Wintershall: „Russland ist wichtig für Europa“
Torsten Murin ist Leiter des deutschen Erdöl- und Erdgasproduzenten Wintershall in Russland. Zuvor war er als Vize-Präsident für das Pipelinegeschäft der Wintershall zuständig. Im Ostexperte.de-Interview spricht er über die jüngsten US-Sanktionen gegen Russland und den Iran, die Angst vor Nord Stream 2 in Mittel- und Osteuropa und die Zukunftspläne der Wintershall.
Achimgaz, ein Joint-Venture mit der Gazprom-Tochter OOO Gazprom dobycha Urengoi (jeweils 50%), produziert in Sibirien Erdgas und Kondensat aus der anspruchsvollen Achimov-Formation des Urengoi-Feldes. Täglich werden derzeit etwa fünfzehn Millionen Kubikmeter Erdgas gefördert.
Juschno Russkoje, ein Erdgasfeld im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. Durch das Joint-Venture Severneftegazprom ist Wintershall zu 35% am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt. Die Tagesproduktion beläuft sich saisonabhängig auf ca. 70 Millionen Kubikmeter Erdgas.
Wolgodeminoil ist ein Joint-Venture zwischen Wintershall und der Lukoil-Tochtergesellschaft Ritek (jeweils 50%). Das Projekt dient zur Exploration und Förderung von Erdöl und Erdgas in Südrussland. 2017 wurden rund 4,8 Millionen Barrel Öläquivalent gefördert.
Dazu kommt die 2012 vollständig in Betrieb genommene Ostseepipeline Nord Stream, die sibirische Gasreserven nach Deutschland transportiert. Wintershall ist zu 15,5% an dem Projekt beteiligt. Außerdem zählt Wintershall zu den wichtigsten Investoren der geplanten Parallelverbindung Nord Stream 2.
Seit 2018 wird Wintershall Russland von Torsten Murin geleitet (siehe Ostexperte.de-Meldung).
Welches sind die wichtigsten Projekte für Wintershall in Russland?
Die älteste Partnerschaft besteht mit Lukoil in der Region Wolgograd in Südrussland. Doch vom wirtschaftlichen Umfang wesentlich größer sind unsere gemeinsamen Projekte mit Gazprom im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. Zu den wichtigsten Kooperationen mit Gazprom zählt Achimgaz, das 2003 gegründet wurde. Ein anderes Projekt ist die Entwicklung der Achimov-Gasfelder 4A und 5A über das Gemeinschaftsunternehmen Achim Development, an dem wir etwas mehr als 25% halten. Ein weiteres wichtiges Joint Venture ist Severneftegazprom, an dem wir zu 35% wirtschaftlich beteiligt sind. Im März hat das Joint-Venture sein 20-jähriges Bestehen gefeiert. Dort haben wir im Mai dieses Jahres eine Gesamtproduktion von 250 Milliarden Kubikmetern Erdgas überschritten – mehr als in Deutschland in drei Jahren verbraucht werden.
Sie leiten Wintershall Russland seit Januar 2018. Was sind Ihre Ziele?
Zunächst gilt es, unsere Projekte voranzubringen. Im April 2018 sind wir einen großen Schritt gegangen, was die Entwicklung von Achimov 4A und 5A betrifft. Die Projektgesellschaft Achim Development hat einen dreijährigen Generalunternehmervertrag mit Achimgaz abgeschlossen. Unser Fokus in Russland liegt auf Projektmanagement und Technologie, wir wollen kein reiner Finanzinvestor sein. Langfristig wollen wir unsere erfolgreichen Partnerschaften mit den russischen Öl- und Gasunternehmen ausbauen.
Welche Folgen haben die US-Sanktionen für Ihr Russlandgeschäft?
Die Sanktionen von 2014, die Sanktionen von 2017 (CAATSA) und die Sanktionen vom April 2018 haben keine direkten Auswirkungen auf das Geschäft der Wintershall in Russland. Es ist zwar so, dass Gazprom-Chef Alexej Miller auf der neuen US-Liste steht. Juristisch gesehen hat dieser Umstand aber keine Auswirkungen auf unsere Verträge und unsere Projekte.
Haben Sie Sorgen, dass in Zukunft negative Konsequenzen entstehen?
Sanktionen sind natürlich ein schwieriges Thema, da gebe ich Ihnen Recht. Ich denke aber, dass in Europa ein Verständnis dafür wächst, dass russisches Pipelinegas eine stabile Basis für die europäische Energieversorgungssicherheit darstellt. Wir vertrauen auf den europäischen Gedanken und hoffen, dass Sanktionen nicht verschärft und in Zukunft eventuell sogar gelockert werden, damit wir weiter zusammenarbeiten können.
Was erhoffen Sie sich von der Investition in Nord Stream 2?
Deutschland importiert rund 100 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, davon stammen mehr als 40% aus Russland. Etwa 1/4 des Erdgases, welches aus Russland nach Deutschland fließt, wird theoretisch von Wintershall produziert. Es gibt also eine Verbindung zu unserem Pipelinegeschäft Nord Stream sowie unserer Produktion in Westsibirien. Der Weg vom Bohrloch in den deutschen und europäischen Haushalt ist für Wintershall von strategischer Wichtigkeit. Natürlich kann man fragen: „Brauchen wir wirklich eine neue Pipeline?“ Die Antwort liegt in der Nachfragesituation in Europa: Die Eigenproduktion wird in den nächsten Jahren stark sinken und Europa wird auf Gasimporte zurückgreifen müssen. Besonders wichtig sind Versorgungssicherheit und günstige Preise. Je mehr Erdgasquellen es gibt, die an den europäischen Binnenmarkt anlanden, desto höher ist die Versorgungssicherheit. Den europäischen Gasbinnenmarkt muss man sich wie eine Wanne vorstellen, die mehrere Einläufe hat. Deshalb ist jede neue Pipeline auch eine gute Pipeline und die Energiepartnerschaft zwischen Europa und Russland so wichtig.
