Ost-Ausschuss: „Freie Marktwirtschaft meint auch das Internet“

Ost-Ausschuss-Kolumne: Freie Marktwirtschaft meint auch das Internet

Der Parteitag der chinesischen KP hat weitreichende Entscheidungen getroffen. Der neue, alte Vorsitzende ist mit einer Machtfülle ausgestattet worden, die vor ihm nur Mao Zedong hatte. Die Genossen haben ihre geopolitische Strategie bis 2050 festgelegt. Die weitere Entwicklung soll wesentlich von Big Data, künstlicher Intelligenz, Hochtechnologie und einer weiter wachsenden wirtschaftlichen Hegemonie geprägt sein.

Und, Sie haben beschlossen, dass die „Große Firewall von China“ – ein umfangreiches Internetsicherheitssystem, weiter verstärkt wird. Dieser Schutzwall soll Angriffe von außen abwehren. Er dient jedoch vielmehr dazu, das Internet, die sozialen Medien und diejenigen, die solche Formen der freien Meinungsäußerung nutzen, kontrollieren, mundtot machen und bestrafen zu können. Die Kontroll- und Abwehrmaßnahmen dafür sind vielfältig, unter anderem sind VPN-Technologien davon betroffen.

Sichere Kommunikation über VPN

Mittels VPN-Kommunikation (Virtual Personal Network) können Nutzer abhör- und zensursichere Verbindungen zwischen dem eigenen Computer oder mobilen Endgerät und anderen Netzwerken herstellen. Ergänzt um SSL-Verschlüsselungen sind sie eine sichere Methode, um in einem begrenzten Raum zu arbeiten, z.B. sich von Hause aus im Netzwerk der Firma anzumelden oder Zugriff auf gemeinsam genutzte Ressourcen zu erhalten. Sie nutzen dafür, deshalb virtuell, keine eigenen Netzwerke zur Verbindung, sondern greifen auf bereits bestehende Hardware zurück. Fast jedes Unternehmen, jede Organisation nutzt solche Verbindungen, um Berechtigten den sicheren und geschützten Zugriff auf Daten zu gewähren.

Die Software bestimmt, wer mit wem kommuniziert

Natürlich kann man mit Hilfe dieser Technologie auch in einem Land gesperrte Internetseiten aufrufen. Deshalb werden sie häufig auch von Kritikern, Dissidenten und Journalisten genutzt, um z.B. Informationen über Ländergrenzen zu kommunizieren und in die sozialen Netzwerke zu übertragen. Es gibt allerdings eine zweite Gruppe von Nutzern, die aus rein sachlichen und wirtschaftlichen Gründen auf VPN-Verbindungen angewiesen ist: Geschäftsleute, IT-Spezialisten, Partner, Mitarbeiter, die nicht am Firmenstandort lokalisiert sind usw.

Sie nutzen diesen Weg, um sensible Daten zu senden und dem Zugriff Dritter zu entziehen. Auf diese Weise werden Verträge verhandelt, Programme geschrieben, Daten abgeglichen und gesendet. Um solche Verbindungen zu nutzen, bedarf es nur einer Software, die den Endgeräten den sicheren und verschlüsselten Zugang in ein VPN-Netz ermöglicht. Besonders sichere Verfahren nutzen eine so genannte Zwei-Faktoren-Authentifizierung, bei der mittels Token zufällig generierte Zugangsdaten zusätzlich eingegeben werden müssen.

Schutz der Bevölkerung vor schädlichen Inhalten

Und diese Netzwerke sollen in Russland einen empfindlichen Einschnitt erfahren. Zum 1. November tritt in Russland das Gesetz Nr. 276-FZ in Kraft, das die Nutzung und Bereitstellung von Software und speziellen Services von in Russland blockierten Internetressourcen verbietet. Dazu zählen Soft- und Hardware, Services und Techniken zur sicheren Datenübertragung, also auch VPN-Netzwerke und Proxy-Server.

Das Gesetz richtet sich in erster Linie gegen die Verbreitung von unsicheren, kriminellen, jugendgefährdenden, gewaltverherrlichenden, pornografischen oder die Persönlichkeit verletzenden Inhalten. In der Liste der gesperrten Webseiten (https://reestr.rublacklist.net/) finden sich zahllose Angebote für Online-Spiele, Online-Wetten, Online-Casinos, Drogen und pornografischen Inhaltes. An dieser Stelle kommt der Staat seiner Fürsorgepflicht für die Bürger nach und schützt sie vor schädlichen Inhalten. Das ist richtig und gut. Diese Praxis unterscheidet sich nicht von der anderer Länder.

