Welche Organisationen machen Propaganda für den Kreml?

„Hybrid Analytica“ – Welche Think Tanks, Universitäten und Verbände machen Propaganda für den Kreml?

Einige Hinweise zu einer Studie des US-Think Tank „Institute of Modern Russia“ (President: Pavel Khodorkovsky)

Was ein „hybrider Krieg“ ist, haben wir in den letzten Jahren gelernt. Jens Siegert hat es besonders einfach erklärt. Er schrieb im Frühjahr 2016 in seinem Russland Blog, in zunehmendem Maße werde „alles, was die russische Führung sich an Unfreundlichkeiten oder gar Feindseligkeiten gegenüber dem Westen/der EU/der NATO ausdenkt, unter der Kategorie „hybrider Krieg“ subsummiert.“

Aber was sind „Hybrid Analytica“? Dazu hat das „Institute of Modern Russia“ im Oktober eine Studie von Dr. Kateryna Smagliy veröffentlicht. Freundlicherweise wird gleich im Titel beschrieben, was mit „Hybrid Analytica“ gemeint ist:

Hybrid Analytica: Pro-Kremlin Expert Propaganda in Moscow, Europe and the U.S.: A Case Study on Think Tanks and Universities 

Es geht also um „Propaganda“ von Experten in Think Tanks und Universitäten in Moskau/Russland, Europa und den USA, und zwar um Propaganda, mit der die russische Regierung unterstützt werden soll.

Das „Institute of Modern Russia“ wurde 2010 in New York gegründet. Sein „Präsident“ ist Pavel Khodorkovsky, ein Sohn von Mikhail Khodorkovsky. Als ein Ziel des Instituts wird die Förderung der Demokratie in Russland genannt.

Zur Autorin Dr. Kateryna Smagliy (ehemalige Direktorin des Kiewer Büros des Kennan-Instituts des Woodrow Wilson Center)

Dr. Kateryna Smagliy, die Autorin der Studie, war von Dezember 2015 bis Ende Februar 2018 Direktorin des Kiewer Büros des Kennan-Instituts des Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington. Mitte Februar wurde ihr Arbeitsvertrag gekündigt.

Im Sommer 2018 arbeitete sie als „Special Fellow“ des Prager „European Values Think Tank“. Dieses Institut hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, zu analysieren, mit welchen Instrumenten der Desinformation Russland gegen westliche Demokratien vorgeht. In einem „Kremlin Watch Report“ veröffentlichte es Mitte Juni ein „2018 Ranking of countermeasures by the EU28 to the Kremlin’s subversion operations“ (Deutschland-Kapitel auf Seite 47 bis 50).

Scharfe Kritik Dr. Smagliys an der Leitung des Kennan-Instituts nach ihrer Entlassung

Zu ihrer Entlassung als Direktorin des Büros des Kennan-Instituts in Kiew äußerte sich Dr. Smagliy in einem von der „Kiev Post“ Ende Februar 2018 veröffentlichten Artikel. Sie schreibt, das Kennan-Institut sei zwar einst das am meisten respektierte amerikanische akademische Zentrum (für Russland-Forschung) gewesen. Unter dem seit 2014 amtierenden Direktor Matthew Rojansky sei es jedoch zu einem „Instrument in Russlands hybridem Krieg“ geworden:

„Two weeks ago, my former boss Matthew Rojansky, the Director of the Kennan Institute at the Woodrow Wilson Center in Washington, D.C., abruptly dismissed me, offering no specific reason for such a decision. (…) Under Rojansky’s leadership, the Kennan Institute, once the most reputable and respectable American academic center, is being downgraded to the role of the Kremlin Institute and the instrument of Russia’s hybrid war in the very heart of Washington, D.C.“

Unterstützt wurde ihr scharfer Protest von einem von der Kiev Post veröffentlichten offenen Brief von Alumnis des Kennan Instituts (Alumni: ‘We are deeply concerned by the Kennan Institute’s growing pro-Kremlin policies’.

Wie Dr. Smagliy das „Kreml-Netz“ der „Experten-Propaganda“ sieht

Auf Smagliys Twitter-Seite findet sich mit Datum vom 06. Oktober eine für die Studie erstellte Abbildung. Sie vermittelt einen Überblick, welche Organisationen die Autorin  als Verbreiter der „Experten-Propaganda“ zur Förderung der Interessen der russischen Regierung betrachtet.

Aus deutscher Sicht ist besonders interessant, welche Organisationen und Personen in Ländern der Europäischen Union zu den „Propagandisten“ gezählt werden. Dazu gehören laut der Abbildung in Deutschland:

  • Das Berliner Forschungsinstitut „The Dialogue of Civilizations Research Institute“ (bei dem in der Grafik die Namen der „Mit-Gründer“ des Instituts Walter Schwimmer und Peter W. Schulze sowie der Mitglieder des Aufsichtrates Andrea von Knoop, Alfred Gusenbauer und Vaclav Klaus vermerkt sind)
  • Das Deutsch-Russische Forum
  • Die Friedrich-Ebert-Stiftung
  • Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Schröder)

In der Abbildung verzeichnet sind unter anderem auch die Stichworte:

  • Nord Stream 2-Konsortium
  • Pflüger International
  • EUCERS
  • Kings College London
The Kremlin Web of “Hybrid Analytica“
The Kremlin Web of “Hybrid Analytica“. Quelle: Twitter

Besonders viel Einfluss im „Propaganda-Krieg“ ordnet die Studie offenbar dem Mitte 2016 eröffneten Berliner Forschungsinstitut „Dialog der Zivilisationen“ zu. Das Institut (englische Bezeichnung: „Dialogue of Civilizations Research Institute, DOC-RI“) wurde von Wladimir Jakunin, von 2005 bis 2015 Präsident der russischen Eisenbahngesellschaft, gegründet. Mitgründer waren der Göttinger Politikwissenschaftler Prof. h.c. Dr. Peter W. Schulze, der von 1992 bis 2003 für die Friedrich-Ebert Stiftung in Moskau arbeitete, und der frühere Generalsekretär des Europarates (1999-2004), der österreichische ÖVP-Politiker Walter Schwimmer.

Smagliy nennt das Institut „Dialog der Zivilisationen“ eine „powerful propaganda machine“

Smagliy zitiert aus einem Bericht der Deutschen Welle zur Gründung des DOC-Instituts, dass Jakunin plane, für die Arbeit des Instituts in den nächsten fünf Jahren 25 Millionen Euro auszugeben. Dazu stellt Smagliy jetzt fest, diese beträchtlichen Finanzmittel hätten es Jakunin erlaubt, das Institut zu einer „powerful propaganda machine“ zu machen.

Zur Begründung weist sie im Wesentlichen lediglich auf Veranstaltungen des Instituts wie das „Rhodos-Forum“ hin („many European scholars and politicians are still willing and eager to have a “dialogue” with Yakunin“). In diesem Jahr fand das Forum auf der griechischen Insel am 05./06. Oktober statt; einer der prominenten Teilnehmer war der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer (Website: DOC Rhodes Forum).

Dass das Forschungsinstitut auf seiner Web-Site in der Sektion „Medien über uns“ zahlreiche kritische Meinungen zu seiner Arbeit aufgenommen hat, erwähnt die Autorin nicht. Ein Beispiel ist der Deutschlandfunk-Bericht „Russischer Think Tank in Berlin – Friedensinstrument oder Propagandawerkzeug?“. Auch ein kontrovers geführtes Cicero-Interview mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzendem des Auswärtigen Ausschusses Norbert Röttgen und Wladimir Jakunin („Wir sind nicht aggressiv“ vom 04. Juni) wird vom Institut verbreitet.

Welche Rolle das Deutsch-Russische Forum für Smagliy spielt

Zum Deutsch-Russischen Forum äußert sich Smagliy nur sehr kurz.

Die Autorin meint zum einen, dass die Aktivitäten des DOC-RI vom Deutsch-Russischen Forum unterstützt würden und bemerkt, dass Jakunin Mitglied im Kuratorium des Forums ist:

„In Berlin, the activities of DOC-RI are backed up by the German-Russian Forum, where Yakunin sits on the Board of Trustees.“

Außerdem erwähnt sie, das Deutsch-Russische Forum werde teilweise von in Russland tätigen deutschen Unternehmen finanziert, mit denen es eng verbunden sei. Sie verweist dazu auf einen Beitrag des Leiters des Berliner Robert Bosch Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der DGAP, Dr. Stefan Meister, zu einer Veröffentlichung des US-Think Tanks „Atlantic Council“. Meister schreibt in „The Kremlin’s Trojan Horses – Russian Influence in France, Germany, and the United Kingdom“:

„Over the last twenty years, “Russia friendly” networks of experts, journalists, politicians, and lobby institutions have been established. In particular, the German-Russian Forum (GRF) established in 1993 and the Petersburg Dialog (PD), founded by former chancellor Gerhard Schröder and President Vladimir Putin in 2001 have become key institutions for these networks. The German-Russian Forum is closely linked with, and partly funded by, German companies active in Russia.“

Meister weist in seinem Beitrag also darauf hin, dass der Petersburger Dialog von Schröder und Putin 2001 gegründet wurde. Smagliy schreibt in Fußnote 130 ihrer Studie aber irrtümlich, das Deutsch-Russische Forum sei 1993 von Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin gegründet worden. Über die Geschichte seiner Gründung informiert das Forum hier.

