Wirtschaftsministerium senkt Prognose für 2020

Wirtschaftsministerium senkt Wachstumsprognose für 2020

Unrealistisches Wunschdenken kann man dem russischen Wirtschaftsminister nicht vorwerfen, zumindest nicht was seine Wachstumserwartungen für 2019 und 2020 angeht. Als die Regierung Mitte Juni 2018 beschloss, die Mehrwertsteuer Anfang 2019 um zwei Prozentpunkte zu erhöhen, senkte das Wirtschaftsministerium umgehend seine Wachstumsprognose für 2019 von 2,2 Prozent auf 1,4 Prozent und wenig später auf 1,3 Prozent. Jetzt nahm es auch seine Prognose für 2020 zurück.

Schwaches Wachstum 2019

Mit seiner Wachstumseinschätzung für 2019 wird das Ministerium offenbar weitgehend recht behalten. Inzwischen haben jedenfalls fast alle Konjunkturexperten ihre Prognosen für das laufende Jahr ähnlich stark gesenkt. Nach der Rating-Agentur Fitch nahm zuletzt auch die Agentur Moody’s Ende August ihre Prognose auf 1,2 Prozent zurück. Mit so wenig Wachstum rechneten im Durchschnitt auch die Analysten bei der Juli-Umfrage von FocusEconomics. Auch deutsche Banken (Helaba, Berenberg Bank) senkten im August ihre Wachstumsprognosen für Russland. Bei der am Freitag veröffentlichten Reuters-Umfrage rechneten die Analysten für dieses Jahr erneut nur mit 1 Prozent Wachstum.

Wachstumsprognosen 2019 bis 2021
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

   201920202021
Reuters Umfrage30.08.191,0
Russisches Wirtschaftsministerium26.08.191,3
Urals 62,2 $/b
1,7
Urals 57,0 $/b
3,1
Urals 56,0 $/b
Berenberg Bank, Hamburg26.08.190,81,01,7
Helaba, Frankfurt23.08.191,31,7
Commerzbank, Frankfurt23.08.191,51,2
Economist Intelligence Unit23.08.191,31,51,7
Moody’s Rating Agency22.08.191,21,5
ING, Amsterdam19.08.191,01,51,7
OPEC, Wien16.08.191,31,4
DekaBank, Frankfurt13.08.191,11,6
Macro Advisory, Moscow09.08.191,11,9
Fitch Ratings09.08.191,21,91,9
HSE Development Center-Umfrage05.08.191,11,71,7
Internationaler Währungsfonds02.08.191,21,92,0
FocusEconomics
Consensus Forecast
30.07.191,21,81,8
CMASF, Moskau29.07.191,11,82,1
Citibank26.07.191,52,5
ACRA Rating Agentur, Moskau23.07.190,90,81,8
S&P Rating Agentur19.07.191,31,8
RIA Rating19.07.191,0
BNP Paribas, Paris15.07.191,21,8
WIIW, Wien04.07.191,31,71,9
Alfa Bank, Moskau02.07.190,81,2
Russische Zentralbank,
Basisszenario
14.06.191,0 bis 1,5
Urals 65 $/b
1,8 bis 2,3
Urals 60 $/b
2,0 bis 3,0
Urals 55 $/b
Weltbank;
Global Economic Prospects
04.06.191,21,81,8
Russisches
Wirtschaftsministerium
09.04.191,3
Urals 63,4 $/b
2,0
Urals 59,7 $/b
3,1
Urals 57,9 $/b

Neue Prognose 2020: Nur 1,7 Prozent statt 2,0 Prozent Wachstum

Für das nächste Jahr plante das Wirtschaftsministerium bisher noch ein Wachstum von 2,0 Prozent ein. Die von FocusEconomics befragen Analysten rechneten schon im Juli hingegen im Durchschnitt nur noch mit 1,8 Prozent (die August-Umfrage erscheint am 03. September).

Am letzten Montag veröffentlichte das Wirtschaftsministerium nun neue Prognosenfür die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Sie werden am 19. September im Regierungskabinett beraten und sollen als Grundlage für die Haushaltsplanung dienen.

Seine Wachstumsprognose für 2020 passte das Ministerium den vorherrschenden Erwartungen an. Es nahm sie von 2,0 Prozent auf 1,7 Prozent zurück.

Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts
Veränderung gegenüber Vorjahr in Prozent

Wirtschaftsministerium: Russian economy under the influence oft he credit cycle; S. 1; 26.08.2019

Ministerium erwartet Abflauen des Booms der Verbraucherkredite

Als ein Risiko für die erwartete Beschleunigung des Wirtschaftswachstums auf 1,7 Prozent im nächsten Jahr und 3,1 Prozent im Jahr 2021 sieht das Wirtschaftsministerium das Wachstum der Verbraucherkredite.

In seinem Basis-Szenario geht es davon aus, dass sich das Wachstum der Konsumentenkredite bis Ende 2020 auf 4 Prozent im Vorjahresvergleich verlangsamt. Der Anstieg des Verbrauchs dürfte deswegen von 1 Prozent in diesem auf 0,6 Prozent im nächsten Jahr abnehmen.

Einige führende Banken teilen diese Erwartung offenbar nicht.

So meinen Analysten der Sberbank in einem Kommentar zu den Prognosen des Ministeriums, das Wachstum der Verbraucherkredite werde sich langsamer abschwächen. Der Verbrauch dürfte deswegen stärker zunehmen als das Ministerium erwartet. Die Sberbank geht davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum daher im nächsten Jahr auf 2,3 Prozent beschleunigen wird.

