„Europäer sind immer noch stark in Russland vertreten“

Interview mit Frank Schauff, Chef der Association of European Businesses (AEB) in Russland

Im Interview mit Ostexperte.de spricht Frank Schauff, Geschäftsführer der Association of European Businesses (AEB) in Russland, über die Themen Geschäftsklima und Lokalisierung. Im Gespräch geht es auch um die Automobilbranche und die Lage deutscher Unternehmen auf dem russischen Markt.

Association of European BusinessesDr. Frank Schauff
Der 1995 gegründete Unternehmerverband Association of European Businesses (AEB) ist die Hauptvertretung ausländischer Investoren in Russland. Die AEB ist eine unabhängige nichtkommerzielle Organisation, die die Interessen europäischer Unternehmen vertritt und fördert, die in und mit der Russischen Föderation Geschäfte tätigen.

Die AEB führt Aktivitäten durch, um das russische Geschäfts- und Handelsumfeld zu verbessern und um die wirtschaftliche Integration und Partnerschaft zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union zu fördern.

Dr. Frank Schauff ist seit 2007 Geschäftsführer der Association of European Businesses (AEB) in Russland. Zuvor war er sechs Jahre außenpolitischer Referent für den Parteivorstand der SPD sowie Lehrbeauftragter am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Schauff promovierte in osteuropäischer Geschichte in Köln.

Derzeit wird das US-Sanktionsgesetz vom Sommer 2017 viel diskutiert. Wie stark sind europäische Unternehmen betroffen?

Die US-Sanktionen sind aus zwei Gründen schwierig.

Erstens weil damit Sanktionen, die schon vorher als Executive Order vorhanden waren, in ein Gesetz gegossen worden sind. Das bedeutet in der politischen Folge, dass die US-Sanktionen, die schon vorhanden waren, ganz schlecht wieder zu beseitigen sind. Das bedarf einer Mehrheit im Kongress und solche ist in Sachen Russland im Sinne der europäischen Wirtschaft sehr schlecht herzustellen. Das heißt, wir müssen uns auf eine Situation einstellen, die lange dauern wird.

Selbst wenn die Europäer ihre Sanktionen irgendwann aufheben würden, würde das wenig ändern, weil die schon bestehenden US-Sanktionen extraterritorialen Charakter haben. Das bedeutet, dass alle Firmen, zumindest die, die auch mit den USA verbunden sind und das sind die meisten, letzten Endes immer in Probleme mit der US-amerikanischen Regierung geraten.

Der zweite Punkt, der bei den neuen US-Sanktionen schwierig ist, ist, dass selbst wenn vorerst keine weiteren praktischen Schritte eingeleitet werden, die Rechtsunsicherheit steigt.

Sehen Sie das Vertrauen in den russischen Markt durch das politische Klima eingeschränkt?

Der russische Markt ist weitgehend in Ordnung und verbessert sich gerade. Aber die internationalen Bedingungen sind sehr schwierig. Das ist letzten Endes etwas, was Unternehmensentscheidungen beeinflusst. Die Chefs der großen europäischen und transnationalen Firmen lesen Financial Times und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Und das ist in der Regel schwierig in Hinblick auf Russland.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der russischen Politik?

In erster Linie wünsche ich mir Unterstützung von der europäischen Politik, weil es sowohl in meiner Funktion des europäischen Wirtschaftsverbandes als auch als EU-Bürger sehr schwierig ist, dass wir in eine Situation geraten, wo die außenwirtschaftlichen Beziehungen der EU und ihrer Unternehmen durch den US-Kongress reguliert werden.

Vor dem Hintergrund, dass die EU bereits unter Juncker im Sommer sehr klare Aussagen gemacht hat und dass es Verhandlungen zwischen den USA und der EU über die Ausgestaltung weiterer Sanktionen gibt, gehe ich davon aus, dass die EU die Interessen der europäischen Unternehmen schützt. Das ist keine ganz einfache Angelegenheit, aber ich glaube, dass die Amerikaner zumindest kurzfristig unterschätzen, welche politischen Folgen es hat, wenn die Amerikaner zu ihren eigenen Gunsten versuchen, den Handlungsspielraum der EU in außenwirtschaftlicher Hinsicht einzuschränken.

Wie sehen Sie die russische Politik, die Unternehmen dazu bewegen soll, eine Importsubstitution voranzutreiben?

Es hat zwei Seiten. Erstens ist das Anliegen grundsätzlich legitim, die eigene industrielle Basis zu stärken. Russland hat nach dem Ende der Sowjetunion, auch schon vorher, den Anschluss in einer Reihe von Bereichen verloren, wo sie früher gar nicht so schlecht waren. Die Frage ist, mit welchen Mitteln man das tut.

Ich glaube, dass es günstiger ist, darauf zu schauen, dass Unternehmen konkurrenzfähig sind, anstatt mit bürokratischen Mitteln zu versuchen, sie zu einer Ansiedlung hier zu bewegen. Das ist in der Regel wenig zielführend und es ist schwer verständlich, warum die russische Regierung nicht in erster Linie auf den Wechselkurs vertraut, der sich in den letzten Jahren insbesondere für den Export günstig darstellt. Gerade der Wechselkurs gegenüber dem Euro und anderen Währungen hat dazu geführt, dass Unternehmen, die vorher das nicht getan haben, seitdem aus Russland exportieren.

Das wäre aus zweierlei Gründen günstiger. Erstens haben sie den bürokratischen Druck nicht, um anzusiedeln. Zweitens setzt sich die russische Wirtschaft damit einer Konkurrenz auf Exportmärkten aus, die letzten Endes effizienzsteigernd für die russische Wirtschaft wirken kann. Wenn sie weiter Hürden bürokratischer Natur aufbauen, führt das möglicherweise eher dazu, dass sie Ineffizienzen aufbauen.

Wie schätzen europäische Unternehmen den „Sonderinvestitionsvertrag“ ein, der 2015 eingeführt wurde?

Wenn ich richtig zähle, sind ca. 10 dieser Verträge innerhalb von zwei Jahren unterzeichnet worden. Wir wissen von Firmen, die sich das angeschaut haben, aber letzten Endes die Entscheidung getroffen haben, den Vertrag nicht zu unterzeichnen, weil er mit einer Reihe von Unwägbarkeiten verbunden ist. Der Verhandlungsprozess ist sehr lang und der Zeitraum mit denen im Vertrag verbundenen Garantien ist relativ kurz.

Der Sonderinvestitionsvertrag funktioniert nicht so gut, wie das hätte sein sollen, wenn man im Blick behält, dass er ein Instrument sein sollte, um die Struktur der russischen Wirtschaft zu verändern. Von daher sind wir weiter gespannt, welche konkreten Änderungen im Sonderinvestitionsvertrag vorgenommen werden, so wie es Putin auch auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum dargestellt hat.

Welche Chancen und Potenziale sehen Sie für europäische Unternehmen auf dem russischen Markt und in welchen Branchen?

Aus meiner Sicht hat sich eine Lage entwickelt, dass das Sanktionsregime da ist, es aber nur einen kleinen Teil der Firmen formal betrifft. Die Firmen, die das betrifft, haben ihr Geschäft entsprechend angepasst, die anderen arbeiten im Grunde genommen unverändert weiter, sodass man feststellen muss, dass trotz Sanktionen – und das ist eine positive Nachricht – in weiten Teilen ein normales Geschäft möglich ist. Das ist möglicherweise etwas, das Unternehmen, die ein Interesse daran haben könnten, auf dem russischen Markt zu investieren, verstehen müssten.

Generell gesehen erscheinen in vielen Bereichen weiterhin Handel, aber auch Investitionen sinnvoll. Dazu gehören der Konsumgüterbereich, der Nahrungsmittelbereich und der Bereich der mit der Automobilindustrie verbundenen Zulieferindustrie und andere Zulieferindustrien.

Die Vorstellung, die mir manchmal auf russischer Seite begegnet, dass man im größeren Maßstab, insbesondere spezialisierten Maschinenbau in Russland ansiedeln könnte, erscheint mir nicht ganz realistisch, weil damit eine Reihe von Vorbedingungen verbunden sind, die schwer zu kopieren sind. Dazu brauchen sie ein gewisses Biotop, das beispielsweise in bestimmten Teilen Deutschlands existiert und das sie so einfach in Russland nicht rekonstruieren können. Sinnvoller ist es, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die von russischer Seite realistisch sind und nicht die, die wahrscheinlich nicht umsetzbar sind.

2017 hat sich der russische Automobilmarkt erholt. Sehen Sie eine Gefahr, dass der Aufschwung wieder abklingt?

Das ist schwierig vorhersehbar. Unsere Mitglieder haben sicher im Jahr 2008 nicht vorhergesehen, dass im Jahr 2009 der Automobilmarkt um 50% schrumpft. Genauso wenig haben sie dann vorhergesehen, dass der Automobilmarkt sich bis 2013 fast wieder auf demselben Niveau befand wie vor der Krise.

