Ost-Ausschuss:„Wir müssen den Freihandel verteidigen!“
Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um das Wirtschaftsforum in St. Petersburg.
Sicherheit geht über alles
Ein Zwei-Meter-Hüne schiebt mich unsanft zur Seite. Er bahnt den Weg für Andrei Beloussow, früher Wirtschaftsmister, heute Präsidentenberater. Der eilt schnellen Schrittes durch die Wandelhalle, umringt von einem Schwarm Reportern, die gleichzeitig versuchen, seine Worte auf Diktiergeräte zu bannen und mit ihm Schritt zu halten. Der Schwarm summt an mir vorbei, während ich versuche, mit dem Strom zu schwimmen. In dem treibt Christine Lagarde, die geschäftsführende Direktorin des IWF, in der anderen Richtung an mir vorbei. Erstaunlicherweise ohne Bodyguard und ohne von irgendjemandem behelligt zu werden. Das geht allerdings nur, weil man, um überhaupt auf das Gelände zu gelangen, im Vorfeld einem massiven Sicherheitscheck unterzogen wird. Die Zahl der uniformierten und anderen Sicherheitskräfte sucht ihresgleichen. Selbst der Weg zum Flughafen ist gesäumt von allerlei Sicherheitspersonal, das sich seiner Autorität sehr bewusst ist und sie, wenn nötig, auch einsetzt.
Weltoffen, modern, zukunftsfähig
Von derlei Übergriffigkeiten ist auf dem St. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum selbst kaum etwas zu spüren. Russland präsentiert sich als weltoffen, modern und zukunftsfähig. Man versteht sich als das östliche Davos. Wenn man die Bedeutung des Forums an der Anzahl der hochrangigen nationalen und internationalen Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft misst, dann ist das auch so. Den ganz großen Aufschlag macht in diesem Jahr Frankreich, dessen Präsident seine weltweite Charmeoffensive auch in Russland fortsetzt. Der Stand der Franzosen vereint denn auch alle großen französischen Konzerne in einer beeindruckenden Leistungsschau. Etwas weiter am Rande, aber nicht weniger riesig, präsentiert sich das Königreich Saudi-Arabien.
Vertrauen ist in diesen Zeiten das Wichtigste
Vor allem aber die russischen Unternehmen sind in großer Zahl und mit gigantischen Pavillions vertreten. Die Botschaft ist protzig-trotzig und deutlich: Wir wollen und werden Teil der weltweiten Vernetzung der Wirtschaft sein und sind gewillt, dafür alles zu tun. Dieser Wille ist auch auf dem deutsch-russischen Businessdialog deutlich zu spüren. Eigentlich geht die Botschaft sogar noch viel weiter. Alexej Mordaschow, der CEO und Haupteigentümer des Stahlgiganten Severstal, lässt sich mit dem erstaunlichen Satz vernehmen: „Wir müssen den Freihandel verteidigen!“ Damit spricht er der versammelten deutschen Wirtschaftselite mit Ambitionen im Russland-Geschäft aus der Seele. In nahezu beängstigender Übereinstimmung und mit fast schon beschwörendem Unterton unterstreichen alle Redner das Vertrauen, das zwischen Deutschen und Russen trotz aller Schwierigkeiten weiterhin existiert und immer existiert hat.
Zusammenarbeit ist alternativlos
Ich werde auf dieser Veranstaltung und auf dem gesamten Forum das Gefühl nicht los, dass der immense Druck, der von den USA entfaltet wird zu einer neuen, wenn auch erzwungenen, Aufbruchstimmung im deutsch-russischen, europäisch-russischen Verhältnis führt. Da man sich einigermaßen sicher sein kann, dass kein russischer Großunternehmer hasardiert, wenn er sich vor internationalem Publikum präsentiert, dürfte der Aufruf Dimitrij Pumpjanskijs, Chairman of the Board der Sinara Gruppe, den Segen der russischen Regierung haben: „In diesen komplizierten Zeiten ist die Nachricht der russisch-deutschen Zusammenarbeit eine gute Botschaft, und wir sollten unsere Regierungen auffordern, Lösungen zu finden. Sanktionen und Protektionismus führen nirgendwo hin.“ Es hörte sich zumindest so an, als ob hinter den Kulissen langsam Bewegung in die vielfach gestörten Beziehungen Europas mit Russland kommt.
Markt mit viel Potenzial und einigen Hürden
Über Wirtschaft wurde letztlich auch noch diskutiert. Siemens, SAP, Bayer, die Großen im Reigen der deutschen Unternehmen, betonten einhellig, dass der russische Markt nach wie vor interessant und perspektivisch hoch attraktiv sei, dass einer Entwicklung zu einem hochtechnologischen Partner allerdings der Mangel an Zulieferern, unterschiedliche Standards und Normen und nicht zuletzt eine zu stark auf Staatsunternehmen ausgerichtete Wirtschaftspolitik im Wege stehe. Ein kleiner, aber wesentlicher Schritt zur Veränderung dieser Situation ist dem Ost-Ausschuss (OA) mit den Partnern Russisches Exportzentrum (REZ), dem Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) auf dem Petersburger Forum aber gelungen.
MoU zur Qualifizierung von russischen Zulieferern unterzeichnet
Die vier Organisatoren der Einkaufsinitiative unterzeichneten in Petersburg ein Memorandum of Understanding (MoU), wonach russische industrielle Zulieferer in die weltweiten Supply Chains deutscher OEMs eingegliedert werden. Vereinfacht gesprochen sollen russische Industrieunternehmen identifiziert werden, die entweder sofort oder nach einer Phase der Qualifizierung Produkte liefern können, die dann Teil eines deutschen Endproduktes sind und über den Export in alle Herren Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen. Einerseits könnten die russischen Firmen einen Teil des durch die hervorragende Konjunktur in Deutschland permanent wachsenden Bedarfs an Zulieferern decken. Andererseits würden sie fit für den Weltmarkt gemacht und veränderten die Exportstruktur: Weniger Rohstoffe, mehr industrielle Produkte. Die Branchen Öl und Gas sind deshalb von der Initiative ausgeschlossen.
Neues Image für Russland
Für den erst seit ein paar Wochen in der Position des CEO des russischen Exportzentrums bestätigten Andrej Slepnov kommt die Initiative zum absolut richtigen Zeitpunkt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die deutschen und die russischen Unternehmen gemeinsam ein Projekt aufsetzen werden, das wegweisend auch für Kooperationen mit anderen Länder sein wird.“ En passant würde über diesen Weg auch noch ein anderes Problem charmant gelöst. Denn wer sich als geeignet für den Weltmarkt erweist, der sollte auch gut genug sein, um als Lieferant innerhalb Russlands zu fungieren und so den geforderten Local Content deutscher Produzenten erhöhen können. Der Glaube an den Erfolg des Projektes ist jedenfalls sehr hoch. Silvio Grobosch vom BME sieht noch einen weiteren Vorteil: „Über die Einbindung russischer Firmen in die internationalen Wertschöpfungsketten hat Russland auch die Chance, sein Image als Rohstofflieferant grundlegend zu ändern.“
Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.
Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu
Quelle: kremlin.ru [/su_spoiler]