BOFIT: Russlands jüngste Wirtschaftsdaten sind ermutigend

Das BIP sank 2020 nur um 3,1 Prozent, die Stimmung der Unternehmen steigt

Schon so manches Mal hat das russische Statistikamt Rosstat mit unerwartet positiven Daten überrascht. Als es vor einer Woche seine erste Schätzung zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 vorlegte, musste es zwar über den schärfsten Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion seit 2009 berichten. Er war mit „nur“ 3,1 Prozent laut Rosstat aber deutlich schwächer als selbst die Regierung und die Zentralbank prognostiziert hatten. Das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank BOFIT nennt Russlands Konjunkturentwicklung am Jahreswechsel 2020/2021 „ermutigend“.

Das BIP sank 2020 laut Rosstat deutlich weniger als erwartet

Ende Dezember hatte das Statistikamt Rosstat die Wachstumsrate der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Jahr 2019 in seiner dritten Schätzung von 1,3 Prozent auf 2,0 Prozent nach oben revidiert. Am 1. Februar kam das Amt in seiner ersten Schätzung für das Jahr 2020 zum Ergebnis, dass das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr gegenüber 2019 nur um 3,1 Prozent gesunken ist. In Analysten-Umfragen war mit einem Rückgang des BIP um 3,6 Prozent (Interfax-Umfrage) oder 3,7 Prozent (Reuters-Umfrage) gerechnet worden.

Im letzten Jahr ließen vor allem zwei Faktoren die Produktion der Unternehmen und die Einkommen der Bevölkerung sinken: die Beschränkungen der Aktivität der Unternehmen durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und der starke Einbruch der Rohstoffpreise. Der Rückgang der Nachfrage schwächte aber nicht nur die Produktion in Russland. Noch deutlich stärker sanken Russlands Einfuhren aus dem Ausland.

Große Teile der Wirtschaft hielten ihr Produktionsniveau

Laut den ersten Rosstat-Schätzungen zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnug konnten die Landwirtschaft, die Bauwirtschaft und der wichtigste Bereich der Industrie, das „Verarbeitende Gewerbe“, ihr Produktionsniveau im Jahr 2020 real halten.

Herstellungsseitig ergab sich die Abnahme des Bruttoinlandsprodukts vor allem aus dem Rückgang der Produktion im Industrie-Bereich „Bergbau und Förderung von Rohstoffen“. Hier sank die Produktion um rund 10 Prozent. Fasst man die Bereiche Industrie und Landwirtschaft zusammen, trugen sie nach Berechnungen von Dmitry Dolgin, ING Bank, wegen des Einbruchs im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“, zum Rückgang des BIP um 3,1 Prozent einen Prozentpunkt bei.

Besonders stark hatte unter der Pandemie im Dienstleistungsbereich das Hotel- und Gaststättengewerbe zu leiden, wo die Produktion um rund 24 Prozent zurückging. Dieser Einbruch trug zum Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion laut Dolgin aber nur 0,2 Prozentpunkte bei, weil das Hotel- und Gaststättengewerbe nur einen Anteil von 0,7 Prozent des BIP stellt. Der Rückgang der Produktion im Groß- und Einzelhandel (einschl. KFZ-Gewerbe) war viel moderater (rund – 3 Prozent). Insgesamt steuerten die Bereiche Handel, Transport, Telekommunikation, Gesundheitswesen und Catering laut Dolgin 1,2 Prozentpunkte zum Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,1 Prozent bei.

Weiterhin kräftig gewachsen ist 2020 die Produktion im Bereich „Finanzen und Versicherungen“ (rund + 8 Prozent). Der Anstieg entsprach einem Wachstumsbeitrag von 0,4 Prozentpunkten. Zugelegt hat auch der Bereich „öffentliche Verwaltung, militärische Sicherheit, soziale Sicherheit“ (rund + 2,5 Prozent).

Starke Rückgänge des Privaten Verbrauchs und der Investitionen

Der private Konsum verringerte sich 2020 um 8,6 Prozent. Das war der stärkste Einbruch seit fünf Jahren. 2019 war der Verbrauch der privaten Haushalte noch um 3,2 Prozent gestiegen

Die Anlageinvestitionen der Unternehmen wurden um 6,2 Prozent eingeschränkt, nachdem sie im Vorjahr um 1,5 Prozent erhöht worden waren.

Die Regierung bremste im letzten Jahr den Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion durch eine Ausweitung des öffentlichen Verbrauchs um 4,0 Prozent. 2019 war er nur gut halb so stark erhöht worden (+ 2,4 Prozent).

In der folgenden Abbildung der ING Bank zeigt die violette Linie den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,1 Prozent im Jahr 2020.

Gedrückt wurde die gesamtwirtschaftliche Produktion vom Rückgang des Verbrauchs der privaten Haushalte (grauer Säulenteil) und den Investitionen (roter Säulenteil).

Positive Wachstumsbeiträge kamen vor allem vom Nettoexport (blauer Säulenteil) und vom öffentlichen Verbrauch (grüner Säulenteil). Auch ein leichter Lageraufbau dämpfte den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts.

