Deutsch-russische Beziehungen: “Wir müssen etwas ändern”

Podiumsdiskussion im Deutsch-Russischen Haus Moskau

Warum ist das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland so gestört? Wie kann gegenseitiges Vertrauen wiederhergestellt werden? Darüber diskutierten gestern Abend in Moskau Vertreter deutscher Medien mit dem russischen Politikwissenschaftler Alexei Gromyko. 

Der Saal “Berlin” im Deutsch-Russischen Haus in Moskau ist voll bis auf den letzten Platz. Knapp 150 Zuschauer sind einer Einladung der Moskauer Deutschen Zeitung nachgekommen, die ein vielversprechendes Podium versammelt hat: Auf der Bühne sitzt der russische Politik-Professor Alexei Gromyko zusammen mit dem ARD-Vorsitzenden Fritz Pleitgen und dem Moskau-Korrespondenten der FAZ Friedrich Schmidt. Das Thema: Vertrauen und das Verhältnis zwischen den Staaten Deutschland und Russland.

Der Russe, der Deutsche und der Diplomat

“Warum haben sich die Beziehungen so verschlechtert?” So lautete eine der Schlüsselfragen des Moderators Hermann Krause, auch er ein langjähriger ARD-Mitarbeiter. Schnell war klar, wie die Rollen verteilt sind: FAZ-Autor Schmidt klagte die russische Regierung an und verteidigte die deutsche Berichterstattung. Gromyko vertrat die russische Seite, bezichtigte die deutschen Medien einer “antirussischen Kampagne”. Pleitgen gab den Diplomaten, antwortete ausgewogen und kritisierte Fehler auf beiden Seiten.

“So verheerend schlecht wie heute war es selten”, beklagte Pleitgen das aktuelle Verhältnis zwischen Deutschland und Russland. Er bemängelte, wie wenig Raum diese Tatsache in der öffentlichen Debatte einnehme. “Diese Gleichgültigkeit macht mich wild”, sagte der 81-jährige. Das Verhältnis zu Russland sei weitaus bedeutender als beispielsweise die Brexit-Debatte. Was ihm fehlt: “Die eigene Position auch mal selbstkritisch betrachten, nicht nur dem anderen Vorwürfe machen.”

Nach wie vor brisant: Die Krim

FAZ-Journalist Schmidt konterte: Im Westen würde durchaus auch die eigene Rolle reflektiert, aber in Russland sehe er nirgends Selbstkritik. Er verwies darauf, dass auch Russlands Verbündete Kritik geübt hätten, etwa am Vorgehen Russlands in der Ukraine. Schon war man beim Streitthema schlechthin, der Krim. “Die Ereignisse dort hängen mit dem russischen Machtsystem zusammen”, sagte Schmidt und kündigte an: “Wir werden weiterhin ‘Annexion’ schreiben.” Putin hätte nach den Farbrevolutionen und dem Euromaidan Angst bekommen und eine “Vorwärtsverteidigung” initiiert.

Auf diese Aussage nahm Gromyko direkt Bezug: Er kritisierte die Vorstellung, Russland mache immer das, was Putin im Kopf habe. “Wer so etwas denkt, hat entweder keine Ahnung, wie ein großer Staat funktioniert oder betreibt Propaganda.” Mit Vorwürfen wartete Gromyko mehrmals auf, kritisierte die deutschen Medien, die “wählerisch” über die Ukraine berichtet hätten und unterstellte dem Westen Doppelmoral: “Wo ist die Kampagne zum Schutz der inhaftierten Russin in den USA?” Gromyko war mit seiner Position auf dem Podium und vor dem zum großen Teil deutschstämmigen Publikum in der Minderheit. Er antwortete oft ausweichend (überging etwa die Frage, ob Russland bereit sei, Fehler einzugestehen) und ausufernd, zitierte Buchpassagen seines Großvaters, des ehemaligen Außenministers der Sowjetunion Andrei Gromyko.

Politik der kleinen Schritte

Was also solle man tun, um das deutsch-russische Verhältnis wieder zu stabilisieren? Schmidt und Pleitgen waren sich einig, man müsse pragmatisch sein. Man solle nicht den großen Durchbruch erwarten, sondern mit kleinen Schritten zufrieden sein. Pleitgen forderte “mehr geisteswissenschaftlichen Austausch”. Schon vor Jahrhunderten hätten sich russische und deutsche Denker gegenseitig bereichert. Hilfreich sei auch eine Zusammenarbeit in Feldern jenseits der Politik, etwa in der Krebsforschung. Eines sei sicher: „Wir müssen anfangen, die Situation zu ändern. Irgendwie müssen wir zusammenkommen.“

Gromyko hielt auch einen Durchbruch für möglich, allerdings nicht über Wirtschaft und Kultur, sondern durch Zusammenarbeit im “militärisch-technischen” Bereich. “Die Wurzeln der Uneinigkeit liegen in der Sicherheitsfrage”, war er sich sicher. Moderator Krause schloss mit einem zuversichtlichen Statement: “Die Vorstellung, dass wir uns irgendwann wieder mit Raketen bedrohen, ist, glaube ich, für alle in diesem Raum absurd.”