Baker McKenzie: „Sanktionen sorgen für große Unsicherheit“

Max Gutbrod, Partner bei Baker McKenzie: „Russland-Sanktionen sorgen für große Unsicherheit“

Dr. Max Gutbrod arbeitet seit mehr als 20 Jahren für die internationale Anwaltskanzlei Baker McKenzie in Russland. Zu seinen Fachgebieten zählen Finanzen, Gesellschaftsrecht, M&A sowie laufende Beratung. Im Ostexperte.de-Interview spricht der Anwalt über Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in Russland, Korruption und den Zustand der russischen Wirtschaft.

Baker McKenzie
Baker McKenzie ist eine international tätige Anwaltskanzlei im Bereich des Wirtschaftsrechts und mit mehr als 4.200 Rechtsanwälten in 77 Büros in 47 Ländern. In der Russischen Föderation beschäftigt sie mehr als 120 Rechtsanwälte und betreibt Büros in Moskau und Sankt Petersburg.

Seit wann ist Baker McKenzie in Russland aktiv?

Baker McKenzie ist seit 1989 auf dem russischen Markt aktiv und beschäftigt hier insgesamt 120 Anwälte. Das Grundgeschäft ist Gesellschaftsrecht sowie die Begleitung ausländischer Mandanten nach Russland. Ich selbst bin seit mehr als 20 Jahren durchgehend in Russland. Meine Aufgabe war es ursprünglich, deutsche Mandanten für einen damals ganz neuen Markt zu gewinnen. Zu meinen Spezialgebieten zählt unter anderem der Finanzbereich. Dabei geht es häufig um die Frage, ob ausländische Dienstleister auf dem russischen Markt aktiv werden dürfen.

Häufig beklagen deutsche Unternehmen die mangelnde Rechtssicherheit in Russland. Was denken Sie darüber?

Antworten zum Thema Rechtssicherheit werden Sie in diversen Geschäftsklima-Umfragen der letzten 20 Jahren finden. Es gibt auch detaillierte Untersuchungen darüber, dass das Gerichtssystem nicht wirklich frei und unabhängig agiert. Dennoch hat sich die Situation über die Jahre wesentlich verändert. Heute kann ich das nicht beurteilen, aber Anfang der 90-iger hieß es, dass es schwer sei, in Südfrankreich oder in Portugal vor Gericht Recht zu bekommen. Dem ähnlich stellt sich in Russland zunächst die Frage: Wer ist der Gegner? Die Gegner, gegen die geringe Aussichten auf Erfolg bestehen, sind bekannt. Aber es gab auch einen Fall, in dem wir überraschend gegen ein Privatunternehmen gewonnen haben, das als aggressiv galt.

Wie problematisch ist das Thema Korruption?

Das ist eine schwierige Frage, weil wir keine direkte Erfahrung haben. Wir beteiligen uns nicht, wenn auch nur der Anschein der Korruption besteht. Von weitem kennen wir einige Bereiche, in denen wir besonders vorsichtig agieren, unter anderem die Registrierung seltener Gesellschaftsformen sowie bestimmte Lizenzen. Doch ich bekomme gleichzeitig mit, dass es mit der Korruption in den letzten zehn Jahren im Alltag besser geworden ist.

Wo äußern sich diese Veränderungen?

Früher war es üblich, dass man beim Anhalten im Straßenverkehr einen kleinen Betrag bezahlen musste. Personen aus einem entsprechenden Elternhaus hatten in der Schule fast nichts zu befürchten. Heutzutage geht das nicht mehr so einfach. Die Polizisten vermuten wohl, dass sie Probleme von oben bekommen könnten. Ich habe den Eindruck, dass die Korruption in diesen Bereichen gesunken ist. Grund dafür ist unter anderem die Digitalisierung der Verwaltung.

Sie sind seit 1995 in Russland. Welche Entwicklungen gab es seither im Wirtschaftsrecht?

Meiner Meinung nach ist das ein zweischneidiges Schwert. In den 90-igern hat der Staat ganz schnell Regeln eingeführt, die im Detail nicht überzeugt haben. Unter dem ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew gab es eine große Erneuerung, die m. E. eher hinderlich waren. Die seither erlassenen Gesetze waren zu detailliert und sind aus einem falschen Verständnis heraus entstanden. Der Gesetzgeber hatte z. B. das Gefühl, jegliche Art von Vertrag regeln zu müssen. Umgekehrt lassen sich Gerichte zunehmend von allgemeinen, ungeschriebenen Prinzipien leiten, die auch aus den Urteilen selbst nicht unmittelbar erkennbar sind. Manchmal, z. B. im Derivatbereich, haben Richter ganz merkwürdige Auffassungen vertreten. Insgesamt ist das russische Recht relativ umfänglich, sodass die Entwicklungen schwierig festzustellen sind.

Was müssen unerfahrene deutsche Unternehmen beachten, wenn Sie einen Markteintritt in Russland planen?

Ein deutsches Unternehmen sollte vor einem Markteintritt in Russland ein bisschen mehr Zeit einplanen als bei anderen Ländern. Aber letztlich benötigt man wie überall einen gesunden Menschenverstand. Wer vernünftig und klug agiert, wird viel mehr erreichen. Es lohnt sich heute noch viel mehr als früher, auf die Qualität der Mitarbeiter zu setzen. Es gibt viele intelligente und gut ausgebildete Menschen, die zweisprachig aufgewachsen sind und weder in sprachlicher noch in kultureller Hinsicht Kommunikationsschwierigkeiten haben.

Welche Auswirkungen haben die westlichen Sanktionen auf Ihr Russlandgeschäft?

Nach jedem Sanktionsschlag ist es fast schon zur Regel geworden, dass wir mehr Geschäfte als üblich machen. Doch nach einer gewissen Zeitspanne wird die Auftragslage ziemlich ruhig. Diese Erfahrung habe ich auch zur Krisenzeit 1998 gemacht. Anfangs herrschte wahnsinnig viel Trubel, doch im Jahr 2000 war plötzlich nichts mehr los. Heute ist es noch schwieriger geworden, die Situation vollständig zu beurteilen. Vor allem nach der jüngsten Sanktionswelle der US-Regierung lassen sich die Konsequenzen schwer beurteilen. Diese werden wir erst in einem Vierteljahr kennen. Fakt ist, dass schon durch die bisherigen Sanktionen ein wichtiger Teil des Russlandgeschäfts nachhaltig weggefallen ist. Die gegenseitigen Sanktionen sorgen bei den Unternehmen für große Unsicherheit. Das führt dazu, dass weniger investiert wird. Die Entwicklung des Kapitalmarkts lässt sowohl von der russischen als auch von der ausländischen Seite zu wünschen übrig.

Die Zentralbank hat in den letzten Jahren Hunderten Banken die Lizenz entzogen. Was steckt hinter diesen Aufräumarbeiten?

Eine denkbare Strategie wäre es, dass die Zentralbank schlechte Kreditinstitute aussortiert, um das Bankwesen zu modernisieren. Aber daran glaube ich persönlich nicht. In Wirklichkeit führen die Lizenzentzüge eher zur Verdrängung der Konkurrenz. Es ist schade, dass der russische Banksektor mit Problemen zu kämpfen hat. Darunter leiden vor allem die mittelständischen Unternehmen. Während die großen Konzerne ihr Geld aus China, den arabischen Ländern oder vom Kapitalmarkt beziehen, können sich KMU in Russland kaum vernünftig finanzieren.

Bis 2024 soll Russland laut Putin zu den fünf größten Volkswirtschaften der Welt aufsteigen. Wie realistisch ist das?

Die Glaubwürdigkeit solcher Äußerungen ist immer zu bezweifeln. Ich nehme an, dass die offiziellen Wachstumsraten der russischen Wirtschaft seit mehreren Jahren verfälscht werden. Zudem scheint bei Pensionen und Sozialverpflichtungen vieles von einem Topf in den anderen Topf verschoben zu werden, sodass die Ausgabenbelastung unklar bleibt. In Wirklichkeit vermute ich, dass das Wachstum der russischen Wirtschaft geringer ist als in der Statistik angegeben. Zudem gibt es in vielen Bereichen der Wirtschaft eine starke Vereinheitlichung. Zum Beispiel sind fast alle Stahlunternehmen staatlich oder im Besitz von staatsnahen Russen, kein Ausländer wagt sich da hinein. Es gibt fast keine unabhängigen Medien oder Ökonomen, die Entwicklungen beleuchten könnten. Einkommens- und Vermögensverteilung sind einseitig. Andererseits gibt es in den Bereichen Landwirtschaft und Start-Ups sehr positive Entwicklungen. Regierung und Unternehmen werden angesichts der verhältnismäßig langen Dienstzeiten der Entscheider ordentlich verwaltet. Insgesamt sehe ich den nächsten Jahren verhalten optimistisch entgegen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gutbrod.

Dieses Gespräch führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.