Der Atlantic Council verbreitet „The Kremlin’s Trojan Horses“ übrigens inzwischen nicht mehr in der ursprünglichen ersten Fassung vom November 2016, über die auch Ostexperte.de berichtete, sondern in einer veränderten dritten Auflage. Stefan Meister hatte die Gestaltung seines Beitrags durch den Atlantic Council kritisiert. Das berichtet Handelsblatt-Redakteur Dr. Norbert Häring in seinem privaten Blog („Atlantic Council wird von eigenem Autor als diffamierende Propagandaschleuder entlarvt“).

Gemma Pörzgen hatte in einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung („Informationskrieg in Deutschland? Zur Gefahr russischer Desinformation im Bundestagswahljahr“) im Mai 2017 nach einem Interview mit Stefan Meister geschrieben:

„”Der Atlantic Council verfällt immer wieder in eine Kalte-Kriegs-Rhetorik und fährt auf der Schiene freie Welt gegen russische Geheimdienste”, sagt Meister heute über die Organisation, die er für ideologisch getrieben hält. Tatsächlich gehe das Vorgehen des Councils “an der Realität deutsch-russischer Beziehungen völlig vorbei”, da es Washington an Verständnis für den eigenen Charakter dieser Beziehungen fehle.“

Norbert Härings Dossier zu Veröffentlichungen des Atlantic Councils und zum Thema „Desinformation“

Seine interessanten Informationen zu Veröffentlichungen des Atlantic Council und generell zum Thema „Desinformation“ stellte Norbert Häring in einem Dossier zusammen:

IMR-Studie fordert: Keine weitere Beteiligung am „Valdai Discussion Club“

In den „Final Remarks“ ihrer Studie für das „Institute of Modern Russia“ meint Smagliy, das neue Phänomen der „Putin-Versteher“ zeige, dass es dem Kreml in einem signifikanten Ausmaß gelungen sei, die für eine Förderung seiner außenpolitischen Interessen erforderliche Zahl westlicher Experten zu „rekrutieren“.

Von Bemühungen, mit Russland im Gespräch zu bleiben, hält sie offenbar nichts. Sie fordert, es sei höchste Zeit zu erkennen, dass die Beteiligung an Foren wie dem „Valdai Discussion Club“ oder Einladungen russischer „hybrider“ Analysten in den Westen fast ausschließlich zu einer unkritischen Propagierung Moskau-freundlicher Narrative und zu Desinformation führe:

„The birth of a new phenomenon of Putinverstehers – or pro-Kremlin communicators, sympathizers and lobbyists – demonstrates that to a significant degree, the Kremlin has succeeded in recruiting the necessary number of Western experts to advance its foreign policy interests. However, at this point, defenses of naivety or “keeping dialogue open” are no longer valid excuses for either conscious or unwitting engagement in Russia’s influence campaign against other countries and international organizations. It is high time to acknowledge that participation in Kremlin-linked debate venues such as the Valdai Discussion Club, as well as invitations of Russian “hybrid” analysts to the West, almost exclusively leads to uncritical propagation of Moscow-friendly narratives, spreading more disinformation and polluting the information space with specious narratives.“

BILD-Schlagzeile zu „Potsdamer Begegnungen“ in Moskau:
„Deutsche Top-Politiker bei Propaganda-Gipfel in Moskau“

Diese Ansichten scheinen bei Julian Röpcke (Verantwortlicher Redakteur im Ressort Politik der BILD-Zeitung) auf viel Zustimmung zu treffen. Er twitterte seinen Bericht zu den auf deutscher Seite vom Deutsch-Russischen Forum organisierten „Potsdamer Begegnungen“, die am 02. November in Moskau stattfanden, mit der Schlagzeile:

Röpcke zitiert in seinem Bericht Experten, die sich kritisch zur Zusammenarbeit des Deutsch-Russischen Forums mit der russischen Gortschakow-Stifung äußern:

Dr. Andreas Umland, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Euro-Atlantische Kooperation in Kiew. sagte zu BILD:

„Die Gortschakow-Stiftung gehört zur Gruppe russischer außenpolitischer sogenannter Gongos, das heißt ‚Government-Organized Non-Governmental Organizations‘“.

Die Stiftung sei „wenig mehr als eine Frontorganisation des Kremls“. Sie inszeniere sich als Teil der Zivilgesellschaft, um den Anschein normalen und modernen politischen Handelns zu erzeugen.

Auch Jakub Kalensky, Senior Fellow beim Atlantic Council Eurasia Center, sagte BILD, die Stiftung werde „hauptsächlich genutzt, um die aggressive Politik des Kreml unter dem Deckmantel der öffentlichen Diplomatie zu verbreiten. Tatsächlich ist sie jedoch nur ein weiteres Instrument der hybriden Aggression des Kreml gegen die gesamte demokratische und auf Regeln basierende Welt.“ Er verstehe nicht, warum deutsche Bundestagsabgeordnete zu einem von der Stiftung Gortschakow abgehaltenen Treffen nach Moskau anreisten, sagte Kalensky BILD.

Smagliys Kritik an Friedbert Pflüger: Lobbyist für die Gazprom-Pipeline Nord Stream 2 präsentiert sich als neutraler akademischer Experte

Als Akteure im Interesse Russlands sind in der Abbildung zum „Kremlin Web of Hybrid Analytica“ auch die Stichworte „Nord Stream 2-Konsortium“, „Pflüger International“, EUCERS und „Kings College London“ verzeichnet. Sie signalisieren die Kritik Smagliys an Aktivitäten von Prof. Dr. Friedbert Pflüger (1990 bis 2006 CDU-Bundestagsabgeordneter; 2005/2006 ein Jahr Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium).

Seit 2009 ist Pflüger Honorarprofessor für Internationale Beziehungen am Department of War Studies, King‘s College London. Dort leitet er das „European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS)“.

Smagliy wirft ihm vor, dass er 2016 am EUCERS-Institut eine Studie zur geplanten Nord Stream 2-Erdgaspipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland erstellen ließ, die von Unternehmen finanziert wurde, die an der Finanzierung der Pipeline beteiligt sind (Shell, OMV, Wintershall, Uniper, Engie).

Mit Verweis auf einen Artikel der Organisation „Lobby Control“ (Ulrich Müller: Friedbert Pflüger, Gas-Lobbyist mit Doppelrolle; 26.07.2018) kritisiert Smagliy auch, dass Pflüger als Eigentümer des Unternehmens „Pflüger International“ gleichzeitig internationale Energieunternehmen berate.

Smagliy erwähnt zwar, Pflüger habe bestritten, dass er ein Lobbyist für Nord Stream 2 sei. Er habe betont, dass er zwischen seiner wissenschaftlichen Arbeit bei EUCERS und seiner unternehmerischen Tätigkeit bei „Pflüger International“ strikt trenne.

Die Autorin stellt jedoch abschließend heraus, Lobby Control kritisiere weiterhin, dass einem kommerziell tätigen Lobbyisten wie Pflüger erlaubt werde, sich durch seine Position beim King’s College London als neutraler akademischer Experte zu präsentieren.

Dass sich Dr. Frank Umbach, Research-Director am EUCERS, wiederholt sehr kritisch zu Nord Stream 2 äußerte (siehe Publikationsliste und Ostexperte.de-Bericht), erwähnt Smagliy nicht.

Lesetipp zu den Aussagen der Studie zu US-Think Tanks

Die US-Internet-Ausgabe der britischen Zeitschrift „The Spectator“ kritisiert die Aussagen der Studie des „Institute of Modern Russia“ zur Arbeit der Forschungsinstitute „Wilson Center“, „Carnegie Endowment for International Peace“, und „Center for the National Interest“ scharf. Eine Debatte über die Russland-Politik sei sicher angebracht, meint „The Spectator“. Das Institute of Modern Russia behaupte, seine Mission sei, dabei zu helfen, ein demokratisches Russland auf der Basis des Rechts zu errichten. Sein dummer Bericht („foolish report“) leiste jedoch keinen Beitrag dazu.

Quelle: Cockburn, Spectator.us: Wacky study alleges conspiracy theory linking Moscow to DC think tanks; 11.10.2018

Lesetipps zur Reise von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig nach Moskau und zum Treffen russischer und deutscher Politiker im Rahmen der „Potsdamer Begegnungen“ des Deutsch-Russischen Forums am 02.11.2018

Titelbild
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