Pilzesammeln in Russland

Auf stiller Jagd im russischen Wald

Pilzesammeln ist in Russland Nationalsport. Doch nicht jeder Städter kann einen Steinpilz von einer Marone unterscheiden oder weiß, in welchen versteckten Winkeln die leckeren Waldgewächse gedeihen. Professionelle Guides wie Wiktor Sykow helfen nun mit Pilz-Safaris weiter.

von Birger Schütz

Wie die Pilzsaison wird? Wiktor Sykow muss tief seufzen. „Eigentlich sind die Bedingungen ziemlich schlecht“, erklärt der bärtige 39-Jährige aus der Stadt Lipezk, rund 400 Kilometer südöstlich von Moskau. „Die letzten größeren Regenfälle sind in unserem Gebiet im Frühling und im Juli niedergegangen“. Die Niederschläge seien so schwach gewesen, dass sie zumeist in den Nadeln und Blättern der größeren Bäume hängen blieben und den trockenen Waldboden gar nicht erst erreicht hätten. „Deshalb fällt die Pilzsaison eher schwach aus“, erklärt der begeisterte Pilzsammler mit etwas ernüchterter Stimme. Sein großer Weidenkorb und das scharfe Pilzmesser blieben in diesem Jahr aber trotzdem nicht unbenutzt. Denn Pilze gebe es praktisch das ganze Jahr über.

Pilze auch im tiefsten Winter

„Sorten wie Samtfußrübling und Judasohr genügen auch äußerst kurze Wärmephasen, um zu wachsen“, erläutert der Spezialist für die schmackhaften Sporengewächse. „Die kann man auch noch im Spätherbst nach den ersten Frösten und Schneefällen finden!“ Im vergangenen Jahr sei er selbst im tiefsten Winter noch auf ergiebiger Pilzjagd gewesen. „Man muss nur die richtigen Stellen kennen!“ Dass sich Wiktor Sykow so gut mit Steinpilzen, Schwämmchen und den Wachstumszeiten der leckeren Waldgewächse auskennt, soll nun auch seinen Kunden zugutekommen. Denn seit diesem Jahr bietet der Lipezker, der sein Geld als selbstständiger Korbflechter verdient, auch sogenannte Pilz-Safaris an.

Dieser kiloschwere Bovist gehört zu den bisher größten Funden des Pilzguides. (Foto: Wiktor Sykow)

Bei diesen seit einigen Jahren immer beliebter werdenden Waldtouren greifen Fachmänner naturfernen Städtern beim Gang in die Pilze für ein Entgelt unter die Arme. Die Profis führen Anfänger zu ertragreichen Pilzgründen, zeigen Kennern bisher unbekannte Sorten und geben Tipps für die Zubereitung und Haltbarmachung von Hallimasch und Co und. Einige Anbieter bieten Pilz-Safaris sogar als zusammenschweißende Teambuilding-Maßnahme für zerstrittene Bürokollektive an.

Die Idee kam auf der Waldlichtung

„Auf die Idee bin ich im Frühjahr an einer Lichtung voller Pilze gekommen“, erinnert sich Wiktor Sykow. Beim Säubern und Zurechtschneiden seiner Ausbeute habe er an Freunde denken müssen, die aufgrund von Arbeit, Familie und anderen Verpflichtungen nicht so viel Zeit im Wald verbringen könnten wie er. „Es ist ja so, dass hinter jeder erfolgreichen Pilztour fünf, sechs Erkundungsgänge stehen, bei denen man nach den besten Plätzen schaut – und in der Regel bringen die keine Pilze.“ So viel Zeit hätten viele beschäftigte Städter aber einfach nicht. „Wenn die am Wochenende in den Wald fahren, wollen sie nicht von Stelle zu Stelle fahren und Zeit für die Erkundung verschwenden, sondern möglichst viele und unterschiedliche Pilze finden“. Bei diesen Ausflügen wolle er die gestressten Pilzenthusiasten mit seinem Service nun unterstützen. „Damit sie an den einzigen freien Wochentagen auch möglichst viel Erfolg haben!“ Vor allem Frauen, Familien und Anfängern habe er schon zu ersten Pfifferlingen, Steinpilzen und Maronen verholfen. Männer fragten sein Angebot eher selten nach. Allerdings steige das Interesse an seinen Touren kontinuierlich. „Es gibt mittlerweile mehr Nachfragen, als ich Zeit habe“, freut sich Sykow.

