Rechnungshof-Präsidentin Golikowa hat Zweifel an Prognosen

Konjunktur und Finanzpolitik: Aktualisierung des Haushaltsplans 2017 – Rechnungshof-Präsidentin Golikowa hat ernste Zweifel an Prognosen

Ob beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg oder beim Gaidar-Forum in Moskau. Sie ist fast immer bei den Diskussionsrunden der russischen Wirtschaftselite auf dem Podium dabei: Tatjana Alexejewna Golikowa, seit 2013 Präsidentin des russischen Rechnungshofes. Die 51jährige kann auf eine steile Karriere zurückblicken. Schon 1999, gerade 33 Jahre alt, wurde sie Stellvertretende Finanzministerin, 2007 Gesundheits- und Sozialministerin.

Rechnungshof-Präsidentin mischt sich in Tagespolitik ein

Als deutscher Beobachter wundert man sich zunächst über die häufige Präsenz der Rechnungshof-Präsidentin in den Medien. Der deutsche Bundesrechnungshof macht schließlich meist nur mit der Aufdeckung besonders eklatanter Fälle öffentlicher Verschwendung Schlagzeilen. Zu prüfen, „ob die Einnahmen rechtzeitig und vollständig erhoben und ob die Ausgaben wirtschaftlich verwendet werden“, nennt die Bonner Behörde ja auch als ihre Hauptaufgabe.

Frau Golikowa sieht ihr Mandat offenbar sehr viel weiter gesteckt. Der russische Rechnungshof beschränkt sich nicht auf die Prüfung von Rechnungen und Stellungnahmen zur langfristigen Planung öffentlicher Finanzen. Die Präsidentin äußert sich häufig auch zu aktuellen Streitfragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Heftige Kritik Golikowas an Annahmen der neuen Haushaltsplanung

Ein Beispiel ist ihre Rede in der Duma am letzten Freitag. Zur Debatte stand das „Haushaltsergänzungsgesetz“, mit dem der im letzten Herbst beschlossene Haushalt für das Jahr 2017 und die Planungsperiode 2018-2019 aktualisiert wird.

Tatjana Golikowa verglich mit Hilfe einer umfangreichen Analyse des Rechnungshofs (sehr lesenswert!) die Annahmen, die die Regierung jetzt dem Haushaltsplan zugrunde legt, mit der bisherigen Entwicklung seit Jahresbeginn. Prognosen und Realität scheinen ihr in wichtigen Punkten kaum vereinbar.

Wachstum von 2 Prozent „extrem schwer“ erreichbar

Im Haushaltsgesetz, das im letzten Herbst beschlossen wurde, wurde noch davon ausgegangen, dass die russische Wirtschaft 2017 um 0,6 Prozent wächst. Jetzt wird ein viel stärkeres Wachstum um 2 Prozent angenommen.

Laut erster Schätzung von Rosstat war das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal aber nur 0,5 Prozent höher als vor einem Jahr. Um ein Wachstum von 2 Prozent im Jahresdurchschnitt zu erreichen, muss die gesamtwirtschaftliche Produktion vom zweiten bis zum vierten Quartal mehr als zwei Prozent höher als vor einem Jahr sein. Unter den aktuellen Bedingungen ist diese Beschleunigung, so Golikowa, „extrem schwer“ erreichbar.

Wirtschaftsminister Oreschkin hatte hingegen noch am Tag zuvor wiederholt, dass er weiterhin mit zwei Prozent Wachstum für dieses Jahr rechnet. In Anfang Juni veröffentlichten Umfragen bei Analysten wird hingegen weiterhin im Durchschnitt nur ein Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 1,3 Prozent (FocusEconomics) oder 1,4 Prozent (Reuters und Economist) erwartet.

Rubel-Abwertung auf 64,2 Rubel/US-Dollar ist „unwahrscheinlich“

Die neue Regierungsprognose geht außerdem davon aus, dass sich der Kurs des Rubel gegenüber dem Dollar im Jahresdurchschnitt 2017 auf 64,2 Rubel/US-Dollar abwertet. Im Zeitraum Januar bis Mai mussten aber nur 58,02 Rubel für einen Dollar bezahlt werden. Dass die Kursprognose trotzdem noch erreicht wird, hält die Präsidentin des Rechnungshofs für „unwahrscheinlich“.

Einkommen und privater Verbrauch weiter gesunken

Kritisch beurteilt Golikowa auch die Prognose der Regierung, dass der Anteil der Bürger mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze in diesem Jahr von 13,9 Prozent auf 12,9 Prozent sinken wird. Sie weist darauf hin, das real verfügbare Einkommen habe im Zeitraum Januar bis April das Vorjahresniveau noch um 2,2 Prozent unterschritten. Dass die Renten in den ersten vier Monaten real 8,9 Prozent höher waren, sei nur der einmaligen Sonderzahlung im Januar zuzuschreiben. Im Februar, März und April seien die Renten real wieder etwas niedriger als im Vorjahresmonat gewesen.

Der Rückgang der realen Verbrauchsausgaben habe in den ersten 4 Monaten zwar nur noch 1,4 Prozent betragen, sei aber immer noch beachtlich, da die Regierungsprognose von einem Anstieg um 1,9 Prozent in diesem Jahr ausgehe.

Einnahmen aus Dividendenzahlungen werden deutlich überschätzt

Eine unangenehme Überraschung kann es für den Finanzminister nach Einschätzung von Golikowa auch bei den Zahlungen von Dividenden aus Staatsbeteiligungen geben. Während im Entwurf für die Aktualisierung des Haushaltsplans 483 Milliarden Rubel Dividendeneinnahmen veranschlagt sind, dürften es laut Golikowa wohl rund 205 Milliarden Rubel weniger werden.

Diese Mindereinnahmen könnten auch nicht durch höhere Einnahmen des Staates aus dem Öl- und Gasbereich völlig ausgeglichen werden. Nach groben Schätzungen sind hier, so Golikowa, rund 120 bis 130 Milliarden Mehreinnahmen zu erwarten, wenn der Ölpreis im restlichen Jahresverlauf so hoch bleibe wie er in den ersten 5 Monaten war (51,15 Dollar/Barrel). Der im Haushaltsentwurf für 2017 angenommene Ölpreis (45,6 Dollar/Barrel) erscheint, so heißt es im Bericht des Rechnungshofs, den Prüfern jedenfalls „außerordentlich konservativ“.

Budgetdefizit sinkt voraussichtlich auf rund 2 Prozent des BIP

Wesentliche Änderungen an der von der Regierung vorgesehenen Aktualisierung des Haushaltsgesetzes dürfte es trotz der Bedenken des Rechnungshofs in den weiteren Beratungen der Duma aber nicht geben. Das Parlament stimmte dem Entwurf in erster Lesung zu.

Im Haushalt ist jetzt vorgesehen, dass das Defizit in diesem Jahr auf 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden kann, deutlich stärker als bisher geplant war (3,2 Prozent des BIP). Im letzten Jahr war das Defizit auf 3,4 Prozent gestiegen.

Quellen und Lesetipps:

Haushaltsplanung

 Konjunktur

Titelbild
[toggle title=”Foto” open=”no”]Tatjana Golikowa. Vorsitzende des Rechnungshofs der Russischen Föderation. Quelle: Kreml-Pressefoto