Die Sanktionen der EU gegen Russland bereiten vielen Unternehmern sowohl auf russischer als auch auf europäischer Seite schlaflose Nächte. Österreichische Unternehmen sind zahlreich in Russland vertreten und genießen auch hier einen guten Ruf. Dr. Fellner, Wirtschaftsdelegierter beim WKO AußenwirtschaftsCenter in Moskau erklärt im Interview die Mechanismen der Sanktionen, wen sie betreffen und wo nach wie vor die Chancen im Russlandgeschäft liegen.
Ostexperte: Im Zuge der Ukrainekrise ist eine Vielzahl an Sanktionen gegen Russland und russische Staatsbürger erlassen worden. Welche Sanktionen bereiten den österreichischen Unternehmen in Russland am meisten Kopfzerbrechen?
Dr. Fellner: Aktuell sind wir hinsichtlich der Sanktionen mit einer Vielzahl an Firmenfragen konfrontiert, wobei im Allgemeinen großer Informationsbedarf und Verunsicherung unter den österreichischen Unternehmen herrscht. Aufgrund dessen sind wir bemüht übersichtliche Informationen bereitzustellen wobei wir eine Sanktionsliste als auch einen Leitfaden zum Umgang mit Sanktionen
erstellt haben.
Ostexperte: Welche Branchen sind am meisten von den Sanktionen betroffen?
Dr. Fellner: Konkret wird neben den Banken der gesamte Militärsektor sowie partiell der Erdölsektor sanktioniert. Unternehmen aus diesen Wirtschaftsbereichen sind direkt von den Sanktionen betroffen. Durch die neuen Sanktionen werden überwiegend die Finanzströme erschwert bzw. unterbrochen, was allgemein Unsicherheiten hervorruft. Indirekt sind alle Branchen betroffen, da viele Unternehmer bereits die Zurückhaltung der russischen Auftraggeber spüren. Aufgrund der derzeitigen medialen Berichterstattung im Zuge der EU-Sanktionen, fühlen sich Russen in Europa nicht mehr willkommen. Das wird auch Auswirkungen auf die heimische Tourismusbranche haben.
Ostexperte: Treffen die Sanktionen Ihrer Meinung nach tatsächlich die Personen, die sie treffen sollten, oder gehen sie zu Lasten des „kleinen Mannes“?
Dr. Fellner: Unter Österreichs Wirtschaftstreibenden gibt es bis dato kaum Befürworter der Sanktionen. Die Sanktionen werden nicht die Ergebnisse bringen, welche sich die politischen Führungsspitzen erhoffen. Aus unternehmerischer Sicht bringen die Sanktionen lediglich eine Störung der Wirtschaft auf russischer als auch auf europäischer Ebene. Durch die Schwächung der russischen Wirtschaft wird sich die Regierung früher oder später dazu gezwungen fühlen, die Staatskassen anderwärtig zu füllen und somit ist mit Steuererhöhungen zu rechnen, womit die Bevölkerung belastet werden würde. Darüber hinaus denke ich, dass ebenfalls österreichische Unternehmen durch die gesetzten Maßnahmen stark belastet werden und dies auch auf die Mitarbeiter
zurückfallen kann.
Ostexperte: Viele österreichische Unternehmen sind auf den Markt in Osteuropa und Russland konzentriert. Wie angespannt ist die Stimmung unter diesen Unternehmen, angesichts der derzeitigen Lage?
Dr. Fellner: Zurzeit würde ich die Stimmung unter den heimischen Unternehmern als gedämpft und angespannt bezeichnen. Russische Geschäftspartner zögern mit Investitionen und haben Projekte auf Eis gelegt. Viele Investoren befinden sich zurzeit im Beobachtungsstatus und wollen die weiteren Geschehnisse verfolgen. Auch kann man die Unsicherheit und Nervosität der österreichischen Unternehmen an den zahlreichen im Außenwirtschaftscenter Moskau einlangenden Anfragen zu den Sanktionen erkennen.
Ostexperte: Worin bestehen Ihrer Ansicht nach die Vorteile, die das Russlandgeschäft für Österreicher nach wie vor bietet?
