Buchhaltung in Russland ist ein komplexes, unlogisches und formalistisches Regelwerk mit zahlreichen Fallstricken
Für viele Südtiroler Unternehmen gilt „Bürokratie“ als Synonym für Genehmigungen, Stempel, Kosten. Doch wer über die italienische Bürokratie klagt, kennt die russische noch nicht. Wer in Russland unternehmerisch tätig wird, kriegt es allein in der Buchhaltung mit komplexen Regeln zu tun.
Die Praxis der russischen Rechnungslegung ist extrem bürokratisch, arbeitsaufwendig und wirtschaftlich oft nicht nachzuvollziehen. Mit dem Abbilden wirklicher Tatbestände oder den Informationsanforderungen des buchführenden Unternehmens hat das umfangreiche Erstellen, Sammeln, Unterschreiben, Stempeln und Archivieren von Dokumentenbergen dabei wenig zu tun. Meistens geht es allein um das Einhalten von Vorschriften und Formalitäten.
Alle in Russland registrierten Unternehmen, einschließlich Repräsentanzen und Tochtergesellschaften ausländischer Gesellschaften, sind gesetzlich dazu verpflichtet, eine Buchhaltung zu führen und den Behörden regelmäßig zu berichten. Diese Pflichten bestehen auch dann, wenn das Unternehmen noch keine Umsätze macht oder gar keine kommerzielle Tätigkeit ausübt.
Die wichtigsten Dokumente im Tagesgeschäft einer russischen Tochtergesellschaft sind die Rechnung, die Rechnungs-Faktura und das Übergabeprotokoll. Die Rechnung selber, im Russischen „Schjot“ genannt, gilt lediglich als Einladung zur Zahlung. Meist wird sie im Voraus per E-Mail oder Fax zugesendet, denn eine Zustellung mit der russischen Post würde zu lange dauern. Um wirksam zu sein, müssen alle russischen Buchhaltungsdokumente jedoch immer im Original mit Unterschrift und einem blauen, runden Firmenstempel vorliegen. Ein ausgedruckter E-Mail-Anhang, ein Fax oder eine Kopie werden als Nachweis nicht anerkannt.
Rechnung allein reicht nicht aus – Anders als bei uns und in vielen Ländern Mitteleuropas ist allein die Rechnung für buchhalterische und steuerliche Zwecke nicht ausreichend. Zu jeder Rechnung gehören immer noch zwei weitere Dokumente: die Rechnungs-Faktura, auf Russisch „Schjot-Faktura, und das Übergabeprotokoll für erbrachte Leistungen oder Warenlieferungen. Die Rechnungs-Faktura ist ein Beleg, der die im Rechnungsbetrag enthaltene Umsatzsteuer gesondert ausweist. Liegt dieser Beleg nicht vor, kann die für eine Ware oder Dienstleistung gezahlte Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden. Damit eine bereits bezahlte Rechnung tatsächlich als Aufwand verbucht werden kann, bedarf es neben Rechnung und Rechnungs-Faktura noch des Übergabeprotokolls, in welchem sich die Vertragsparteien noch einmal schriftlich zusichern, dass eine Leistung ordnungsgemäß erbracht bzw. eine Ware ordnungsgemäß übergeben wurde und keine Beanstandungen vorliegen. Auf Russisch heißt dieses Protokoll für Dienstleistungen „Akt Peredachi-Prijoma“ und für Warenlieferungen „Tovarnaja Nakladnaja“. Für alle Ausgaben einer russischen Tochtergesellschaft müssen immer Rechnung, Rechnungs-Faktura und Übergabeprotokoll vorliegen. Nur so können diese Ausgaben als Aufwand anerkannt und die gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht werden.
Um Bargeld in der Firmenkasse halten zu dürfen, muss eine offizielle Kasse mit Kassenbuch geführt werden. Dafür müssen im Voraus bei der Hausbank das sogenannte Kassenlimit und ein Formularblock (Scheckbuch) zur Bargeldabhebung beantragt werden. Bei der Kassenhaltung sind bei jeder Ein- und Auszahlung weitere formalisierte Kasseneinnahme-, Kassenausgabe- und Vorschussbelege zu erstellen. In einer Art Spesenabrechnung, auf Russisch „Avansovy Otschjot“, werden dann nochmals alle Ausgaben erfasst.
Bei Ausgaben in bar oder per Kreditkarte ist darauf zu achten, dass auf dem Kassenausdruck die Steuernummer des Zahlungsempfängers angegeben und die Leistungen vollständig aufgelistet und genau benannt sind. Bei Wareneinkäufen ist zusätzlich noch ein „Tovarnji Tschek“ anzufordern. Dabei handelt es sich um ein Dokument, welches alle eingekauften Artikel ein weiteres Mal detailliert auf listet. Eine Rechnungs- Faktura wird beim Barkauf nicht ausgestellt, und somit berechtigen Barzahlungen auch nicht zum Abzug der Vorsteuer.
Um Einnahmen in bar oder per Kreditkarte erzielen zu können, muss bei den Steuerbehörden ein offizieller Kassenapparat registriert werden. Jedoch dürfen auch nach der Registrierung die Kasseneinzahlungen nicht mit den Kassenauszahlungen verrechnet werden, sondern müssen gesondert bei der Bank eingezahlt werden. Die Annahme von Bargeld ohne registrierten Kassenapparat ist strafbar.
Hoher Aufwand – Bilanz, Gewinn und Verlustrechnung sowie Körperschaftssteuererklärung sind quartalsweise bei den Steuerbehörden einzureichen. Hinzu kommen weitere Meldungen an die Sozialversicherungs- und Statistikbehörden. Insgesamt sind damit in jedem Quartal mehr als 15 Berichte zu erstellen.
Internationale Zahlungen unterliegen der Devisenkontrolle. Bei einer Zahlung an eine Tochtergesellschaft von mehr als 5.000 US-Dollar muss bei der russischen Hausbank ein sogenannter Handelspass, auf Russisch „Passport Sdelki“, beantragt werden. Dafür sind alle dieser Zahlung zugrunde liegenden Dokumente, also Verträge, Rechnungen etc., einzureichen.
Auch wenn Verträge in Fremdwährungen wie Euro oder US-Dollar abgeschlossen werden können, so müssen die Zahlungen, ob bar oder bargeldlos, immer in russischen Rubeln erfolgen. Hierdurch entstehen häufig Währungskursdifferenzen zwischen den Daten der Verbuchung und der Zahlung der Leistung, woraus sich eine Verdopplung der Buchungssätze und Probleme bei der Berechnung der Umsatzsteuer ergeben.
Über die russische Bürokratie kann man schimpfen oder schmunzeln. Auf jeden Fall sollte man sie in professionelle Hände geben. Im Hinblick auf die Erledigung der Buchhaltung einer Tochtergesellschaft oder Repräsentanz in Russland bedeutet das, dass entweder ein erfahrenen Buchhalter eingestellt werden oder die Zusammenarbeit mit einem professionellen Buchhaltungsanbieter gesucht werden muss.
Wenn Sie mehr über Buchhaltung und Steuern in Russland erfahren möchten, dann lesen Sie hier die Broschüre zu diesem Thema: http://www.rufil-consulting.com/publication/buchhaltung_und_steuern_in_russland.pdf
Autor: Johannes Ausserer ist gebürtiger Südtiroler und für die deutschsprachige Unternehmensberatung RUFIL CONSULTING in Moskau tätig. | RUFIL CONSULTING | Buchhaltung & Geschäftsaufbau in Russland
Dieser Artikel wurde am 10. Dezember 2010 in der SWZ Südtiroler Wirtschaftszeitung veröffentlicht.
Eine PDF-Version zum abspeichern oder ausdrucken können Sie hier herunterladen