Quo vadis, Energiesektor?
So sehen europäische Energieunternehmen ihre Zukunft in Russland
Auf der Flaggschiff-Konferenz der Association of European Businesses (AEB) war der russische Energiesektor wichtiges Thema. Die Vertreter der vier größten europäischen Energieunternehmen sahen Russland dabei trotz der derzeitigen Krise als ideales Zentrum zwischen Ost und West.
Russland ist „natürlicher Partner“ Europas. Seit die Sanktionen bestehen, wird das bei europäisch-russischen Wirtschaftsveranstaltungen immer wieder betont. Ebenfalls werden dann die Gemeinsamkeiten, die bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit und die langfristigen Perspektiven hervorgehoben.
Nicht anders war es bei der Konferenz der AEB Ende Mai, die den Titel trug: „Russian Economy: Quo vadis?“ – Wohin des Weges, russische Wirtschaft? Momentan muss die Antwort auf diese Frage lauten: zunächst in die Rezession. Für 2015 prognostizierte die Weltbank am 1. Juni einen Rückgang der russischen Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent. Das waren immerhin schon weniger als die 3,8 Prozent Rückgang, die sie im April vorhersagte.
Doch über die Krise zu jammern, stand nicht auf dem Tagesprogramm. Daher richtete man den Blick auf die Zukunft – vor allem auf die des Energiesektors, der von einer gemeinsamen und vor allem langfristigen Zusammenarbeit Russlands und Europas gekennzeichnet ist.
Der Energiesektor ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Russlands und trägt etwa die Hälfte zur gesamten Industrieproduktion des Landes bei. Während des Haupt-Panels der sogenannten „Flaggschiff-Konferenz“ des europäischen Unternehmensverbands in Russland kamen unter anderem Vertreter von gleich vier der größten europäischen Energieunternehmen auf dem Podium zusammen: Shell, Total, Enel und E.On. Diese Unternehmen sind alle Partner Russlands – beim Abbau natürlicher Ressourcen. Und sie haben massiv im Land investiert.
Stagnation auf dem europäischen Markt
Die Bestandsaufnahme des Energiemarkts der Analysten fiel zunächst eher ernüchternd aus: „Bestenfalls bleiben wir im Öl-Bereich auf dem jetzigen Stand. Realistischerweise verliert Russland aber“, sagte Tatjana Mitrowa, Leiterin der Öl- und Gas-Abteilung des Energy Research Institutes der russischen Akademie der Wissenschaften. Momentan kämen nämlich viele unangenehme Faktoren zusammen: Neben sinkender weltweiter Nachfrage und niedriger Ölpreise stiege gleichzeitig die Konkurrenz – beispielsweise durch Fracking in den USA oder gelockerte Sanktionen im Iran. „Das Potenzial für den Export Russlands steigt zwar, doch der Abnehmer ist unklar“, sagte Mitrowa. Die Exportraten für Öl stiegen laut Exporteuren nicht. Das Plateau sei erreicht.
Daher werde Russland wohl den Export nach Europa reduzieren müssen. „Nicht, weil Russland das will, sondern weil dort der Markt gesättigt ist. Das ist auch der Grund dafür, warum der Export nach Asien steigt“, erklärte die Analystin.
Die Zuwendung Russlands nach Asien und vor allem zu China, ist ebenfalls momentan eines der häufig genannten Themen der Wirtschaft und wurde auch in der prall gefüllten Hotel-Lobby zwischen den Panels intensiv besprochen. Die europäische Wirtschaft fürchtet darum, Marktanteile nach Osten zu verlieren. Die europäischen Energieunternehmen, die in Russland aktiv sind, sehen darin aber vermehrt eine Geschäftschance, weil der der Energiesektor in Europa generell stagniert. Europas Ambitionen, sich von russischem Öl und Gas abhängig zu machen, würden bei diesen Unternehmen kritisch beäugt, berichtete ein Vertreter der EU.
Es bestehe eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Russland und Europa, bestätigt auch Mitrowas europäische Kollegin, die Direktorin des Energie-Zentrums des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen, Marie-Claire Aoun. Spannungen bei der Gasversorgung wie in der Ukraine 2006 oder 2009 seien daher problematisch. Die EU-Energiepolitik sei zunehmend auf eine Diversifizierung der Energieversorgung ausgelegt. Ausgelöst von der Ukraine-Krise 2014 baue die EU etwa an einer europäischen Energieunion, die „sichere, nachhaltige und erschwingliche Energiepreise für Bürger und Unternehmer“ gewähren soll.
Der Anteil russischen Gases bei der Versorgung Europas habe seit 2012 abgenommen, berichtete Aoun weiter. Gas verliere dabei Anteile an erneuerbare Energie und Kohle, sagte die Französin. „Kohle kostet in Europa nur ein Drittel so viel wie Gas.“
Das klingt wenig nach einer großen Zukunft der natürlichen Partner. Dennoch kämen bislang 39 Prozent des Gases und 37 Prozent des Erdöls in Europa aus Russland. Auch mittelfristig bleibe Europa wohl der Hauptmarkt für russisches Gas, weil es für beide schwierig sei, Alternativen zu finden, prognostizierte sie. Langfristig sei eine Vorhersage schwierig, weil dabei die Öl- und Gaspreise, Geopolitik und weitere Faktoren eine Rolle spielten.
Energetisches Zentrum der Welt
Die Vertreter der großen europäischen Energiekonzerne in Russland sahen ihre Zukunft positiver. Igor Inatiev vom britischen Mineralöl- und Erdgasunternehmen Shell betonte wie seine drei Kollegen, dass man langfristig in Russland sei. „Firmen, die langfristig handeln, sind meist nachhaltiger und erfolgreicher“, sagte der Vorsitzende des AEB-Energie-Komitees. „Sachalin ist zum Beispiel für 40 Jahre angelegt“, bezog er sich auf die russische Insel vor der Küste Japans, um die herum sich die bedeutendsten Erdöl- und Erdgasvorkommen Russlands befinden.
„Kurzfristige politische Ereignisse spielen da keine große Rolle“, stimmte ihm Stephane Zweguinzow vom italienischen Konzern Enel bei. Man kenne gute und schlechte Jahre, bleibe aber in Russland, betonte der größte italienische Investor in Russland.
2015 ist aber eher ein schlechtes Jahr: „Die momentan hohen Zinsen machen uns neben der ökonomischen Gesamtsituation zu schaffen“, klagte er dann doch über die aktuelle Krise. Zudem sehe er weitere Probleme, auf die seitens der russischen Politik reagiert werden müsse: „Das Energiesegment wird ständig reguliert. Das macht für uns die Planung von Investitionen schwer. Wir wünschen uns mehr Transparenz, Verlässlichkeit und eine Liberalisierung des Marktes.“
Aber da sprach er schon wieder von der Zukunft. Die sehen neben den Analysten auch die Wirtschaftsvertreter in der Verlagerung des Gewichts auf dem Energiemarkt Richtung Asien. Russland liegt dabei genau im Zentrum, sodass Jacques de Beissesons vom französischen Mineralölkonzern Total in Russland das Land sogar als „energetisches Zentrum der Welt“ ausmacht. Man solle seine Karte auch nach den Ländern mit dem größten Wachstum ausrichten. Und absolut werde China in dieser Hinsicht alle anderen übertreffen. Dennoch bleibe Europa wichtig, beschwichtigen sie allerdings.
Dieser Artikel wurde in der Moskauer Deutschen Zeitung veröffentlich: http://www.mdz-moskau.eu/quo-vadis-energiesektor