Dr. Fellner: Russland ist nach wie vor ein Land der vielen Möglichkeiten und stellt mit über 143 Mio Einwohnern einen großen Absatzmarkt dar, welcher durch die Zollunion und den gemeinsamen Markt mit Kasachstan und Belarus noch erweitert wird. Österreich hat traditionell gute Beziehungen zu Russland und verfügt über große Reputation. Der russische Markt hat großes Potenzial und bietet zahlreiche Geschäftschancen. Gerade in den Bereichen des Anlagenbaus und der Energietechnik zählt Russland zu den Zukunftsmärkten.
Ostexperte: Für einige ansässige österreichische Unternehmen sind Krisen in der Russischen Föderation nicht neues. Manche haben schon die Rezessionen von 1998 und 2008 hier überstanden. Wie schätzen die Unternehmen aktuell die Chancen und Risiken des Russischen Marktes ein?
Dr. Fellner: Von Januar bis Mai mussten wir bereits im Vergleich zum Vorjahr einen Exportrückgang von 9,7% verzeichnen. Ich stelle mich daher heuer auf einen Gesamtjahresrückgang von 10-20% im Exportvolumen ein. Dies führe ich jedoch nicht nur auf die Sanktionen zurück, die russische Wirtschaft geriet bereits im vergangenen Jahr ins Stottern und auch die Abwertung des Rubels verschärfte die Lage zusehends. Das ist jedoch kein Grund zur Beunruhigung, Russland ist ein großes Land mit großem Potenzial, bereits 2009 brachen die Exporte im Zuge der Finanzkrise um 30% ein, erholten sich jedoch rasch wieder.
Ostexperte: In welchen Bereichen sehen sie die größten Perspektiven für österreichische Unternehmen?
Dr. Fellner: Wie bereits erwähnt ist Russland mit über 143 Mio Einwohnern nach wie vor ein großer Absatzmarkt, der von österreichischen Betrieben genutzt werden kann. Gerade in den nächsten Jahren sind zahlreiche sportliche und infrastrukturelle Großprojekte geplant, welche viele Investitionsmöglichkeiten für österreichische Unternehmen bieten. Vor allem im Zuge der Fußball WM 2018 und der Modernisierung von Großstädten steckt viel Potenzial für Unternehmen aus der Bau- und Anlagenindustrie sowie der Tourismusbranche, dem Energie- und Infrastruktursektor als auch der Landwirtschaft-, und lebensmittelverarbeitende Industrie.
Ostexperte: Was raten Sie mittelständischen, österreichischen Unternehmen, die zurzeit überlegen auch in Russland aktiv zu werden?
Dr. Fellner: Sich nicht von der medialen Berichterstattung einschüchtern zu lassen in Russland aktiv zu werden und auch zu investieren. In Russland herrscht zurzeit eine Stimmung der Veränderung und des
Aufbruchs. Russland befindet sich zurzeit auf Platz 92 des „Ease of Doing Business“ Weltbankranking und ist bemüht das Investitionsklima auch weiterhin zu verbessern. Natürlich sind Investitionen in Russland mit gewissen Risiken behaftet, man sollte sich daher auf ein Engagement in Russland gut vorbereiten, den Faktor Zeit einkalkulieren und sich vom AußenwirtschaftsCenter Moskau beraten lassen. Die Marktbearbeitung als solche und das Verhältnis zu den Geschäftspartnern sollte weiterhin mit allen Mitteln aufrecht erhalten bleiben.
Dr. Dietmar Fellner wurde 1951 in Wien geboren. Er absolvierte das Studium der Rechtswissenschaften und trat 1977 in den Dienst bei der Wirtschaftskammer Österreich ein, wo er viel internationale Erfahrung sammeln konnte. Unter anderem war er Handelsdelegierter in Bukarest und Lissabon. Seit 2008 ist er Handelsdelegierter des WKO AußenwirtschaftsCenters in Moskau und als solcher neben der Russischen Föderation auch für Aserbaidschan, Weißrussland, Armenien und Usbekistan zuständig. Dr. Fellner ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Das Interview für Ostexperte führte Josef Steger, Marketing und Sales Assistant bei RUFIL CONSULTING.
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