russland der ING Bank, erwartet im September eine Leitzinserhöhung um 25 Basispunkte. Weitere Erhöhungen bis zum Jahresende seien weniger sicher. Dolgin bleibt bei seiner Prognose, dass der Leitzins am Jahresende zwischen 6,5 und 7 Prozent liegen werde.

Wachstumsprognose 2021 erhöht, Wachstumsprognose 2022 aber gesenkt

Das Wirtschaftswachstum im Jahr 2021 wurde von den Analysten in der Zentralbank-Umfrage auf 3,5 Prozent veranschlagt. Diese Wachstumsrate entspricht dem Mittelwert der bisher von der Zentralbank genannten Spanne für den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (+3,0 bis +4,0 Prozent).

Jetzt hob die Zentralbank ihre Prognose für das laufende Jahr jedoch auf +4 bis +4,5 Prozent an. Zusätzliche Wachstumsimpulse für die russische Wirtschaft seien u.a. von der weltweiten Aufstockung der Rohstoffvorräte und von der Ausweitung der russischen Ölförderung entsprechend dem Abkommen mit der OPEC+ zu erwarten.

Von der Anhebung der Wachstumsprognose der Zentralbank für 2021 kann sich das Forschungsinstitut der Vnesheconombank bestätigt fühlen. Es hatte seine Wachstumsprognose für 2021 Anfang Juli auf 4,3 Prozent erhöht (Ostexperte.de berichtete).

Gleichzeitig senkte die Zentralbank ihre Wachstumsprognose für 2022 jetzt aber von + 2,5 bis + 3,5 Prozent um einen halben Prozentpunkt auf + 2,0 bis + 3,0 Prozent. Auch diese Einschätzung ist mit der Prognose des VEB-Instituts (2022: +2,2 Prozent) „verträglich“.

Kräftiger Anstieg der Industrieproduktion im Vorjahresvergleich

Hinsichtlich der Entwicklung der russischen Industrieproduktion geht das VEB-Institut für das zweite Halbjahr 2021 von einer annähernden Stagnation aus (siehe: Abbildung Seite 7 in: Medium-term forecast for the development of the Russian economy; 13.07.2021). Schon am Ende des ersten Halbjahres 2021 war die Industrieproduktion leicht rückläufig.

Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg die Industrieproduktion im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat zwar noch um 10,4 Prozent (siehe Säulen in der folgenden Abbildung von FocusEconomics). Im Vergleich der letzten 12 Monate mit den vorangegangenen 12 Monate wurde von FocusEconomics im Juni so erstmals wieder ein Zuwachs verzeichnet (+ 0,6 Prozent).

Russlands Industrieproduktion

Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent (Säulen),

Gleitender 12-Monats-Durchschnitt der Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat (rote Linie)

Almanas Stanapedis; FocusEconomics: Russia: Industrial output growth looses pace in June: 23.07.2021

Industrieproduktion sinkt gegenüber dem Vormonat

Saison- und kalenderbereinigt war die Industrieproduktion im Juni nach ersten Berechnungen des Statistikamtes Rosstat aber 0,4 Prozent niedriger als im Mai. Nach ersten Berechnungen des Forschungsinstituts der Vnesheconombank (VEB) betrug der Rückgang der gesamten Industrieproduktion von Mai auf Juni zwar nur 0,1 Prozent. Die Industrieproduktion war aber bereits im Mai laut VEB Institut gegenüber dem Vormonat um 0,9 Prozent gesunken.

Die folgende Abbildung aus dem Wochenbericht des VEB-Instituts zeigt die Rückgänge der gesamten Industrieproduktion im Mai und Juni (schwarze Linie). Dabei sinkt die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ (obere dunkel-grüne Linie), die schon Ende 2020 ihr Vorkrisenniveau wieder überschritten hatte, bereits seit drei Monaten. Der Anstieg der Produktion im Industrie-Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen setzte sich im Juni (nach einer Stagnation im Mai) zwar fort. Dieser Industrie-Bereich hat gegenüber dem Jahr 2019 aber noch erheblichen Aufholbedarf.

Entwicklung der Industrieproduktion (Januar 2014=100)

Industrie Insgesamt, Bereich „Bergbau und Förderung von Rohstoffen“, Bereich „Verarbeitendes Gewerbe“; saison- und kalenderbereinigt

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“ mit Russland-Themen

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

Titelbild
Hauptsitz der Russischen Zenralbank in Moskau. Quelle: Popova Valeriya I Shutterstock