Werden Sie alle Baugenehmigungen rechtzeitig erhalten?
Kürzlich hat Schweden notwendige Baugenehmigung für Nord Stream 2 erteilt. Jetzt fehlen nur noch Dänemark und eine Genehmigung in Russland, dann kann der Bau beginnen. Die aktuelle Diskussion darüber, dass Dänemark die Pipeline stoppen will, halte ich für Spekulation. Ein neues Gesetz, nach dem das dänische Außenministerium über die Genehmigung entscheiden soll, führt ja nicht automatisch zu einem Stopp der Nord-Stream-Pipeline. Nach meinem Wissen gibt es in Dänemark keine Intention, den Bau zu blockieren. In den europäischen Ländern gibt es zum Glück rechtliche Rahmenbedingungen für private Investoren. Deshalb gehe ich davon aus, dass es auch dort eine positive Entscheidung geben wird.
Und wie sieht es in der Ukraine aus?
Hier stellt sich die Frage, wohin die Milliardeneinnahmen aus den Transitgebühren in den letzten Jahrzehnten geflossen sind. Vielleicht hat die Ukraine nicht genug ihr Energienetz modernisiert, um die Versorgungssicherheit in Europa auch in Zukunft zu gewährleisten. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls auf. Außerdem gibt es auch hier bei der Liberalisierung und der Öffnung der Märkte bisher nicht die notwendigen Fortschritte. Danach könnte das Land auch für ausländische Investoren interessanter werden und wir hätten nicht die Diskussion, die aktuell geführt wird.
Warum wollen die USA die Pipeline unbedingt stoppen?
Diese Frage habe ich mir bereits 2014 gestellt. Für Wintershall war ich fünf Jahre lang für das gesamte Pipelinegeschäft in Deutschland und international verantwortlich, also auch für Nord Stream. Im Jahr 2014 gab es mit Sicherheit politische Motive für die Vorbehalte in den USA. Mittlerweile ist das Verhalten aber stark ökonomisch getrieben. Es scheint den USA darum zu gehen, amerikanisches Flüssiggas in Europa zu verkaufen. Washington versteht, dass der europäische Markt näher und interessanter ist, als zum Beispiel der asiatische Markt. Je weniger Pipelinegas in Europa ankommt, desto besser ist es für amerikanisches LNG, aber desto höher sind die Preise für Verbraucher.
Wie zukunftsträchtig ist das Russlandgeschäft für Wintershall?
Öl und Gas spielen in Europa als Ergänzung zu den erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle, daher wird auch die Energiepartnerschaft der EU mit Russland nicht an strategischer Wichtigkeit verlieren. Neben Norwegen zählt Russland zu den zuverlässigsten Lieferanten außerhalb der EU, wobei Russland als sogenannter „Swing-Producer“ über deutlich größere Kapazitäten als Norwegen verfügt und somit auch kurzfristige Nachfrageschwankungen ausgleichen kann.
Daher wird das Russlandgeschäft auch für Wintershall in Zukunft von großer Bedeutung bleiben. In unserem Portfolio ist Russland die Region mit der perspektivisch größten geplanten Produktionssteigerung.
Welche Folgen haben die US-Sanktionen auf Ihr Irangeschäft?
Die Iran-Aktivitäten der Wintershall gehen auf Anfang 2016 zurück. Das war direkt nach dem Atomabkommen, das nun von den USA aufgekündigt wurde. Der Iran ist für uns ein interessantes Gebiet zur weiteren Entwicklung. Was die Sanktionen betrifft, muss Europa gemeinschaftlich mit einer Meinung auftreten. Wir sollten einheitlich und stark auftreten, um Investitionen europäischer Unternehmen im Iran zu ermöglichen. Letztendlich schauen wir uns die Entwicklung jedoch ganz genau an.
Gibt es Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Hochtechnologien zur Erdöl- und Erdgasförderung in Russland?
Diese Einschränkungen gibt es seit dem Einsetzen der Sanktionen im Jahr 2014. Der russische Staat hat sich seitdem stark damit beschäftigt, bestimmte Produkte durch eigene Herstellung zu ersetzen. Inzwischen werden Technologien, die vor 10 Jahren auf dem Öl- und Gasmarkt gar nicht verfügbar waren, in Russland gefertigt. Die Sanktionen haben den technologischen Fortschritt und Innovationen in Russland auf einigen Gebieten extrem gefördert. Nun kommen westliche Unternehmen, die zuvor als Lieferanten aufgetreten sind, seltener zum Zug. Heute ist Russland so weit, dass wir unsere Projekte trotz Sanktionen vollumfänglich umsetzen können.
Wird China den deutschen Firmen in Russland den Rang ablaufen?
Russland hat außer Europa noch andere Optionen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Europäer die Partnerschaft zu Russland nicht verlieren.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Murin.
Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.