Russische Wirtschaft: Verbesserte Wachstumsprognosen für 2021

VEB-Forschungsinstitut: 2022 halbiert sich aber das Wirtschaftswachstum

Russlands Wirtschaft hat sich vom Corona-Einbruch unerwartet rasch erholt. Bereits im zweiten Quartal dürfte die gesamtwirtschaftliche Produktion wieder auf den vor der Krise im vierten Quartal 2019 erreichten Stand gestiegen sein. Viele Wachstumsprognosen für 2021 wurden und werden trotz der neuen Corona-Infektionswelle angehoben.

Das Forschungsinstitut der staatlichen Vnesheconombank rechnet in seiner in der letzten Woche veröffentlichten mittelfristigen Prognose sogar mit einem Produktionsanstieg um 4,3 Prozent in diesem Jahr, obwohl es ausdrücklich darauf hinweist, dass es angesichts der neuen Infektionswelle vor allem im Dienstleistungsbereich in den Sommermonaten eine Abnahme der Produktion geben dürfte. Die weiteren Wachstumsperspektiven der russischen Wirtschaft ab 2022 sieht aber auch das VEB-Institut deutlich skeptischer als die Regierung.

VEB-Institut: Das Bruttoinlandsprodukt ist wieder auf dem Vorkrisen-Niveau

Das VEB-Institut entwickelt seine mittelfristigen Prognosen unter anderem auf der Basis einer Analyse der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion und der Investitionen, der Industrieproduktion, des Einzelhandels und der Dienstleistungen seit 2018. Dazu veröffentlichte es einige Abbildungen. Die blaue Linie der folgenden Abbildung zeigt, dass das reale Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal wieder etwas höher war als Ende 2019.

Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 3,0 Prozent im Jahr 2020 wird nach Einschätzung des VEB-Instituts mit einem Anstieg um 4,3 Prozent im laufenden Jahr mehr als aufgeholt. Die Investitionen (hellgrüne Linie) sanken im Jahresdurchschnitt 2020 nur knapp halb so stark (- 1,4 Prozent) wie das BIP. Schon Ende 2020 hatten sie den Rückgang gegenüber dem vierten Quartal 2019 aufgeholt. Das VEB-Institut erwartet, dass die Investitionen 2021 gegenüber 2020 um 4,3 Prozent erhöht werden.

Reales Bruttoinlandsprodukt und Investitionen; Q4 2018 = 100

Vnesheconombank-Institut: Medium-term forecast for the development of the Russian economy; Seite 7; 13.07.2021

Auch die Industrieproduktion hat den Corona-Rückschlag aufgeholt

Wie das Bruttoinlandsprodukt hat auch die Industrieproduktion laut der folgenden Abbildung im zweiten Quartal 2021 insgesamt wieder ihr „Vorkrisenniveau“ vom 4. Quartal 2019 erreicht (blaue Linie). Im Jahresdurchschnitt 2021 dürfte die Industrieproduktion insgesamt um 4,2 Prozent wachsen (nach einem Rückgang um 2,6 Prozent im Jahresvergleich 2020/2019). Dabei wird der wichtigste Teil der Industrieproduktion, das „Verarbeitende Gewerbe“ (hellgrüne Linie), 2021 deutlich überdurchschnittlich stark steigen. Allerdings geht das VEB-Institut dabei davon aus, dass die Industrieproduktion insgesamt und das Verarbeitende Gewerbe im dritten und vierten Quartal 2021 auf dem im zweiten Quartal erreichten Stand stagnieren.

Industrieproduktion insgesamt

 und Produktion im Verarbeitenden Gewerbe, Q4 2018 = 100

Vnesheconombank-Institut: Medium-term forecast for the development of the Russian economy; Seite 7; 13.07.2021

Der Dienstleistungsbereich hat noch Aufholbedarf

Stärker als die Industrie trafen die Produktionsausfälle im Lockdown im Frühjahr 2020 den Einzelhandel und vor allem den Dienstleistungsbereich. Der Einzelhandel hatte im Jahresdurchschnitt 2020 ein Minus von 3,2 Prozent zu verkraften, im Dienstleistungsbereich gab es sogar einen Rückgang um 14,8 Prozent. Während der Einzelhandel (blaue Linie) bereits im ersten Quartal 2021 wieder sein Vorkrisenniveau erreichte, dürfte das im Dienstleistungsbereich erst Ende 2021 gelingen. Das VEB-Institut erwartet für 2021/2020 im Einzelhandel einen Anstieg um 7,7 Prozent und im Dienstleistungsbereich um 13,6 Prozent.

Einzelhandel und Dienstleistungen, Q4 2018 = 100

Vnesheconombank-Institut: Medium-term forecast for the development of the Russian economy; Seite 07; 13.07.2021

S&P und Fitch erwarten 2021 fast so viel Wachstum wie die Regierung

Am 08. Juli hatte das Wirtschaftsministerium seine vorläufigen Annahmen für die Haushaltsplanung und die Entwicklung der russischen Wirtschaft bis 2024 den Medien bekannt gemacht. Seine Prognose für das diesjährige Wirtschaftswachstum hob das Ministerium von 2,9 auf 3,8 Prozent an.

Die Rating-Agenturen Standard & Poor’s und Fitch Ratings erwarten in ihren jüngsten Berichten zur Kreditwürdigkeit der russischen Regierung in Russland in diesem Jahr fast ebenso viel Wachstum wie die Regierung. Sie gehen von jeweils + 3,7 Prozent aus. Die russische Zentralbank prognostizierte zuletzt für die russische Wirtschaft Ende April ein Wachstum um 3 bis 4 Prozent. Sie wird diese Prognose zu ihrem Leitzinsentscheid am Freitag aktualisieren.

Umfrage der Zentralbank lässt 2021 weiterhin 3,5 Prozent Wachstum erwarten

Veröffentlicht hat die Zentralbank Ende letzter Woche zum zweiten Mal eine Umfrage bei rund 25 russischen und ausländischen Banken und Forschungsinstituten. Die Mittelwerte der Wachstumsprognosen für die Jahre 2021 bis 2023 blieben im Vergleich mit der Anfang Juni veröffentlichten ersten Umfrage unverändert (obwohl einige Regionen Russlands angesichts rasch steigender Infektionszahlen in den letzten Wochen erneute Beschränkungen der Produktionsaktivitäten der Unternehmen anordneten). Nach einem Anstieg um 3,5 Prozent im Jahr 2021 dürfte auch laut der neuen Zentralbank-Umfrage das Wachstum 2022 auf 2,4 Prozent sinken und 2023 weiter auf 2,2 Prozent zurückgehen.

2022 flaut das Wachstum nach Meinung vieler Beobachter deutlich ab

Die Wachstumsaussichten für 2022 sehen die Rating-Agenturen aber merklich skeptischer als die Regierung. Während die Regierung noch einen Anstieg des BIP um 3,2 Prozent erwartet, rechnet Standard & Poor’s dann nur noch mit 2,5 Prozent Wachstum, Fitch Ratings mit 2,7 Prozent. Das VEB-Institut erwartet, dass sich der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion von 4,3 Prozent auf nur noch 2,2 Prozent verringert – fast eine Halbierung.

Wachstumsprognosen 2021 bis 2023

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

  202120222023
Standard & Poor’s Rating17.07.213,72,5 
Commerzbank, Frankfurt16.07.213,72,5 
Helaba, Frankfurt16.07.213,02,0 
Zentralbank-Umfrage15.07.213,52,42,2
OPEC, Wien15.07.213,02,3 
Vnesheconombank Institut12.07.214,32,22,8
ING Bank, Amsterdam09.07.213,82,23,0
DekaBank, Frankfurt09.07.213,82,2 
Fitch Ratings09.07.213,72,72,0
Wirtschaftsministerium08.07.213,8 Urals 65,9 $/b3,2 Urals 64,8 $/b3,0 Urals 60,8 $/b
wiiw, Wien07.07.213,53,02,6
Eurasische Entwicklungsbank, EDB07.07.214,12,22,4
FocusEconomics Consensus06.07.213,42,62,3
Vnesheconombank Institute02.07.214,3  
Alfa Bank, Moskau01.07.213,3  
Reuters-Umfrage30.06.213,8  
Unicredit, Mailand30.06.213,42,6 
EBRD, London28.06.213,33,0 
Russische Zentralbank23.04.213,0 bis 4,0 Urals 60 $/b2,5 bis 3,5 Urals 55 $/b2,0 bis 3,0 Urals 50 $/b
Internationaler Währungsfonds06.04.213,83,8 

Finanzminister Siluanov sieht die Politik der Regierung von S&P bestätigt

Russlands Finanzminister Anton Siluanov hob in einer Stellungnahme zur Bewertung der Kreditwürdigkeit Russlands durch die Rating-Agentur S&P hervor, dass er die Rating-Entscheidungen von S&P mit der Anhebung der Wachstumsprognose der Agentur auf 3,7 Prozent als eine weitere Bestätigung für die Richtigkeit der Wirtschaftspolitik der Regierung sieht.

Der Bericht der Rating-Agentur betont zwar laut Interfax, dass die Unsicherheit über die Entwicklung der COVID-19-Pandemie und die Verhängung internationaler Sanktionen hoch bleibe. Positiv für die Kreditwürdigkeit Russlands wirke sich laut S&P aber aus, dass sich die russische Regierung einer „konservativen“ Wirtschaftspolitik verpflichtet fühle. Russland sei außenwirtschaftlich als Netto-Kreditgeber in einer starken Position, die Staatsverschuldung sei niedrig und die Geldpolitik „ziemlich flexibel“. Belastend blieben für Russlands Kreditwürdigkeit die weiterhin hohe Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten sowie institutionelle Mängel. Negativ wirkten sich auch die geopolitischen Spannungen und die gegen Russland verhängten Sanktionen aus. Sie würden die langfristigen Wachstumsperspektiven beeinträchtigen.   Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

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