Figure 1: No destocking and state demand dampened the blow in 2020

Schwächere Nachfrage drückte vor allem Einfuhren aus dem Ausland

Der Netto-Export (blauer Säulenteil) stützte die gesamtwirtschaftliche Produktion von der Verwendungsseite des Bruttoinlandsprodukts, weil die Exporte deutlich weniger sanken als die Importe.

Eine Ursache für den Rückgang der Exporte war, dass Russland seine Ölexporte im Rahmen der Vereinbarungen der OPEC+ senkte. Insgesamt waren die Exporte von Waren und Dienstleistungen 2020 um 5,1 Prozent niedriger als 2019.

Die Importe von Waren und Dienstleistungen wurden noch deutlich stärker um 13,7 Prozent eingeschränkt. Dazu trug neben dem Kursrückgang des Rubels, der die Einfuhren verteuerte, der pandemiebedingte Einbruch der Ausgaben für Reisen ins Ausland bei.

Privater Verbrauch, Investionen und Importe fielen auf langjährige Tiefstände

BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, hat die langfristige Entwicklung der Verwendungsseite des Bruttoinlandsprodukts seit 2011 in der folgenden Abbildung dargestellt. Gezeigt wird, wie sich der Private Verbrauch, die Aus- und Einfuhren, die Anlageinvestitionen und der öffentiche Verbrauch in Rubel-Preisen von 2016 real veränderten.

Russia’s private consumption, fixed investment and imports
at low levels in 2020

Erkennbar ist, dass der reale Verbrauch der privaten Haushalte, der 2020 um 8,6 Prozent sank, etwa auf das Niveau des Jahres 2016 zurückfiel und deutlich niedriger ist als 2013/2014.

Die Anlageinvestitionen (blaue Linie), die 2020 um 6,2 Prozent sanken, sind damit deutlich niedriger als im Jahr 2013.

Die Importe (gelbe Linie), die 2020 um 13,7 Prozent eingeschränkt wurden, sind seit 2013 besonders stark verringert worden.

Investitionsquote und real verfügbare Einkommen seit 2013 kräftig gesunken

Dmitry Dolgin macht mit folgender Abbildung zwei hervorstechende Probleme der Entwicklung der russischen Wirtschaft seit 2013 deutlich:

  • Die Investitionsquote, der Anteil der Anlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt, sank von 24,4 Prozent im Jahr 2013 auf 21,2 Prozent im Jahr 2020.
  • Die real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte (blaue Linie) fielen seit 2013 um rund 10 Prozent. Sie waren 2020 rund 2 Prozent niedriger als 2010.

Weak income and investment trend since 2014 remains a challenge

Dmitry Dolgin; ING Bank: Russia: Economy contracts modestly in 2020, but challenges to recovery remain; 01.02.2021

Einkaufsmanager-Umfrage stimmt DekaBank und BOFIT zuversichtlich

Daria Orlova, Russland-Expertin der Frankfurter DekaBank, streicht in ihrem Konjunkturbericht in den am Freitag veröffentlichten „Emerging Markets Trends“ jedoch heraus, dass sich die russische Wirtschaft bei der Bewältigung der aktuellen Corona-Krise im internationalen Vergleich „eher gut geschlagen“ hat. Das sei zum Teil darauf zurückzuführen, dass sich die russische Regierung während des Anstiegs der Corona-Neuinfektionen im Herbst und Winter klar gegen harte Lockdown-Maßnahmen entschieden habe.

Orlova hebt ihre Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft von 2,8 Prozent auf 3,2 Prozent an. Sie weist darauf hin, dass in Russland seit Januar auch die ohnehin moderaten Restriktionen im Dienstleistungsbereich nach und nach gelockert werden, was zu einer Verbesserung der Stimmungsindikatoren führe.

Die vom Marktforschungsunternehmen IHS Markit ermittelten Einkaufmanagerindizes, die als Indikatoren für die allgemeine konjunkturelle Lage der Wirtschaftsbereiche gelten, lagen im Januar sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor oberhalb der „50-Punkte-Expansionsmarke“, stellt Orlova fest. Ein Abbruch der positiven Wachstumsdynamik sei deswegen nicht zu erwarten.

Auch das Forschungsinstitut der finnischen Zentraibank meint in einem Beitrag zur jüngsten Einkaufsmanager-Umfrage, am Jahreswechsel habe sich der Ausblick für die russische Wirtschaft offenbar ein wenig aufgehellt. Vielleicht sei das zum Teil den guten Nachrichten über die Entwicklung der Impfungen gegen das Corona-Virus zu verdanken.

Alle Einkaufsmanager-Indizes sind zuletzt gestiegen

BOFIT zeigt in der folgenden Abbildung, dass der Einkaufsmanager-Index für das Verarbeitende Gewerbe (blaue Linie) von 49,7 Punkten im Dezember auf 50,9 Punkte im Januar stieg. Das Überschreiten der 50-Punkte-Marke signalsiert, dass sich die Bedingungen für das Wachstum der Unternehmen insgesamt verbessert haben.

Der Index für den Dienstleistungsbereich (rote Linie) erhöhte sich noch deutlich stärker von 48,0 Punkten auf 52,7 Punkte. Eine sehr ähnliche Entwicklung zeigt der kombinierte Index (schwarze Linie), der von 48,3 Punkten auf 52,3 Punkte stieg.

PMI readings of Russian firms show a general expectation of improving conditions

Sources: Markit IHS, Macrobond and BOFIT.
BOFIT, Bank of Finland: Latest economic data for Russia looks promising; 05.02.2021

Der kombinierte Einkaufsmanager-Index und der Index für den Dienstleistungsbereich hatten sich im Sommer 2020 von ihrem tiefen Einbruch während des Lockdowns im Frühjahr 2020 rasch erholt. Im vierten Quartal sanken sie mit der neuen Infektionswelle jedoch wieder unter die 50-Punkte-Marke. Mit dem jüngsten Anstieg sind sie jetzt wieder etwa so hoch wie vor der Corona-Krise Anfang 2020. Der Index für das Verarbeitende Gewerbe ist derzeit sogar deutlich höher als vor einem Jahr.

IHS Markit berichtete zur jüngsten Umfrage im Verarbeitenden Gewerbe, die Pandemie drücke zwar weiterhin die Nachfrage aus dem Ausland, so dass die Ausfuhren deutlich zurückgingen. Es sei jedoch ermutigend, dass die Aufträge stiegen, die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes erwarteten in diesem Jahr ein anhaltendes Wachstum der Produktion. Das habe dazu geführt, dass sie zum ersten Mal seit Juli 2019 die Zahl der Beschäftigten erhöhten.

Zur Entwicklung im Dienstleistungsbereich ergab die Umfrage, Auftragseingang und Produktion hätten im Jahuar geringfügig angezogen. Als Ergebnis sei der Rückgang der Beschäftigung in den russischen Dienstleistungsunternehmen fast vollständig zum Stillstand gekommen.

Neben der Einkaufsmanager-Umfrage deuten laut Loko Invest auch einige andere Frühindikatoren auf eine Belebung der russischen Konjunktur hin. So stieg die Stromerzeugung nach Angaben des Energieministeriums im Januar gegenüber dem Vorjahresmonat um 4,8 Prozent und gegenüber Dezember um 2,1 Prozent. Dieser Anstieg könnte allerdings auch durch niedrigere Temparaturen verursacht worden sein. Der Warentransport per Eisenbahn wuchs im Dezember gegenüber dem Vorjahr um 1,0 Prozent. Die Ölproduktion war so hoch wie seit Juni 2020 nicht mehr.

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Titelbild: pixabay.com
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Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Politik in Russland; deutsch-russische Beziehungen

Nord Stream 2

Wirtschaftsministerium zu Wachstum und Inflation 2020 und 2021

Der Verbraucherpreisanstieg stieg im Januar auf 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr

Das Bruttoinlandsprodukt sank 2020 um 3,1 Prozent –  Erste Rosstat-Schätzung

Einkaufsmanager-Indizes im Januar über Wachstumsschwelle gestiegen; Index für das Verarbeitende Gewerbe verbessert sich weniger stark als der Dienstleistungsbereich

Zentralbank: Konjunktur-Bulletin „Talking Trends“

Internationaler Währungsfonds: World Economic Outlook Update January 2021

Konjunkturberichte für Dezember und das Jahr 2020

Wöchentliche Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

BOFIT (Bank of Finland): BOFIT Weekly (Russland und China im wöchentlichen Wechsel; donnerstags finnische; freitags englische Ausgabe); BOFIT Russia Statistics

Vnesheconombank Institute:World Economy and Markets Review“ mit Russland-Themen:

Marina Voitenko; politcom.ru: Wirtschaftspolitischer Wochenrückblick; jeweils donnerstags

  • 04.02.: Global Economy – Coronavirus Forks: IWF Weltwirtschaftsausblick; World Economic Forum zu globalen Herausforderungen; IWF-Prognosen für Russland
  • 28.01.: January 2021 – Mixed mood: Vollzug Föderalhaushalt 2020; Preisanstieg; Zahlungsbilanz
  • 21.01.: On the way to qualitative growth: Rückblick auf Gaidar-Forum
  • 14.01.: Oil prices matter: Hohe Ölpreisvolatilität im Jahr 2020; Ölpreisprognose für 2021 nach OPEC+Abkommen auf 50 bis 55 Dollar/Barrel gestiegen; voraussichtliche Rubel-Aufwertung auf rund 70 Rubel/Dollar kann Inflation auf 3,5 bis 4 Prozent bis Ende 2021 dämpfen.

Sberbank: Wochenbericht „Global Economic News“ mit folgenden Russland-Themen:

Dmitry A. Zaitsev; Rechnungshof-Wochenbericht:Economic Monitoring

Sonstige periodische Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik

Russlands Wirtschaft am Jahreswechsel 2020/2021 – Rückblick und Ausblick

Weitere Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland