Brief zum Wochenende, 7. April 2017

 

Liebe Visastelle an der Deutschen Botschaft Moskau,

nicht weit weg von Euch, vielleicht einige Kilometer, ist ein kleiner deutscher Junge jetzt maßlos traurig. Er hatte sich auf seine Freunde in Berlin gefreut, auf den Kindergarten … bald beginnt die Schule. Doch seine Mutter darf nicht nach Deutschland reisen. Und er allein? Was soll ein so kleiner Junge allein in Berlin? Welche Rabenmutter ließe ihn überhaupt ziehen? Und der Vater muss in Russland arbeiten.

Ihr erinnert Euch nicht an den Fall? Es ist nur ein paar Tage her. Der Vater ist ein bekannter deutscher Catering-Unternehmer, der seit vielen Jahren in Moskau lebt. Die Mutter ist Russin. Die Eltern sind lange verheiratet, beide sprechen beide Sprachen, beide haben viele Monate gemeinsam in Deutschland gelebt.

Doch nun war Mamas Schengen-Visum abgelaufen. Um alles richtig zu machen, beantragt sie ein Visum zur Familienzusammenführung. Genauer gesagt: Zur Nachreise eines Elternteils zum gemeinsamen Kind. Alle Dokumente werden abgegeben, überprüft – da stutzt Eure Kollegin plötzlich. Die Kindsmutter ist auf der Krim geboren. Eure Kollegin fragt nach dem russischen Inlandspass, unserem Personalausweis. Dort ist die Meldeadresse vermerkt. Jalta. Krim. Das Ausstellungsdatum des Passes: nach dem März 2014.

Die Kollegin in der Visastelle greift nach den Dokumenten, gibt sie der Mutter zurück und sagt: “Beantragen Sie das Visum bei der Deutschen Botschaft in Kiew. Sie sind ukrainische Staatsbürgerin. Wir sind hier nicht für Sie zuständig.”

Obwohl die Mutter schon seit zehn Jahren in Moskau lebt? Nichts zu machen. Keine Bitte, keine Erklärung hilft. Natürlich wird sie nicht nach Kiew fahren. Niemals. Was soll sie dort? Und dann die Angst. Ein falsches Wort, und …

Sie ist keine Ukrainerin, sie war nie eine, nicht im Herzen. Wie die allermeisten Krimbewohner. Ich weiß noch, wie glücklich sie war, als sie den russischen Pass in der Hand hielt. Leuchtende Augen. Endlich.

Und jetzt? Weil Ihr im Auswärtigen Amt meint, dass Krimbewohner gefälligst Ukrainer zu sein hätten, wird die Mutter eines deutschen Kindes nicht nach Deutschland gelassen. Bravo. Zitat aus den Sonntagsreden: Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter einen besonderen Schutz. Zitat aus der Wirklichkeit: Für deutsche Kinder mit russischen Müttern, die auf der Krim gemeldet sind, gilt das nicht. Deren Mütter sind Leibeigene des Oligarchen Pedro Poroschenko. Und solange der nicht nickt, war’s das mit dem Wechsel der Staatsangehörigkeit.

Schäbig. Denkt mal drüber nach.

Thomas Fasbender