Stanton Chase: „Russland ist ein attraktiver Markt für Deutschland“

Dr. Karin von Bismarck, Partnerin bei Stanton Chase: „Russland ist ein attraktiver Markt für Deutschland“

Dr. Karin von Bismarck ist Partnerin des internationalen Recruiting-Unternehmens Stanton Chase sowie Vorstandsmitglied im Wirtschaftsclub Russland. Im Ostexperte.de-Interview spricht sie über Herausforderungen im digitalen Zeitalter, Anforderungen an moderne Führungskräfte, Aufstiegsmöglichkeiten für deutsche Expats und Besonderheiten auf dem russischen Markt.

Treffen Sie Dr. Karin von Bismarck auf der RUSummit – Fachkonferenz zur Digitalwirtschaft in Russland am 21. September 2018 in Berlin. 

Zur Person
Die Recruiterin Dr. Karin von Bismarck verfügt über mehr als 15 Jahren Erfahrung bei börsennotierten sowie kleinen und mittleren Unternehmen. Bevor sie im Jahr 2016 als Partnerin zu Stanton Chase kam, arbeitete sie bei internationalen Personaldienstleistern und leitete ihr eigenes Recruiting-Unternehmen in Großbritannien mit Schwerpunkt auf den CEE-Märkten. Zudem ist Dr. Karin von Bismarck Gründerin sowie Vorstandsmitglied des Wirtschaftsclubs Russland.

Welches sind die größten Herausforderungen für klassische Recruiter im digitalen Zeitalter?

Die Herausforderungen im digitalen Zeitalter stellen sich nicht nur für Recruiter, sondern auch für Unternehmen. Der “War of Talents” hat bereits begonnen und der Markt in Deutschland bzw. Europa, aber auch in Russland, wird als transparent empfunden. Jeder glaubt, Zugriff auf alle Informationen, alle Stellenangebote und alle Kandidaten zu haben. Wie Max Gutbrod von Baker McKenzie im letzten Interview mit Ihnen gesagt hat: „Es lohnt sich heute noch viel mehr als früher, auf die Qualität der Mitarbeiter zu setzen.” Viele Firmen glauben wegen des angeblich großen Angebots, dass sie leicht an gute Mitarbeiter herankommen. Diese Markttransparenz ist aber fiktiv – und die exzellenten Fachkräfte sind nicht frei auf dem Markt verfügbar.

Die Herausforderung für Recruiter ist daher manchmal, ihren eigenen Mehrwert zu beweisen. Wobei die Entwicklung in die Richtung geht, einen Chief Talent Officer einzustellen oder extern zu beauftragen, denn am Ende des Tages ist jede Firma nur so gut wie ihre Mitarbeiter.

Welche Qualitäten müssen Führungskräfte mitbringen, um auf dem russischen Markt erfolgreich zu sein?

Auch die Anforderungen an Führungskräfte haben sich stark gewandelt. Jemand, der heute erfolgreich sein will, braucht digitale Leadership-Kompetenzen wie Kreativität und Experimentierfreude, Vertrauensbereitschaft und Augenhöhe mit den Mitarbeitern, Online-Kommunikationskompetenz und Vernetzungskompetenz, Relationship-Management und Identitätsstiftung und besonders auch Offenheit und Transparenz. Das sind neue Kompetenzen, für die wir Führungskräfte fit machen, unter anderem mit einem Digital Leadership Assessment, das nur von Stanton Chase angeboten wird. Wichtig ist, dass Unternehmen sich dieser Notwendigkeit bewusst werden und nicht einfach alte Konzepte weiter nutzen.

Wie schwierig ist es, Führungskräfte für die russischen Regionen zu gewinnen?

Russland ist für Deutsche immer noch ein schwieriges Terrain. Russland hat sich toll entwickelt, insbesondere was Fachkräfte angeht. Es gibt viele intelligente und gut ausgebildete junge Russen, oftmals mehrsprachig mit internationaler Erfahrung, die Brücken bauen können zwischen alten russischen Ansätzen, digitalen russischen Natives, deutschen Mittelständlern und so weiter. Hier treffen häufig Welten aufeinander, aber es liegt an den richtigen Führungskräften, diese Brücke zwischen den Kulturen und auch zwischen analogem und digitalem Zeitalter zu überwinden.

Und es gibt auch sehr gute internationale Manager, die den russischen Markt sehr gut verstehen und Unternehmen zu Erfolgen geführt haben. Aber weder die eine, noch die andere Gruppe ist auf dem Arbeitsmarkt präsent oder „frei“, hier ist klassisches Executive Search gefragt.

Wie viele Interessenten bewerben sich in Russland üblicherweise auf eine hoch dotierte Position als General Manager? Wie läuft der Auswahlprozess normalerweise ab?

Wir arbeiten mandatsbezogen, das heißt, wenn wir von einem Unternehmen ein Mandat bekommen, einen CEO oder CFO oder Vertriebsdirektor zu suchen, dann stimmen wir mit der Firma die genauen Anforderungen ab. Wichtig ist hier insbesondere auch der kulturelle Fit.