VPN-Provider werden identifiziert

Die Einhaltung des Gesetzes wird in erster Linie von Roskomnadzor überwacht. Die Behörde will in einem ersten Schritt alle Nutzer von VPN-Technologien identifizieren. Diese müssen sich dann in einem eigens dafür eingerichteten Netzwerk anmelden und alle Seiten sperren, die in Russland blockiert sind. Man kann durchaus weiter über VPN-Verbindungen kommunizieren, muss jedoch die Verwendung anmelden und die Nutzung begründen.

Die Provider müssen drei Tage nach Erhalt einer Aufforderung durch Roskomnadzor alle von der Behörde geforderten Daten zur Verfügung stellen. Welche genau, wird – bisher – nicht definiert. Zur Identifizierung der Provider kann Roskomnadzor auch die Sicherheitsorgane mit einbeziehen. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass einmal in diesem Netzwerk registriert und die Daten des Providers übermittelt, der Schritt zu einer möglichen Überwachung klein ist. Wer ohne Registrierung VPN Verbindungen nutzt, wird nicht nur geblockt, sondern auch identifiziert.

Ganze Geschäftsfelder bedroht

Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sind der Zugang und die Nutzung des Internets in Russland – auch im Vergleich zur beschriebenen chinesischen Praxis – bisher eher liberal. Das neue Gesetz könnte jedoch massive Auswirkungen auf ganze Geschäftsfelder haben. Firmen, deren Software Cloud basiert ist, würde durch die Sperrung bestimmter IP-Adressen oder Domänen ihr Geschäftsmodell entzogen.

Unternehmen, deren Asset gerade hochspezialisierte Softwarelösungen sind, und die auf unbedingte Datensicherheit angewiesen sind, setzen sich der Gefahr aus, ausgespäht zu werden. Waren bis jetzt schon zahlreiche, vor allem mittelständische Firmen von Wirtschaftsspionage betroffen, erhöht sich mit den vorgesehenen gesetzlichen Regeln diese Gefahr weiter.

Wettbewerbsnachteil durch Beschränkung

Ich möchte es noch einmal ganz klar und deutlich formulieren: Dort, wo der Staat seine Bürger vor schädlichen und kriminellen Inhalten schützt, ist das Teil seiner Aufgabe. Wenn allerdings ein Gesetz als Vehikel genutzt wird, um sensible Daten von Firmen zu erhalten, dann untergräbt das die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in einen Markt massiv. Und das wäre gerade im Fall Russlands besonders fatal. Denn IT-Technologien sind eines der wenigen Felder jenseits von Öl und Gas, auf dem das Land über Expertise, Spezialisten und viele gute Unternehmen verfügt. Die Einschränkung oder Begrenzung einer Technologie, die ohne Zweifel zu den Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts zählt, stellt einen klaren Wettbewerbsnachteil dar. Ich habe vor Jahren einmal formuliert „Wirtschaft braucht Freiheit“, das Internet als Teil der globalen Wirtschaft auch.

Keine gute Botschaft für die Wirtschaft

Fatalistische Zeitgenossen werden jetzt einwenden, wie man nach Snowden, der NSA-Affäre, den Manipulationen in Wahlkämpfen und dem blühenden Handel mit Daten ernsthaft an ein freies und sicheres Internet glauben kann, sei mindestens naiv. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um mehr als um sicheren Datenverkehr. Wir erleben mit der gesetzlichen Legitimation staatlicher Kontrolle des Internets eine Form von Beweislastumkehr. Mussten sich die Sicherheitsorgane und Kontrolleure bisher Eingriffe von staatlicher Stelle schon kaum genehmigen lassen, werden jetzt die Nutzer genötigt, sich zu registrieren und in der Wahl ihrer Möglichkeiten deutlich beschränkt. Für die Unternehmen ist das keine gute Botschaft.

Noch gibt es keine Durchführungsbestimmungen, die genau regeln würden, wie der gesetzliche Rahmen ausgestaltet wird. Aber es ist ein wenig so, wie mit den amerikanischen Sanktionen: Es ist nur eine Frage der Zeit, wann zum ersten Mal von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, die der Gesetzgeber vorgesehen hat.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu