Zoff bei Maischberger: Streit über Russlandpolitik

Zoff bei Maischberger: Streit über Russlandpolitik

Nachlese zur Putin-Wahl: Stimmen aus Politik und Medien, Wissenschaft und Wirtschaft

Rund um die russische Präsidentenwahl häuften sich Talk-Shows, Interviews, Berichte und Kommentare zur Russland-Politik. Wir versuchen die Orientierung in der Informationsflut zu erleichtern.

  • Was haben Politiker, Publizisten und Verbände zur Russland-Politik verlauten lassen?
  • Wo sind Interviews, Kommentare und Studien von Wissenschaftlern zu finden?

Zahlreiche Lesetipps dazu finden Sie am Schluss dieses Berichts. Vielleicht bleibt in der Osterpause Zeit für die Lektüre. Hier eine Auswahl besonders bemerkenswerter Fernseh- und Rundfunksendungen:

Fragen an Gabriele Krone-Schmalz im Saarländischen Rundfunk

Die frühere ARD-Korrespondentin in Moskau (1987-1991) und Autorin des Buches „Russland verstehen“ konnte am letzten Sonntag im Saarländischen Rundfunk in der Sendung „Fragen an den Autor“ zu ihrem im Herbst erschienene Buch „Eiszeit“ und zu aktuellen Fragen der Russland-Politik knapp eine Stunde lang ausführlich Stellung nehmen. Die Autorin hatte sich Ende 2017 in einem Sputnik-Interview noch über das geringe Interesse deutscher Medien an ihrem neuen Bestseller „Eiszeit“ gewundert (Ostexperte.de berichtete). Nach ihrer Teilnahme an den Gesprächsrunden bei Markus Lanz (Ostexperte.de berichtete) und bei Maischberger hat sie dazu wohl keinen Anlass mehr.

In „Fragen an den Autor“ bei SR2 äußerte sich Krone-Schmalz unter anderem zu folgenden Themen:

  • Das Skripal-Attentat; die Reaktion der Regierung May (ab Minute 3 und Min. 43)
  • Ursachen des Wahlerfolgs von Putin; warum „Stabilität“ und die Vermittlung von nationalem Selbstwertgefühl für die Russen so wichtig sind (Min. 9)
  • Unterschiedliche Interessen der USA und Deutschlands in der Sanktionspolitik (Min. 21)
  • Der Ukraine-Konflikt und die Krim-Annexion (Min. 25)
  • Die Nato-Osterweiterung und der Nato-Raketenabwehrschirm (Min. 33 und 50)
  • Die Syrien-Politik Russlands (Min. 45)
  • Vorschläge von Krone-Schmalz für „vertrauensbildende Maßnahmen“ im militärischen Bereich und für die Lösung der Krim-Frage (Min. 52)

„Maischberger“ mit kontrovers besetzter Gesprächsrunde

Von den TV-Sendungen zur Russland-Politik im Umfeld der Präsidenten-Wahl fand wohl die Talk-Show von Sandra Maischberger am 21. März das größte Interesse bei Medien und Publikum.

Gabriele Krone-Schmalz hatte bereits vor rund drei Jahren bei „Maischberger“ für Aufsehen gesorgt. Sie drohte damals, die Gesprächsrunde vorzeitig zu verlassen. Auch diesmal machte sie Schlagzeilen. Merkur.de überschrieb seinen Bericht: Schriller Streit im TV: „Wollen sie Zoff? Journalistin geht Maischberger im ARD-Talk an“.

Wagenknecht gegen Brok

Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Bundestagsfraktion „Die Linke“, und der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, vertraten bei „Maischberger“ erwartungsgemäß kontroverse Positionen.

Brok sprach sich zwar gegen einen Boykott der Fußball-WM in Russland aus (Minute 40). Er will an den Sanktionen gegen Russland aber festhalten. Die EU habe beschlossen, „dem Aggressor zu zeigen, dass Krieg teuer ist“ (Minute 42). Die Kritik Wagenknechts, bei Verstößen gegen das Völkerrecht werde in der Ukraine und im Kosovo „mit zweierlei Maß“ gemessen, wies er zurück (Minute 51).

Wagenknecht stellte fest, die Sanktionen gegen Russland hätten kein Problem gelöst. Sie schadeten der russischen und der deutschen Wirtschaft. Damit käme man nicht weiter (Minute 49).

Lielischkies gegen Krone-Schmalz; Sandra Maischberger:„Zwei fundamental unterschiedliche Sichtweisen

Bissig war insbesondere die Diskussion zwischen dem ARD Studioleiter in Moskau Udo Lielischkies und Gabriele Krone-Schmalz.

Als in der ersten halben Stunde der Gesprächsrunde bei Maischberger das Attentat auf den Doppelagenten Skripal und seine Tochter diskutiert wurde, meinte Udo Lielischkies, fast alle Kommentatoren im russischen Fernsehen sagten, die Zuspitzung des Konflikts mit der EU durch das Attentat habe Putin die erwünschte höhere Wahlbeteiligung gebracht. Putin brauche den Konflikt mit dem Westen, weil er sich dann als der „tapfere Präsident“ darstellen könne, der sich dem „aggressiven Westen“ entgegen stelle (Minute 26). Das sei genau „seine Story“.

Angesichts dieser Ausführungen von Lielischkies „blies Gabriele Krone Schmalz schon entnervt die Backen auf“, bemerkt der Münchner Merkur in seinem Bericht zur Talk-Show.

Lielischkies findet Meinungen von Krone-Schmalz „sehr merkwürdig“; „Putin braucht ein äußeres Feindbild“ meint er

Gabriele Krone-Schmalz kritisierte wie in ihren Büchern, dass der Westen Angebote Putins zur Zusammenarbeit ignoriert habe (Minute 30). Nun befänden wir uns in einer riskanteren Zeit als während des Kalten Krieges.

Als Krone-Schmalz dafür warb, eine neue Entspannungspolitik einzuleiten statt weiter an der Eskalationsspirale zu drehen, entgegnete ihr früherer ARD-Kollege Lielischkies (Minute 32):

„Ich kenne Ihre Bücher, ich kenne Ihre Meinungen und fand sie von Anfang an sehr merkwürdig. Dass quasi eine „historische Kränkung“ Putin in die Schmollecke brachte, und er dann alle möglichen furchtbaren Dinge machte, … – nein, das ist für mich schwer nachvollziehbar.

Ich gebe Ihnen mal mein Gegenmodell. Illarionov, einer seiner Wirtschaftsberater, hat ganz klar gesagt, dass Putin spätestens 2006 beschlossen hat, dass er diesen Kurs der Isolierung vom Westen will. Er braucht das äußere Feindbild, weil er merkt, er kriegt den eigenen Laden mit seiner Methodik nicht hin.

Es ist wirklich ein kleptokratisches Tributsystem. Er hat die Industrie inzwischen von 35 Prozent auf 70 Prozent verstaatlicht. Sie ist völlig sklerotisch und ineffektiv. Die Leute leben schlechter. Als der Ölpreis abstürzte war es vorbei mit dem Glück.

Es ging alles wunderbar gut, als der liebe Gott ihm hohe Ölpreise besorgte. Davon zehrt er heute ja noch. Er kam zur Macht und nach drei Jahren hatte das Ding sich versechsfacht. Jelzin hat mit 25 Dollar gearbeitet, Putin hatte irgendwann mal 147 Dollar pro Barrel. Er hat also ein sechsfaches Einkommen bekommen. Er konnte natürlich Wohltaten verteilen, das Volk liebte ihn dafür.

Aber irgendwann ist die strukturelle Krise natürlich deutlich geworden – 2012 spätestens. Und die muss natürlich passieren, wenn Sie einen Staat haben, der von einer kleinen Schicht loyaler Menschen um Sie herum, die ihre Macht absichern, ausgelutscht wird. Inzwischen ist die Hälfte des russischen Vermögens im Ausland.“

Da blieb Moderatorin Maischberger nur festzustellen, dass Lielischkies und Krone-Schmalz „zwei fundamental unterschiedliche Sichtweisen“ einnehmen.

Als Gabriele Krone-Schmalz später im Hinblick auf die Situation in der Ukraine für „vertrauensbildende Maßnahmen“ warb und die Befürchtung äußerte, wir katapultierten uns in eine Kriegsgefahr hinein, meinte Lielischkies (Minute 58):

„Sie bauen Ihre Mythen so schnell auf, dass man kaum hinterherkommt.“

Er entgegnete Krone-Schmalz, selbst der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch, habe im Osten seines Landes für ein Assoziierungsabkommen mit der EU geworben – bis Putin es sich anders überlegt habe.

Bild-Desinformationen zu Krone-Schmalz und zum Petersburger Dialog

Bild stellt Gabriele Krone-Schmalz in einem Bericht über die Talk-Runde übrigens so vor:

Die Ex-ARD-Korrespondentin leitet den „Petersburger Dialog“ von Putin und Schröder. Journalistische Unabhängigkeit geht anders!“

Da darf man Bild wohl antworten: „Journalistische Sorgfalt geht anders!“. Tatsächlich ist Krone-Schmalz eines von zahlreichen deutschen „Mitgliedern“ im Petersburger Dialog, der sich als „Forum für den Dialog der Zivilgesellschaften“ definiert. Auf der Internet-Seite des Dialogs könnte man lesen:

„Der Petersburger Dialog wurde als deutsch-russisches Diskussionsforum im Jahr 2001 ins Leben gerufen und fördert die Verständigung sowie einen offenen Dialog zwischen allen Bereichen der Zivilgesellschaften beider Länder. Er steht unter der Schirmherrschaft des jeweils amtierenden deutschen Bundeskanzlers und des jeweils amtierenden russischen Präsidenten und findet in der Regel einmal jährlich abwechselnd in Deutschland und in Russland statt.“

Zu den Mitgliedern auf deutscher Seite gehören auch bekannte „Putin-Kritiker“ wie zum Beispiel Marieluise Beck und Ralf Fücks, die 2017 das „Zentrum Liberale Moderne“ in Berlin gründeten. Marieluise Beck ist auch Mitglied im Vorstand des Petersburger Dialoges.

ARD-Börsenexpertin Anja Kohl: „Wirtschaftsleistung sank um 40 Prozent“

Die ARD-Wirtschaftsjournalistin Anja Kohl meinte zur Wirtschaftsentwicklung in Russland bei „Maischberger“ unter anderem (Minute 47:40):

„Seit 2014 ist die Wirtschaftsleistung um 40 Prozent zurückgegangen“.

In der Maischberger-Runde wurde diese Behauptung zwar ohne erkennbaren Protest der Teilnehmer hingenommen. Bei vielen Zuschauern dürften aber doch Zweifel aufgekommen sein. Ist die gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland seit 2014 tatsächlich um 40 Prozent gesunken?

Zum „Faktencheck“: Die „Russia Statistics“ des Forschungsinstituts der finnischen Zentralbank, BOFIT, bieten Angaben zur nominalen und realen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in Rubel, Dollar und Euro.

Den üblichen Indikator für die Entwicklung einer Volkswirtschaft, also die Veränderungsrate des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts, kann Anja Kohl wohl nicht gemeint haben, als sie von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 40 Prozent sprach. Real ist die gesamtwirtschaftliche Produktion seit 2014 zwar gesunken, aber nur um 2,5 Prozent im Jahr 2015 und um 0,2 Prozent im Jahr 2016.

Vielleicht hat sich die Börsenexpertin an Angaben zur Entwicklung des nominalen russischen Bruttoinlandsprodukts erinnert, also ohne Inflationsbereinigung und auch nicht in Rubel, sondern in US-Dollar. So definiert ist die russische Wirtschaftsleistung tatsächlich um rund 40 Prozent gesunken. Allerdings nicht von 2014 bis 2017, sondern von ihrem bisher höchsten Stand im Jahr 2013 bis 2015.

Bei einer Durchsicht der zur Präsidentenwahl erschienenen Berichte führender deutscher Medien mit Angaben zur Entwicklung des Wirtschaftswachstums zeigt sich: Fehler sind selbst bei dieser sehr oft verwendeten Kennziffer häufig. Sogar „Der Spiegel“  und die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichten Charts mit veralteten oder falschen Daten zur Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts. Vermutlich verhindern Einsparungen bei den Print-Medien eine rasche Aktualisierung von Grafiken.

Professor Mangott: „Die wirtschaftliche Lage hat sich stabilisiert“

In einem Bayern 2-Tagesgespräch („Nach der Wiederwahl Putins: Ist Russland ein vertrauenswürdiger Partner?), zu dem auch die russische Historikerin Irina Scherbakowa (Menschenrechtsorganisation Memorial) interviewt wurde, beschrieb der österreichische Russland-Experte Professor Gerhard Mangott (Universität Innsbruck) die tatsächliche aktuelle wirtschaftliche Lage in Russland:

„Wenn Frau Scherbakowa sagt, die wirtschaftliche Lage hat sich nicht stabilisiert – das ist halt, wenn wir uns die Zahlen ansehen, nicht richtig. Es gab 2015 und 2016 in Russland eine Rezession, aber 2017 gab es wieder ein Wachstum von etwa 1,5 Prozent.

Das ist sehr wenig für eine Schwellenlandökonomie und ohne die schon lange notwendigen Strukturreformen wird das Wachstum auch in den nächsten Jahren über 2 Prozent nicht hinauskommen. Aber es gibt wieder ein Wachstum. Es wird dieses Jahr wieder ein Wachstum der Reallöhne geben. Die Inflation ist so niedrig – nämlich bei 4 Prozent – wie nie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die öffentliche Verschuldung auch.

Also ja, Russland ist nicht mehr auf einem optimistischen Wachstumspfad, aber es ist nicht mehr in der wirtschaftlichen Krise.“

Professor Mangott: Wir sollten uns nicht durch eine finanzielle Unterstützung der Opposition in die Innenpolitik Russlands einmischen

Professor Mangott nahm im Bayern2-Tagesgespräch auch zur Frage Stellung, ob der Westen versuchen sollte, durch eine finanzielle Unterstützung der Opposition eine Demokratisierung Russlands anzustoßen. Zur Frage einer Einmischung des Westens in die russische Innenpolitik meinte er (Minute 28:30):

„Glauben wir, dass wir von außen Russland demokratisieren können? Und Russland ist zweifelsohne keine Demokratie, sondern eine autoritäre Herrschaftsordnung, die aber Wahlen zur Legitimierung braucht.

Glauben wir, dass wir von außen die Demokratisierung anstoßen sollen, etwa durch finanzielle Unterstützung der Opposition, von Nichtregierungsorganisationen und ähnlichem? Oder finden wir uns damit ab zu kritisieren, was zu kritisieren ist, …

Mischen wir uns konkret in die Innenpolitk ein? Und da meine ich, das sollten wir von beiden Seiten aus nicht tun.“

Irina Scherbakokwa dürfte zur Frage der finanziellen Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen in Russland ganz anderer Meinung sein.

In diesem Zusammenhang auch interessant: Zur Frage „Kann Russland keine Demokratie?“ führte Scherbakowa kürzlich ein Gespräch mit Ralf Fücks, das beim „Zentrum Liberale Moderne“ als Video verfügbar ist.

Aktualisierte Lesetipps zum Artikel „Zoff bei Maischberger“

Lesetipps zur Präsidentenwahl und zur Russland-Politik

Diskussionen in Fernsehen und Radio zur Russland-Politik

Parteien und Verbände zur Russland-Politik

CDU

SPD

FDP

B90/Die Grünen

Die Linke

Deutsch-Russisches Forum

AHK Moskau, Ostauschuss der Deutschen Wirtschaft, DIHK;
Matthias Schepp, Wolfgang Büchele und Volker Treier:

Wissenschaftler und „Think Tanks“ zur Russland-Politik

Professor Gerhard Mangott, Politologe an der Universität Innsbruck

Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP

Ralf Fücks (Zentrum Liberale Moderne) und Irina Scherbakowa (Menschenrechtsorganisation Memorial) zu Prof. Jörg Baberowski:

Prof. Hans-Henning Schröder

TV- und Radio-Reportagen

Presseberichte und Studien zu Politik und Wirtschaft in Russland

Wissenschaftler und „Think Tanks“ zur Russland-Politik

Russland-Analysen, Bundeszentrale für politische Bildung

Russland-Analysen Nr. 351: Präsidentschaftswahlen in Russland

  • Keine Veränderung der russischen Politik im Hinblick auf den Krieg im Donbass zu erwarten; von Sabine Fischer (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin)
  • In der Falle.Sechs weitere Jahre rechtspolitischer Stillstand; von Caroline von Gall (Universität zu Köln)
  • Großmachtnarrativ und Konfrontation mit dem Westen: Putin geht den Weg des geringsten Widerstands; von Regina Heller (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg)
  • Die vierte Amtszeit Putins: Wird Russland weniger oder stärker berechenbar? Von Alexander Libman (Ludwig-Maximilians-Universität München)
  • In der Wagenburg – Putins Russland nach der Präsidentschaftswahl; von Stefan Meister (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin)
  • Putins letzter Coup; von Gwendolyn Sasse (Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, Berlin)
  • Dystopische Wahlmonarchie; von Dirk Uffelmann (Universität Passau)
Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), Maischberger – 2017-04-26-3021, Zuschnitt auf 1040×585., CC BY-SA 4.0