Ein Kandidat, der in seinen Lebenslauf fünf Mal „Team Management“ geschrieben hat, wird von jedem Algorithmus als Team-Manager erkannt und vorgeschlagen. Für eine Vorauswahl mag das ja gut sein, aber passt der- oder diejenige zu einem Mittelständler? Kann die Kandidatin ein Team aufbauen? Was motiviert den Kandidaten? Das sind alles Dinge, die sich nicht digitalisieren lassen und die gerade bei Managementfunktionen sehr wichtig sind. Der deutsche Mittelstand ist speziell. Je nachdem sind auch die Anforderungen an das russische Team sehr speziell.

Wenn ich eine Firma in Russland kaufen möchte, dann wende ich mich an einen Anwalt, der sich mit M&A in Russland auskennt und durchforste nicht selbst das Internet nach M&A-Verträgen. Wenn es um die Mitarbeiter geht, wird aber häufig Geld gespart und stattdessen das Internet, die AHK oder der Freund gefragt. Wir haben einen klaren Prozess, der damit endet, dass unser Mandant am Ende aus den besten verfügbaren Kandidaten seinen neuen Mitarbeiter auswählen kann und auch, dass dies für den neuen Mitarbeiter ein Zugewinn an Erfahrung und Entwicklungspotential bietet. Rein monetäre Abwerbungen lehnen wir ab.

Welche Folgen hat die Tendenz, dass immer mehr Arbeitskräfte über das Internet gesucht werden?

Im Recruiting hat das dazu geführt, dass eine Menge Leute und Institutionen Recruiting anbieten, aber dabei nur Maklerleistungen betreiben. Datenbanken wie HeadHunter zu durchsuchen und dort eine Anzeige zu schalten ist ggf. ein Low-Level-Recruitment-Service, aber hat nichts gemein mit Direktansprache und Executive Search. Das ist, wie wenn ich im Discounter Sekt kaufe, ihn in eine Moët-Flasche umfülle und als Champagner verkaufe. Leider hat dies die Reputation auch von Stanton Chase in Mitleidenschaft gezogen. Es heißt einfach generell, es wird nicht gehalten, was versprochen wird, doch das stimmt nicht – wir halten unser Versprechen.

Inwiefern hat sich der russische Markt aus der Recruiting-Perspektive in den letzten Jahren gewandelt?

Der russische Markt unterliegt den gleichen Entwicklungen wie alle Märkte, aber als BRICS-Markt ist Russland in manchen Bereichen weniger entwickelt. Doch das gilt definitiv nicht für die IT!

Wie attraktiv ist Russland für deutschsprachige Expats aus wirtschaftlicher Perspektive? Hat sich das Image durch die Wirtschaftskrise verschlechtert?

Die Frage ist ja fast rhetorisch. Für deutschsprachige Expats ist Russland kein Abenteuer mehr, sondern ein anspruchsvoller Platz, um mit Netzwerkfähigkeiten Erfolg zu entwickeln.

Wie Sie wissen, bin ich ja auch Gründerin und Vorsitzende des Wirtschaftsclub Russland e.V. und wir fördern seit 2010 die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland und bringen Personen und Unternehmen zusammen. Hier haben wir trotz der politischen Situation in den letzten Jahren eine Menge Erfolge zu verzeichnen, nicht nur zwischen Deutschland und Russland, sondern bis nach China und entlang der neuen Seidenstraße mit unserer Initiative “New Silkroad Partnership”. Wir können die politische Situation nicht ändern, aber wir können Perspektiven für unsere Mitglieder aufzeigen. Russland ist ein attraktiver Markt für Deutschland und auch umgekehrt – und die Russen und die Deutschen verbindet mehr, als sie trennt.

Was macht den russischen Markt attraktiv für Arbeitnehmer? Gibt es für junge Menschen bessere Aufstiegsmöglichkeiten als in Deutschland?

Allein über diese Frage könnte man ein Buch schreiben, lassen Sie mich das kurz auf einen wesentlichen Aspekt herunterbrechen – die Digitalisierung.

Russland ist hier in vielen Aspekten weiter als Deutschland, aber nicht flächenübergreifend. Jedoch reden wir über eine Landmasse von zehn Zeitzonen. In den Ballungszentren ist die Digitalisierung weiter als in Deutschland, zum Beispiel Banking-Apps mit Währungsumtausch etc.

Ehrlich, ich denke, die Zukunft liegt in einer koordinierten Zusammenarbeit, es gibt viele innovative Start-ups in Russland, aber keine wirkliche Mittelstandskultur wie in Deutschland. Wir können beide voneinander profitieren. Netzwerke werden die Zukunft sein und Landesgrenzen werden, was Innovationen angeht, verschwinden. Am Ende des Tages sind es die Menschen und die persönlichen Beziehungen, die eine Zusammenarbeit möglich machen und Geschäftsideen nach vorne bringen – und zwar über Landesgrenzen hinweg.

Welche Positionen übernehmen deutsche Expats in Russland und in welchen Branchen arbeiten sie bevorzugt?

Deutsche Expats übernehmen vor allem Jobs, in denen sie ihre unternehmerischen Fähigkeiten entwickeln und umsetzen können. Da gibt es keine Branchenbegrenzung. Natürlich ist dies auch immer eigentümermotiviert und hat etwas mit Firmenkultur zu tun. Schlussendlich liegt der Erfolgsfaktor aber im Charakter, den Fähigkeiten und Motivationen des Managers, der nach Russland geht – hier wird auch in der längerfristigen Zukunft unsere komplexe Beratung und Unterstützung für jedes Unternehmen von großem Wert sein.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. von Bismarck.

Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.