Ähnlich, so nehme ich an, ist die Situation jetzt. Entsprechend der Statistik, die wir jeden Monat publizieren, haben wir festgestellt, dass der Markt im Dezember um 14% gegenüber dem Vorjahresmonat gewachsen ist. Das ist natürlich ein sehr starkes Wachstum, was uns und unsere Mitglieder freut. Inwiefern das hält, ist schwer vorhersagbar. Wir haben Anfang des Jahres bis Ende 2017 ein Wachstum von 11,9% ermittelt.

Gibt es in Europa Länder, in denen der russische Markt stärker oder weniger stark beliebt ist?

Natürlich gibt es Unterschiede. Aber ich wäre vorsichtig, von der politischen auf die wirtschaftliche Lage zu schließen. Um das ganz klar zu sagen, natürlich sind die deutschen Unternehmen sehr stark in Russland, das hat auch Tradition. Die italienischen und französischen Firmen sind aber auch stark auf dem russischen Markt vertreten. Der größte Automobilhersteller hier in Russland ist Renault und nicht Volkswagen beispielsweise. Einer der größten Hersteller von Milchprodukten ist Danone. Der größte Einzelhändler von ausländischer Seite ist Auchan.

Insofern festzustellen, dass die Deutschen stark sind, ist korrekt. Deutschland ist ja auch die stärkste Volkswirtschaft in Europa. Aber die anderen sind durchaus auch hier vertreten und machen ihr Geschäft. In den letzten paar Jahren gab es einmal den Punkt, wo es mehr französische als deutsche Investitionen nach Russland gab, was mit den Sanktionen zu tun hat und der Schwäche des daraus folgenden Investitionsflusses aus Deutschland nach Russland. Die Deutschen sind stark, aber man kann nicht davon ausgehen, dass die Deutschen eine übermäßig große Präferenz für Russland haben.

Auch die Franzosen, die Finnen, aus einer viel kleineren Position im Sinne ihre Marktes heraus als die Deutschen, und die Österreicher sind hier stark vertreten. Man müsste sich eher von der jeweiligen Seite des EU-Mitgliedslandes anschauen, wie die prozentuale Verquickung mit der russischen Wirtschaft ist und da haben die Finnen und die Österreicher, aber auch die Balten eine deutlich höhere Verbindung zu den Russen als die Deutschen. Von daher ist es nicht ganz so einfach zu beantworten.

Was ich feststelle, ist, dass sich das, was gängigerweise als Länder gehandelt wird, die pro-russisch oder anti-russisch sind, im Geschäftsbereich nicht nachvollziehen lässt. Die Polen sind hier sehr aktiv, obwohl es immer die Aussage gibt, dass die Polen und die Russen sich nicht mögen. Von daher muss ich gestehen, dass solche Dinge eher zur Folklore als zur Realität gehören.

Generell ist es so, dass die Europäer als Ganzes genommen sehr stark in Russland vertreten sind. Wenn Sie sich eine Statistik ansehen, hat Russland immer noch ca. 45% seines Außenhandels mit der EU und weit über 50% aller ausländischen Direktinvestitionen kommen aus europäischen Quellen. Das ist natürlich eine Position, die sehr stark ist und es ist schwer vorstellbar, dass sich die Position kurzfristig stark verändert.

Haben viele europäische Unternehmen den Markt verlassen, als die Wirtschaftskrise anfing?

Natürlich hat es Unternehmen gegeben, die Russland vor dem Hintergrund der Krise verlassen haben. Nach meiner Beobachtung handelt es sich in erster Linie – ich kenne den Fall von General Motors – um mittlere und kleinere Unternehmen, die hier eine Dependance hatten, die sie leicht schließen konnten und die sie auch wieder leicht öffnen können, wenn sich die Lage verbessert.

Die Unternehmen, die hier über Jahre und Jahrzehnte in Produktion, Distribution, Marketing usw. investiert haben, die gehen nicht so einfach. Alle verstehen, dass der russische Markt immer ein schwieriger Markt bleiben wird, im Sinne der Vorhersehbarkeit von Marktentwicklungen. Das hängt mit der Entwicklung der Öl- und Gaspreise und den damit verbundenen Höhen und Tiefen der russischen Wirtschaftsentwicklung zusammen. Die EU ist nicht deshalb so stark im Export, weil sie Angst vor plötzlichen Entwicklungen hat, sondern weil sie mit solchen Entwicklungen zu leben gelernt hat.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schauff.