Morgen kommt Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev nach Deutschland. In Berlin wird er sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz treffen. Es gibt hohe Erwartungen an das Treffen. Ein Überblick.
Von Urs Unkauf
Auf deutsche Einladung besucht der Präsident der Republik Aserbaidschan, Ilham Aliyev, am 14. März 2023 die Bundesrepublik Deutschland. In Berlin wird er sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz treffen. Einen Monat zuvor nahm Präsident Aliyev an der 59. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) teil, wo er unter anderem in einer Podiumsdiskussion mit dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinyan über die Perspektiven einer Friedenslösung für die Stabilität des Südkaukasus diskutierte. Dem Arbeitsbesuch und der Teilnahme an der MSC war ebenfalls der Arbeitsbesuch einer hochrangigen aserbaidschanischen Wirtschaftsdelegation am 10. Februar vorausgegangen, die von der deutschen Seite im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz empfangen wurde.
In den Gesprächen am Montag werden Fragen der bilateralen Beziehungen, wirtschafts- und energiepolitische Inhalte sowie Themen der regionalen und internationalen Sicherheit im Fokus stehen. Aserbaidschan sieht Deutschland als zentralen strategischen Partner innerhalb der Europäischen Union sowohl für die wirtschaftliche Kooperation, wie auch für die politische Zusammenarbeit.
Von deutscher Seite erlangte der energiepolitische Aspekt infolge des von der Russischen Föderation begonnenen Angriffs auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 und des daraus resultierenden Krieges eine neue Dynamik. Als Konsequenz der Beendigung des Imports fossiler Energieträger aus Russland entstand auf dem europäischen Erdgasmarkt ein Vakuum, das durch neue und zuverlässige Lieferpartner gefüllt werden musste. Aserbaidschan ist seit Jahren bereits einer der wichtigsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik. Über die neuen Liefervereinbarungen Aserbaidschans mit der Europäischen Union liefert Baku nun über den Südlichen Gaskorridor aserbaidschanisches Erdgas aus dem Shah Deniz-Feld im Kaspischen Meer durch Georgien und Türkiye nach Griechenland, Albanien und Italien und leistet somit einen essenziellen Beitrag zur Sicherung der europäischen Energieversorgung. In der deutschen Industrie existiert ein weitgehender Konsens, dass Erdgas als Brückentechnologie einen unverzichtbaren Transmissionsriemen für die erfolgreiche Umsetzung der ambitionierten Energiewendeziele bei gleichzeitigem Erhalt der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes darstellt. Währenddessen setzt die aserbaidschanische Volkswirtschaft auf eine umfassende Strategie der Diversifizierung und einer gezielten Orientierung auf Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit der damit einhergehenden Reformmaßnahmen. Die bisher größtenteils auf die Förderung und Veredelung von Erdöl und Erdgas ausgerichtete Wirtschaft verfügt dank der geostrategischen Lage, einer jungen und im internationalen Vergleich hoch gebildeten Bevölkerung und einer umsichtigen Regierungspolitik über zahlreiche Chancen, neue Kapazitäten in verschiedenen Bereichen aufzubauen. Beispielsweise Landwirtschaft und Tourismus: Aserbaidschan beteiligte sich aktiv an den international führenden Messen, der Internationalen Grünen Woche (IGW) und der Internationalen Tourismusbörse (ITB) im Januar beziehungsweise März 2023 in Berlin. Ebenfalls bestehen dank der günstigen Energiepreise und Lohnnebenkosten sowie der Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräfte und exzellenter logistischer Anbindungen zu Lande, zu Wasser und im Luftverkehr hervorragende Möglichkeiten für die Ansiedlungen von Industrieproduktion und verarbeitenden Betrieben für hochwertige Exportgüter in die Kaspische Region und den Südkaukasus.
Eine zentrale Priorität Aserbaidschans – auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen mit Deutschland – ist der Wiederaufbau der von Armeniens völkerrechtswidriger Besatzung im Jahr 2020 befreiten aserbaidschanischen Gebiete in Karabach und Ost-Sangesur. Neben drei internationalen Flughäfen werden unter anderem Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, um auch international für unternehmerisches Engagement in den befreiten Gebieten zu motivieren. Die Strategie der „Grünen Zone“ sieht vor, dass diese Region vollständig mit erneuerbaren Energien versorgt wird und diese ebenfalls in andere Landesteile sowie transnational exportiert. Die geografischen Bedingungen für Solar- und Windenergie, aber auch für den Aufbau einer Wasserstoffproduktion, sind hervorragend. Das Potenzial der erneuerbaren Energien in Aserbaidschan beträgt etwa 200 GWh, was für die deutschen Unternehmen interessante Möglichkeiten bietet.
In Bezug auf die Sicherheitslage strebt Aserbaidschan eine Friedenslösung mit Armenien an. Die Verhandlungen hierfür werden von verschiedenen internationalen Akteuren – Russland, den USA und der EU – aktiv begleitet. Bislang lässt die armenische Führung den Worten von Premierminister Paschinyan allerdings nur zögernde Taten folgen und die wiederholten Provokationen Armeniens gegenüber Aserbaidschan an der international anerkannten Grenze führen zu einer Verlangsamung des Prozesses. Aserbaidschan garantiert gleiche Bürger- und Minderheitenrechte für die armenischen Bewohner in Karabach im Rahmen seiner staatlichen Verfassung. Erste Gespräche zwischen Baku und Vertretern der Karabach-Armenier haben hierzu bereits stattgefunden. Für Aserbaidschan wiederum ist die Nutzung des Sangesur-Korridors, der die Autonome Republik Nachtschiwan über die armenische Region Sjunik mit dem Rest Aserbaidschans verbinden soll, wie es aus der trilateralen Erklärung zwischen Aserbaidschan, Armenien und der Russischen Föderation vom 10. November 2020 hervorgeht, von zentraler Bedeutung für die regionale Entwicklung. Eine nachhaltige Lösung für die Stabilität im Südkaukasus sowie die Förderung der Friendens- und Aussöhnungsbemühungen zwischen Aserbaidschan und Armenien liegt auch im deutschen, respektive europäischen strategischen Interesse. Hierfür wäre die deutsche Seite gut beraten zu erkennen, dass die Intention Aserbaidschans, das den Prozess derzeit erwiesenermaßen engagierter vorantreibt als das Nachbarland Armenien, auf eine langfristige Lösung dieses Konfliktes in den international anerkannten Grenzen beider Staaten abzielt und die Interessen Bakus hierbei ernst genommen werden sollten.
Vor diesem Hintergrund kann dieser Besuch von Präsident Ilham Aliyev mehr als lediglich eine Symbolgeste sein, sondern dazu beitragen, ein neues Kapitel der deutsch-aserbaidschanischen wie auch der europäisch-südkaukasischen Beziehungen einzuleiten.
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