Die Citibank, so die Economic Expert Group in ihrem August-Bericht, prognostizierte Ende Juli noch, dass die russische Wirtschaft 2020 um 2,5 Prozent wachsen wird. Sie rechnete dabei damit, dass sich das Wachstum des privaten Verbrauchs von 1,8 Prozent in diesem Jahr auf 2,5 Prozent im nächsten Jahr beschleunigt.

Schwacher Konsum drückt Inflation 2020 auf 3 Prozent

Das Wirtschaftsministerium geht bei einem Abflauen des Wachstums der Aufnahme von Verbraucherkrediten und des Wachstums des privaten Verbrauchs davon aus, dass die Inflationsrate, die bereits Ende 2019 auf 3,8 Prozent zurückgegangen sein dürfte, im ersten Halbjahr 2020 zeitweilig knapp unter 3 Prozent sinken dürfte. Ende 2020 wird sie laut Ministerium bei 3,0 Prozent liegen, mit dem Anziehen der Konjunktur bis Ende 2021 aber auf das angestrebte Inflationsziel von 4,0 Prozent steigen.

Verbraucherpreisanstieg
Veränderungen gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent

Wirtschaftsministerium: Russian economy under the influence oft he credit cycle; S. 1; 26.08.2019

Investitionen sollen 2020 Wachstumstreiber werden

Das Ministerium sieht im nächsten Jahr angesichts der erwarteten Verlangsamung des Wachstums des Verbrauchs die Investitionen als Wachstumstreiber. Ihr Anstieg soll von rund 2 Prozent im Jahr 2019 auf rund 5 Prozent im Jahr 2020 anziehen.

Zur Belebung der Investitionen sollen laut Ministerium geringere administrative Belastungen der Unternehmen beitragen. Die Investitionsneigung soll außerdem durch eine Wiederherstellung des Vertrauens in das Rechtssystem gefördert werden.

Ungebrochener Optimismus für 2021

Im Jahr 2021 geht das Ministerium im Basis-Szenario weiterhin von einem deutlichen Wachstumssprung nach oben aus. Das Bruttoinlandsprodukt soll dann mit 3,1 Prozent fast doppelt so schnell wachsen wie im nächsten Jahr.

Damit bleibt das Wirtschaftsministerium für 2021 und die folgenden Jahre deutlich optimistischer als andere Experten. Selbst der relativ zuversichtliche Internationale Währungsfonds erwartet, dass das Wachstum der russischen Wirtschaft 2021 nur 2,0 Prozent erreichen kann.

Rezession im Jahr 2021 möglich, aber unwahrscheinlich

Das Ministerium schließt allerdings für 2021 auch eine Rezession nicht völlig aus. Wird versäumt, mit effektiven Maßnahmen das Wachstums der Verschuldung der privaten Verbraucher allmählich zu begrenzen, kann es nach Meinung des Ministeriums 2021 zu einem plötzlichen Einbruch der Kreditvergabe und des privaten Verbrauchs kommen. Das Bruttoinlandsprodukt würde dann 2021 um 0,6 Prozent zurückgehen statt um 3,1 Prozent zu wachsen. Diese Entwicklung hält das Ministerium aber für unwahrscheinlich.

Einkommen hinken der Produktionserholung noch weit hinterher

Die Erholung der gesamtwirtschaftlichen Produktion der russischen Wirtschaft von der Rezession um 2,3 Prozent im Jahr 2015 ist in den Geldbörsen der Bürger bisher nicht angekommen. Ihre frei verfügbaren Einkommen sinken real zwar nicht mehr. 2018 stiegen sie bei einem Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent aber nur um 0,1 Prozent.

Präsident Putin wies in seinen einleitenden Worten bei einem Treffen mit dem „Wirtschaftskabinett“ (Finanzminister Siluanow, Zentralbankpräsidentin Nabiullina, Wirtschaftsminister Oreschkin) darauf hin, dass die Real-Einkommen trotz des Wachstums der Wirtschaft und sinkender Preissteigerungen bisher nur sehr langsam gestiegen sind.

Laut der neuen Prognose des Wirtschaftsministeriums werden sie auch in diesem Jahr nur um 0,1 Prozent zunehmen (nachdem sie im ersten Halbjahr laut Rosstat im Vorjahresvergleich um 1,3 Prozent sanken). Im nächsten Jahr soll es dann bei einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent einen Anstieg der frei verfügbaren Einkommen um 1,5 Prozent geben. Auch in den folgenden Jahren bis 2024 werden die Einkommen laut Basisszenario Jahr für Jahr etwas schwächer zunehmen als die gesamtwirtschaftliche Produktion.

Gleichzeitig soll sich die Armutsquote aber wie von Präsident Putin in den Mai-Dekreten gefordert fast halbieren. Sie soll von 12,6 Prozent (2018) auf 6,6 Prozent im Jahr 2024 sinken.

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild:  Sergey Fedoskin /Shutterstock.com
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Quellen und Lesetipps

Konjunkturberichte von Wirtschaftsministerium, Rosstat und Zentralbank
mit Analysten- und Medien Berichten:

Wirtschaftsministerium: Prognose vom 26.08.2019

Zentralbank: Monatsbericht Wirtschaft Juli 2019

Wirtschaftsministerium: Monatsbericht Wirtschaft Juli 2019

Industrieproduktion im Juli

Bruttoinlandsprodukt – Wachstum im zweiten Quartal

Wirtschaftsministerium: „Bild der Wirtschaft“

Inflation im Juli

Zentralbank: „Talking Trends“

IWF-Länderbericht:

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (meist monatlich, vierteljährlich)

Sonstige Veröffentlichungen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann seit Anfang August 2019: