Brief zum Wochenende, 31. März 2017

Lieber Dmitri Anatoljewitsch,

vor einer Woche ist der Nachwuchs gegen Sie auf die Straße gegangen. Eine patriotische Generation, die ein starkes Russland schaffen will. Die vom Liberalismus angehaucht ist, aber nicht infiziert. Und die jetzt davon träumt – träumen muss, den ersten Arbeitsplatz im Ausland zu finden.

Und das nicht, weil es im eigenen Land nichts zu tun gäbe. Es gibt Arbeitsplätze, die Wirtschaft wächst wieder. Das Potential ist riesig.

Nein, die Jugend träumt vom Ausland, weil sie spürt, wie sich in ihrer Heimat ein klebriger Film aus Duckmäuserei, Opportunismus und Korruption über die Verhältnisse breitet. Sie träumt davon wegzugehen, weil viel zu viel Macht, vom Kreml bis tief in die Regionen, in der Hand gesichtsloser Karrieristen liegt. Karrieristen, die Luxus und Privilegien genießen, während sie scheinheilig das Wohl des Vaterlands predigen.

Doch Macht bedarf der Autorität – erst recht in autoritären Systemen. Und Autorität liegt nicht in den Schulterklappen, auch nicht im Amt. Autorität ist die Mischung aus Botschaft, Wille und Glaubwürdigkeit.

Sie sollten Ihrem Chef vorschlagen, einen Besseren zu berufen. Nur wird er das so rasch nicht tun, weil er den Druck der Straße hasst. Weil er glaubt, hinter jeder Protestaktion stecke der Westen mit einer neuen Farbenrevolution. Genauso, wie der Westen glaubt, hinter jedem Computerhack stecke ein Nerd im Auftrag Ihrer Regierung.

Ihr Land, Russland, braucht einen Aufbruch. Wohin, das bestimmt es selbst. Es muss nicht Richtung Westen sein. Eurasien ist groß genug. Hauptsache Aufbruch.

Mit den besten Wünschen für einen baldigen, wohlverdienten Ruhestand

Ihr
Thomas Fasbender