Pilzvideos und Lehrbücher

Die Leidenschaft fürs Pilzesammeln hat Wiktor Sykow von seiner Familie geerbt. Als Kind habe ihn sein Vater oft mit zur stillen Jagd in den Wald genommen, erzählt er. Auch bei seinem Großvater auf dem Dorf hätten ausgedehnte Pilztouren zum üblichen Ferienprogramm gehört. Seine wirkliche Leidenschaft für die unscheinbaren Gewächse mit den glänzenden Kappen sei dann aber vor etwa 15  Jahren entbrannt. „Damals bin ich zum ersten Mal zusammen mit Freunden in den Pilzen gewesen.“ In der folgenden Zeit sei er dann immer öfter in den Wald gefahren, zunehmend auch allein. Sykow las Pilzbücher, lernte die Namen sämtlicher Sorten auswendig und eignete sich alte Tricks zur Aufbewahrung und Haltbarmachung an.

Reiche Ausbeute: Besonders Steinpilze sind bei russischen Pilzsammlern begehrt. (Foto: vk.com/viktorzykov)

Außerdem trat er der Community „Pilze und Pilzsammler im Lipezker Gebiet“ im sozialen Netzwerk VKontakte bei und stellte kurze Videos von seinen Streifzügen ins Netz. Seit etwa drei Jahren sei er eigentlich fast immer dann im Wald, wenn es die Zeit erlaube. „Allein im vergangenen Frühjahr war ich bestimmt 20 Mal zum Pilzesammeln“, gibt Wiktor Sykow zu und muss lachen. „Und da war noch nicht mal richtig Sommer!“

Mit Pilzgarantie zum Erfolg

Für seine Pilz-Safaris organisiert Wiktor Sykow meist Gruppen zwischen drei und fünf Sammlern. „Bei mehr Teilnehmern wird es schwierig, alle im Blick zu behalten“, begründet er sein Limit. Außerdem falle sonst die individuelle Ausbeute wesentlich geringer aus. „Ich gebe nämlich eine Pilzgarantie“, versichert der Unternehmer mit einem Lächeln. „Wer weniger als ein Kilogramm Pilze sammelt, bekommt sein Geld zurück.“ Bisher habe es allerdings noch keine einzige Reklamation gegeben, schiebt der Pilzprofi nach. Wiktor Sykow kümmert sich um die Anreise zu den anvisierten Pilzgründen und stellt Touren zusammen, welche die Sammler an die schönsten und ertragreichsten Plätze des jeweiligen Waldgebietes führen. Außerdem gibt er Tipps bei der Auswahl der benötigten Kleidung sowie der benötigten Hilfsmittel für die Pilzjagd. Die Teilnahme kostet pro Person 500 Rubel.

Tourenanbieter: Die Helfer bei der Pilzpirsch
Wiktor Sykow bietet seine Dienste in der VKontakte-Gruppe „Gribnoje Safari“ an. Die Touren in die dichten Wälder rund um Lipezk organisiert der Pilzguide auch für Einzelpersonen. Für Hartgesottene plant Sykow auch im Winter Ausflüge. Interessierte finden mehr auf der Seite vk.com/gribnoe_safary.
Alexander Nalimow bringt Interessierte im Moskauer Umland an den Pilz. Der Guide verfügt über ein eigenes Auto und holt seine Kunden am gewünschten Treffpunkt ab. Außerdem bietet er einen Fotodienst – unter anderem mit Drohnenbildern – an. Touren kosten zwischen 5000 und 10 000 Rubel. Näheres gibt es auf www.edem-za-gribami.ru
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Dieser Text erschien zuerst in der Moskauer Deutschen Zeitung.